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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 14.09.2009
Aktenzeichen: (2) 4 Ausl. A 170/07
Rechtsgebiete: IRG, StPO


Vorschriften:

IRG § 77
StPO § 467
Liegt seitens der Türkei ein berechtigtes Auslieferungsbegehren gegen einen nach türkischem Recht wegen "Anhängersein der illegalen Terrorvereinigung PKK und Beteiligung an den bewaffneten Taten dieser illegalen Terrorvereinigung" verurteilten Verfolgten vor und wird die Auslieferung allein wegen dessen psychischer Erkrankung für unzulässig erklärt, sind der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Verfolgten nicht aufzuerlegen. Die Erstattung der notwendigen Auslagen aus der Staatskasse kommt nach dem Rechtsgedanken der strafprozessualen Kosten- und Auslagenregelungen nur in Betracht, wenn eine unberechtigte Verfolgung vorliegt.
Beschluss

Auslieferungssache

(Entscheidung über die Auslagen)

betreffend den türkischen Staatsangehörigen

wegen Auslieferung des Verfolgten aus Deutschland in die Türkei zur Strafvollstreckung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (PKK) u.a.,

(hier: Entscheidung über die notwendigen Auslagen).

Auf den Antrag der Rechtsanwälte A. in Bochum, die notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen, hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14.09.2009 durch nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Das Justizministerium der Republik Türkei hat mit Verbalnote vom 11. Oktober 2007 (Aktenzeichen: 2007/Berlin BE/28926), gegründet auf das Auslieferungsersuchen der Oberstaatsanwaltschaft der Republik zu Diyarbakir vom 17. September 2007 (2000/1293 ilamat A.K.) um Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung in die Türkei ersucht. Der Verfolgte ist durch Urteil der 1. Kammer des staatlichen Sicherheitsgerichts zu Diyarbakir vom 08. Oktober 1999 (1998/24 und 1999/284) in Verbindung mit dem Urteil der 9. Strafkammer des Kassationsgerichthofes vom 01. Mai 2000 (2000/655 - Grundnummer - und 2000/1249) wegen der Begehung der Straftat "Anhängersein der illegalen Terrorvereinigung PKK und Beteiligung an den bewaffneten Taten dieser illegalen Terrorvereinigung" zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Dem Verfolgten war unter anderem zur Last gelegt worden, im Jahre 1990 Mitglied der PKK geworden zu sein und bis Ende 1997 verschiedene politische und militärische Ausbildungslager besucht, Propaganda - und Organisationsaktivitäten durchgeführt sowie an mehreren bewaffneten Kampfhandlungen gegenüber staatlichen Einrichtungen und staatlichen Sicherheitskräften beteiligt gewesen zu sein.

Mit Beschluss vom 26. März 2009 hat der erkennende Senat die Auslieferung des Verfolgten wegen dessen psychischer Erkrankung im Hinblick auf den ordre public - Vorbehalt des § 73 IRG in Verbindung mit Artikel 2 Abs. 2 S. 1 GG sowie unter Beachtung der gemäß Art. 25 GG auch im Auslieferungsverkehr nach dem EuAlÜbk verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandards, der unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze der Bundesrepublik Deutschland und der elementaren rechtstaatlichen Garantien für unzulässig erklärt.

Die Wahlbeistände des Verfolgten haben mit Schriftsatz vom 10. Juli 2009 beantragt, der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Verfolgten aufzuerlegen.

II.

Dahinstehen kann zunächst, ob der Erstattungsanspruch sich nach § 77 IRG i.V.m. §§ 464 ff. StPO oder aber nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz richtet. In der Rechtsprechung und Literatur wird insoweit eine Differenzierung danach vorgenommen, ob schon ein Antrag nach § 29 IRG gestellt worden ist (vgl. zum Meinungsstand Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, § 40 IRG Randziffer 34 ff; für Entschädigung nach dem StrEG unter bestimmten Voraussetzungen BGH, Beschluss vom 09. Juni 1981 in BGHSt 30, 152; für eine analoge Anwendung der §§ 467 ff StPO Beschluss des Senats vom 22. Januar 2003 in StraFo 2003, 325).

Voraussetzung für eine Erstattung der notwendigen Auslagen aus der Staatskasse ist nämlich in jedem Fall, dass eine unberechtigte Verfolgung vorliegt. Nur der unberechtigt Verfolgte soll Ersatz für seine notwendigen Auslagen erlangen.

