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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.11.2003
Aktenzeichen: 1 Ss OWi 634/03
Rechtsgebiete: OWiG, SGB III


Vorschriften:

OWiG § 130
SGB III § 404 Abs. 2 Nr. 2
SGB III § 284 Abs. 1
Zur Aufsichtspflicht des Firmeninhabers, der die Überwachung der ggf. erforderlichen Verlängerung einer Arbeitserlaubnis für ausländische Arbeitnehmer einem Mitarbeiter übertragen hat.
Beschluss

Bußgeldsache

gegen M. M.

wegen Verstoßes gegen § 404 Abs. 2 Nr. 2 SGB III i.V.m. § 284 Abs. 1 S. 1 SGB III.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Siegen vom 22. Juli 2003 gegen das Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 16. Juli 2003 hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 19. 11. 2003 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gemäß § 80 a OWiG nach Anhörung des Betroffenen beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Siegen zurückverwiesen.

Gründe:

Die Bundesanstalt für Arbeit (hier: Arbeitsamt Siegen) hat gegen den Betroffenen am 8. April 2003 einen Bußgeldbescheid über 500,- € erlassen, weil er in drei Fällen fahrlässig gegen §§ 404 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 284 Abs. 1 S. 1 des 3. Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) verstoßen habe, indem er in dem Zeitraum von August 2002 bis Februar 2003 drei ausländische Arbeitnehmer in seinem Metallbaubetrieb beschäftigt habe, ohne dass diese im Besitz der dafür gemäß § 284 Abs. 1 SGB erforderlichen Arbeitsgenehmigungen waren.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen aus tatsächlichen Gründen von diesem Vorwurf freigesprochen und dazu ausgeführt, es sei zwar richtig, dass der Betroffene in seinem Metallbaubetrieb ausländische Arbeitnehmer mit beschränkten Arbeitsgenehmigungen beschäftigt habe, deren Erlaubnis in dem genannten Zeitraum abgelaufen sei. Früher habe er sich auch selbst um die Beantragung von Verlängerungen bestehender Arbeitsgenehmigungen gekümmert. Er habe diese Aufgabe dann aber einer Mitarbeiterin übertragen, die diesen Anforderungen jedoch nicht gerecht geworden sei. Im Sommer 2002 habe er den Zeugen W., einen Diplom-Kaufmann, eingestellt, der auch schon früher für das Personalwesen zuständig gewesen sei, ohne sich allerdings zuvor mit dem Arbeitsgenehmigungsrecht befasst zu haben. Dies habe der Zeuge W. dem Betroffenen aber nicht mitgeteilt. Bei der Einstellung sei der Zeuge W. ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Verlängerung von Arbeitsgenehmigungen hingewiesen worden; einen Ordner mit den entsprechenden Formularen habe er erhalten. Der Betroffene habe sich in der Folgezeit mehrfach bei dem Zeugen W. erkundigt, ob es Schwierigkeiten bei der Bearbeitung der Arbeitsgenehmigungen gebe. Dies habe der Zeuge, der diesen Bereich aber offensichtlich nicht als wesentlich eingeschätzt habe, stets verneint. Er habe andere Bereiche des Unternehmens für bedeutsamer gehalten.

Das Amtsgericht hat danach angenommen, dass der Betroffene seiner Aufsichtspflicht gemäß § 130 OWiG ausreichend nachgekommen sei, weil er mit dem Zeugen W. eine geeignete Fachkraft ausgewählt habe. Dieser sei auch bei seiner Einstellung ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Bearbeitung der Verlängerung von Arbeitsgenehmigungen hingewiesen worden. Der Betroffene habe damit diesen betrieblichen Arbeitsbereich in zulässiger Weise auf den Zeugen W. übertragen. Ihn - den Betroffenen - treffe damit keine Verantwortlichkeit dafür, dass der Zeuge W. seinen ihm obliegenden Verpflichtungen nicht nachgekommen sei. Er habe deshalb zu Recht davon ausgehen können, dass der Zeuge die erforderliche Verlängerung der Arbeitsgenehmigungen stets überwache.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die in zulässiger Weise erhobene Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Siegen. Sie ist der Auffassung, dass nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils nicht feststehe, dass der Betroffene die von ihm als Firmeninhaber nicht persönlich wahrgenommenen Aufgaben lückenlos verteilt und die Einhaltung der sich daraus ergebenden Pflichten genügend überprüft habe. Dem angefochtenen Urteil sei nicht zu entnehmen, ob der Betroffene bei der Einstellung seines Personals seinen Sorgfaltspflichten genügt und seine Kontrollpflichten bezüglich des von ihm eingesetzten Personals erfüllt habe. Stichproben zur Überprüfung der Arbeitsweise des Zeugen W. seien nicht erfolgt, obwohl für den Betroffenen ein besonderer Anlass zu Stichproben bestanden habe, da es ausweislich der Feststellungen des Amtsgerichts Siegen bereits vor der Einstellung des Zeugen W. in diesem Arbeitsbereich "zu Problemen gekommen" sei. Auf mündliche Ausführungen des Zeugen W. habe sich der Betroffene nicht verlassen dürfen.

