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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 27.09.2006
Aktenzeichen: III-104/06
Rechtsgebiete: BtMG, StGB


Vorschriften:

BtMG § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
StGB § 47 Abs. 1
Bei Besitz von Betäubungsmitteln in geringfügigen Mengen kommt trotz einschlägiger Vorstrafen und laufender Bewährung die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT 3. Strafsenat Beschluss

III - 104/06 1 Ss 166/06

In der Strafsache

hier betreffend die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 2, vom 30.05.2006

hat der 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 27.09.2006 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Rühle, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Mohr, den Richter am Oberlandesgericht Sakuth

gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 2, vom 30.05.2006 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Hamburg zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Hamburg-St. Georg verurteilte den Angeklagten am 30.03.2006 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BtMG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten.

Auf die vom Angeklagten eingelegte Berufung änderte das Landgericht Hamburg, Kleine Strafkammer 2, am 30.05.2006 das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg dahin ab, dass auf eine Freiheitsstrafe von drei Monaten erkannt wurde. Die weitergehende Berufung wurde als unbegründet verworfen.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hielt der Angeklagte zum Tatzeitpunkt in seiner Hand mehrere Steinchen mit insgesamt 123 mg Crackgemenge, dessen Wirkstoffgehalt mindestens 40 % betrug. Einen Teil der Steinchen legte er in eine Crackpfeife, um dies vor Ort zu konsumieren. Den anderen Teil hielt er weiterhin in der Hand, um ihn zu einem späteren Zeitpunkt zu rauchen. Zu einem Anzünden der Pfeife kam es nicht mehr, weil der Angeklagte von der Polizeibeamtin K. angesprochen wurde.

Der Angeklagte stützt seine Revision auf die Verletzung materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat nur hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg.

1. Die Revision war hinsichtlich des Schuldspruchs gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

Der Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BtMG steht nicht entgegen, dass sich nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils nicht ausschließen lässt, dass der Angeklagte die Cracksteinchen unmittelbar zuvor von einem Dritten erhalten hat und daher bis zu dem Ansprechen durch die Zeugin K. den Gewahrsam an den Steinchen nur wenige Sekunden innehatte. Zwar setzt der strafbare Besitz angesichts der erforderlichen Abgrenzung zum straflosen Konsum voraus, dass das tatsächliche Herrschaftsverhältnis des Täters an den Betäubungsmitteln auf eine nennenswerte Dauer ausgerichtet ist, der Täter das Rauschgift also nicht ausschließlich zum sofortigen Genuss erhält und es dann auch tatsächlich unmittelbar konsumiert (BayObLG StV 1988, 206; OLG Frankfurt/Main StV 1989, 20, 21; OLG Hamm StV 1989, 438, 439; OLG Düsseldorf MDR 1993, 1113). Dies gilt aufgrund des damit einhergehenden Ausschlusses einer Fremdgefährdung aber nur dann, wenn der Konsument den sofortigen Genuss des gesamten Betäubungsmittels beabsichtigt. Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben, da der Angeklagte die Sachherrschaft an mehreren Cracksteinchen hatte, von denen er einen Teil zum sofortigen Konsum auswählte, während die anderen Steinchen zum späteren Konsum bestimmt waren.

2. Hinsichtlich der verhängten Strafe hält das Urteil der revisionsrechtlichen Überprüfung jedoch nicht stand.

Das Landgericht hat nicht hinreichend dargelegt, dass besondere Umstände im Sinne von § 47 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten zur Einwirkung auf den Angeklagten unerlässlich machen. Der mit der Aufzählung der Strafzumessungsfaktoren verbundene Hinweis, die Freiheitsstrafe sei zur Einwirkung auf den Angeklagten unerlässlich, ist eine unzureichende formelhafte und inhaltsleere Wendung des Gesetzestextes (vgl. BGH StV 2003, 485). Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten ist nur dann auszusprechen, wenn sich diese Sanktion aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (BGH a. a. O.; OLG Köln NStZ 2003, 421, 422). In § 47 Abs. 1 StGB kommt die Entscheidung des Gesetzgebers zum Ausdruck, die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen nur als ultima ratio zuzulassen und gegenüber der Geldstrafe zurückzudrängen (Tröndle/Fischer StGB, 53. Aufl., § 47 StGB Rdnr. 2). Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe setzt daher voraus, dass unter Beachtung dieses Regel-Ausnahme-Verhältnisses die Unverzichtbarkeit einer solchen Einwirkung im Rahmen einer eingehenden, gesonderten Begründung dargestellt wird (vgl. auch § 267 Abs. 3 S. 2 2. Halbsatz StPO). Aus dieser Begründung muss sich ergeben, aufgrund welcher konkreten Umstände sich die Tat oder der Täter derart von dem Durchschnitt solcher Taten oder dem durchschnittlichen Täter abhebt, dass eine Freiheitsstrafe ausnahmsweise unerlässlich ist (OLG Karlsruhe StV 2005, 275).

Es ist nicht auszuschließen, dass das landgerichtliche Urteil im Rechtsfolgenausspruch auf dem Fehlen einer solchen Begründung beruht.

