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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 23.11.2005
Aktenzeichen: 1 VAs 59/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 456a
Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, bei einem aus dem Inland ausgewiesenen Verurteilten von der Vollstreckung abzusehen, liegt in ihrem pflichtgemäßen Ermessen.
Justizverwaltungssache

betreffend Ö.M.

wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden, (hier: Entscheidung nach § 456 a StPO).

Auf den Antrag des Betroffenen vom 14. September 2005 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Bonn vom 21. Februar 2005 in der Form des Beschwerdebescheids des Generalstaatsanwalts in Köln vom 10. August 2005 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 23. 11. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.

Der Geschäftswert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe:

Durch Urteil des Landgerichts Bonn vom 18. Juli 1995 ist der Antragsteller wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die besondere Schwere der Schuld ist festgestellt worden. Nach den Urteilsfeststellungen hat der Betroffene spätestens am 8. Juli 1994 beschlossen, seine Ehefrau, B.M., zu töten und ihren Tod als Verkehrsunfall zu tarnen, um so die zu seinen Gunsten abgeschlossenen Unfall- und Lebensversicherungen im Gesamtwert von 900.000,- DM zu erhalten. Mit diesem Geld wollte der Verurteilte sich in der Türkei mit seiner dritten Ehefrau H.M. sowie den drei gemeinsamen Kindern eine neue Existenz aufbauen. Am Abend des 8. Juli 1994 traf B.M., die mit dem Fahrrad unterwegs war, an der Kreuzung zweier Feldwege, wie von ihm geplant. Nachdem das Opfer infolge eines gewaltsamen Angriffs bewusstlos oder bereits tot war, legte der Betroffene es auf die Straße. Um einen Verkehrsunfall vorzutäuschen, fuhr der Verurteilte dann zunächst mit seinem Fiat Dukato gegen das Fahrrad und ließ sodann sein Fahrzeug im Schritttempo über den Körper der am Boden liegenden B.M. rollen.

Der Antragsteller wird am 17. Juli 2009 15 Jahre der Strafe verbüßt haben. Mit Verfügung der Kreisverwaltung des Kreises Soest vom 4. Juni 1997, bestandskräftig seit dem 8. Juli 1997, ist er aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen worden.

Am 5. Januar 2004 hat der Verurteilte bzw. am 9. November 2004 sein Verteidiger beantragt, gemäß § 456 a StPO ab dem 20. Dezember 2004 von der weiteren Vollstreckung abzusehen. Zur Begründung ist ausgeführt, der Verurteilte verfüge über keinerlei soziale Bindungen in der Bundesrepublik Deutschland. Insoweit sei er auch im Rahmen seines bisherigen Aufenthaltes in der Justizvollzugsanstalt Aachen aufgrund der fehlenden sozialen und kulturellen Bindungen gegenüber den Mithäftlingen und den Mitarbeitern der Justizvollzugsanstalt völlig isoliert. Zudem lebe auch die gesamte Familie des Antragstellers in der Türkei, so dass dieser dort sowohl über feste, als auch stabile soziale und familiäre Bindungen verfüge. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass sich die Entwicklung des Antragstellers im Rahmen des Strafvollzuges in letzter Zeit nachhaltig und in entscheidendem Maße zum Positiven geändert habe. In den vergangenen Monaten habe er mehrfach Gespräche mit den zuständigen Sozialarbeitern und Psychologen geführt, um die von ihm begangenen Straftaten aufzuarbeiten und für die Zukunft Vermeidungsstrategien zu erlernen. Die im Urteil genannten Tatumstände seien auch nicht von so außergewöhnlicher Schwere im Hinblick auf die verwirkte Schuld, dass eine Verbüßung über den Zeitraum von 10 Jahren und vier Monaten hinaus im öffentlichen Interesse geboten sei.

Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Aachen hat in seiner Stellungnahme vom 10. Januar 2005 einem Absehen von der weiteren Vollstreckung gemäß § 456 a StPO nicht widersprochen. Er hat dazu ausgeführt, der Antragsteller sei von der nunmehr über zehnjährigen Inhaftierung nachhaltig beeindruckt. Es sei allerdings bisher keinem der mit der Betreuung und Behandlung des Gefangenen befassten Mitarbeiter gelungen, einen tieferen Zugang zu dem Gefangenen zu finden, der das Begehen der ihm zur Last gelegten Straftat nach wie vor vehement in Abrede stelle und sich als Opfer einer Verschwörung bezeichne. Behandlungsmaßnahmen hätten vor diesem Hintergrund in der Vollzugsplanung keinen Niederschlag finden können. Er habe seit jeher jeglichen Kontakt zum Psychologischen Dienst verweigert. Kontakte unterhalte er zu seiner Schwester und deren Kindern, die ihn mehrmals auch im Rahmen von Langzeitbesuchen besucht hätten. Der Antragsteller habe angegeben, seine Schwester sei zeitweise auf einen Rollstuhl angewiesen und könne ihn nicht mehr besuchen. Seit Mai 2004 stehe er in Brief-, Telefon- und auch Besuchskontakt zu einer langjährigen Bekannten. Am 9. September 2003 sei seine Mutter in der Türkei gestorben. Sein Vater sei jetzt 90 Jahre alt und könne nicht mehr alleine wohnen. Er lebe bei einem Bruder des Antragstellers in der Türkei und würde auch von diesem versorgt.

Mit Bescheid vom 21. Januar 2005 hat die Staatsanwaltschaft Bonn den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, es müsse der Strafzweck der Generalprävention berücksichtigt werden, wonach durch die Verbüßung eines Großteils der Strafe potentielle Gewalttäter abgeschreckt und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts bewahrt werden solle. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller durch seine Tat eine besonders schwere Schuld auf sich geladen habe, wie sie namentlich in dem vom Landgericht Bonn verhängten Strafmaß zum Ausdruck gekommen sei. Im Hinblick darauf, dass der Betroffene bei der Tatbegehung zwei Mordmerkmale erfüllt habe, habe er eine besonders brutale Vorgehensweise an den Tag gelegt. Unter Berücksichtigung der vorgenannten Gesichtspunkte müssten die persönlichen Belange des Betroffenen bei der vorzunehmenden Interessenabwägung zurücktreten mit der Folge, dass der Antrag auf Absehen der weiteren Vollstreckung gemäß § 456 a StPO abzulehnen gewesen sei. Angesichts der Urteilsfeststellung der Schwere der Schuld sei aus Sicht der Staatsanwaltschaft nicht vor Verbüßung von 13 Jahren von der weiteren Vollstreckung der Strafe abzusehen.

Diese Entschließung hat der Antragsteller in zulässiger Weise am 30. März 2005 mit der Beschwerde angefochten. Er hat hierbei noch einmal die Gesichtspunkte aus der Antragsschrift näher ausgeführt. Zudem dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Antragsteller erstmalig strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Auch sei zu beachten, dass der Antragsteller als ausländischer Staatsbürger im Rahmen des Strafvollzuges keinerlei Möglichkeiten gehabt habe, Lockerungen des Vollzuges zu erlangen. Darüber hinaus sei ihm zu einem früheren Zeitpunkt ein Absehen von der weiteren Vollstreckung nach § 456 a StPO nach Verbüßung von zehn Jahren Freiheitsstrafe in Aussicht gestellt worden.

