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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.07.2009
Aktenzeichen: (2) 4 Ausl. A 69/09 (220/09)
Rechtsgebiete: IRG


Vorschriften:

IRG § 80
IRG § 83b
Bestehen durch einen langen Aufenthalt und das Zusammenleben mit einem deutschen Ehemann und dem gemeinsamen Kind enge Beziehungen an Deutschland, so rechtfertigen diese die Annahme, dass die Resozialisierungschancen der Verfolgten durch eine Rückkehr nach Deutschland wesentlich erhöht würden. Diesem Umstand kann dadurch Rechnung getragen werden, dass die Zulässigkeitsentscheidung über die Auslieferung unter dem Vorbehalt erfolgt, dass der ersuchende Staat nach Verhängung einer vollstreckbaren Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion der Verfolgten anbietet, sie auf ihren Wunsch zur Vollstreckung ins Inland zurück zu überstellen.
Beschluss

Auslieferungssache

(Zulässigkeit der Auslieferung)

wegen Auslieferung der Verfolgten aus Deutschland nach Polen zur Strafverfolgung wegen Betruges und Urkundenfälschung, (hier: Zulässigkeit der Auslieferung).

Auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 3. Juli 2009 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09. 07. 2009 durch beschlossen:

Tenor:

Die Auslieferung der Verfolgten nach Polen zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der ihr im Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts in Opole vom 15. Oktober 2008 (Az.: III Kop 122/08) zur Last gelegten Straftaten ist mit der Maßgabe zulässig, dass der Verfolgten im Falle ihrer Verurteilung angeboten wird, auf ihren Wunsch die Strafe in der Bundesrepublik Deutschland zu vollstrecken.

Gründe:

Die Republik Polen betreibt gegen die Verfolgte ein Auslieferungsverfahren zum Zwecke der Strafverfolgung. Mit Schreiben vom 26. März 2009 hat das Bezirksgericht Opole den Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts in Opole vom 15. Oktober 2008 (Az.: III Kop 122/08) übermittelt und um Festnahme und Auslieferung der Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung ersucht. Ihr wird zur Last gelegt, am 17. November 2000 in betrügerischer Weise unter Vorlage gefälschter Einkommens- und Beschäftigungsnachweise zwei sogenannte Handyverträge abgeschlossen und die Auslieferung von zwei Mobiltelefonen der Marke Nokia 3210 und damit einen Schaden in Höhe von 1 634,80 polnische Zloty bewirkt zu haben.

Die Auslieferung ist nach Maßgabe der aus dem Tenor ersichtlichen Einschränkung zulässig.

Die Verfolgte ist ausschließlich polnische Staatsangehörige. Sie ist seit dem 26. September 2005 mit einem Deutschen verheiratet und Mutter eines am 23. November 2002 geborenen Kindes. Mit der Auslieferung im vereinfachten Verfahren hat sie sich nicht einverstanden erklärt und Einwendungen mit der Begründung erhoben, das nach Maßgabe des vorbezeichneten Haftbefehls geschädigte Unternehmen sei ihr nicht bekannt.

Die der Verfolgten zur Last gelegten Straftaten sind sowohl nach Art. 270 § 1 und Art. 286 Abs. 1 unter Anwendung des Art. 11 § 2 des polnischen Strafgesetzbuches als auch nach den §§ 263, 267 StGB strafbar und jeweils mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem Jahr bedroht.

Die familiäre und persönliche Situation der Verfolgten ist nicht geeignet, die Unzulässigkeit ihrer Auslieferung nach § 73 IRG zu begründen, auch wenn sie Mutter eines Kindes ist. Mit der herrschenden Meinung ist davon auszugehen, dass familiäre Belange, wie die Ehe einer Ausländerin mit einem deutschen Staatsangehörigen und im Inland zu versorgende Kinder einer Auslieferung auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 GG nicht entgegenstehen (vgl. OLG Köln, Beschluss des 2. Strafsenats Ausl. 10/05 - 8/05 vom 15. Februar 2005, OLG München, Beschluss in OLG Ausl. 25/85 vom 18. März 1985 in E/L-U 106, S. 357 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. Juni 1979 in 2 AK 8/79, in E/L-U, S. 134 ff.; OLG Karlsruhe GA 1987, 30; OLG Schomburg NStZ 1999, 359 ff.; Lagodny in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl., § 73 Randziffer 105). Dieser Auffassung hatte sich auch der Senat in ständiger Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 23. November 1999 - (2) 4 Ausl. 21/99 (95/99), abgedr. in NStZ-RR 2000, 158; vom 19. Januar 2004 - (2) 4 Ausl. A 34/2003 (5/04); vom 7. Januar 2004 - (2) 4 Ausl. 74/2003 (161/2003) -; vom 21. Dezember 2006 - (2) 4 Ausl. A 25/06 (313/06)) und diese ist auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden (vgl. BVerfK 2, 165, 171 - Beschluss 2 BvR 879/03 vom 1. Dezember 2003).

