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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.10.2003
Aktenzeichen: 1 Ss OWi 664/03
Rechtsgebiete: StPO, OWiG


Vorschriften:

StPO § 344
OWiG § 73
OWiG § 74
Zum Vortrag zur Begründung der Rüge der unzulässig unterbliebenen Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen im OWi-Verfahren.

Die Entscheidung über den Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG ist nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt ist. Vielmehr ist das Gericht verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen.


Beschluss

Bußgeldsache

gegen F.B.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf den Antrag des Betroffenen vom 05. Juni 2003 auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 ff. OWiG gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Berleburg vom 27. Mai 2003 hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 28. 10. 2003 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gem. § 80 a Abs. 2 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bad Berleburg zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Landrat des Kreises Siegen-Wittgenstein hat mit Bußgeldbescheid vom 17. September 2002 gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße von 100,00 € festgesetzt. Den hiergegen gerichteten Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht mit Urteil vom 27. Mai 2003 nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. In den Urteilsgründen wird hierzu ausgeführt:

"Der Betroffene, der von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen im Termin nicht entbunden wurde, ist in dem heutigen Termin zur Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben."

Aus der rekonstruierten Akte (die am 08. April 2003 dem Verteidiger des Betroffenen zur Akteneinsicht übersandte Originalakte ist aus nicht geklärten Gründen in Verlust geraten) ergibt sich hierzu Folgendes:

Das Amtsgericht hatte auf den Einspruch des Betroffenen Termin zur Hauptverhandlung auf den 27. Mai 2003 anberaumt. Mit Schriftsatz vom 20. Mai 2003 beantragte der Verteidiger des Betroffenen, diesen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden. Zur Begründung des Antrags wurde ausgeführt, dass der Betroffene lediglich einräume, zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitung Fahrer des betreffenden Kraftfahrzeuges gewesen zu sein. Darüber hinausgehende Angaben zur Sache werde der Betroffene nicht machen. Die Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung werde angezweifelt, da die Messbeamten nicht alle Messungen notiert und in das Messprotokoll aufgenommen hätten.

Mit einem dem Verteidiger des Betroffenen vorab per Fax übermittelten Schreiben vom 22. Mai 2003 teilte der Bußgeldrichter des Amtsgerichts dem Verteidiger mit, dass der Betroffene nicht vom persönlichen Erscheinen entbunden werden könne, da die dem Verteidiger am 08. April 2003 zur Einsichtnahme übersandte Akte noch nicht wieder bei Gericht eingegangen sei. Bereits am Vortag hatte sich das Amtsgericht von der Bußgeldbehörde den Bußgeldbescheid und die Abgabeverfügung der Behörde per Fax übermitteln lassen. Der Verteidiger des Betroffenen teilte dem Amtsgericht mit Schreiben vom 22. Mai 2003 mit, dass die Bußgeldakte dem Amtsgericht bereits mit Schriftsatz vom 09. Mai 2003 zurückgesandt worden sei. Im Hauptver-handlungstermin vom 27. Mai 2003, zu dem weder der Betroffene noch sein Vertei-diger erschienen waren, reichte einer der als Zeugen geladenen Polizeibeamten Kopien des Messprotokolls nebst Zusatzangaben sowie der Ordnungswidrigkeiten-Anzeige zur Akte.

Gegen das am 27. Mai 2003 verkündete und dem Verteidiger des Betroffenen am 04. Juni 2003 zugestellte Verwerfungsurteil hat der Betroffene mit Schreiben seines Verteidigers vom 05. Juni 2003, am selben Tage eingegangen beim Amtsgericht Bad Berleburg, Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Diesen Antrag hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 03. Juli 2003 rechtzeitig begründet. Er rügt Verfahrensfehler, die er insbesondere darin sieht, dass das Amtsgericht den Entbindungsantrag des Betroffenen nicht beschieden und zu dessen Überraschung eine Hauptverhandlung ohne Akte durchgeführt habe. Darüber hinaus wird ohne nähere Ausführungen die Verletzung sachlichen Rechts gerügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen, da die Begründung des Zulassungsantrages den Anforderungen der § 80 Abs. 3 Satz 2 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genüge.

II.