Nachdem sich durch eine erneute Anfrage bei dem Leiter der Justizvollzugsanstalt Aachen keine Veränderungen hinsichtlich der vollzuglichen Situation ergeben hatten, hat der Generalstaatsanwalt in Köln mit Bescheid vom 10. August 2005 die Beschwerde des Betroffenen als unbegründet zurückgewiesen. Er ist der Auffassung, dass die Staatsanwaltschaft Bonn es mit zutreffenden Erwägungen abgelehnt hat, von der weiteren Vollstreckung der Strafe bereits zum jetzigen Zeitpunkt abzusehen. Ergänzend ist ausgeführt, es sei zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit, bei ausländischen Straftätern von der Strafvollstreckung abzusehen, nicht im Interesse dieses Täterkreises, sondern im Interesse der Bundesrepublik Deutschland geschaffen habe, um diese im vertretbaren Rahmen von der Last der Strafvollstreckung zu befreien. Auch wenn eine Entscheidung zur Mindestverbüßungsdauer noch nicht getroffen worden sei, sei es im Hinblick auf den Unrechtsgehalt der Tat und die besondere Schwere der Schuld nicht zu beanstanden, wenn die Staatsanwaltschaft unter Abwägung der übrigen für und gegen ein Absehen von der weiteren Vollstreckung sprechenden Gründe zu dem Ergebnis gekommen sei, es werde vor Verbüßung von 13 Jahren nicht von einer weiteren Vollstreckung der Strafe nach § 456 a StPO abzusehen sein. Einer Maßnahme nach § 456 a StPO würde im Übrigen auch entgegenstehen, dass der Antragsteller damit eine unzulässige Bevorzugung gegenüber deutschen Strafgefangenen erfahren würde.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Antrag der Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG. Er trägt insoweit vor, durch § 456 a StPO sollten nicht nur fiskalische Erwägungen berücksichtigt, sondern auch die persönlichen Interessen des Verurteilten geschützt werden. Insoweit nimmt er Bezug auf die Richtlinien des Landes Brandenburg, Niedersachsen und Bremen. Im Übrigen sei nach den Richtlinien des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen nach Verbüßung von zehn Jahren von der weiteren Vollstreckung abzusehen. Es sei nicht erkennbar, dass vorliegend aus besonderen Gründen die Vollstreckung über die Dauer von zehn Jahren hinausgehend geboten sei.

Der Antrag ist gemäß §§ 23 ff. EGGVG zulässig, aber nicht begründet.

Die angefochtene Entscheidung unterliegt nicht unbeschränkt der gerichtlichen Nachprüfung. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, bei einem aus dem Inland ausgewiesenen Verurteilten von der Vollstreckung abzusehen, liegt in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Der Senat hat deshalb gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG nur zu prüfen, ob bei der Ermessensentscheidung fehlerfrei verfahren wurde, ob also die Vollstreckungsbehörde von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie die Grenzen des Ermessens eingehalten und von ihm in einer dem Zwecke der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Um die gerichtliche Nachprüfung der Ermessensausübung zu ermöglichen, müssen die Gründe einer ablehnenden Entscheidung der Vollstreckungsbehörde die dafür wesentlichen Gesichtspunkte mitteilen und eine Abwägung der für und gegen ein Absehen von der weiteren Vollstreckung sprechenden Umstände erkennen lassen (OLG Hamm NStZ 1983, 524; KG StV 1989, 27; OLG Hamburg StV 1996, 328; OLG Karlsruhe ZfStrVo 2000, 251). Diese eingeschränkte Überprüfung ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Antragstellers.

Zutreffend hat die Strafvollstreckungsbehörde auf den hohen Unrechtsgehalt der abgeurteilten Straftat abgestellt, der auch in der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe und der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld zum Ausdruck kommt. Die Tat ist durch eine hohe kriminelle Energie gekennzeichnet. Der Versuch, durch die Tötung seiner Ehefrau Versicherungsleistungen in Höhe von 900.000,- DM zu erlangen, ist vom Antragsteller von langer Hand geplant worden. Sowohl bei dem Abschluss der Versicherungsverträge als auch in der Zeit bis zur Tötung seiner Ehefrau hat er in besonders verwerflicher Weise das Vertrauen seiner Ehefrau, die ihn liebte und hoffte, mit ihm eine eheliche Lebensgemeinschaft begründen zu können, missbraucht. Im Übrigen zeigt die Tat - bei der zwei Mordmerkmale erfüllt wurden - eine besonders brutale Vorgehensweise. Bei dieser Sachlage ist es nicht zu beanstanden, dass die Strafvollstreckungsbehörde dem Unrechtsgehalt der Tat und der Schwere des dem Verurteilten zur Last gelegten Deliktes besondere Bedeutung beigemessen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Juli 1997 - 1 VAs 55/97 -).