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Amtsgericht Siegen.

§ 130 OWiG begründet unter näher bezeichneten Voraussetzungen eine bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit des Inhabers von Betrieben und Unternehmen für Zuwiderhandlungen gegen betriebsbezogene Pflichten, die in dem Betrieb begangen worden sind, wenn die Zuwiderhandlung durch gehörige Aufsicht hätte verhindert oder erschwert werden können. So soll sichergestellt werden, dass in Betrieben Vorkehrungen gegen die Begehung solcher betriebsbezogenen Ordnungswidrigkeiten in ausreichendem Maße getroffen werden. Den Urteilsgründen lassen sich zwar keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Betroffene in die Dispositonen des Zeugen W. eingegriffen, Verstöße auf dem Gebiet des Arbeitsgenehmigungsrechts wissentlich geduldet oder sonst durch eigenes Tun oder pflichtwidriges Verhalten selbst schuldhaft gehandelt hat. Die von dem Amtsgericht rechtsfehlerfrei festgestellten Verstöße gegen § 284 Abs. 1 S. 1 SGB III stellen aber für die Ahndung der Aufsichtspflichtverletzung lediglich eine objektive Bedingung dar, (vgl. dazu BGHSt 32, 389, 391). Erforderlich ist insoweit nur ein hypothetischer Kausalzusammenhang zwischen den pflichtwidrig unterlassenen Aufsichtsmaßnahmen des Betriebsinhabers und der in dem Betrieb begangenen Ordnungswidrigkeit. Das ist der Fall, wenn die pflichtwidrig unterlassene Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit die Zuwiderhandlung entfiele.

So liegt der Fall hier. Es ist zwar nicht Aufgabe des Gerichts oder anderer staatlicher Stellen, einem Betriebsinhaber vorzuschreiben, wie er seinen Betrieb zu organisieren hat, um den ihm von Gesetzgeber auferlegten Pflichten beanstandungsfrei nachkommen zu können, denn mit der Eröffnung eines Betriebes liegt es zunächst an ihm, die zur Verhinderung betriebsbedingter Zuwiderhandlungen erforderlichen Überlegungen anzustellen (vgl. OLG Oldenburg NJW 77, 1410).

Der Betroffene durfte deshalb die Überwachung der Verlängerung von Arbeitsgenehmigungen grundsätzlich dem Zeugen W. überlassen, weil eine solche Vertretung auch bei bußgeldbewehrten Handlungspflichten zulässig ist. Wenn er jedoch - wie hier - einen anderen mit der Wahrnehmung der ihm als Betriebsinhaber obliegenden Pflichten beauftragt, so besteht dennoch grundsätzlich seine eigene Pflicht als Unternehmensinhaber fort. Er hat deshalb die erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen zu treffen, damit in dem Betrieb die ihn als Inhaber angehenden Gebote oder Verbote, deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, beachtet werden. Das Ausmaß dieser Aufsichtspflicht hängt dabei von den Umständen des Einzelfalles, der danach zumutbaren Überwachungsmöglichkeiten und auch der Bedeutung der zu beachtenden Vorschriften ab. Grundsätzlich ist der Betriebsinhaber aber auch gehalten, durch gelegentliche Stichproben die Beachtung seiner Anweisungen bzw. die Tätigkeit der dafür eingesetzten Aufsichtspersonen, an die er seine eigenen Aufsichtspflichten delegiert hat, zu überwachen (vgl. dazu u.a. OLG Hamm VRS 40, 129).

Der angefochtenen Entscheidung lässt sich eine angemessene Beachtung dieser Sorgfaltspflichten bislang nicht entnehmen. Insoweit bedarf es weiterer Feststellungen. Der Betroffene, in dessen Betrieb es bereits zuvor aus ähnlichen Gründen "zu Problemen" gekommen war und der deshalb Anlass hatte, dem Gebiet des Arbeitsgenehmigungsrechts besondere Beachtung zu schenken, hatte sich nach der Feststellung des Amtsgerichts allein auf die mündliche Zusicherung des Zeugen W. verlassen, die insoweit erforderlichen Verlängerungsanträge rechtzeitig zu stellen. Damit hatte der Betroffene seiner Aufsichtspflicht jedoch noch nicht hinreichend genügt, denn er hätte sich nicht darauf beschränken dürfen, den erst kurz zuvor eingestellten Zeugen W. ohne nähere tatsächliche Überprüfung auf dessen Zuverlässigkeit nur mündlich an dessen arbeitsvertragliche Pflichten zu erinnern oder zu befragen. Dabei kommt es nicht einmal darauf an, ob gelegentliche Stichproben auch tatsächlich zur Aufdeckung von Missständen geführt hätten, weil allein schon die Durchführung von Stichproben geeignet ist, Rechtsverstößen vorzubeugen. Im vorliegenden Fall hätte dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu geführt, dass dem Zeugen die Bedeutung der Tätigkeit auf dem Gebiet des Arbeitsgenehmigungsrechts vor Augen geführt worden wäre.

Die angefochtene Entscheidung war deshalb aufzuheben und zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Siegen zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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