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Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 21.10.2002
Aktenzeichen: II - 66/02
Rechtsgebiete: StPO, ZPO, ZustRG
Vorschriften:
StPO § 37 Abs. 1 | |
ZPO § 182 a.F. | |
ZPO § 180 | |
ZPO § 181 ZPO n.F. | |
ZustRG Art. 4 |
Zustellungsadressaten und die Mitteilung über die vorzunehmende Niederlegung gem. § 182 ZPO n.F. vor dem 1. Juli 2002 erfolgt sind.
Hanseatisches Oberlandesgericht 2. Strafsenat Beschluss
II - 66/02
In der Strafsache
hier betreffend Revision des Angeklagten gegen das Urteil der Kleinen Strafkammer 7 des Landgerichts Hamburg vom 16. Mai 2002
hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 21. Oktober 2002 durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Harder
den Richter am Oberlandesgericht Dr. Augner
den Richter am Amtsgericht Dr. Steinmann
beschlossen:
Tenor:
Die Akten werden zur Nachholung der Zustellung des Berufungsurteils vom 16. Mai 2002 an das Landgericht Hamburg, Kleine Strafkammer 7, zurückgegeben.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Hamburg hat den Angeklagten am 17. Dezember 2001 wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Die dagegen am 24. Dezember 2001 eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Hamburg, Kleine Strafkammer 7, mit Urteil vom 16. Mai 2002 unter Herabsetzung der Geldstrafe verworfen. Dagegen hat der Angeklagte am 23. Mai 2002 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts Revision eingelegt und mit der allgemeinen Sachrüge begründet. Aufgrund richterlicher Verfügung vom 25. Juni 2002 hat die Geschäftsstelle des Landgerichts das Urteil am 28. Juni 2002 der Post zwecks Zustellung an den Angeklagten übersandt. Ausweislich der Postzustellungsurkunde hat der Postzusteller am 29. Juni 2002 den Angeklagten in dessen Wohnung nicht angetroffen und eine Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung in den Hausbriefkasten eingelegt; am 2. Juli 2002 ist die das Urteil enthaltende Sendung bei der Postfiliale niedergelegt worden. Auf Anfrage des Senats hat die Deutsche Post AG unter dem 3. September 2002 mitgeteilt, die Sendung sei nicht abgeholt worden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung der Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO beantragt.
II.
An der Entscheidung über die Revision ist der Senat zurzeit gehindert, weil die Frist zur Begründung des Rechtsmittels (§ 345 Abs. 1 StPO) nicht abgelaufen ist. Diese Frist ist nicht in Lauf gesetzt worden, weil es an einer wirksamen Zustellung des Berufungsurteils fehlt.
1. Die vorliegend mehraktige Ausführung der Zustellung ist dadurch gekennzeichnet, dass am 29. Juni 2002 und 2. Juli 2002 unterschiedliches Recht galt. Die zivilprozessrechtlichen Zustellungsvorschriften, auf die § 37 Abs. 1 StPO für das Strafverfahren verweist, sind durch das Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz) vom 25. Juni 2001 (BGBl I, 1206) mit Wirkung vom 1. Juli 2002 (Art. 4 ZustRG) grundlegend verändert worden; insbesondere weichen die Voraussetzungen einer Ersatzzustellung durch Niederlegung voneinander ab (§§ 182 a.F., 181 n.F. ZPO).
Nach den Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts finden, sofern sich aus Überleitungsvorschriften oder Sinn und Zweck der Regelung nichts abweichendes ergibt, geänderte Vorschriften auch in laufenden Verfahren oder Verfahrensabschnitten vom Tage ihres Inkrafttretens an Anwendung (vgl. jeweils m.w.N. BVerfGE 65, 76, 98; für das Zivilverfahren Hartmann/Albers, ZPO, 60. Aufl., Einl. Rdn. 78; Vollkommer in Zöller, ZPO, Einl. Rdn. 104 m.w.N.; für das Strafverfahren Rieß in Löwe-Rosenberg, StPO, Einl. Abschn. D Rdn. 19). Das Zustellungsreformgesetz enthält keine Überleitungsvorschriften (siehe auch Begründung des Regierungsentwurfs in BT-Drs. 14/4554, S. 29, die sich nur dazu verhält, das Gesetz solle erst zu Beginn des 13. auf die Verkündung folgenden Kalendermonats in Kraft treten, um der Praxis Gelegenheit zu geben, sich auf die neuen Vorschriften einzustellen). Der Zweck der Neuregelungen, den gewandelten Lebensverhältnissen Rechnung zu tragen, das Zustellungsrecht zu vereinfachen und insbesondere die Zustellungen durch Niederlegung zurückzudrängen (vgl. Regierungsentwurf, a.a.O., S. 13) gebietet keine Abweichung von den Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts. Demgemäß ist, auch wenn die Zustellung schon vorher eingeleitet worden ist, für die einzelnen Zustellungsakte das jeweils zu deren Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden (ebenso Putzo in Thomas/Putzo, ZPO, 24. Aufl., Vorbem. § 166 n.F. Rdn. 1).
2. Am 29. Juni 2002 lagen hier die Voraussetzungen einer Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Post nach §§ 37 Abs. 1 StPO, 182 a.F. ZPO vor. Der Angeklagte als Zustellungsadressat war in seiner Wohnung nicht angetroffen worden, eine Ersatzzustellung in Wohnung und Haus nach § 181 a.F. ZPO war nicht bewirkbar und der Zusteller hinterließ in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise eine schriftliche Mitteilung über die vorzunehmende Niederlegung.