Die Rechtsbeschwerde war gem. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, da es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Dieser Zulassungsgrund wird durch § 80 Abs. 2 OWiG nicht eingeschränkt (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1992, 43; OLG Köln NStZ 1988, 31; Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 80 Rdnr. 16 i).

1. Die Verfahrensrüge des Betroffenen, mit der er die Gesetzwidrigkeit der Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG geltend macht und damit auch die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt, entspricht den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Nach den genannten Vorschriften muss bei einer Verfahrensrüge der Tatsachenvortrag so vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen zutrifft (Göhler, a. a. O., § 79 Rdnr. 27 d). Wird die Versagung rechtlichen Gehörs gerügt, muss in der Begründungsschrift durch entsprechenden Tatsachenvortrag schlüssig dargelegt werden, dass ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vorliegt. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gibt einen Anspruch darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen und dem Betroffenen nachteiligen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern (OLG Köln NZV 1999, 264; 1992, 419). Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin der Einspruch des Betroffenen durch Urteil gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, so kann die Einspruchsverwerfung das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzen, wenn rechtzeitig vorgebrachte und hinreichende Entschuldigungsgründe von dem erkennenden Gericht nicht berücksichtigt worden sind (vgl. BayObLG DAR 2003, 463; OLG Köln NZV 1999, 264, 265) oder einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen (§ 73 Abs. 2 OWiG) zu Unrecht nicht entsprochen worden ist (vgl. BayObLG DAR 2000, 578; OLG Hamm, Beschluss vom 03.12.2002 - 4 Ss OWi 918/02; Göhler, a. a. O. § 80 Rdnr. 16 b). Bei der Rüge der unzulässig unterbliebenen Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen, die vorliegend wegen der gesetzlichen Einschränkung der Zulassungsgründe bei Geldbußen von nicht mehr als 100,00 € (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG) nur unter dem Gesichtspunkt der Versagung des rechtlichen Gehörs im Zulassungsverfahren beachtlich sein kann, obliegt es dem Betroffenen, darzulegen, aus welchen Gründen das Gericht seinem Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG hätte stattgeben müssen. Der Betroffene muss also darlegen, aus welchen Gründen der Tatrichter von seiner Anwesenheit in der Hauptverhandlung einen Beitrag zur Aufklärung des Sachverhalts unter keinen Umständen hätte erwarten dürfen. Hierzu ist es erforderlich, den im Bußgeldbescheid erhobenen Tatvorwurf und die konkrete Beweislage im Einzelnen vorzutragen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 03.12.2002 - 4 Ss OWi 918/02 -; Beschluss vom 11.12.2000 - 4 Ss OWi 1158/00 -; Beschluss vom 17.11.1998 - 4 Ss OWi 1314/98 -; OLG Köln NZV 1998, 474; Göhler, a. a. O., § 74 Rdnr. 48 c). In diesem Zusammenhang ist in aller Regel auch darzulegen, wann und mit welcher Begründung der An-trag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gestellt worden ist und wie das Gericht diesen Antrag beschieden hat (OLG Hamm a. a. O.). Da der Anspruch auf rechtliches Gehör zudem nur dann verletzt ist, wenn die erlassende Entscheidung auf einem Verfahrensfehler beruht, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Partei hat (vgl. BVerfG, NJW 1992, 2811), müssen in der Begründungsschrift konkret die Tatsachen dargelegt werden, anhand derer die Beruhensfrage geprüft werden kann (vgl. BGHSt 30, 331; OLG Hamm, Beschluss vom 24.02.2000 - 4 Ss OWi 114/00 -; VRS 84, 234, 235; OLG Köln NZV 1992, 419; vgl. auch Göhler, a. a. O., Rdnr. 16 c, 16 i).

Vorliegend ermöglicht die Begründungsschrift des Betroffenen eine Überprüfung seitens des Rechtsbeschwerdegerichts, ob nach diesen Grundsätzen eine Versagung rechtlichen Gehörs vorliegt. In der Begründungsschrift wird der Wortlaut des Schriftsatzes des Verteidigers des Betroffenen vom 20. Mai 2003, mit dem die Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen beantragt worden war, vollständig wiedergegeben. Aus diesem in der Begründungsschrift zitierten Schriftsatz ergibt sich, dass dem Betroffenen eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt wird, die mittels Laser-Messung festgestellt wurde. Der Begründungsschrift ist ferner zu entnehmen, dass und mit welcher Begründung der Betroffene einen Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gestellt hat. Ferner wird dargelegt, dass dieser Antrag vom Gericht nicht (positiv) beschieden worden sei. Schließlich ist der Begründungsschrift zu entnehmen, dass der Betroffene lediglich seine Fahrereigenschaft einräumt, im Übrigen aber die Richtigkeit der Messung bzw. die Richtigkeit der Protokollierung des Messergebnisses bestreitet.

