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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 10.02.2005
Aktenzeichen: 1 OBL 5/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 121
Starre Grenzen für den in Haftsachen zulässigen zeitlichen Abstand zwischen Eröffnungsbeschluss und Hauptverhandlungstermin lassen sich nicht festlegen; vielmehr kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. In einem sachlich wie rechtlich relativ einfachen von im Vergleich mit durchschnittlichen Schöffengerichtssachen geringem Umfang kann eine Frist von zwei Monaten jedoch zu lang sein.
Beschluss

Strafsache

gegen Z.A.

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a., (hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht).

Auf die Vorlage der (Doppel-)Akten zur Entscheidung nach §§ 121, 122 StPO hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 10. 02. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 11. August 2004 (78 Gs 1283/04) und der diesen Haftbefehl aufrechterhaltene Beschluss des Schöffengerichts Dortmund vom 13. Januar 2005 (76 Ls 186 Js 484/04 - 208/04) werden aufgehoben.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde am 10. August 2004 vorläufig festgenommen und befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Dortmund vom 11. August 2004 seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft. In dem Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 11. August 2004 (78 Gs 1283/04) wird dem Angeklagten zur Last gelegt, mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben. Er soll dem gesondert Verfolgten XXXX in einer Wohnung in Dortmund am 10. August 2004 Marihuana verkauft haben und im Besitz von 38 g sowie weiteren 549,3 g Marihuana gewesen sein. Dieses zum Weiterverkauf bestimmte Marihuana wurde am Tattage bei der polizeilichen Durchsuchung des Angeklagten und seiner Wohnung sichergestellt.

Unter dem 21. Dezember 2004 hat die Staatsanwaltschaft Dortmund Anklage gegen den Angeklagten beim Amtsgericht - Schöffengericht - Dortmund erhoben. Gegenstand der Anklage ist zum einen die in dem Haftbefehl vom 11. August 2004 bezeichnete Tat, wobei die Gesamtmenge des bei dem Angeklagten sichergestellten Marihuanas nunmehr mit 475, 9 g angegeben und dem Angeklagten tateinheitlich ein Verstoß gegen § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG zur Last gelegt wird, indem er dem gesondert Verfolgten XXXXXXX am 10. August 2004 1,6 g Marihuana zum Preis von 5,- € veräußerte. Über den Haftbefehl hinaus werden dem Angeklagten in der Anklageschrift zwei weitere Verstöße gegen § 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG zur Last gelegt. So soll er am 31. Juli/1. August 2004 an den minderjährigen XXXXXXXX 1 bis 1,2 g Marihuana zum Preis von 5,- € und am 9. August 2004 an den minderjährigen XXXX XXX 3,679 Marihuana zum Preis von 10,- € verkauft haben.

Das Amtsgericht - Schöffengericht - Dortmund hat die Anklage mit Beschluss vom 13. Januar 2005 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren gegen den Angeklagten eröffnet. Zugleich hat es die Fortdauer der Untersuchungshaft aus den Gründen ihrer Anordnung (Fluchtgefahr) beschlossen, ohne allerdings den Antrag der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift, den Haftbefehl entsprechend dem Anklagesatz neu zu fassen und zu verkünden, zu bescheiden. Mit Verfügung vom selben Tage hat der Vorsitzende des Schöffengerichts Termin zur Hauptverhandlung anberaumt auf den 8. März 2005 und hierzu in einem Vermerk Folgendes ausgeführt:

"Der Verteidiger ist am 27.01. (ausgefallener anderer Termin) und 10.02. verhindert. Danach ist Umzugswoche (keine Termine), sodann weitere Termine, deren Verlegung nicht in Betracht kommt."

II.

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 11. August 2004 und die hierzu ergangene Haftfortdauerentscheidung des Amtsgerichts vom 13. Januar 2005 waren aufzuheben, weil die Voraussetzungen, unter denen die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus gemäß § 121 Abs. 1 StPO angeordnet werden kann, nicht vorliegen. Zwar ist der Angeklagte der ihm in dem vorbezeichneten Haftbefehl zur Last gelegten Tat und der in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 21. Dezember 2004 zutreffend zusammengefassten Beweismittel dringend verdächtig. Auch der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) ist mit Rücksicht auf die hohe Straferwartung angesichts der fehlenden sozialen Bindungen des Angeklagten zu bejahen. Weder die besondere Schwierigkeit noch der besondere Umfang der Ermittlungen noch ein anderer wichtiger Grund i.S.d. § 121 Abs. 1 StPO rechtfertigen aber die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft, denn das Schöffengericht Dortmund hat das Verfahren nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung gefördert.

Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung, dass der verfassungsrechtliche Freiheitsanspruch (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) des noch nicht verurteilten Beschuldigten den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen ständig als Korrektiv entgegenzuhalten ist und sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert (vgl. BVerfGE 20, 45, 49 ff.; 36, 264; 53, 152, 158 ff.). Dem trägt die Vorschrift des § 121 Abs. 1 StPO dadurch Rechnung, dass der Vollzug der Untersuchungshaft vor Erlass eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Die Bestimmung des § 121 Abs. 1 StPO, die eine Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus somit nur in begrenztem Umfange zulässt, ist dementsprechend eng auszulegen (vgl. BVerfGE 36, 264, 271; 53, 152, 158 ff.). Den verfassungsrechtlichen Ansprüchen an die Zügigkeit der Bearbeitung in Haftsachen wird nur dann entsprochen, wenn die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte alle zumutbaren Maßnahmen getroffen haben, um die Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen und ein Urteil herbeizuführen (BVerfGE 20, 45, 50; NJW 2003, 2895, 2896; OLG Hamm StV 2000, 90, 91; OLG Brandenburg StV 2000, 37; OLG Köln StV 1999, 40; OLG Düsseldorf NJW 1996, 2587; OLG Frankfurt StV 1995, 423).

Diesen Erfordernissen wird die Sachbehandlung durch den Vorsitzenden des Schöffengerichts im vorliegenden Verfahren nicht gerecht. Dieser hat zwar nach der zeitnahen Zustellung der Anklage in noch angemessener Zeit über deren Zulassung und die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden. Das Schöffengericht hat es jedoch verabsäumt, durch die Anberaumung eines möglichst frühen Hauptverhandlungstermins einer weiteren Verfahrensverzögerung entgegenzuwirken und für einen zeitnahen Abschluss des Hauptverfahrens Sorge zu tragen. Während die im Ermittlungsverfahren eingetretene Verzögerung noch unvermeidbar gewesen sein mochte, weil die von Seiten der Staatsanwaltschaft bereits am 11. August 2004 mit der Wirkstoffbestimmung des sichergestellten Rauschgifts und der Auswertung der daktyloskopischen Spuren am Verpackungsmaterial beauftragten Sachverständigen des Landeskriminalamtes ihre Gutachten trotz mehrfacher und eindringlicher Erinnerungen erst am 17. November bzw. 2. Dezember 2004 vorlegten, ist kein rechtfertigender Grund dafür ersichtlich, dass der Vorsitzende des Schöffengerichts in seiner am Tage des Eröffnungsbeschlusses getroffenen Terminsverfügung vom 13. Januar 2005 einen Hauptverhandlungstermin erst auf den 8. März 2005 - mithin knapp zwei Monate nach Eröffnung des Hauptverfahrens - bestimmte. Zwar lassen sich starre Grenzen für den in Haftsachen zulässigen zeitlichen Abstand zwischen Eröffnungsbeschluss und Hauptverhandlungstermin nicht festlegen; vielmehr kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Vorliegend handelt es sich um ein sachlich wie rechtlich relativ einfaches Verfahren von im Vergleich mit durch-schnittlichen Schöffengerichtssachen geringem Umfang. Eine Ladung von Zeugen zu der auf 09.30 Uhr angesetzten Hauptverhandlung hielt der Vorsitzende des Schöf-fengerichts ausweislich seiner Terminsverfügung vom 13. Januar 2005 nicht für er-forderlich. Ergänzende Ermittlungen waren nach dem Erlass des Eröffnungs-beschlusses weder erforderlich, noch sind solche Nachermittlungen durchgeführt worden. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist mit einem Abstand von nahezu zwei Monaten zwischen Eröffnungsbeschluss und Hauptverhandlungstermin die für die Vorbereitung der Hauptverhandlung erforderliche Zeit weit überschritten. Die in-folge dieser Terminierung eingetretene Verzögerung ist auch nicht etwa deshalb aus-nahmsweise hinzunehmen, weil sie unvermeidbar gewesen wäre. Aus den Akten er-gibt sich kein zwingender und nachvollziehbarer Grund dafür, dass das Schöffen-gericht die Hauptverhandlung erst auf den 8. März 2005 anberaumt hat. Insbe-sondere ist nicht ersichtlich, dass die Terminslage des Schöffengerichts oder des Verteidigers des Angeklagten die Anberaumung und Durchführung eines früheren Hauptverhandlungstermins nicht zuließ. Zwar ergibt sich aus dem Vermerk des Vor-sitzenden vom 13. Januar 2005, dass der Verteidiger des Angeklagten am 27. Januar und am 10. Februar 2005 nicht zur Verfügung stand und umzugsbedingt in der Zeit vom 14. Februar bis 18. Februar 2005 keine Hauptverhandlungen durch-geführt werden konnten bzw. können. Aus dem Verfahren 1 OBL 103/04 und der dort beim Schöffengericht Dortmund eingeholten Auskunft ist dem Senat jedoch bekannt, dass das Schöffengericht in Dortmund an zwei Tagen in der Woche (dienstags und donnerstags) Hauptverhandlungstermine durchführt. Somit hätten als weitere Ter-minstage vor dem 8. März 2005 der 1., 3. und 8. Februar 2005 sowie in der Sitzungs-woche vom 21. bis 25. Februar und vom 28. Februar bis 4. März 2005 jeweils zwei weitere Sitzungstage zur Verfügung gestanden, ohne dass ersichtlich ist, warum die ohne Zeugen angesetzte und damit nach der Terminplanung des Vorsitzenden wenig zeitaufwändige Haftsache nicht an einem dieser Sitzungstage verhandelt werden konnte bzw. kann. Aus dem in Haftsachen zu beachtenden verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot folgt, dass ein Gericht bei einer - vorliegend nicht auszuschließenden - angespannten Geschäftslage gehalten ist, notfalls eine Nichthaftsache vom Terminskalender zu nehmen, um an deren Stelle eine Haftsache in einem zeitnahen Hauptverhandlungstermin einer verfahrensabschließenden Entscheidung zuführen zu können. Dass diese Möglichkeit vorliegend ausgeschöpft wurde, ist nicht ersichtlich. Der Senat hält es vielmehr angesichts der Terminslage des Schöffengerichts und der von Seiten des Schöffengerichtsvorsitzenden geübten Handhabung bei der Terminierung, wie sie in dem Verfahren 1 OBL 103/04 OLG Hamm = 76 Ls 13/04 AG Dortmund deutlich geworden ist, für ausgeschlossen, dass das Schöffengericht an den genannten Sitzungstagen durchweg bzw. ausnahmslos vorrangige, ältere Haftsachen verhandelt hat und mit der Verhandlung von Haftsachen ausgelastet war. Hinsichtlich der Sitzungswoche vom 21. Februar bis 25. Februar und vom 28. Februar bis 4. März 2005 ergibt sich aus dem Vermerk des Vorsitzenden vom 13. Januar 2005 lediglich, dass in dieser Zeit "weitere Termine, deren Verlegung nicht in Betracht kommt", verhandelt werden sollen. Ein Hinweis darauf, dass es sich bei diesen "weiteren Terminen" ausschließlich um vorrangige Haftsachen handelt, findet sich - obwohl der Vorrang der Haftsachen dem Vorsitzenden des Schöffengerichts durch die Anfrage des Senatsvorsitzenden vom 2. Dezember 2004 im Verfahren 1 OBL 103/04 noch einmal vor Augen geführt worden ist - bezeichnender Weise nicht.

Da die sich mit der Terminierung auf den 8. März 2005 ergebende nicht unerhebliche Verzögerung des Verfahrensabschlusses die Folge der fehlerhaften Sachbehandlung durch den Vorsitzenden des Schöffengerichts ist, ist eine Haftverlängerung über sechs Monate hinaus nicht gerechtfertigt. Der Senat ist daher nach den §§ 121, 122 StPO gehalten, die im vorliegenden Verfahren ergangenen Untersuchungshaft-anordnungen aufzuheben.

Ende der Entscheidung

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