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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 15.08.2005
Aktenzeichen: (2) 4 Ausl. A 34/05 (220/05)
Rechtsgebiete: IRG


Vorschriften:

IRG § 73
Zur Frage der Unzulässigkeit der Auslieferung wegen einer Erkrankung des Verfolgten.
Beschluss

Auslieferungssache

betreffend den italienischen Staatsangehörigen T.G.

wegen Auslieferung des Verfolgten aus der Bundesrepublik Deutschland nach Österreich zur Strafverfolgung wegen Betruges, (hier: Entscheidung über Einwendungen des Verfolgten gegen den Auslieferungshaftbefehl).

Auf die Einwendungen des Verfolgten gegen den Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 19. Mai 2005 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 15. 08. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht beschlossen:

Tenor:

Die Einwendungen des Verfolgten gegen den Auslieferungshaftbefehl vom 19. Mai 2005 werden zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Senat hat mit Beschluss vom 19. Mai 2005 die Auslieferungshaft des Verfolgten angeordnet. Der Verfolgte soll nach Österreich zur Strafverfolgung wegen Betruges ausgeliefert werden. Dem Auslieferungsersuchen liegt der Europäische Haftbefehl des Landgerichts Wiener Neustadt vom 8. März 2005 zugrunde, der auf einem österreichischen Haftbefehl vom 30. Dezember 2004 beruht. Danach wird in Österreich die Strafverfolgung wegen Betruges gegen den Verfolgten betrieben. Der Verfolgte befindet sich nicht in Auslieferungshaft, sondern in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Kleve vom 22. Februar 2005 wegen eines Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz.

Der Verfolgte hat gegen den Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 19. Mai 2005 Einwendungen erhoben. Er macht insbesondere geltend, er sei schwer erkrankt und deshalb nicht transport- und reisefähig. Seine Lebenserwartung sei aufgrund der Erkrankung eingeschränkt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Einwendungen zurückzuweisen.

II.

Die Einwendungen des Verfolgten rechtfertigen eine Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls vom 19. Mai 2005 nicht.

1. Die Auslieferung des Verfolgten erscheint weiterhin nicht von vornherein unzulässig. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 18. Juli 2005 (2 BvR 2236/04, NJW 2005, 2289) das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz - EuHbG) vom 21. Juli 2004 - und damit die §§ 78 ff. IRG - für nichtig erklärt. Dies hat aber nur zur Folge, dass noch nicht erledigte Auslieferungsersuchen nach der bis zum 21. Juli 2004 geltenden Rechtslage zu behandeln sind.

Auch danach war und ist die Anordnung von Auslieferungshaft durch den Senat gemäß § 15 IRG zulässig und geboten. Der über ein Ersuchen um vorläufige Verhaftung im Sinne des Art. 16 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (EuAlÜbk) hinausgehende Europäische Haftbefehl ist entsprechend der Intention der ausstellenden österreichischen Behörde als Auslieferungsersuchen im Sinne des Art. 12 EuAlÜbk anzusehen (vgl. dazu schon Senat im Beschluss vom 26. Juli 2005, (2) 4 Ausl. A 24/05 (199 u. 200/05). Dem steht nicht entgegen, dass die nach Art. 12 Abs. 2 EuAlÜbk notwendigen Dokumente - hier der österreichische Haftbefehl vom 30. Dezember 2004 (34 UR 352/04k LG Wiener Neustadt) - noch nicht vorliegen. Die österreichischen Behörden konnten im Vertrauen auf eine ordnungsgemäße Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten vom 13. Juni 2002 durch den deutschen Gesetzgeber davon ausgehen, dass sie keine weiteren Unterlagen beibringen müssen.

Der Senat ist der Auffassung, dass diese Sachbehandlung der Situation gerecht wird, die durch die vom Bundesverfassungsgericht beanstandete Art und Weise der Umsetzung des Rahmenbeschlusses durch den deutschen Gesetzgeber entstanden ist. Dem ersuchenden Staat ist deshalb Gelegenheit zu geben, sein nach der bisherigen deutschen Rechtslage ordnungsgemäß übermitteltes Begehren um die nunmehr erforderlich gewordenen Unterlagen zu ergänzen (Art. 13 EuAlÜbk). Das wird die Generalstaatsanwaltschaft zu veranlassen haben.