Ihr liegt die Überlegung zugrunde, dass auch die nach nationalem Recht zulässige Durchführung eines Strafverfahrens und die in ihm ausgesprochene Sanktion zwingend das Familienleben auch bei zu versorgenden Kleinkindern beeinträchtigen. Sodann kann aber - zumal ein Nachzug der Familie nicht ohne weiteres ausgeschlossen ist - für die Abwägung bei der Auslieferung prinzipiell nichts anderes gelten. Wenn und soweit die familiären Belange der Verfolgten auch nach deutschem Recht die Strafverfolgung und die Strafvollstreckung nicht hindern, die regelmäßig zu vielgestaltigen Beeinträchtigungen des Familienlebens führen, ist auch die auslieferungsrechtliche Abwägung zu Art. 6 Abs. 1 GG nicht gegenteilig vorzunehmen, sofern die eintretenden Beeinträchtigungen - was regelmäßig der Fall ist - im Wesentlichen denen vergleichbar sind, die bei einer Aburteilung in Deutschland entstehen könnten. Somit ist auch gewährleistet, dass auch die Gründung einer Familie im Ergebnis nicht vor einer Bestrafung wegen Taten schützt, die im Ausland begangen worden ist.

So ist es auch im vorliegenden Fall zu sehen. Ein Ausnahmefall, der den aus Art. 6 GG garantierten Schutz von Ehe und Familie vor dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse des ersuchenden Staates überwiegen lassen würde, ist nicht ersichtlich.

Der Auslieferung der Verfolgten stehen auch keine Bewilligungshindernisse entgegen. Insbesondere ist auch kein Bewilligungshindernis nach § 83b Abs. 2 lit. a) IRG gegeben. Danach kann die Bewilligung der Auslieferung eines Ausländers, der im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zum Zwecke der Strafverfolgung abgelehnt werden, wenn die Auslieferung eines Deutschen gemäß § 80 Abs. 1 u. 2 IRG nicht zulässig wäre.

Es ist davon auszugehen, dass die Verfolgte ihren "gewöhnlichen Aufenthalt" in der Bundesrepublik Deutschland hat, und damit § 83b Abs. 2 lit. a) Anwendung findet. Die Verfolgte hält sich nach ihren Angaben seit dem Jahr 2002 im Bundesgebiet auf und ist im Besitz einer unbefristeten Freizügigkeitsbescheinigung. Unter einem gewöhnlichen Aufenthalt fällt jeder legale Aufenthaltsort eines Ausländers in Deutschland, der gemäß den Bestimmungen des deutschen Rechts, namentlich des Melderechts, besteht (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 5. Oktober 2006 - OLG 34 Ausl. 46/06 ). Hiervon ist aufgrund des langen Aufenthalts der Verfolgten im Bundesgebiet sowie ihrer familiären Situation auszugehen. Gemäß § 83b Abs. 2 lit. a) kann die Bewilligung der Auslieferung eines Ausländers, der im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, abgelehnt werden, wenn bei einer Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung die Auslieferung eines Deutschen gemäß § 80 Abs. 1 u. 2 IRG nicht zulässig wäre. Die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen wäre gemäß § 80 Abs. 1 IRG jedoch nur dann zulässig, wenn gesichert ist, dass der ersuchende Staat nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion anbieten wird, den Verfolgten auf seinen Wunsch zur Vollstreckung in den Geltungsbereich des Bundesgebietes zurück zu überstellen. Dahinter steht der Gedanke, dass der Verfolgte die Möglichkeit erhalten soll, wieder ins Inland zurück zu kehren, weil er zu diesem Staat Bindungen aufgebaut hat, so dass seine Resozialisierungschancen durch eine Rückkehr erhöht werden können, wobei insbesondere das soziale Umfeld eine entscheidende Rolle spielt (vgl. EuGH, EuGRZ 2008, 607, 610; OLG Dresden, Beschluss vom 5. Oktober 2006 - OLG 34 Ausl. 46/06 ).

Die Verfolgte hält sich nach eigenen Angaben in ihrer Anhörung vom 25. Juni 2009 seit dem 24. September 2002 in Deutschland auf und lebt mit ihrem Ehemann und dem gemeinsamen Kind zusammen. Insoweit sind enge Bindungen an Deutschland festzustellen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Resozialisierungschancen der Verfolgten durch eine Rückkehr nach Deutschland wesentlich erhöht würden.

Diesem Umstand hat der Senat dadurch Rechnung getragen, dass die Zulässigkeitsentscheidung unter dem Vorbehalt erfolgt, dass der ersuchende Staat nach Verhängung einer vollstreckbaren Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion der Verfolgten anbietet, sie auf ihren Wunsch zur Vollstreckung ins Inland zurück zu überstellen.

Auch die Generalstaatsanwaltschaft hat wie aus dem Tenor ersichtlich beantragt und ebenfalls ausgeführt, dass sie ihre Bewilligung von dieser Voraussetzung abhängig machen wird.

Ende der Entscheidung

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