Vorliegend handelt es sich jedoch nicht um eine unberechtigte Verfolgung. Die türkischen Behörden haben ein berechtigtes Auslieferungsbegehren gestellt und die dazu erforderlichen Unterlagen in der vorgeschriebenen Form übersandt. Die Auslieferung des Verfolgten war allein wegen dessen psychischer Erkrankung im Hinblick auf den ordre public - Vorbehalt des § 73 IRG in Verbindung mit Artikel 2 Abs. 2 S. 1 GG sowie unter Beachtung der gemäß Art. 25 GG auch im Auslieferungsverkehr nach dem EuAlÜbk verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandards, der unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze der Bundesrepublik Deutschland und der elementaren rechtstaatlichen Garantien für unzulässig erklärt worden. Hierzu heißt es in dem in der vorliegenden Sache gefassten Beschluss des Senats vom 26. März 2009:

"Eine Verletzung solcher Mindeststandards und Elementargarantien sowie ein Verstoß gegen den ordre public - Vorbehalt ist vor allem angenommen worden, wenn der Verfolgte dauerhaft transport- und haftunfähig ist und schon die Unterbrechung der ärztlichen Kontrolle und Behandlung geeignet ist, Lebensgefahr zu begründen (Senatsbeschluss vom 27. Januar 2009 - (2) 4 Ausl. A 171/08 (22 - 25/09) -; OLG Stuttgart, Beschluss vom 04. Juli 2002 - 3 Ausl 96/2000 -, zitiert nach juris Rn. 14 - jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Diese Grundsätze können nach Auffassung des Senats auf Konstellationen übertragen werden, in denen es - wie vorliegend - um die Auslieferung psychisch erkrankter Verfolgter geht, die aufgrund ihrer Erkrankung real suizidgefährdet sind (so auch: OLG Stuttgart, Beschluss vom 04. Juli 2002 - 3 Ausl 96/2000 -, zitiert nach juris Rn. 15), insbesondere wenn die Suizidgefahr beziehungsweise deren Erhöhung gerade auf die - drohende - Auslieferung zurückzuführen ist.

Vorliegend ist unter Berücksichtigung der ärztlichen Unterlagen zu besorgen, dass sich der Zustand des Verfolgten bis hin zur Lebensgefährdung destabilisiert, so dass einer Auslieferung in die Türkei sein Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG entgegensteht. Gerade dieser Aspekt hat auch im Asylverfahren des Verfolgten zu der Feststellung eines Abschiebeverbots in die Türkei und die Aufhebung der Abschiebeandrohung geführt.

Soweit teilweise die Unzulässigkeit der Auslieferung psychisch kranker Verfolgter nur bei Vorliegen begründeter Anhaltspunkte dafür bejaht wird, dass sie in dem ersuchenden Staat nicht entsprechend der völkerrechtlichen Mindeststandards und der rechtstaatlichen Elementargarantien behandelt würden und dass deshalb eine Aktualisierung der Suizidgefahr drohte (so: OLG Stuttgart, Beschluss vom 04. Juli 2002 - 3 Ausl 96/2000 -, zitiert nach juris Rn. 15), führt dies vorliegend nicht zu einer anderen Entscheidung. Zum einen ist der vom OLG Stuttgart entschiedene Fall nicht ohne Weiteres mit dem hiesigen vergleichbar. Zum anderen besteht vorliegend die Besonderheit, dass die Krankheitsentstehung bei dem Verfolgten untrennbar mit den Erlebnissen in der Türkei verbunden ist, so dass allein die Möglichkeit der Rückführung dorthin zu einer erheblichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes und einer wesentlichen Erhöhung der Suizidgefahr führt, ohne dass es auf die dortige Behandlung und die dort konkret herrschenden Umstände ankäme."

Es liegt demgemäß kein von vornherein unberechtigtes Auslieferungsbegehren vor. Es entspricht auch dem Rechtsgedanken des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO. Danach kann das Gericht davon absehen, die notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn eine Verurteilung wegen einer Straftat nur deshalb nicht erfolgt, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Es entspricht zudem der Billigkeit, in diesem Fall, in dem ein berechtigtes Auslieferungsbegehren vorliegt und die Auslieferung allein aufgrund der psychischen Erkrankung Verfolgten unzulässig wird, eine Erstattung der notwendigen Auslagen aus der Staatskasse abzulehnen.

Ende der Entscheidung

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