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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.01.2006
Aktenzeichen: (2) 4 Ausl. A 34/05 (17/06)
Rechtsgebiete: IRG, GG
Vorschriften:
IRG § 15 | |
IRG § 70 | |
GG Art. 25 |
Beschluss
Auslieferungssache
(Aufhebung des Auslieferungshaftbefehl)
betreffend den italienischen Staatsangehörigen T.G.
wegen Auslieferung zur Strafverfolgung wegen Betruges nach Österreich (hier: Aufhebung der Auslieferungshaftbefehl und Unzulässigkeit der Auslieferung).
Auf die Anträge der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 16. Januar 2006 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19. 01. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht beschlossen:
Tenor:
Der Auslieferungshaftbefehl vom 9. Mai 2005 wird aufgehoben.
Die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Landgerichts Wiener Neustadt vom 08. März 2005 - 34 Ur 352/04 k - wird für unzulässig erklärt.
Gründe:
I.
Der Senat hat mit Beschluss vom 9. Mai 2005 die Auslieferungshaft des Verfolgten angeordnet. Der Verfolgte soll nach Österreich zur Strafverfolgung wegen Betruges ausgeliefert werden. Dem Auslieferungsersuchen liegt der Europäische Haftbefehl des Landgerichts Wiener Neustadt vom 8. März 2005 zugrunde, der auf einem österreichischen Haftbefehl vom 30. Dezember 2004 beruht. Danach wird in Österreich die Strafverfolgung wegen Betruges gegen den Verfolgten betrieben. Der Verfolgte befindet sich nicht in Auslieferungshaft, sondern in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Kleve vom 22. Februar 2005 wegen eines Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz.
Der Verfolgte hatte bereits gegen den Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 9. Mai 2005 Einwendungen erhoben. Er machte insbesondere geltend, er sei schwer erkrankt und deshalb nicht transport- und reisefähig. Seine Lebenserwartung sei aufgrund der Erkrankung eingeschränkt. Der Senat hat diese Einwendungen mit Beschluss vom 15. August 2005 ( 2 4 Ausl. A 34/05 220/05 ) zurückgewiesen. Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft mit den Anträgen vom 8. September/7. Oktober 2005 beantragt hat, die Auslieferung des Verfolgten für zulässig zu erklären, hat der Senat die Entscheidung darüber jedoch zurückgestellt, bis die Frage der Transportfähigkeit des Verfolgten geklärt sei. Daraufhin ist der Verfolgte inzwischen amtsärztlich untersucht worden. Aufgrund des Ergebnisses dieser Durchsuchung hat die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, den Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 9. Mai 2005 aufzuheben und die Auslieferung des Verfolgten für unzulässig zu erklären.
II.
Den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft war zu entsprechen.
1. Der Auslieferungshaftbefehl war schon gemäß § 24 Abs. 2 IRG aufzuheben, da die Generalstaatsanwaltschaft die Aufhebung der Haftentscheidung des Senats vom 9. Mai 2005 beantragt hat.
2. Im Übrigen war die Auslieferung des Verfolgten auch für unzulässig zu erklären. Die Auslieferung des Verfolgten erscheint nämlich nunmehr von vornherein unzulässig (§ 15 Abs. 2 IRG). Aufgrund der zwischenzeitlich vorliegenden Erkenntnisse aus dem amtsärztlichen Gutachten der Stadt Bochum vom 3. Januar 2006 spricht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Auslieferungshindernisses (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004, 218; OLG Celle StV 1999, 264 f.; OLG Düsseldorf StraFo 2005, 35).
Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 15. August 2005 darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG bei der Entscheidung über die Auslieferung auch die Überprüfung geboten ist, ob diese oder ihr zugrunde liegende Akte mit unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland und mit dem völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard an elementarer Verfahrensgerechtigkeit, der über Art. 25 GG einen Bestandteil des in der Bundesrepublik Deutschland innerstaatlich geltenden Rechts darstellt, vereinbar sind (BVerfGE 59, 280, 283; 63, 332, 337f.; BVerfG NStZ 2001, 203, 204; vgl. zuletzt aus der obergerichtlichen Rechtsprechung u.a. OLG Düsseldorf, a.a.O.). Wie bei innerstaatlichen Strafverfahren muss auch im Auslieferungsverfahren der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden (so auch bereits Senat im Beschluss vom 28. August 1997, (2) 4 Ausl 20/97 (49/97), StV 1997, 652 = StraFo 1997, 342 = http://www.burhoff.de). In innerdeutschen Strafverfahren rechtfertigt nach der Rechtsprechung des BVerfG die verfassungsrechtliche Pflicht zu einer wirksamen Rechtspflege aber nicht in jedem Fall die Durchführung eines Strafverfahrens. Bei für den Fall der Fortsetzung des Verfahrens bestehender Lebensgefahr oder der Gefahr eines schwerwiegenden Gesundheitsschadens ist eine Abwägung der widerstreitenden Interessen erforderlich. Bei einer nahe liegenden, konkreten Gefahr, dass der Beschuldigte bei Durchführung des Strafverfahrens sein Leben einbüßen oder schwerwiegenden Schaden an seiner Gesundheit nehmen würde, darf das Verfahren daher nicht fortgesetzt werden (BVerfGE 51, 324, 345ff.). Dabei reicht aber die bloße Möglichkeit des Gefahreneintritts nicht aus, erforderlich ist vielmehr ein spezifischer Wahrscheinlichkeitsgrad, der sich regelmäßig einer genaueren Quantifizierung entziehen dürfte. Auch bei schwersten Vorwürfen verläuft die Grenze nicht unwesentlich unter der Prognose eines mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu bestimmenden Kausalverlaufs (BVerfGE 51, 324, 348 f.). Ausgehend von diesem Maßstab muss der Richter die für seine Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte gegeneinander abwägen, wobei dem unterschiedlichen Gewicht der einzelnen Abwägungselemente entscheidende Bedeutung zukommen kann (BVerfG, Beschluss vom 20. September 2001, 2 BvR 1349/01, NJW 2002, 53 = StV 2001, 659). Ein darüber hinausgehender Haftaufhebungsgrund der begrenzten Lebenserwartung wird nicht anerkannt (Boujong in Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl., § 112 Rn. 52 m.w.N.)