Im vorliegenden Fall versteht sich die Notwendigkeit der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nämlich nicht von selbst, sondern bedarf einer besonders eingehenden Begründung.

Die Unverzichtbarkeit der Verhängung einer Freiheitsstrafe liegt um so ferner, je geringfügiger die konkrete Tatschuld ist. Dies folgt bereits aus dem mit Verfassungsrang ausgestatteten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bzw. dem daraus abgeleiteten Übermaßverbot. Dieser rechtsstaatliche Grundsatz ist auch und gerade bei der Frage nach der Unerlässlichkeit einer kurzen Freiheitsstrafe in besonderer Weise zu berücksichtigen (OLG Karlsruhe StV 2003, 622; StV 2005, 275). Dem Unrechts- und Schuldgehalt der konkreten Tat kommt deshalb unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten auch im Rahmen der Beurteilung nach § 47 Abs. 1 StGB entscheidende Bedeutung zu.

Der Angeklagte war im Besitz einer äußerst geringfügigen Menge an Crack. Bei einem Wirkstoffgehalt von 40 % betrug die Wirkstoffmenge sämtlicher Cracksteine nur 49,2 mg. Die Grenze einer geringen Menge Kokain bzw. Crack im Sinne von § 29 Abs. 5 BtMG liegt bei dem drei Konsumeinheiten entsprechenden Wirkstoffwert von 300 mg (Weber BtMG, 2. Aufl., § 29 BtMG Rdnr. 1480). Diese Grenze ist vorliegend erheblich unterschritten worden. Zudem ist in die Bewertung einzustellen, dass der Angeklagte nicht ausschließbar die Betäubungsmittel erst unmittelbar vor dem Versuch, einen Teil der Gesamtmenge zu konsumieren, erlangte. Dies steht zwar aus den oben genannten Gründen nicht der Verwirklichung des Straftatbestandes des unerlaubten Besitzes entgegen. Auf der Strafzumessungsebene ist aber zu berücksichtigen, dass der sofortige Verbrauch eines Teils der ohnehin schon sehr geringen Menge beabsichtigt war. Für den späteren Konsum sollte eine äußerst geringe Menge verbleiben, die weit unterhalb einer Konsumeinheit lag, so dass eine - den Strafgrund bildende - potentielle Fremdgefährdung nur noch in sehr geringem Maße vorhanden war.

Zwar können besondere Umstände im Sinne von § 47 Abs. 1 StGB trotz geringen Erfolgsunwerts dann gegeben sein, wenn dem ein besonders hohes Handlungsunrecht gegenübersteht (Tröndle/Fischer StGB, a.a.O. § 47 StGB, Rdnr. 6). Handelt es sich aber wie hier um ein Bagatelldelikt, dann werden die Anforderungen an das Maß an Handlungsunrecht nur in Ausnahmefällen erfüllt sein.

Diesen Anforderungen trägt der Tatrichter jedenfalls nicht durch den schematischen Hinweis auf einschlägige Vorstrafen und ein Bewährungsversagen Rechnung (OLG Karlsruhe StV 2003, 622f.; StV 2005, 275f.; OLG Stuttgart NJW 2002, 3188, 3189; OLG Köln NStZ 2003, 421, 422). Diese täterbezogenen Umstände sind vielmehr in ihrer im Einzelfall festzustellenden Bedeutung für das Handlungsunrecht zu bewerten und mit Blick auf den Bagatellcharakter der Tat dahingehend zu würdigen, ob sie die Annahme eines überdurchschnittlichen Unrechts- und Schuldgehalts zu rechtfertigen vermögen. Regelmäßig wird im Falle des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in geringer Menge zum Eigenkonsum das Übermaßverbot auch bei einschlägigen Vorstrafen und einer laufenden Bewährung die Verhängung einer maßvollen Geldstrafe gebieten (vgl. BGHR, § 29 Abs. 5 BtMG, Absehen von Strafe 1).

Zu beachten ist überdies, dass die weiteren Feststellungen des landgerichtlichen Urteils zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten ebenfalls gegen das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne des § 47 Abs. 1 StGB sprechen.

Der 41jährige Angeklagte lebt mit seiner Ehefrau und drei gemeinsamen Kindern im Alter zwischen zwei und sechs Jahren zusammen. Anfang des Jahres 2006 verrichtete der Angeklagte bis zu seiner Inhaftierung mehrere Monate mit gutem Erfolg handwerkliche Tätigkeiten in einem Kindergarten. Dies deutet ebenso auf eine gewisse Stabilisierung in den Lebensverhältnissen des Angeklagten hin wie seine Teilnahme an einem Substitutionsprogramm, in dessen Rahmen regelmäßig unangekündigte Urinkontrollen durchgeführt wurden, ohne dass ein Beikonsum festgestellt wurde. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass sich die letzte Vorstrafe wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln auf eine Tat vom 28.07.2004 bezog, so dass zwischen jener Tat und der Tat, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, immerhin ein Zeitraum von über einem Jahr und drei Monaten lag.

Die Gesamtheit der vorstehenden Umstände wird bei der erneuten Entscheidung zu berücksichtigen sein.

Ende der Entscheidung

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