Auch darin, dass die Staatsanwaltschaft Bonn und der Generalstaatsanwalt in Köln bei Vornahme einer Abwägung das mit den Umständen der Tat und der Schwere der Schuld begründete öffentliche Interesse an einer weiteren Strafverbüßung über das des Antragstellers an einem Leben außerhalb Deutschlands unter Berücksichtigung seiner persönlichen und familiären Situation gestellt haben, ist ein fehlerhafter Ermessensgebrauch nicht zu erkennen. Soweit der Antragsteller angegeben hat, er verfüge in der Türkei über gefestigte soziale und familiäre Bindungen, kann nicht übersehen werden, dass Anlass der ihm zur Last gelegten Tat sein Plan war, sich mit dem von den Versicherungen gezahlten Geld in der Türkei, wo er über eine Immobilie verfügt, gemeinsam mit seiner dritten Ehefrau eine neue Existenz aufzubauen. Im Übrigen hat auch jeder inhaftierte Deutsche ein Interesse an einer Zusammenführung mit seiner in Freiheit befindlichen Familie. Auch die Pflege seines 90-jährigen Vaters erfordert nicht seine Anwesenheit in der Türkei, da dieser von einem Bruder versorgt wird. Der Kontakt zur Familie ist auch nicht völlig aufgehoben, da seine Schwester ihn in der Vergangenheit mehrfach besucht hat. Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen ihre nunmehr erforderliche Pflege durch den Antragsteller in der Türkei erfolgen muss. Darüber hinaus bestehen Kontakte zu einer früheren Bekannten. Es kann auch nicht unbeachtet bleiben, dass eine Aufarbeitung der Tat im Vollzug nicht erfolgen konnte, da der Antragsteller die Tat vehement bestreitet und jeglichen Kontakt zum Psychologischen Dienst ablehnt.

Der im Antrag geäußerten Auffassung, die Regelung des § 456 a StPO sei (auch) im Interesse der ausländischen Verurteilten geschaffen worden, ist zu widersprechen. Der Gesetzgeber hat durch die Einführung des § 456 a StPO keineswegs die Möglichkeit, bei Ausländern von der Strafvollstreckung abzusehen, im Interesse des Ausländers geschaffen, um diese gegenüber deutschen Strafgefangenen zu begünstigen, sondern aus rein fiskalischen Erwägungen, um die inländischen Stellen von der Last der Vollstreckung von Straftaten gegen Ausländer befreien zu können (vgl. Senatsbeschluss vom 23. September 1999 - 1 VAs 61/99 -). Die genannten gesetzgeberischen Motive hindern nicht daran, die persönlichen Verhältnisse eines Verurteilten, wenn dies geboten erscheint, bei der zu treffenden Entscheidung angemessen zu berücksichtigen. Diese stehen aber - anders als bei anderen im Rahmen der Strafvollstreckung zu treffenden Entscheidungen - nicht im Vordergrund.

Der Antragsteller kann sich auch nicht auf eine angebliche früher gegebene Zusage, bereits nach zehn Jahren von der weiteren Vollstreckung abzusehen, berufen. Die Entscheidung nach § 456 a StPO ist immer von dem zuständigen Dezernenten zu treffen, Erklärungen eines anderen Dezernenten entfalten keine Bindungswirkung.

Die Staatsanwaltschaft hat auch nicht gegen sie bindende Verwaltungsvorschriften verstoßen. Nach der RV des Justizministers NW vom 20. August 1985 (9.174-III A 29) ist zwar in der Regel bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe nach Verbüßung von zehn Jahren von der weiteren Vollstreckung gemäß § 456 a StPO abzusehen. Eine weitere Vollstreckung kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn dies aus besonderen, in der Tat und in der Person des Verurteilten liegenden (negativen) Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unabweisbar gewesen ist. Die Voraussetzungen, an welche diese Verwaltungsvorschriften die Strafvollstreckung knüpfen, sind hier unzweifelhaft gegeben.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 EGGVG, 130, 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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