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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 03.04.2007
Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 113/07
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 56
Es gehört zu den Aufgaben einer Justizvollzugsanstalt, den Drogenmißbrauch möglichst einzuschränken. Hierfür sind Urinkontrollen unerläßlich, deren Anordnung gemäß § 56 Abs. 2 StVollzG zulässig ist, wenn damit auch Belange der Gesundheitsfürsorge verfolgt werden.
Beschluss

Strafvollzugssache

betreffend den Strafgefangenen O.B.

Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Vollzugsbehörde,

(hier: Abgabe einer Urinprobe).

Auf die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede I vom 23. Januar 2007 gegen den Beschluss der 4. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld als Strafvollstreckungskammer vom 30. Dezember 2006 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 03. 04. 2007 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Festsetzung des Geschäftswertes aufgehoben.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Betroffenen auferlegt.

Gründe:

I.

Der Betroffene verbüßt gegenwärtig eine mehrjährige Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede I. Im Rahmen der Fortschreibung des Vollzugsplanes forderte die Vollzugsbehörde den Betroffenen zur Abgabe einer Urinprobe für ein Drogenscreening auf. Um Manipulationsmöglichkeiten auszuschließen, sollte sich der Betroffene dazu vollständig entkleiden. Der Betroffene leistete dieser Weisung nicht Folge. Er empfand es bereits als Willkür, dass er sich überhaupt dieser Maßnahme unterziehen sollte, weil er zuvor weder strafrechtlich noch während des Vollzugs Auffälligkeiten im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln gezeigt hatte. Letztlich weigerte er sich aber, dieser Aufforderung Folge zu leisten, als ihm eröffnet wurde, dass er sich bei der Abgabe des Urins zum Ausschluss von Manipulationsmöglichkeiten vollständig entkleiden sollte. Unter solchen "menschenunwürdigen Umständen" sei er dazu nicht bereit. Es sei für ihn nicht tragbar, dass ihm jemand dabei zusehe, wie er in nacktem Zustand in einen Becher uriniere.

Wegen dieser Verweigerungshaltung des Betroffenen schränkte der Leiter der Vollzugsanstalt das Recht des Betroffenen auf gemeinsame Unterbringung während der Freizeit (§ 17 Abs. 2 StVollzG) ein und verhängte gegen ihn gemäß § 17 Abs.3 StVollzG die Vollzugsmaßnahme "Umschluß auf Antrag", weil angesichts des verweigerten Drogenscreenings nicht erkennbar sei, ob der Betroffene drogenabstinent lebe. Den Nachweis der Drogenfreiheit habe der Betroffene durch sein Verhalten selbst vereitelt, so dass ein hinreichender Anhaltspunkt dafür bestehe, dass er in der Anstalt zu dem Personenkreis gehöre, der mit Drogen in Berührung komme. Die Maßnahme sei erforderlich, um einer negativen Beeinflussung drogenabhängiger Inhaftierter untereinander und einer Verbreitung von Drogen entgegenzuwirken. Die Möglichkeit, am Umschluß teilzunehmen, werde dem Betroffenen aber auf seinen Antrag und nach entsprechender Prüfung, mit wem er seine Freizeit verbringen wolle, auch weiterhin gewährt.

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Widerspruch des Betroffenen wurde vom Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes zurückgewiesen. Sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte jedoch Erfolg. Die Strafvollstreckungskammer hob die beanstandete Vollzugsmaßnahme auf. Sie ist der Auffassung, es könne letztlich offen bleiben, ob die Pflicht aller Gefangenen zur Urinabgabe grundsätzlich einer rechtlichen Überprüfung Stand halte, denn jedenfalls gehe die in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede I praktizierte Art und Weise der Abgabe einer Urinprobe im Fall des Betroffenen über das Zumutbare hinaus. Die Abgabe von Urin unter Beobachtung stelle schon in bekleidetem Zustand für viele ein Problem dar. Zwar müsse angesichts der zahlreichen Manipulationsmöglichkeiten die "Reinheit" der Urinprobe gewährleistet sein, jedoch erhalte der gesamte Vorgang durch die "zusätzliche Komponente der Nacktheit" für die Gefangenen einen erniedrigenden und demütigenden Charakter, der einer konkreten Betrachtung im Einzelfall bedürfe. Da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass der Betroffene im Verdacht stehe, Drogen zu konsumieren, stelle die Aufforderung, sich völlig zu entkleiden, um dann nackt und unter den Augen eines Bediensteten zu urinieren, einen Eingriff dar, der nicht mehr verhältnismäßig sei. Weil der Betroffene deshalb die Urinabgabe am 10. Oktober 2006 zu Recht verweigert habe, hätte die Justizvollzugsanstalt dieses Verhalten nicht zum Anlass nehmen dürfen, das Recht des Betroffenen auf unbeschränkten Umschluß einzugrenzen.

