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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 21.08.2006
Aktenzeichen: 1 Ss 351/06
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 265 |
Beschluss
Strafsache
gegen R.A.
wegen Erschleichens von Leistungen
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der kleinen Strafkammer II des Landgerichts Detmold vom 27. Juni 2006 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 21. 08. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Detmold zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Detmold hat den Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 10. März 2006 wegen Erschleichens von geringwertigen Leistungen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten ohne Bewährung verurteilt. Die dagegen gerichtete unbeschränkte Berufung des Angeklagten war erfolglos.
Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte am 25. November 2005 zwischen 18.00 Uhr und 18.15 Uhr ohne gültigen Fahrausweis einen Zug der Deutschen Bahn AG von Detmold nach Schötmar bestiegen. Nach der unwiderlegten Einlassung des Angeklagten hatte sich im Detmolder Bahnhof vor der Fahrtkartenausgabe und auch vor dem Fahrkartenautomaten eine Schlange gebildet. Der Angeklagte wollte deshalb nicht warten, weil er Angst hatte, sonst den Zug zu versäumen. Bargeld führte er nicht mit sich, jedoch befand er sich in Begleitung einer Freundin, die über Bargeld verfügte. Im Zug wandte er sich dann an den als Schaffner tätigen Zeugen W. und hoffte, bei diesem den Fahrpreis in Höhe von 4,70 € mit dem Geld seiner Freundin nachzahlen zu können. Dies lehnte der Zeuge ab, weil es bereits seit einigen Jahren nicht mehr möglich ist, Fahrscheine im Zug zu lösen. Durch entsprechende Schilder auf dem Bahnsteig wie auch an den Einstiegstüren der Züge wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Zug nur mit einem gültigen Fahrausweis betreten werden darf.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
II.
Die in zulässiger Weise eingelegte Revision hat mit der Sachrüge einen jedenfalls vorläufigen Erfolg. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Landgerichts Detmold
Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu u.a. wie folgt Stellung genommen:
"Entgegen der Auffassung der Revision bedarf es keiner näheren Auseinandersetzung mit der von ihr herausgestellten unterschiedlichen Rechtsauffassung zwischen der obergerichtlichen Rechtsprechung und einem Teil der Literatur, ob unter dem Erschleichen einer Beförderung i.S. des § 265 a StGB jedes der Ordnung widersprechende Verhalten zu verstehen ist, durch das sich der Täter in den Genuss der Leistung bringt und bei welchem er sich mit dem Anschein der Ordnungsgemäßheit umgibt, oder ob es zusätzlich eines heimlichen Vorgehens des Täters, einer List, einer Täuschung oder einer Umgehung von Sicherungen oder Kontrollen bedarf (zu vgl. OLG Stuttgart, NJW 1990, 924; OLG Hamburg, NStZ 1991, 587; OLG Düsseldorf, NStZ 1992, 84; NJW 2000, 2120; Tröndle/Fischer, 53. Aufl., § 265 a StGB, Rdnr. 47, jeweils m.w.N.). Denn dieser Meinungsstreit dürfte gegenwärtig ohne größere Bedeutung sein, nachdem die 2. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts eine gegen die Anwendung des Straftatbestandes des § 265 a Abs. 1 StGB in einem Fall der Beförderungserschleichung gerichtete Verfassungsbeschwerde, in der eine Verletzung von Art. 103 Abs. 2 GG gerügt wurde, durch Beschluss vom 9. 2. 1998 (BVerfG NJW 1998, 1135) mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen hat, und nachdem spätere obergerichtliche Entscheidungen die - weiter anhaltende - Kritik gegen die bisherige Rechtsprechung mit überzeugender Begründung zurückgewiesen haben (BayObLG, StV 2002, 428; insbesondere: OLG Frankfurt, NStZ-RR 2001, 269).
Auch bei Zugrundelegung der durch die bisherige ständige Rechtsprechung gestellten Anforderungen erweisen sich die Urteilsfeststellungen als lückenhaft und vermögen den Schuldspruch nicht zu tragen.
