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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 24.04.2006
Aktenzeichen: 1 VAs 20/06
Rechtsgebiete: BtMG


Vorschriften:

BtMG § 35
Zur Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtM-Gesetz.
Beschluss

Justizverwaltungssache

betreffend P.H.

wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden, (hier: Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG).

Auf den Antrag des Betroffenen vom 13. März 2006 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Bonn vom 30. November 2005 in der Form des Beschwerdebescheides des Generalstaatsanwalts in Köln vom 17. Februar 2006 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 24. 04. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Generalstaatsanwalts in Hamm beschlossen:

Tenor:

Die angefochtenen Entscheidungen werden aufgehoben.

Der Zurückstellung der Strafvollstreckung aus dem Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 25. August 2003 zur Durchführung einer Drogenentwöhnungstherapie wird zugestimmt.

Die Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 25. August 2003 wird gemäß § 35 Abs. 1 BtMG für die Dauer von zwei Jahren zurückgestellt.

Der Verurteilte ist verpflichtet, sich der Behandlung in der Therapieeinrichtung pp. weiter zu unterziehen. Der Staatsanwaltschaft ist die Fortführung der Therapie unverzüglich mitzuteilen und in Abständen von sechs Wochen jeweils über die Fortführung der Therapie ein Nachweis zu erbringen (§ 35 Abs. 4 S. 1 BtMG).

Er hat sich mindestens einmal alle drei Wochen einer Urinkontrolle zu unterziehen.

Der Verurteilte wird darauf hingewiesen, dass die Zurückstellung widerrufen wird, wenn die erforderlichen Nachweise nicht erbracht werden, die Therapie abgebrochen wird oder eine andere Strafe zu vollstrecken ist, deren Vollstreckung nicht ebenfalls zurückgestellt wird (§ 35 Absätze 5 u. 6 BtMG).

Der Geschäftswert wird auf 2.500,- € festgesetzt.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist durch Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 25. August 2003 wegen Leistungserschleichung zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt worden. Nach den Urteilsgründen ist der Betroffene am 2. Mai 2003 um 15.45 Uhr mit der Linie 66 der Stadtwerke Bonn von Siegburg nach Bonn gefahren, ohne im Besitz eines gültigen Fahrausweises gewesen zu sein. Vor Ort habe er erklärt, er habe kein Kleingeld für den Automaten gehabt. In der Hauptverhandlung habe er angegeben, er habe seine Großmutter in Siegburg besucht, die Medikamente benötigt habe, und kein Geld für einen Fahrausweis gehabt.

Mit Beschluss vom 2. Juni 2005 hat das Amtsgericht Bonn die Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung widerrufen, weil der Betroffene während der Bewährungszeit erneut straffällig geworden und durch Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 6. Dezember 2004 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden ist. Nach den Feststellungen dieses Urteils ist der Antragsteller seit fünf Jahren heroin- und diazepamabhängig. Zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung hat das Amtsgericht ausgeführt, Hauptursache seiner Straffälligkeit sei seine Heroinabhängigkeit, die nicht therapiert sei, so dass jederzeit mit der Begehung weiterer Beschaffungsstraftaten zu rechnen sei.