Gegen diese Entscheidung der Strafvollstreckungskammer richtet sich die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt. Er ist der Auffassung, die Vollzugsbehörde sei gemäß § 56 Abs. 1 StVollzG verpflichtet, für die körperliche und geistige Gesundheit der Gefangenen zu sorgen. Die Anordnung einer Urinprobe stelle deshalb eine der Vorbereitung einer medizinischen Behandlung dienende notwendige Maßnahme des Gesundheitsschutzes dar. Auch sei die Drogenabstinenz des Betroffenen ein wesentliches Beurteilungskriterium bei der Fortschreibung des Vollzugsplanes. Der Betroffene sei schließlich verpflichtet, diese Maßnahme der Gesundheitsfürsorge gemäß § 56 Abs. 2 StVollzG auch dann zu unterstützen, wenn gegen ihn kein konkreter Verdacht auf einen verbotswidrigen Konsum von Betäubungsmitteln vorliege. Die Anordnung einer Urinabgabe im unbekleideten Zustand und unter Beobachtung eines Vollzugsbediensteten sei verhältnismäßig, weil auf diese Weise Manipulationsmöglichkeiten ausgeschlossen werden könnten. Wenn aber die Tatsache eines verweigerten Drogenscreenings im Ergebnis den Verdacht begründe, dass der Gefangene einen Drogenkonsum kaschieren wolle, sei ein schädlicher Einfluss auf andere Gefangene zu befürchten, dem mit der getroffenen Anordnung nach § 17 Abs.3 StVollzG wirksam und unter Wahrung der Verhältnismäßigkeitsgrundsätze begegnet worden sei.

II.

Die gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Senat hält ein klärendes Wort zu der Frage, ob und unter welchen Bedingungen bei Gefangenen Urinkontrollen angeordnet werden dürfen, für geboten. Zur Fortbildung des Rechts ist eine Rechtsbeschwerde auch dann zuzulassen, wenn zwar schon Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte vorliegen, eine weitere Entscheidung aber zu einer gefestigten Rechtsprechung beitragen kann (vgl. KG VRS 206, 297).

Die Anordnung der Vollzugsmaßnahme "Umschluß auf Antrag" ist nicht zu beanstanden, nachdem der Betroffene sich geweigert hatte, ein Urinprobe in unbekleidetem Zustand abzugeben.

1. Es gehört zu den Aufgaben einer Justizvollzugsanstalt, den Drogenmißbrauch möglichst einzuschränken. Hierfür sind Urinkontrollen unerläßlich, deren Anordnung gemäß § 56 Abs. 2 StVollzG zulässig ist, wenn damit auch Belange der Gesundheitsfürsorge verfolgt werden. Davon ist aber in der Regel auszugehen, denn die sich aus einer negativen Urinprobe ergebende Drogenfreiheit eines Gefangenen ist ein wesentliches Kriterium bei der Beurteilung seines Gesundheitszustandes und - im Zusammenhang damit - auch für die Fortschreibung des Vollzugsplanes von Bedeutung. Gleichwohl berührt diese Maßnahme aber nicht nur die gesundheitlichen Belange eines Gefangenen und seine Resozialisierung, sondern auch die Sicherheit des Strafvollzuges, die bei einem Gefangenen gefährdet wäre, der sich sogar unter den verschärften Bedingungen des geschlossenen Vollzuges Zugang zu Drogen verschafft hat. Dass die Abgabe einer Urinprobe aber noch weiteren Vollzugszielen dient, ist letztlich unerheblich, denn diese stehen nicht im Widerspruch zueinander, sondern bedingen sich gegenseitig (Senatsbeschluss vom 24. April 2003 - 1 Vollz (Ws) 49/02 -; KG Berlin, Beschluss vom 26. Januar 2006 - 5 Ws 16/06 Vollz -; OLG Zweibrücken, NStE Nr. 5 zu § 56 StVollzG; OLG Rostock, ZfStrVO 2005, S. 116). An der danach von der Vollzugsbehörde rechtmäßig angeordneten Maßnahme zu seinem Gesundheitsschutz hat der Gefangene aber gemäß 56 Abs. 2 StVollzG mitzuwirken und sie zu unterstützen.