Damit war die Zustellung aber nicht bewirkt. Schon nach dem Wortlaut des § 182 a.F. ZPO erfolgte die Zustellung erst durch die Niederlegung bei der Post, nicht schon allein mit der vorherigen Hinterlassung einer diesbezüglichen Mitteilung bei dem Zustellungsadressaten (vgl. Stöber in Zöller, ZPO, 20. Aufl., § 182 Rdn. 5; Maul in KK-StPO, 4. Aufl., § 37 Rdn. 16 m.w.N.); auch insoweit unterscheiden sich altes und neues Recht (siehe jetzt § 181 Abs. 1 S. 3 n.F. ZPO: Fiktion der Zustellung per Abgabe der Niederlegungsmitteilung). Die Niederlegung bei der Postfiliale ist hier nicht mehr vor dem Inkrafttreten desZustellungsreformgesetzes am 1. Juli 2002 vorgenommen worden.
3. Zum Zeitpunkt der Niederlegung am 2. Juli 2002 bestimmte sich deren Zulässigkeit gemäß §§ 37 Abs. 1 StPO, 181 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO in der neuen Fassung nach Art. 1 Nr. 2 ZustRG.
a) Danach setzt eine Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Post voraus, dass die Zustellung nicht nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 n.F. ZPO (Übergabe an den Leiter bzw. ermächtigten Vertreter einer hier nicht gegebenen - Gemeinschaftseinrichtung) oder nach § 180 n.F. ZPO (Ersatzzustellung durch Einlegen des Schriftstücks in einen Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung) ausführbar ist. Die Unmöglichkeit der Einlegung in den Briefkasten pp. ist Wirksamkeitsvoraussetzung einer Ersatzzustellung durch Niederlegung (vgl. Stöber in Zöller, ZPO, 23. Aufl., § 181 Rdn. 2, 10; siehe auch Putzo, a.a.O., § 181 n.F. Rdn. 3), wie schon der Wortlaut des § 181 Abs. 1 S. 1 n.F. ZPO gebietet und durch den mit der Neuregelung verfolgten Zweck, insbesondere die für den Adressaten oft umständliche Zustellung durch Niederlegung soweit wie vertretbar zu vermeiden (Begründung des Regierungsentwurfs, a.a.O., S. 13), bestätigt wird. Dem steht nicht die Fiktion des § 181 Abs. 1 S. 3 n.F. ZPO entgegen, wonach das Schriftstück - schon - mit der Abgabe der Mitteilung über die Niederlegung (Satz 2 dieser Vorschrift) als zugestellt gilt. Damit berühren allenfalls Fehler bei der Niederlegung die Wirksamkeit der Zustellung nicht (so Begründung des Regierungsentwurfs, a.a.O., S. 22; Stöber, a.a.O., Rdn. 7; zweifelnd Putzo, a.a.O., Rdn. 9); von der Ausführung der Niederlegung ist deren durch § 181 Abs. 1 S. 3 n.F. ZPO nicht erfasste Voraussetzung zu unterscheiden. Fehlen schon die Voraussetzungen einer Ersatzzustellung, liegt ein offensichtlicher schwerer Fehler vor, der die Zustellung unwirksam macht (vgl. allgemein BGH - Zivilsenat - in JR 1969, 61; BayObLGSt 1967, 164, 165; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 37 Rdn. 26; Wendisch in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 37 Rdn. 67).
Vorliegend ist zwar eine Mitteilung über die Niederlegung erfolgt, doch fehlt es an der in § 181 Abs. 1 S. 1 n.F. ZPO vorausgesetzten Unausführbarkeit der Zustellung durch Einlegen des Schriftstückes in den Briefkasten des Angeklagten. Es ist in tatsächlicher Hinsicht nichts dafür ersichtlich, dass die das Urteil enthaltende Sendung nicht - wie es mit der Mitteilung erfolgt war - in den Brief-kasten hätte eingelegt werden können. In rechtlicher Hinsicht war die Einlegung des Schriftstücks zwar am 29. Juni 2002 unter Geltung des alten Zustellungsrechtes unmöglich gewesen, nicht jedoch am 2. Juli 2002, auf den es nach § 181 n.F. ZPO wegen der abschnittsbezogenen Geltung des geänderten Verfahrensrechts (siehe oben Ziff. II. 1.) ankommt.
Der somit im Rahmen des noch nicht abgeschlossenen Zustellungsvorganges im Juli 2002 gebotene erneute Zustellungsversuch unter der Wohnanschrift des Angeklagten, gegebenenfalls mit Ersatzzustellung durch Einlegen der Urteilssendung in den Briefkasten, ist unterblieben.
b) Der aufgezeigte Zustellungsmangel ist nicht nach §§ 37 Abs. 1 StPO, 189 n.F. ZPO geheilt worden. Die Urteilssendung ist dem Angeklagten nicht tatsächlich zugegangen, wie sich aus der überzeugenden Auskunft der Deutschen Post AG über die unterlassene Abholung ergibt.
III.
Zur Herbeiführung der Entscheidungsreife betreffend die Revision werden die Akten an das Landgericht zurückgegeben, damit es die gemäß §§ 35 Abs. 2, 36 Abs. 1 StPO in seine Zuständigkeit fallende Zustellung des Berufungsurteils nachholt.
Ende der Entscheidung
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