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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 12.05.2005
Aktenzeichen: (2) 4 Ausl. A 23/04 (84/05)
Rechtsgebiete: IRG
Vorschriften:
IRG § 15 | |
IRG § 16 | |
IRG § 28 | |
IRG § 25 |
(2) 4 Ausl. A 23/04 (78/05) (2) 4 Ausl. A 23/04 (84/05)
Beschluss
Auslieferungssache
betreffend den russischen Staatsangehörigen S.M.
wegen Auslieferung des Verfolgten aus Deutschland in die Russische Föderation zum Zweck der Strafverfolgung wegen Steuerhinterziehung, Bestechung u.a. (hier: Zulässigkeit der Auslieferung und Aufhebung des Auslieferungshaftsbefehls).
Auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 16. März 2005 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12. 05. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht beschlossen:
Tenor:
Die Entscheidung über die Einwendungen des Verfolgten gegen die Zulässigkeit der Auslieferung wird zurückgestellt.
Den russischen Behörden wird aufgegeben, zu den Einwendungen des Verfolgten, insbesondere zu der Frage, dem Auslieferungsverfahren liege kein gültiger Haftbefehl mehr zu Grunde, so Stellung zu nehmen, dass die Generalstaatsanwaltschaft gegenüber dem Senat abschließend bis zum 30. Juni 2005 Stellung nehmen kann.
Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 26. Juli 2004 und der Außervollzugsetzungsbeschluss des Senats vom 8. November 2004 werden aufgehoben.
Gründe:
I.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat am 20. Juli 2004 den Erlass eines Auslieferungshaftbefehls gegen den Verfolgten beantragt. Entsprechend diesem Antrag hat der Senat mit Beschluss vom 26. Juli 2004 gegen den Verfolgten die vorläufige Auslieferungshaft angeordnet. Der Verfolgte soll danach zum Zwecke der Strafverfolgung in de Russische Föderation ausgeliefert werden. Dem Verfahren liegt eine Beschluss des Zamoskworezkiy-Gerichts Moskau vom 22. Januar 2004 zu Grunde, der dem Verfolgten Steuerhinterziehung und Bestechung zur Last legt. Der Senat hat mit Beschluss vom 7. November 2004 die Auslieferung für zulässig erklärt.
Der Verfolgte befand sich zunächst aufgrund des russischen Festnahmeersuchens seit dem 5. Juli 2004 in Auslieferungshaft. Auf Antrag des Verfolgten vom 4. November 2004 hat der Senat sodann durch Beschluss vom 8. November 2004 den Auslieferungshaftbefehl unter folgenden Auflagen außer Vollzug gesetzt: Hinterlegung einer Kaution von 20.000 Euro, zwei Mal wöchentlich Meldung bei der zuständigen Polizeidienststelle, Wohnsitznahme bei seiner damaligen Verlobten, Verbleib des Passes und sonstiger Ausweispapiere bei der Akte. Nach Erfüllung der Auflagen wurde der Verfolgte aus der Auslieferungshaft entlassen.
Inzwischen hat der Beistand des Betroffenen vorgetragen, dass der ursprüngliche Haftbefehl der russischen Behörden aufgehoben worden ist. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mitgeteilt, dass nach den ihr vorliegenden Informationen, die Aufhebung nur wegen eines Formfehlers erfolgt und durch Beschluss vom 25. Februar 2005 erneut Haft angeordnet worden ist. Der Verfolgte bezieht sich demgegenüber auf einen Beschluss des Berufungsgerichts vom 21. März 2005, wonach dieser Beschluss erneut aufgehoben worden sein soll. Die russischen Behörden, die nicht auf die Auslieferung verzichtet haben, sind mit Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 24. Februar 2005 darauf hingewiesen worden, dass der Senat beabsichtige am 31. März 2005 zu entscheiden. Diese Frist ist dann auf Antrag des Beistandes des Verfolgten verlängert worden. Wegen der zahlreichen weiteren Eingaben des Beistandes des Verfolgten hat sich die Entscheidung dann weiter bis zum jetzigen Zeitpunkt verzögert.
II.
Die endgültige Entscheidung über die Einwendungen des Verfolgten gegen die Zulässigkeit der Auslieferung war nochmals zurückstellen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat am 2. Mai 2005 mitgeteilt, dass von den russischen Behörden weitere/neue Unterlagen zur Frage der Zulässigkeit der Auslieferung zu erwarten sind. Deren Eingang soll abgewartet werden.
Allerdings macht es der bisherige Verlauf des Auslieferungsverfahrens nach Ansicht des Senats erforderlich, nunmehr den russischen Behörden eine Frist für die Vorlage dieser Unterlagen zu setzen. Sie sind bereits durch Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 24. Februar 2005 auf den vom Senat vorgesehenen Entscheidungstermin 31. März 2005 hingewiesen worden, ohne dass bislang darauf eine Reaktion erfolgt ist. Das lässt befürchten, dass die russischen Behörden ohne Fristsetzung durch den Senat keine Tätigkeiten entwickeln werden. Die Frist ist unter Berücksichtigung der bisher bereits verstrichenen Zeit noch einmal angemessen verlängert worden.
