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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.02.2006
Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 1/06
Rechtsgebiete: StGB, StVollzG


Vorschriften:

StGB § 57 Abs. 1
StVollzG § 109
StVollzG § 115 Abs. 5
StVollzG § 116
StVollzG § 116 Abs. 1
StVollzG § 119 Abs. 4 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen (§ 116 Abs. 1 StVollzG).

Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Festsetzung des Geschäftswertes aufgehoben.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Betroffenen auferlegt.

Gründe:

I.

Das Landgericht Bochum hat den Betroffenen am 14. Juli 1995 wegen schweren Raubes in drei Fällen, schwerer räuberischer Erpressung, Diebstahls mit Waffen und weiterer Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. 2/3 dieser Strafe waren am 27. April 2003 verbüßt; das Strafende datiert auf den 27. April 2007. Der Betroffene befand sich für dieses Verfahren zunächst in Untersuchungshaft. Ihm gelang zweimal die Flucht - zuletzt am 27.Mai 1995 während der laufenden Hauptverhandlung. In dieser Zeit beging er weitere schwere Straftaten, darunter am 3. Juni 1995 den Raubüberfall auf eine Filiale der Fa. Q. Vor dieser Verurteilung war der mehrfach vorbestrafte Betroffene erst am 21. Mai 1991 nach 3 1/2 Jahren aus der Strafhaft entlassen worden.

Im Verfahren über die bedingte Aussetzung eines Strafrestes gemäß § 57 Abs. 1 StGB hatte die Strafvollstreckungskammer ein Gutachten der Sachverständigen T zu der Frage eingeholt, ob bei dem mehrfach vorbestraften Betroffenen die aus den Taten ersichtliche Gefährlichkeit fortbestehe. Die Sachverständige kam in ihrem umfangreichen Gutachten vom 13. September 2004 zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass keine ausreichend positiven Prognosekriterien vorliegen würden, die eine (bedingte) Entlassung des Betroffenen rechtfertigen könnten. Gleichwohl merkte sie am Ende ihres Gutachtens an, dass "aus psychiatrischer Sicht nun aber doch die Verlegung in den offenen Vollzug geboten und aus hiesiger Sicht auch zu verantworten (sei). Herr I hätte dann ausreichend Zeit, sich unter (langsam gelockerten) und vor allem etwas lebensnäheren Bedingungen zu bewähren."

Die Strafvollstreckungskammer hat daraufhin mit Beschluss vom 10. November 2004 die bedingte Entlassung des Betroffenen zwar abgelehnt, weil dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht zu verantworten sei, jedoch abschließend ausgeführt: "Die Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, dass eine Erprobung im offenen Vollzug sinnvoll ist und auch verantwortet werden kann. Dem schließt sich das Gericht an."

Diese Äußerungen nahm der Betroffene ersichtlich zum Anlass, mit Schreiben vom 15. November 2004 seine Verlegung in den offenen Vollzug zu beantragen. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Werl wies diesen Antrag mit Entschließung vom 9. Dezember 2004, näher begründet durch ergänzendes Schreiben vom 20. Januar 2005, zurück. Er ist (zusammenfassend) der Auffassung, dass das Missbrauchsrisiko unter Berücksichtigung aller prognoserelevanten Befunde deutlich erhöht sei und über das Normalmaß hinausgehe. Auch die Sachverständige T sei in ihrem Gutachten nicht zu einer positiven Einschätzung des Betroffenen gekommen. Die von ihr und der Vollzugsbehörde gewonnenen Erkenntnisse über die Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen seien im wesentlichen deckungsgleich. Lediglich die aus den festgestellten Fakten zu ziehenden Konsequenzen würden unterschiedlich beurteilt.

Den Widerspruch des Betroffenen wies der Präsident des Landesjustizvollzugsamts mit Bescheid vom 21. April 2005 unter Bezugnahme auf die Gründe der ablehnenden Entscheidung des Leiters der Justizvollzugsanstalt, des Gutachtens der Sachverständigen T vom 13. September 2004 und der Stellungnahme seines Fachdezernenten für den Psychologischen Dienst zurück.

Der Betroffene hat diese Entscheidung mit seinem rechtzeitig angebrachten Antrag auf gerichtliche Entscheidung angefochten und dazu ausgeführt, dass sich bereits aus dem Gutachten der Sachverständigen T und dem Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 10. November 2004 seine Eignung für den offenen Vollzug ergebe und eine Missbrauchsgefahr nicht bestehe. Die Strafvollstreckungskammer hat daraufhin die Sachverständige T beauftragt, den Betroffenen ergänzend zur Frage seiner Eignung für den offenen Vollzug zu begutachten. In ihrer Stellungnahme vom 18. Oktober 2005 kommt die Sachverständige dabei zu dem Ergebnis, dass bei einer Verlegung des Betroffenen in den offenen Vollzug aus psychiatrischer Sicht das Missbrauchs- und Fluchtrisiko vertretbar gering sei.

