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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.12.2002
Aktenzeichen: 1 Ss OWi 970/02
Rechtsgebiete: OWiG, StPO


Vorschriften:

OWiG § 80
StPO § 344
StPO § 258
Zur Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn dem Verteidiger keine Gelegenheit zum Schlussvortrag gegeben wird.
Beschluss Bußgeldsache

gegen K.W.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

Auf den Antrag des Betroffenen vom 27. Juni 2002 auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 ff. OWiG gegen das Urteil des Amtsgerichts Meschede vom 26. Juni 2002 hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 16. 12. 2002 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin gemäß § 80 a Abs. 2 OWiG auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde wird wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs zugelassen.

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht Meschede zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Meschede hat mit Urteil vom 26. Juni 2002 den Betroffenen wegen neun in Tatmehrheit begangener fahrlässiger Verstöße gegen das Güterkraftverkehrsgesetz zu Geldbußen in einer Gesamthöhe von 1.800,- € verurteilt, wobei die höchste Geldbuße 250,- € beträgt.

Gegen dieses Urteil richtet sich der form- und fristgerecht gestellte Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit dem er u.a. die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat wie folgt Stellung genommen:

"Soweit der Betroffene die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, hat das Beschwerdegericht durch eine Zulassung der Rechtsbeschwerde und Aufhebung des Urteils korrigierend einzugreifen, um so eine sonst begründet erscheinende Verfassungsbeschwerde zu ersparen (zu vgl. Göhler, OWiG, 13. Auflg., § 80 Rdnr. 16 a). Zwar stellt eine Verletzung von Prozessregeln, die unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs statuiert sind, nicht stets eine Versagung des rechtlichen Gehörs im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG und damit von § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG dar. Jedoch gibt Art. 103 Abs. 1 GG dem in einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten ein Recht darauf, dass er Gelegenheit erhält, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern (zu vgl. Göhler a.a.O.). Diese Möglichkeit dürfte dem Betroffenen aber bei einem Verstoß gegen § 258 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG genommen worden sein (zu vgl. LR-Gollwitzer, StPO, 25. Auflg., § 258 Rdnr. 31, Göhler, OWiG, 13. Auflg., § 80 Rdnr. 16 b m.w.N.). Das Recht des Verteidigers zum Schlussvortrag ist zwar nicht ausdrücklich dem Wortlaut des § 258 Abs. 1 StPO zu entnehmen, doch ergibt sich aus Abs. 3, dass der Verteidiger den Schlussvortrag für den Angeklagten halten kann (zu vgl. Kammergericht NStZ 84, 523). Dieses Recht wird ihm, wie den übrigen Prozessbeteiligten von Amts wegen erteilt (zu vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage, Rdnr. 5 m.w.N.). Die Gelegenheit zum Schlussvortrag muss der Berechtigte unmissverständlich erhalten (zu vgl. BayObLG VRS 62, 374). Dies ist hier nicht geschehen. Vielmehr hat das Gericht, obwohl sich der Verteidiger noch nicht abschließend zur Sache geäußert hatte und ihm auch nicht deutlich gemacht worden war, dass eine solche Äußerung, wenn sie erfolgen solle, jetzt abgegeben werden müsse, überraschend das Urteil verkündet. Damit ist dem Verteidiger, der annahm und annehmen durfte, ihm werde noch Gelegenheit zum Schlussvortrag gegeben, die Möglichkeit hierzu abgeschnitten worden.

Die Verletzung des rechtlichen Gehörs muss mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden und ergeben, dass das Urteil auf diesem Verstoß beruht (zu vgl. OLG Düsseldorf NZV 97, 531; OLG Hamm VRS 97, 142). Das bedeutet aber, dass der Betroffene mit seiner Rüge substantiiert darlegen muss, was im Falle der Anhörung geltend gemacht worden wäre, da nur dann das Rechtsbeschwerdegericht in der Lage ist zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG beruht und dem Betroffenen tatsächlich rechtliches Gehör verwehrt worden ist (zu vgl. OLG Hamm VRS 97, 142). Welche Anforderungen an die Begründung gestellt werden müssen, ist eine Frage des Einzelfalles, deren Beantwortung von der Art des gerügten Verstoßes und den einzelnen Geschehnissen im Verfahrensverlauf abhängt, sofern sie für die Beruhensfrage Bedeutung gewinnen können (Kuckein in KK, StPO, 4. Auflage, § 344 Rdnr. 43, 65; KG StV 2000, 189, 190).