Unter dem 30. Oktober 2005 hat der Antragsteller in dem zuerst genannten Verfahren einen Antrag auf Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG gestellt. Er hat u.a. ausgeführt, wegen seiner angespannten finanziellen Situation (Beikonsum) sei er leider schwarz gefahren. Am 24. November 2005 hat das Amtsgericht Bonn die Zustimmung zur Zurückstellung der Strafvollstreckung nicht erteilt, da sich den Urteilsfeststellungen nicht entnehmen lasse, dass die Tat aufgrund der bestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden sei. Die Staatsanwaltschaft Bonn hat daraufhin mit Verfügung vom 30. November 2005 die Zurückstellung der Strafvollstreckung abgelehnt.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2005 hat der Antragsteller Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt und ausgeführt, auch diese Straftat sei auf seinen Drogenkonsum zurückzuführen. Die regelmäßige Beschaffung von Heroin habe zur Folge, dass seine sämtlichen finanziellen Mittel hierfür herhalten müssten. Geld, das ihm ermöglicht hätte, an einem geregelten Leben teilzunehmen, habe er nicht gehabt, weshalb er die Straßenbahn ohne gültigen Fahrausweis benutzt habe. Unter dem 4. Januar 2006 hat daraufhin die Staatsanwaltschaft Bonn beim Amtsgericht angeregt, die Zustimmung doch noch zu erteilen. Bei dem Straftatbestand der Leistungserschleichung handele es sich um eine typische Begleittat von Drogenabhängigen, die, um möglichst viel Geld für ihre Drogensucht zur Verfügung zu haben, "schwarz" fahren würden. Insoweit sei die Behauptung des Betroffenen in seiner Beschwerde glaubhaft und nachvollziehbar. Das Amtsgericht Bonn hat gleichwohl die Zustimmung zur Zurückstellung nicht erteilt. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bonn gegen diese Entscheidung ist durch Beschluss des Landgerichts Bonn vom 8. Februar 2006 als unbegründet verworfen worden. Zur Begründung ist ausgeführt, eine Zurückstellung setze voraus, dass die Straftat mittelbar oder unmittelbar zur Beschaffung von Drogen oder zur Befriedigung der eigenen Sucht verübt worden sei. Entsprechendes sei jedoch nach der - zudem noch wechselhaften - Einlassung des Betroffenen in dem Verfahren nicht der Fall. Der Generalstaatsanwalt in Köln hat daraufhin die Beschwerde des Betroffenen mit Bescheid vom 17. Februar 2006 als unbegründet verworfen. Es fehle an dem erforderlichen Kausalzusammenhang. Nach Aktenlage habe der Betroffene zunächst angegeben, der Erwerb einer Fahrkarte sei daran gescheitert, dass weder der Fahrkartenautomat noch andere Fahrgäste den von ihm mitgeführten 50-Euro-Schein wechseln konnten. Später habe er angegeben, er sei ohne Barmittel nach Siegburg gefahren, um dort die Großmutter zu besuchen, die Medikamente benötigt hätte. Beide Angaben wiesen den erforderlichen Kausalzusammenhang nicht auf.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG. Der Betroffene führt aus, er habe vor Gericht Angst gehabt, sein strafrechtliches Vergehen mit einer Drogensucht in Verbindung zu bringen. Deshalb habe er zwei unterschiedliche Aussagen gemacht, die so nicht der Wahrheit entsprochen hätten, die aber nach seinem Empfinden eine größere strafrechtliche Verfolgung abwenden würden. Zu der Straftat sei es gekommen, da er dringend nach Siegburg habe fahren müssen, um sich dort Drogen zu beschaffen. Da er nur einen begrenzten finanziellen Rahmen zur Verfügung gehabt und diesen komplett für seine Drogensucht benötigt habe, hätte er sich entschieden, keinen Fahrschein zu kaufen.

In dem weiteren Verfahren des Amtsgerichts Bonn ist unter dem 25. Juli 2005 die Zurückstellung erfolgt. Seitdem nimmt der Betroffene an einer ambulanten Therapie in der Therapieeinrichtung pp. in Bonn teil.

II.

Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß § 35 Abs. 2 BtMG statthaft, soweit er sich sowohl gegen die ablehnenden staatsanwaltschaftlichen Verfügungen als auch gegen die Ablehnung der Zustimmung zur Zurückstellung durch das Amtsgericht Bonn richtet.

Aufgrund der zugleich erfolgten Anfechtung der Zustimmungsverweigerung durch den Betroffenen nach § 35 Abs. 2 S. 2 BtMG war bereits die Verweigerung der Zustimmung durch das Amtsgericht aufzuheben. Unter Abwägung aller für und gegen den Betroffenen sprechenden Umstände erscheint die Verweigerung der Zustimmung ermessensfehlerhaft.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Bonn ist der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der Betäubungsmittelabhängigkeit des Betroffenen und der dem Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 25. August 2003 zugrunde liegenden Straftat gegeben.