2. Die somit formgerecht mit der Verfahrensrüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und eines Verstoßes gegen §§ 73 Abs. 2, 74 Abs. 2 OWiG erhobene Rechtsbeschwerde, war nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen und hat in der Sache Erfolg, weil durch das angefochtene Urteil der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt worden ist. Zwar trifft der Vorwurf des Betroffenen in der Begründungsschrift, das Amtsgericht habe über seinen Entbindungsantrag vom 22. Mai 2003 nicht entschieden, nicht zu. Aus der rekonstruierten Akte ergibt sich vielmehr, dass der Bußgeldrichter dem Verteidiger des Betroffenen mit Schreiben vom 22. Mai 2003 mitgeteilt hatte, im Hinblick auf die nicht in den Rücklauf gelangte Akte bleibe es bei der Verpflichtung des Betroffenen zum persönlichen Erscheinen im Hauptverhandlungstermin. Allerdings hätte das Amtsgericht dem Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG stattgeben müssen. Nach dieser Bestimmung entbindet das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass im Gegensatz zur früheren Rechtslage die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt ist (BayObLG DAR 2001, 371; Göhler, a. a. O., § 73 Rdnr. 5). Vielmehr ist das Gericht verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen. Unter Zugrundelegung dieser Kriterien kann die Entscheidung des Amtsgerichts keinen Bestand haben. Mit Schriftsatz vom 20. Mai 2003 hatte der Verteidiger verbindlich mitgeteilt, dass der Betroffene seine Fahrereigenschaft einräume, im Übrigen aber im Termin keine weiteren Erklärungen zur Sache abgeben werde. Aufgrund dieser Angaben war klargestellt, dass von der persönlichen Anwesenheit des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin keine weitergehende Aufklärung des Tatvorwurfs, wie er sich aus dem von der Bußgeldbehörde dem Amtsgericht am 21. Mai 2003 per Fax übermittelten Bußgeldbescheid ergab, zu erwarten war. Die Ablehnung des Entbindungsantrags war daher sachlich fehlerhaft. Die auf das Nichterscheinen des Betroffenen gestützte Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG verstieß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs, weil dadurch wesentliches Vorbringen des Betroffenen, der die Richtigkeit der Messung bzw. ihrer Protokollierung bestritten hatte, unberücksichtigt geblieben ist.

Im Übrigen erweist sich das Urteil auch deshalb als fehlerhaft, weil sich das Amtsgericht im Urteil mit den Gründen, die der Betroffene für seinen Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen geltend gemacht hatte, nicht befasst hat. Die Ablehnung des Antrags des Betroffenen, ihn von der Verpflichtung zum Erscheinen zu entbinden, ist im Rechtsbeschwerdeverfahren aufgrund der Verfahrensrüge überprüfbar; das Gericht hat sich deshalb im Urteil mit der Frage auseinander zu setzen, warum es dem Antrag des Betroffenen nicht entsprochen hat (vgl. auch BayObLG DAR 2001, 371; DAR 2000, 578; Göhler, a. a. O., § 73 Rdnr. 16). Das Amtsgericht hat in den Urteilsgründen nicht dargelegt, weshalb dem Entbindungsantrag nicht stattgegeben wurde und aus welchen Gründen es die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung trotz der in dem Schriftsatz des Verteidigers vom 20. Mai 2003 erfolgten Einlassung für erforderlich gehalten hat. Dies stellt ebenfalls einen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen dar.

Die damit zulässige und begründete Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Für die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde war, da deren Zulassung auf § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG beruht, ebenfalls der Einzelrichter zuständig (vgl. OLG Düsseldorf DAR 2001, 515; OLG Köln, NZV 1998, 476; Göhler, a. a. O., § 80 a Rdnr. 3).



Ende der Entscheidung

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