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Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 15.07.2002
Aktenzeichen: 9 U 22/02
Rechtsgebiete: MB/KK, ZPO, EGZPO


Vorschriften:

MB/KK § 1 Abs. 2
ZPO § 92 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
ZPO § 543 Abs. 2 n.F.
EGZPO § 26 Nr. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 U 22/02

Verkündet am 15. Juli 2002

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 9 Zivilsenat, durch den Richter

Dr. Monsse als Einzelrichter

nach der am 10. Juni 2002 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 32, vom 20. Dezember 2001 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels sowie der Anschlussberufung des Beklagten abgeändert und der Beklagte verurteilt, an den Kläger 9.097,28 Euro nebst 5 % Zinsen seit dem 13. Juli 2001 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist im wesentlichen begründet. Dagegen bleibt die Anschlussberufung des Beklagten erfolglos.

I.

Der Beklagte ist dem Kläger zur Erstattung der diesem für die ICSI/IVF-Behandlung im Sommer 2000 entstandenen Kosten in Höhe von 17.792,24 DM = 9.097,28 Euro verpflichtet. Denn diese Kosten sind dem Kläger für die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer Krankheit entstanden.

Zu Recht hat das Landgericht die beim Kläger befundete Oligozoospermie als Krankheit im Sinne einer Abweichung vom körperlichen Normalzustand angesehen. Es hat ferner die eingeleitete IVF/ICSI-Behandlung zu Recht als medizinische Heilbehandlung im Sinne von § 1 Abs. 2 MB/KK bewertet. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts, die sich der Senat zu eigen macht, wird Bezug genommen.

Ob, wie der Beklagte geltend macht, auch bei der Ehefrau des Klägers ein von der Norm abweichender Gesundheitszustand vorliegt, der - unabhängig von der Sterilität des Klägers - eine IVF-Therapie erfordern würde, erscheint dem Senat zweifelhaft. Die vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen des Prof. R vom 16.01.2000 und vom 07.06.2002 (seine als B 1 und B 3 bezeichneten Anlagen) haben zum Inhalt, dass die Ursache für die Nichterfüllung des Kinderwunsches allein bei dem Kläger liege, während sich im Rahmen der bei seiner Ehefrau durchgeführten Untersuchung keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben hatten, dass (auch) bei ihr eine eingeschränkte Fruchtbarkeit bestehe. Diese Stellungnahmen werden durch die in der Rechnung vom 28 September 2000 (Anlage K 17) aufgeführten Diagnosen nicht entwertet. Denn Prof. R hat dargelegt, dass es sich hierbei um Ausschlussdiagnosen gehandelt habe also Störungen, die nicht nachgewiesen worden seien. Dass Ärzte in ihren Rechnungen auch solche Ausschlussdiagnosen aufführen, ist dem Senat aus einer Vielzahl von Rechtsfallen bekannt.

Aus der Verschreibung des Mittels "Puregon" kann der Beklagte nichts Gegenteiliges herleiten In der von ihm als Anlage B 6 eingereichten Information aus der roten Liste wird als Anwendung dieses Medikaments die kontrollierte ovarielle Überstimulation zur Induktion der Entwicklung multipler Follikel für die künstliche Befruchtung (IVF und ICSI) angegeben.

Unabhängig davon ist der Senat der Auffassung, dass es auf den Gesundheitszustand der Ehefrau des Klägers letztlich nicht ankommt, es vielmehr entscheidend ist, ob bereits der Gesundheitszustand des Klägers die IVF-Behandlung erfordert. Die auf Grund der Sterilität des Klägers notwendige ICSI-Behandlung ist ohne Durchführung einer IVF-Behandlung nicht möglich. Deshalb können die Kosten der IVF-Behandlung selbst dann nicht von denen für die ICSI-Therapie des Klägers abgespalten werden, wenn auch bei der Ehefrau Fertilitätsstörungen vorhanden waren.

Weitere substantielle Einwendungen gegen die Arztrechnungen, für die der Kläger Erstattung begehrt, hat der Beklagte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht erhoben. Soweit er in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 04. Juli 2002 behauptet, eine Mikroinjektion hatte nicht fünfmal, sondern nur maximal dreimal berechnet werden dürfen, bleibt dieses im Hinblick darauf, dass darüber eine Beweisaufnahme stattfinden musste, unbeachtlich.

Bei der Kostenerstattung ist allerdings nicht zu berücksichtigen die Rechnung vom 18092000 (Anlage K 15), da diese nicht an den Kläger sondern an seine Ehefrau gerichtet ist.

II.

Die Anschlussberufung des Beklagten bleibt erfolglos, denn das Landgericht hat zu Recht seine Verpflichtung festgestellt, dem Kläger im Rahmen der Leistungsverpflichtung aus dem bestehenden Versicherungsvertrag die Kosten für eine weitere IVF/ICSI-Behandlung zu erstatten.

Da die Entscheidung des Landgerichts zu einem Zeitpunkt ergangen ist, als bereits drei Behandlungszyklen durchgeführt worden waren, legt der Senat die Entscheidung dahin aus, dass der Beklagte zu einem vierten Behandlungsversuch verpflichtet sein soll. Dies entspricht auch dem Begehren des Klägers, wie in der mündlichen Verhandlung klargestellt ist.

Bereits in seinem Urteil vom 17.12.1986 (BGHZ 99, 228 = VersR 1987, 278) hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass die Kosten für eine In-Vitro-Fertilisation im Grundsatz auch für mehrfache Versuche voll zu erstatten seien, hat hierbei aber die Obergrenze offen gelassen. Dem Urteil vom 23.09.1987 (VersR 1987, 1107) ist zu entnehmen, dass jedenfalls drei Versuche erstattungsfähig sind.

In der sozialen Krankenversicherung werden maximal vier Versuche zugebilligt (§ 27 a Abs. 1 Nr. 2 SGB V).

Der Senat ist der Auffassung, dass auch im Bereich der privaten Krankenversicherung für maximal vier Behandlungszyklen Erstattung begehrt werden kann. Dies setzt allerdings voraus, dass noch eine medizinische Notwendigkeit bejaht werden kann, also noch eine Erfolgsaussicht besteht. Diese ist hier nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Ehefrau des Klägers bereits 42 Jahre alt ist. Zwar ist es ein natürlicher Vorgang, dass die Fertilität von Frauen mit zunehmendem Lebensalter, insbesondere nach Überschreiten des 40. Lebensjahres, abnimmt. Dies rechtfertigt es jedoch nicht, eine Erfolglosigkeit schematisch etwa bei dem 40. Lebensjahr anzunehmen. Dies würde die Streubreite unterschiedlicher Entwicklungen im Normalbereich außer Acht lassen.

Das Alter der Ehefrau des Klägers steht deshalb einem letzten Versuch nicht entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO n.F. i.V.m. § 26 Nr. 7 EGZPO sind nicht gegeben.

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