Die übrigen Voraussetzungen der §§ 15, 16 IRG für die Anordnung der Auslieferungshaft sind nach wie vor gegeben. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf den Beschluss vom 19. Mai 2005 Bezug.

2. Auch die vom Verfolgten geltend gemachte Krankheit lässt die Auslieferung nicht als von vornherein unzulässig erscheinen (§ 15 Abs. 2 IRG).

Es ist kein Grund ersichtlich, der die Unzulässigkeit der Auslieferung im Sinne des § 73 IRG begründen könnte.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist bei der Entscheidung über die Auslieferung auch die Überprüfung geboten, ob diese oder ihr zugrunde liegende Akte mit unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland und mit dem völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard an elementarer Verfahrensgerechtigkeit, der über Art. 25 GG einen Bestandteil des in der Bundesrepublik Deutschland innerstaatlich geltenden Rechts darstellt, vereinbar sind (BVerfGE 59, 280, 283; 63, 332, 337f.; BVerfG NStZ 2001, 203, 204). Wie bei innerstaatlichen Strafverfahren muss auch im Auslieferungsverfahren der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden (Senat im Beschl. v. 28. 8. 1997, (2) 4 Ausl 20/97 (49/97), StV 1997, 652 = StraFo 1997, 342 = http://www.Burhoff.de). In innerdeutschen Strafverfahren rechtfertigt nach der Rechtsprechung des BVerfG die verfassungsrechtliche Pflicht zu einer wirksamen Rechtspflege nicht in jedem Fall die Durchführung eines Strafverfahrens. Bei für den Fall der Fortsetzung des Verfahrens bestehender Lebensgefahr oder der Gefahr eines schwerwiegenden Gesundheitsschadens ist eine Abwägung der widerstreitenden Interessen erforderlich. Bei einer nahe liegenden, konkreten Gefahr, dass der Beschuldigte bei Durchführung des Strafverfahrens sein Leben einbüßen oder schwerwiegenden Schaden an seiner Gesundheit nehmen würde, darf das Verfahren daher nicht fortgesetzt werden (BVerfGE 51, 324, 345ff.). Dabei reicht aber die bloße Möglichkeit des Gefahreneintritts nicht aus, erforderlich ist vielmehr ein spezifischer Wahrscheinlichkeitsgrad, der sich regelmäßig einer genaueren Quantifizierung entziehen dürfte. Auch bei schwersten Vorwürfen verläuft die Grenze nicht unwesentlich unter der Prognose eines mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu bestimmenden Kausalverlaufs (BVerfGE 51, 324, 348f.). Ausgehend von diesem Maßstab muss der Richter die für seine Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte gegeneinander abwägen, wobei dem unterschiedlichen Gewicht der einzelnen Abwägungselemente entscheidende Bedeutung zukommen kann (BVerfG, Beschl. v. 20. 9. 2001, 2 BvR 1349/01, NJW 2002, 53 = StV 2001, 659). Ein darüber hinausgehender Haftaufhebungsgrund der begrenzten Lebenserwartung wird nicht anerkannt (KK-Boujong, StPO, § 112 Rn. 52 m.w.N.)

Im Fall einer Erkrankung, die im Falle einer Auslieferung oder Haft eine Lebensgefahr nach sich zieht, kann die Auslieferung wegen einer dann vorliegenden Verletzung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG unzulässig sein, wenn der Verfolgte dauerhaft haft- und transportunfähig ist und schon die Unterbrechung der ärztlichen Kontrolle und Behandlung geeignet ist, Lebensgefahr zu begründen (OLG Stuttgart NStZ 1987, 80; Schomburg/Lagodny-Lagodny, IRG, 3. Aufl. , § 73 Rn. 106).

Davon kann vorliegend jedoch nicht ausgegangen werden. Schon nach dem vom Beistand vorgelegten Sachverständigengutachten des Prof. Dr. M., auf das zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, ist der Verfolgte haft- und auch - zumindest eingeschränkt - verhandlungsfähig. Das rechtfertigt nach Überzeugung des Senats den Schluss, dass der Verfolgte auch transportfähig ist; zur Transportfähigkeit des Verfolgten verhält sich das Gutachten nicht. Nach allem besteht daher kein Grund für die Annahme, dass die beantragte Auslieferung unzulässig sein könnte.

Ende der Entscheidung

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