In der den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG genügenden Beschwerde wird nicht nur ausgeführt, dass der Verteidiger von seinem Recht auf das letzte Wort Gebrauch gemacht hätte, sondern auch der Inhalt des Schlusswortes wie folgt dargelegt:

"Wäre mir Gelegenheit zum Schlusswort gegeben worden, hätte ich im Plädoyer unter Anknüpfung an die vorherigen Ausführungen der Vorsitzenden darauf hingewiesen, dass die von ihr angeführte Warnfunktion bezüglich des jeweils ersten Vorfalles mit einfacher Kopie (Vorfall vom 04.12.2000) und mit beglaubigter Kopie (Vorfall vom 15.03.2001) tatsächlich nicht stattgefunden hat, da aus nicht nachvollziehbaren Gründen die Bußgeldbehörde nicht jeweils nach Akteneingang dem Betroffenen einen Anhörungsbogen zugeschickt hat, vielmehr praktisch in allen 11 Verfahren am gleichen Tag, nämlich in 9 Verfahren am 09.12.2001, Bl. 9,24,60,73,88,119,137,152 und 167 d.A.)., in einem Fall am 11.10.2001 (Bl. 46 d.A.) und in einem Fall am 16.10.2001 (Bl. 103 d.A.).

Die ersten 9 Anhörungsbögen gingen also dem Betroffenen zu, als der letzte Vorfall (Vorfall vom 13.08.2001) bereits geschehen war. Gerade in Anbetracht des Umstandes, dass sämtliche Anhörungsbögen zeitlich nach dem letzten Vorfall dem Betroffenen zugingen, hätte dies in Anbetracht der zuvor gemachten Äußerung der Vorsitzenden Auswirkungen auf das Urteil gehabt."

Bei diesen Ausführungen ist auch davon auszugehen, dass das Urteil auf dem Verfahrensverstoß beruht. Insoweit genügt die bloße Möglichkeit, die sich im Übrigen nur selten ausschließen lassen wird (zu vgl. BGHSt 21, 288, 290; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage, § 258 Rdnr. 34 m.w.N.). Dass ein solcher Ausnahmefall nicht vorliegt, ergibt sich bereits aus den Ausführungen der Rechtsbeschwerde zum Eingang der ersten 9 Anhörungsbögen nach dem letzten - der Verurteilung zugrunde liegenden - Vorfall und der fehlenden Warnfunktion. Die Abgabe weiterer Erklärungen hätte durchaus Anlass für weitere Beweiserhebungen oder eine andere Entscheidung sein können.

Wegen dieses Mangels kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben."

Diese Ausführungen macht der Senat sich zu eigen und legt sie seiner Entscheidung zugrunde. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass zum Zeitpunkt des Eingangs der Rechtsbeschwerdebegründung noch die Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls der Verfahrensrüge entgegengestanden hätte. Mit dem Berichtigungsbeschluss des Amtsgerichts Meschede vom 21. August 2002 wird nunmehr aber durch das Hauptverhandlungsprotokoll der Verfahrensverstoß bewiesen. Wirkt sich eine Protokollberichtigung zugunsten des Beschwerdeführers aus, so ist sie aber auch im Rechtsbeschwerdeverfahren zu beachten (BGHSt 1, 259; OLG Saarbrücken, VRS 17, 63; LR-Gollwitzer, StPO, 25. Aufl., § 271 Rdnr. 60; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 271 Rdnr. 26). Da der Rechtsmittelführer die Beweismittel für den von ihm behaupteten Verfahrensverstoß in der Rechtsmittelbegründung nicht anzugeben braucht, ist es unschädlich, dass erst durch die Protokollberichtigung der Beweis für den behaupteten Verfahrensverstoß erbracht werden kann.

Der Senat hatte auch in der Besetzung mit nur einem Richter zu entscheiden, da § 80 a Abs. 3 OWiG den Fall der Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht erfasst (vgl. OLG Düsseldorf NZV 2002,99).

Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Meschede zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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