III.
Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 26. Juli 2004 war gem. § 24 Abs. 1 IRG aufzuheben, da seine weitere Aufrechterhaltung auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Haftbefehl derzeit gem. § 25 IRG nicht vollzogen wird, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung der Obergerichte, dass das Prinzip der Verhältnismäßigkeit auch bei Anordnung und Vollstreckung der Auslieferungshaft zu beachten ist (vgl. u.a. BVerfGE 61, 28; BGH NJW 1978, 504; Schomburg/Lagodny, IRG, 4. Aufl., § 24 IRG Rn. 7 ff. mit weiteren Nachweisen; aus der Rechtsprechung des Senats siehe Beschluss vom 18. August 1997 - (2) 4 Ausl. 20/97 (49/97) = StV 1997, 652 = StraFo 1997, 342; aus neuerer Zeit siehe OLG Karlsruhe NJW 2005, 1206). Die Anordnung der Auslieferungshaft, die ebenso wie die Untersuchungshaft einen schwerwiegenden Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geschützte Recht auf persönliche Freiheit darstellt, muss von den überwiegenden Belangen des Gemeinwohls zwingend geboten sein (vgl. BVerfG, a.a.O.; Senat, a.a.O., und in (2) 4 Ausl. 506/98 89/98 ). Das gilt auch, wenn - wie vorliegend - die Auslieferungshaft nicht vollstreckt wird, weil der (vorläufige) Auslieferungshaftbefehl außer Vollzug gesetzt worden ist. Auch dann ist - ebenso wie bei der Untersuchungshaft - die weitere Aufrechterhaltung des außer Vollzug gesetzten Auslieferungshaftbefehls ständig darauf zu prüfen, ob diese unter Berücksichtigung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzips noch gerechtfertigt ist (ebenso OLG München, Beschluss vom 25. Juli 1986 - OLG Ausl. 54/86 = E/L U 132; Schomburg/Lagodny, a.a.O., § 25 IRG Rn. 15; zur Untersuchungshaft siehe Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., 1999, § 120 StPO Rn. 5 mit weiteren Nachweisen). Auch in diesem Fall dürfen die Beschränkungen, denen der Verfolgte durch die nach §§ 25 Abs. 2 IRG, 116 StPO angeordneten Auflagen und Weisungen ausgesetzt ist, nicht länger andauern, als es nach den Umständen des Falles erforderlich ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 116 StPO Rn. 5; Senat, a.a.O.).
Danach war vorliegend die Aufhebung des vorläufigen Auslieferungshaftbefehls geboten. Dieser besteht seit nunmehr fast 10 Monaten. Er ist gegen den Verfolgten bis zum Erlass des Aussetzungsbeschlusses des Senats vom 8. November 2004 auch fast vier Monate vollstreckt worden. Inzwischen ist die Frage, ob dem Auslieferungsverfahren überhaupt noch eine gültige Haftentscheidung der russischen Behörden zu Grunde liegt, streitig. Bei der Abwägung des Freiheitsanspruchs des Verfolgten gegen das im Auslieferungsverfahren geltende Gebot der Rücksichtnahme auf die Wirksamkeit der Strafrechtspflege des ersuchenden Staates ist zugunsten des Verfolgten damit zu berücksichtigen, dass das zeitliche Ende des Auslieferungsverfahren derzeit völlig offen ist (vgl. zur Berücksichtigung dieses Umstandes auch OLG Karlsruhe NJW 2005, 1206). Die russischen Behörden haben auf die Mitteilung der Generalstaatsanwaltschaft vom 24. Februar 2005 bislang nicht reagiert, obwohl das vom Senat zunächst ins Auge gefasste Entscheidungsdatum bei weitem überschritten ist. Wann eine Antwort eingeht, lässt sich nicht abschätzen. Das weitere Zuwarten auf eine Antwort ist für den Verfolgten nicht mehr hinnehmbar.
Dies alles führt dazu, dass nunmehr nach fast 10 Monaten die Aufrechterhaltung des Auslieferungshaftbefehls unverhältnismäßig ist. Die Unverhältnismäßigkeit ist, auch wenn die festgesetzten Auflagen und Weisungen den Verfolgten nur noch verhältnismäßig wenig belasten dürften, unter entsprechender Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des Senats in Untersuchungshaftfällen inzwischen auch so gravierend, dass der Auslieferungshaftbefehl nicht mehr nur gemäß § 25 IRG außer Vollzug gesetzt bleiben kann (vgl. dazu OLG Düsseldorf NJW 1991, 3105), sondern aufgehoben werden muss.
Ende der Entscheidung
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