Mit Beschluss vom 26. November 2005 hat die Strafvollstreckungskammer die ablehnende Entscheidung der Vollzugsbehörde aufgehoben und diese verpflichtet, den Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Sie ist der Auffassung, dass nach dem Gutachten der Sachverständigen eine Verlegung des Betroffenen in den offenen Vollzug nicht nur vertretbar, sondern naheliegend sei. Mit diesem Gutachten, den für den Betroffenen sprechenden Umständen und insbesondere dem im Verfahren nach § 57 Abs. 1 StGB ergangenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 10. November 2004 habe sich die Vollzugsbehörde bisher nur unzureichend auseinandergesetzt. Dies sei im Rahmen der erneuten Bescheidung des Betroffenen zu berücksichtigen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Werl, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Er ist der Auffassung, dass die Strafvollstreckungskammer in unzulässiger Weise in den der Vollzugsbehörde zustehenden Beurteilungsspielraum eingegriffen und ihrer Entscheidung eigene Erwägungen und Feststellungen zu Grunde gelegt habe.

II.

Der Senat hat die in zulässiger Weise erhobene Rechtsbeschwerde gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG zugelassen, da es geboten ist, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.

Das Rechtsmittel ist auch begründet. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Verwerfung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung.

Die Unterbringung im offenen Vollzug als eine der wichtigsten Behandlungsmaßnahmen setzt neben der Zustimmung des Gefangenen seine Eignung sowie das Nichtbestehen einer Entweichungs- und Missbrauchsgefahr voraus (§ 10 Abs. 1 StVollzG). Der Vollzugsbehörde steht ein Beurteilungsspielraum zu, wenn sie einem Gefangenen die Vollzugslockerung wegen mangelnder Eignung oder der Befürchtung eines Missbrauchs versagen will (vgl. OLG Hamm, ZfStrVo 1984, S. 248). Sie hat hierbei die unbestimmten Rechtsbegriffe der Eignung und der Flucht- und Missbrauchsbefürchtung ermessensähnlich zu beurteilen. Dementsprechend beschränkt der der Vollzugsbehörde zustehende Beurteilungsspielraum die gerichtliche Kontrolle nach Maßgabe der für die Überprüfung von Ermessensentscheidungen geltenden Grundsätze des § 115 Abs. 5 StVollzG. Die Strafvollstreckungskammer hatte daher nur zu prüfen, ob die Vollzugsbehörde bei ihrer Entscheidung von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie bei ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat. Die gerichtliche Überprüfung findet insoweit nur unter Vertretbarkeitsgesichtspunkten statt. Das Gericht darf dabei die Prognose der Vollzugsbehörde nicht durch seine eigene prognostische und wertende Gesamtabwägung ersetzen (BGH NStZ 1982, S. 173; OLG Zweibrücken, ZfStrVO 1998, S. 179).

Die Strafvollstreckungskammer war deshalb schon nicht berechtigt, selbst ein Gutachten zur Frage der Verlegung des Betroffenen in den offenen Vollzug einzuholen. Wenn sie die auf der Grundlage des Widerspruchsbescheides ergangene Entscheidung der Vollzugsbehörde als fehlerhaft oder deren Begründung als unvollständig ansah, so hatte sie die angefochtene Entschließung ohne weitere eigene Ermittlungen aufzuheben und die Sache - wenn Entscheidungsreife nicht gegeben war - zur erneuten Bescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts an die Vollzugsbehörde zurückzuverweisen. In ihrer Entscheidung hätte die Strafvollstreckungskammer dann auch auf die Einholung einer ergänzenden Gutachtens durch die Vollzugsbehörde hinwirken können, das dann im Rahmen der erneuten Bescheidung des Betroffenen Berücksichtigung hätte finden müssen

Sie war allerdings nicht befugt, sich durch die Einholung eines von ihr selbst veranlassten Ergänzungsgutachtens eine neue Erkenntnisquelle zu verschaffen und auf dieser - veränderten - Grundlage die Entscheidung der Vollzugsbehörde zu überprüfen. In diesem Fall füllt sie den nur der Vollzugsbehörde zur Verfügung stehenden Beurteilungsspielraum in unzulässiger Weise mit eigenen Erwägungen aus. Schon aus diesem Grund kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben

Im übrigen hat die Strafvollstreckungskammer aber auch zu Unrecht die Ablehnung der Verlegung des Betroffenen in den offenen Vollzug beanstandet, denn die Entscheidung der Vollzugsbehörde ist auf der Grundlage eines zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalts ergangen und hält sich im Rahmen des ihr zur Verfügung stehenden Beurteilungsspielraums. Sie hat sich unter Beteiligung ihrer Fachdienste ausführlich mit der Persönlichkeit des Betroffenen und seiner - allerdings unter den "korsettierenden Bedingungen des geschlossenen Vollzuges" - beanstandungsfreien Führung in der Justizvollzugsanstalt Werl auseinandergesetzt und auch das im Verfahren nach § 57 Abs. 1 StGB erstattete Gutachten der Sachverständigen T in angemessener Weise einbezogen. Zu Recht hat die Vollzugsbehörde auch darauf verwiesen, dass sich ihre Beurteilung der Persönlichkeit des Betroffenen nur unwesentlich von den insoweit getroffenen Feststellungen der Sachverständigen unterscheidet. Beide gehen davon aus, dass es sich bei dem Betroffenen auch nach langem Strafvollzug weiterhin um eine schwer gestörte und brüchige, kaum therapiebereite Persönlichkeit handelt, bei der eine Entwicklung, die entscheidend das Rückfallrisiko minimieren würde, nicht feststellbar ist. Auch das beanstandungsfreie Verhalten des Betroffenen unter den besonderen Bedingungen des "korsettierenden" geschlossenen Vollzuges kann nicht als Parameter einer wirklichen Persönlichkeitsänderung angesehen werden. Zu Recht hat die Vollzugsbehörde ergänzend aber auch die Überlegung einbezogen, dass bei dem Betroffenen wegen der negativen Erfahrungen aus der Vergangenheit (neue Straftaten in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne, Ausbruch aus der Justizvollzugsanstalt Recklinghausen und anschließend neue Straftaten) ein unkalkulierbares Verhaltens- und längerfristig ein erhöhtes Fluchtrisiko bestehe.

Wenn die Vollzugsbehörde auf dieser - mit der Meinung der Sachverständigen weitgehend übereinstimmenden - tatsächlichen Grundlage zu einem von dem Gutachten abweichenden Ergebnis gelangt und wegen fortbestehender Missbrauchsgefahr die Verlegung des Betroffenen in den offenen Vollzug ablehnt, so ist diese Entscheidung jedenfalls vertretbar und im Rahmen der nur eingeschränkt zulässigen gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden. Es bestand für die Vollzugsbehörde auch kein Anlass, über die Beteiligung ihrer Fachdienste hinaus wegen der Verlegungsanregung noch ein ergänzendes externes Gutachten einzuholen. Diese Äußerung der Sachverständigen beruht ersichtlich auf deren Befürchtung, dass im Fall einer Entlassung des Betroffenen in die Freiheit aus dem geschlossenen Vollzug nach dann nahezu 14-jähriger Haftzeit dessen schnelles soziales Scheitern praktisch vorprogrammiert sei. Dieser Umstand mag zu bedenken sein. Angesichts der fortbestehenden schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung des Betroffen und der daraus sich abzeichnenden Missbrauchsgefahr hat die Vollzugsbehörde aber mit vertretbarer und nachvollziehbarer Begründung gleichwohl die Verlegung des Betroffenen in den offenen Vollzug abgelehnt, denn sie konnte angesichts der unverändert negativen Sozialprognose zu Recht davon ausgehen, dass sich der Betroffene jedenfalls zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung am 21. April 2005 - und nur darüber war im gerichtlichen Verfahren zu befinden - noch weitere 2 Jahre im Strafvollzug befinden werde.

Die Bedenken der Strafvollstreckungskammer, die Vollzugsbehörde habe sich auch nicht hinreichend damit auseinandergesetzt, dass in der gerichtlichen Entscheidung vom 10. November 2004 im Verfahren nach § 57 Abs. 1 StGB die Verlegung des Betroffenen in den offenen Vollzug befürwortet worden sei, sind unbegründet.

Zwar geht auch die Strafvollstreckungskammer bereits zu Recht davon aus, dass eine Bindungswirkung an diesen im Vollstreckungsverfahren ergangenen Beschluss ohnehin nicht besteht, denn den Vollstreckungsgerichten ist im Aussetzungsverfahren eine Überprüfung und Korrektur vollzuglicher Maßnahmen verwehrt, weil dies allein dem dafür vorgesehenen Verfahren nach §§ 109, 116 StVollzG vorbehalten ist (vgl. dazu ausführlich Senatsbeschluss vom 12. November 1999 - 1 Ws - L - 15 und 16/97 sowie Senatsbeschluss vom 26.10.2004 - 1 Ws (L) 10/04). Es bestand aber - jedenfalls hier - für die Vollzugsbehörde auch keine Veranlassung, sich mit der Entscheidung vom 10. November 2004 näher zu befassen. Den Gründen dieses Beschlusses ist nicht zu entnehmen, warum und aufgrund welcher Erwägungen das Vollstreckungsgericht die bedingte Entlassung zwar ablehnte, gleichwohl aber - ohne Begründung - eine positive Stellungnahme zu der vollzuglichen Frage einer Verlegung abgegeben hat. Mit dem hier in Bezug genommenen Gutachten der Sachverständigen T vom 13.09.2004 hat sich die Vollzugsbehörde aber hinreichend auseinandergesetzt.

Da die Sache somit entscheidungsreif ist, konnte der Senat gemäß § 119 Abs.4 S.2 StVollzG selbst entscheiden und den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 StVollzG.

Ende der Entscheidung

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