Diese Mitwirkungspflicht eines Gefangenen besteht auch dann, wenn bei ihm bislang ein konkreter Verdacht auf einen Missbrauch von Betäubungsmitteln nicht besteht (vgl. Senatsbeschluß vom 4. April 2003 - 1 Vollz (Ws) 48/03), denn auch bei Inhaftierten, die bislang im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Betäubungs-mitteln nicht auffällig geworden sind, besteht die nicht fernliegende Gefahr, dass sie während des Vollzugs einer Haftstrafe erstmals mit Betäubungsmitteln in Berührung gekommen sein können.

2.

Die Abgabe einer Urinprobe war auch für den Betroffenen zumutbar. Insbesondere bedurfte es für diesen Vorgang nicht der Beaufsichtigung durch einen Arzt, da es sich hier um einen natürlichen Vorgang handelt, der eine spezielle medizinische Sachkenntnis nicht voraussetzt (OLG Koblenz, ZfStrVO 1990, S. 51). Wegen des Fehlens einer - unter medizinischen Gesichtspunkten zu beurteilenden - Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens und jeglichen Gesundheitsrisikos ist auch an der Verhältnismäßigkeit nicht zu zweifeln (vgl. OLG Oldenburg, NStZ-RR 2006, 28).

Es ist aber auch nicht zu beanstanden, wenn die Vollzugsbehörde die Abgabe der Urinprobe in einer Weise verlangt, die eine Manipulation durch den Gefangenen möglichst ausschließt. Deshalb bestehen keine Bedenken, dass der Betroffene die Urinprobe in unbekleidetem Zustand im Beisein eines Vollzugsbeamten abgeben sollte, der den Vorgang beobachtete (vgl. dazu OLG Zweibrücken, a.a.O.). Dabei handelt es sich um keinen Umstand, durch den in den vom Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde verbürgten Schutz vor solchen Verletzungen der Persönlichkeitssphäre, durch die zugleich der Mensch als solcher in seinem eigenen Wert, in seiner Eigenständigkeit berührt ist, eingegriffen wird. Zwar mag der Vorgang als solcher das Schamgefühl berühren und kann mit Unannehmlichkeiten verbunden sein. Durch die eingeforderte Abgabe von Urin wird der Betroffene aber nicht zu einem bloßen "Schauobjekt" erniedrigt. Die Maßnahme dient weder der Herabwürdigung noch sonstigen rechtlich zu missbilligenden Zwecken, sondern unmittelbar der Resozialisierung des Straftäters, an der die Allgemeinheit ein überragendes Interesse hat (vgl. BVerfG, NStZ-RR 2006, S. 189; BVerfG, Beschluß vom 9. Juni1993 2 BvR 368/92 - juris -; BVerfG, NJW 1993, S. 3315; KG, Beschluß vom 26. Januar 2006 5 Ws 16/06 Vollz - juris -).

Zwar könnten auch andere Maßnahmen, wie etwa die körperliche Untersuchung des Betroffenen, in Betracht kommen, um Manipulationen auszuschließen. Da in diesem Fall aber jedenfalls auch die Körperöffnungen des Betroffenen überprüft werden müssten, um Täuschungshandlungen vorzubeugen, würde eine solche Maßnahme einen körperlichen Eingriff und damit einen wesentlich gravierenderen Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Persönlichkeitsrecht eines Gefangenen darstellen.

3. Der angefochtene Beschluss war deshalb aufzuheben. Der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden, da im vorliegenden Fall nur die Verwerfung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung in Betracht kommt.

III. Einer Entscheidung des Senats über den Aussetzungsantrag des Leiters der Justizvollzugsanstalt bedurfte es nicht mehr, nachdem der Senat eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen hat.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 StVollzG.

Ende der Entscheidung

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