Im Fall einer Erkrankung, die im Falle einer Auslieferung oder Haft eine Lebensgefahr nach sich zieht, kann die Auslieferung wegen einer dann vorliegenden Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unzulässig sein, wenn der Verfolgte dauerhaft haft- und transportunfähig ist und schon die Unterbrechung der ärztlichen Kontrolle und Behandlung geeignet ist, Lebensgefahr zu begründen (OLG Stuttgart NStZ 1987, 80; OLG Düsseldorf StraFo 2005, 35; Lagodny in Schomburg/Lagodny, IRG, 3. Aufl., § 73 Rn. 106).
Davon muss vorliegend nun aufgrund des Gutachtens des Gesundheitsamtes der Stadt Bochum vom 3. Januar 2006 ausgegangen werden. Dazu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme u.a. wie folgt ausgeführt:
"Nach dem von dem Beistand des Verfolgten vorgelegten Sachverständigengutachten des Prof. Dr. M. ist der Verfolgte zwar derzeit haft- und auch - zumindest eingeschränkt - verhandlungsfähig. Dem amtsärztlichen Zeugnis des Gesundheitsamtes der Stadt Bochum vom 03.01.2006 zufolge ist der Verfolgte aber aus amtsärztlicher Sicht derzeit nicht transportfähig. Bei dem schwer vorgeschädigten Herzen des Verfolgten sei bei körperlichen und emotionalen Belastungen eine weitere Verschlechterung der Herzfunktion zu erwarten. Bei der vorbestehenden coronaren Herzerkrankung könne es zu bedrohlichen Angina pectoris-Anfällen und auch Herzinfarkten kommen. Diese seien medizinisch nicht vorhersehbar oder berechenbar mit der Folge, dass auch nur kurze und mitunter wenige Minuten andauernde Belastungssituationen zumindest theoretisch zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen könnten. Unter den Bedingungen eines Transports seien akute cardiale Komplikationen wie Kammerflimmern und Pumpversagen nicht auszuschließen und selbst bei Begleitung durch einen Notfallarzt mit entsprechender Ausrüstung nicht sicher beherrschbar.
Da nicht auszuschließen ist, dass es bei dem Verfolgten unter den möglichen Belastungen eines Transportes aus der JVA Bochum zur deutsch-österreichischen Grenze, selbst wenn dieser im Wege des Einzeltransportes oder auf dem Luftweg erfolgen würde, zu den durch das Gesundheitsamt der Stadt Bochum beschriebenen lebensbedrohlichen cardialen Komplikationen kommt, ist die Auslieferung unzulässig. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Gesundheitszustand des Verfolgten in der nächsten Zeit verbessern wird. Schon in dem Gutachten vom 23.06.2005 (BI. 103 ff. d. A.) hat der Sachverständige Prof. Dr. M. ausgeführt, dass der Verfolgte mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % die nächsten fünf Jahre nicht überleben wird, wenn nicht zuvor besondere medizinische Maßnahmen getroffen würden. In dem von dem Beistand des Verfolgten zu den Akten übersandten weiteren Gutachten vom 12.10.2005 (BI. 157 ff d. A.) hat der Sachverständige ausgeführt, dass sich die klinische Situation- der Zustand des Verfolgten - zwar nicht gravierend verändert habe, gleichwohl lasse sich innerhalb der Monate Juni bis Oktober (2005) ein "Trend" zu einer klinischen Verschlechterung erkennen. Auch aus dem amtsärztlichen Bericht ergibt sich nichts anderes. Dort heißt es, das Beschwerdebild des Verfolgten habe sich in den letzten Monaten deutlich verschlechtert. Im Jahr 2005 habe der Verfolgte fünfmal stationär behandelt werden müssen."
Dem tritt der Senat nach eigener Sachprüfung bei. Der Senat hat keinen Anlass an der Richtigkeit dieser gutachterlichen Stellungnahme zu zweifeln. Damit ist aber der Verfolgte nicht nur lediglich eingeschränkt haftfähig, was ggf. durch besondere Haftbedingungen, wie sie im Schreiben der österreichischen Behörden vom 15. Dezember 2005 angesprochen sind, hätte ausgeglichen werden können. Der Verfolgte ist vielmehr auch schon transportunfähig, was der Zulässigkeit der Auslieferung entgegensteht.
Ende der Entscheidung
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