Gemäß § 35 Abs. 1 BtMG kann die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren zum Zwecke einer Therapie zurückgestellt werden, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt oder sonst feststeht, dass die Tat, die Gegenstand des Urteils ist, nicht nur anlässlich, sondern aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurde. Es muss deshalb ein unmittelbarer Kausalzusammenhang im Sinne einer "conditio sine qua non" zwischen Tat und Abhängigkeit bestehen. Ein solcher unmittelbarer Kausalzusammenhang ist nur dann gegeben, wenn die Betäubungsmittelabhängigkeit nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Straftat als Folge entfiele, der Verurteilte die Straftat also im konkreten Einzelfall nicht ohne Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hätte (zu vgl. Senatsbeschluss vom 14. September 2004 - 1 VAs 40/04 -; Körner, BtMG, 5. Aufl., § 35 Rdnr. 46 m.w.N.). Der danach erforderliche unmittelbare Kausalzusammenhang zwischen der Drogenabhängigkeit und den in Rede stehenden Straftaten ist dann gegeben, wenn diese Straftaten unmittelbar oder mittelbar zur Beschaffung von Betäubungsmitteln, die der Befriedigung der Drogensucht dienten, begangen worden sind.

Wie sich aus dem Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 6. Dezember 2004 ergibt, ist der Betroffene seit fünf Jahren heroin- und diazepamabhängig. Zwar enthält das Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 23. August 2003 solche Feststellungen nicht, die Erklärung des Antragstellers, er habe befürchtet, unter diesen Umständen härter bestraft zu werden, ist indes nachvollziehbar. Auch ist dem Amtsgericht Bonn zuzugeben, dass sich aus dem Urteil keine Anhaltspunkte für einen Kausalzusammenhang zwischen der Betäubungsmittelabhängigkeit des Betroffenen und der hier in Rede stehenden Straftat ergeben. Allerdings hat der Betroffene bereits in seinem Antrag auf Zurückstellung der Strafvollstreckung einen derartigen Zusammenhang aufgezeigt, indem er angegeben hat, aufgrund seines Betäubungsmittelkonsums habe er sich in einer angespannten finanziellen Lage befunden, so dass er "schwarz" gefahren sei. Der Staatsanwaltschaft Bonn ist insoweit zuzustimmen, dass der Straftatbestand der Beförderungserschleichung ein typisches Begleitdelikt von Drogenkonsumenten ist, die ihre gesamten finanziellen Mittel benötigen, um sich Drogen zu verschaffen. Von daher ist naheliegend, dass diese Erklärung des Betroffenen der Wahrheit entspricht.

Diese Erwägungen haben den Senat veranlasst, die ablehnende Verfügung des Amtsgerichts Bonn aufzuheben und die Zustimmung zur Zurückstellung der Strafvollstreckung auszusprechen.

Da somit die Begründung, mit der die Strafvollstreckungsbehörde die Zurückstellung der Strafvollstreckung abgelehnt hat, hinfällig ist, waren auch deren Entscheidungen aufzuheben.

Der Senat konnte auch die abschließende Entscheidung über die Zurückstellung der Strafvollstreckung selbst treffen, da die übrigen Voraussetzungen des § 35 BtMG erfüllt sind und eine andere Entscheidung als die Zurückstellung nicht in Betracht kommt. Diese Lösung erscheint auch interessengerecht, da dem Betroffenen auf diese Weise ermöglicht wird, die Therapie fortzuführen. Sollte er jedoch die Therapie ohne ärztlichen Rat vorzeitig abbrechen, so müsste die Zurückstellung der Strafvollstreckung sofort widerrufen und die Freiheitsstrafe von einem Monat verbüßt werden.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.

Ende der Entscheidung

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