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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 16.03.2006
Aktenzeichen: III - 23/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 46
StPO § 314
1. Ein Berufungsurteil, das auf eine nicht in der Frist des § 314 StPO eingelegte Berufung ergangen ist, ist auf die Revision des Angeklagten hin aufzuheben. Für die Entscheidung über die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gemäß § 46 Abs. 1 StPO ausschließlich das Berufungsgericht zuständig.

2. Das Revisionsgericht darf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch dann nicht gewähren, wenn das Wiedereinsetzungsgesuch offensichtlich begründet ist. Das Revisionsgericht darf die Revisionsentscheidung auch nicht aussetzen, um das Berufungsgericht zunächst über den Wiedereinsetzungsantrag entscheiden zu lassen. Denn der Weg für eine Entscheidung des Berufungsgerichts über die Wiedereinsetzung ist erst offen, wenn das Revisionsgericht die unzulässige Sachentscheidung aufgehoben hat (Anschluss an BayObLGSt 1987, 102).


Hanseatisches Oberlandesgericht 3. Strafsenat Beschluss

III - 23/06 1 Ss 41/06

In der Strafsache

hier betreffend die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 17, vom 12. Dezember 2005

hat der 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 16. März 2006 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Rühle den Richter am Oberlandesgericht Sakuth die Richterin am Landgericht Jenssen-Görke

gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 17, vom 12. Dezember 2005 aufgehoben. Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Hamburg zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek verurteilte den Angeklagten am 15. September 2005 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten. Gegen dieses in seiner Gegenwart verkündete Urteil legte er durch einen Schriftsatz seines Verteidigers vom 16. September 2005, eingegangen bei Gericht am 23. September 2005, Berufung ein. Der Angeklagte hat mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft in der Berufungsverhandlung die Berufung auf die Überprüfung des Strafmaßes beschränkt. Das Landgericht hat die Berufung als unbegründet verworfen. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, der die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Berufung des Angeklagten wegen Versäumung der Berufungseinlegungsfrist als unzulässig zu verwerfen.

Der Verteidiger des Angeklagten hat daraufhin mit Schreiben vom 05. März 2006 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt mit der Begründung, die Fristversäumung beruhe auf Anwaltsverschulden.

II.

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückweisung an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Hamburg.

1. Die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils folgt aus der zur Zeit bestehenden Rechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils. Das Landgericht hat, was der Senat aufgrund der zulässigen Revision von Amts wegen zu prüfen hat, übersehen, dass die Frist zur Einlegung der Berufung abgelaufen war, als die Berufungsschrift am 23. September 2005 einging. Denn die Frist zur Einlegung der Berufung endete bereits mit dem Ablauf des 22. September 2005 (§ 314 StPO).

Es kann, wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt, auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Landgericht mit der Anberaumung des Verhandlungstermins oder mit dem Verhandeln zur Sache dem Angeklagten stillschweigend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt hat. Eine solche Annahme würde voraussetzen, dass es sich der Verspätung der Berufung bewusst gewesen wäre (vgl. BayObLG NStZ-RR 1996, 72, 74; Meyer-Goßner, 48. Aufl. 2005, Rdz. 4 zu § 46 StPO m.w.N.). Das war aber nicht der Fall. Denn in den Urteilsgründen ist ausdrücklich von einer form- und fristgerechten Berufung die Rede (UA S. 3).

2. Dass der Angeklagte nunmehr durch seinen Verteidiger einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt hat, steht der Aufhebung des landgerichtlichen Urteils nicht entgegen.

Allerdings hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg die Auffassung vertreten, das Revisionsgericht sei bei einer verspätet eingelegten Berufung aus Gründen der Prozessökonomie ausnahmsweise befugt, über ein Wiedereinsetzungsgesuch selbst zu entscheiden, wenn der Antrag offensichtlich begründet ist und der Senat gleichzeitig als Beschwerdegericht im Falle der Ablehnung eines Wiedereinsetzungsgesuches durch das Landgericht zuständig wäre (NStZ 1985, 568). Diese Ansicht ist überwiegend auf Ablehnung gestoßen (Meyer-Goßner, Rdz. 2 zu § 46 StPO m.w.N.; Wendisch in Löwe-Rosenberg, 25. Aufl. 1999, Rdz. 5 - 8 zu § 46 StPO m.w.N.; BayObLGSt 1987, 102, 104f; Gössel, JR 1986, 383, 384f; offen gelassen in HansOLG Hamburg, 2. Strafsenat, Beschl. v. 10.10.00 - II - 96/00). Auch der Senat folgt ihr nicht. Nach § 46 StPO entscheidet über die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand das Gericht, das bei rechtzeitiger Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen wäre, bei Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung also das Berufungsgericht. Der Gesetzgeber hat damit eine eindeutige gesetzliche Zuständigkeitsregelung getroffen, die nicht aus prozeßökonomischen Erwägungen übergangen werden darf (vgl. BGHSt 22, 52, 58).

3. Der Senat hält es auch nicht für zulässig, vor einer Entscheidung über die Revision zunächst die Akten dem Landgericht zur Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch zurückzugeben, denn das Landgericht darf sich, so lange das Berufungsurteil nicht aufgehoben ist, nicht in Widerspruch zu den Gründen des Berufungsurteils setzen, nach denen die Berufung fristgerecht eingelegt war. Der Weg für eine Entscheidung des Berufungsgerichts über die Wiedereinsetzung ist erst offen, wenn das Revisionsgericht die unzulässige Sachentscheidung aufgehoben hat (BayObLGSt 1987, 102, 105).

4. Was die Berufung selbst betrifft, käme zwar nach dem derzeitigen Verfahrensstand nur deren Verwerfung als unzulässig in Betracht. Im Hinblick auf das mittlerweile gestellte Wiedereinsetzungsgesuch ist es aber sachgerecht, von einer solchen durch das Revisionsgericht entsprechend § 354 Abs. 1 StPO zu treffenden Entscheidung abzusehen (vgl. dazu BayObLG NStZ-RR 1996,74 unter Hinweis auf BGHSt 13, 306, 309f).

Die nunmehr zuständige Kammer des Landgerichts wird zunächst über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungseinlegungsfrist und anschließend unter Berücksichtigung des Ergebnisses dieser Entscheidung erneut über die Berufung sowie die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Ende der Entscheidung

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