Denn nach diesen Feststellungen wandte sich der Angeklagte an den als Schaffner tätigen Zeugen W. in der Hoffnung, den Fahrpreis in Höhe von 4,70 EUR mit dem Geld seiner Freundin nachzahlen zu können (UA S. 5). Die vorgenannten Feststellungen lassen offen, ob der Angeklagte den Zeugen W. sofort und aus eigenem Antrieb angesprochen hat oder erst bei Gelegenheit einer - bereits begonnenen - oder unmittelbar bevorstehenden - Fahrkartenkontrolle durch diesen Zeugen. Bei einer der zuletzt genannten Fallgestaltungen ließe das Verhalten des Angeklagten auf eine bei ihm bestehende Absicht schließen, den Fahrpreis nicht zu entrichten, so dass die Verurteilung zu Recht erfolgt wäre (zu vgl. BayObLG StV 2002, 428). Zwar sind auch dann, wenn eine nicht im Besitz eines Fahrausweises befindliche Person das Erscheinen des Kontrolleurs abwartet, Ausnahmefälle denkbar, in denen ein Schluss auf eine derartige Absicht nicht gerechtfertigt ist. Solche Fälle nennt § 9 Abs. 3 d Eisenbahnverkehrsordnung, denn § 12 Abs. 1 c Eisenbahnverkehrsordnung verpflichtet den Reisenden sogar zur Zahlung eines erhöhten Fahrpreises in diesen Fällen nur dann, wenn er der ihm in § 9 Abs. 3 d auferlegten Verpflichtung nicht nachkommt. § 9 Abs. 3 d Eisenbahnverkehrsordnung hat folgenden Wortlaut:
"Der Reisende ist verpflichtet, ... bei der Prüfung der Fahrausweise unaufgefordert dem Kontrollpersonal zu melden, dass vor Antritt der Reise ein gültiger Fahrausweis nicht gelöst werden konnte, weil ein Fahrkartenschalter oder ein Fahrkartenautomat nicht vorhanden, nicht geöffnet oder betriebsbereit war."
Es liegt auf der Hand, dass eine Lage wie im vorliegenden Fall, in dem der Angeklagte lediglich besorgte, er werde bei dem Versuch des Erwerbs einer Fahrkarte in der Warteschlange den Zug versäumen, mit den dargestellten Ausnahmefällen nicht vergleichbar ist. Denn eine solche Behauptung wäre im Nachhinein kaum überprüfbar und würde bloßen Ausreden Tür und Tor öffnen, was den gesetzgeberischen Überlegungen bei der Schaffung des § 265 a StGB widerlaufen würde.
Wenn der Angeklagte sich aber, was die Formulierung der Feststellungen ebenfalls als möglich offen lässt und mit dem Wort "wandte", das auf die Entfaltung einer eigenen Aktivität hindeutet, geradezu nahe legt, sogleich nach dem Betreten des Zuges auf die Suche nach dem Schaffner gemacht und diesen von sich aus angesprochen hat, so wäre die - erforderliche - Absicht, das Entgelt für die Leistung nicht zu entrichten, jedenfalls zu verneinen. Der Angeklagte hätte sich dann gerade nicht mit dem Anschein der Ordnungsgemäßheit umgeben, sondern von sich aus geoffenbart, dass eine Bezahlung der Beförderungsleistung noch nicht erfolgt war.
Die Urteilsgründe, die insoweit lediglich die seit der Neufassung der Eisenbahnverkehrsordnung gültigen formalen Gesichtspunkte herausstellen, lassen jegliche Ausführungen zur Absicht und zum Vorsatz des Angeklagten vermissen. Diese Lücken und Unklarheiten müssen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen."
Diesen Ausführungen tritt der Senat bei und macht sie zum Gegenstand seiner eigenen Entscheidung. Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Landgerichts Detmold zurückzuverweisen. Es ist nicht auszuschließen, dass in der erneuten Hauptverhandlung noch Feststellungen dazu getroffen werden können, ob der Betroffene das Fehlen eines gültigen Fahrausweises von sich aus sofort gegenüber
dem Schaffner offenbart hat oder ob dies erst anlässlich einer bevorstehenden unvermeidbaren Fahrscheinkontrolle geschehen ist.
Ende der Entscheidung
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