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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 06.05.2008
Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 154/08
Rechtsgebiete: StVollzG, StPO


Vorschriften:

StVollzG § 3 Abs. 1
StVollzG § 50
StVollzG § 50 Abs. 1
StVollzG § 50 Abs. 1 S. 5
StVollzG § 120 Abs. 2
StPO § 464 a Abs. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Festsetzung des Geschäftswertes aufgehoben.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Der Antragsteller verbüßt derzeit eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren wegen Totschlags. Im Anschluss daran ist eine Freiheitsstrafe von drei Monaten wegen Diebstahls zu vollstrecken. Das Strafende ist notiert auf den 07. April 2009.

Nachdem der Betroffene am 05. September 2007 aus dem offenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt C-M herausgenommen worden ist, er hatte am 19. August 2007 eine Flasche Wodka bei sich, befindet er sich seit dem 06. September 2007 in der Justizvollzugsanstalt T. Dort ging er im September keiner Arbeit nach.

Unter dem 05. Oktober 2007 hat die Leiterin der Justizvollzugsanstalt T gegen den Betroffenen für die Zeit vom 06. bis zum 30. September 2007 einen Haftkostenbeitrag in Höhe von 242,60 Euro erhoben, da dieser aufgrund eigenen Verschuldens nicht gearbeitet habe und nicht erkennbar sei, dass hierdurch seine Wiedereingliederung gefährdet werde.

Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller mit Schreiben vom 12. Oktober 2007 Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Erhebung von Haftkosten sei seiner Wiedereingliederung nicht förderlich. Angesichts bereits bestehender erheblicher Zahlungspflichten (Verbindlichkeiten gegenüber der Oberjustizkasse Hamm in Höhe von 16.899,49 Euro ) werde er bei seiner Entlassung mit Pfändungen rechnen müssen. Zum einen mache dies beim Arbeitgeber keinen guten Eindruck, zum anderen erhöhe dies nicht die Motivation zu arbeiten. Im Übrigen sei er im Juni 2007 Vater geworden und werde für seinen Sohn Unterhalt zahlen müssen und auch wollen. Vor der Verlegung in den offenen Vollzug habe er in der Justizvollzugsanstalt bei dem Unternehmen I gearbeitet, das mit seiner Arbeit zufrieden gewesen sei und ihn sofort wieder einstellen würde. Er könne sofort arbeiten, man lasse ihn aber nicht.

Die Leiterin der Justizvollzugsanstalt hat vorgetragen, aufgrund Arbeitsplatzmangels könnten nicht alle Gefangenen beschäftigt werden; der Antragsteller sei in einer Warteliste vermerkt.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer die Verfügung der Leiterin der Justizvollzugsanstalt, mit der sie einen Haftkostenbeitrag erhoben hat, aufgehoben, da nicht ersichtlich sei, dass diese in Ausübung ihres im Rahmen des § 50 Abs. 1 S. 5 StVollzG bestehenden Beurteilungsspielraums alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt habe und von dem richtigen Begriff der Notwendigkeit zur Wiedereingliederung im Sinne des § 50 Abs. 1 S. 5 StvollzG ausgegangen sei. Im einzelnen ist ausgeführt:

"Nach dem Willen des Gesetzgebers soll durch die "Resozialisierungsklausel" unter anderem die vorrangige Berücksichtigung unterhaltsberechtigter Angehöriger sichergestellt werden (vgl BT-Drs 14/6855, S 32). Dass die Antragsgegnerin dies erwogen hat, ist weder aus ihrer Entscheidung noch der im Verfahren abgegebenen Stellungnahme ersichtlich. Anlass zu einer entsprechenden Prüfung hätte insbesondere deshalb bestanden, weil der Antragsteller zwei minderjährige Kinder hat und ausdrücklich auf seine Unterhaltspflicht gegenüber dem jüngsten Sohn hingewiesen hat.

Darüber hinaus fehlt jegliche Auseinandersetzung damit, dass der Antragsteller bereits Zahlungspflichten gegenüber der Oberjustizkasse Hamm in Höhe von ####1,49 € hat. Vor diesem Hintergrund liegt die Annahme nahe, dass er auch in absehbarer Zeit keine Geldmittel haben werde, um diese Forderungen zu begleichen. Die Argumentation des Antragstellers, dass solche erhebliche Schulden seiner Resozialisierung nach seiner Haftentlassung nicht förderlich seien, ist daher durchaus naheliegend. Selbst wenn die Antragsgegnerin ihr nicht folgen sollte, hätte ihre Entscheidung einer vertieften Auseinandersetzung mit diesem Gesichtspunkt bedurft."

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde der Leiterin der Justizvollzugsanstalt T, der das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen beigetreten ist.

II.

Der Senat hat die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückweisung des Antrages auf gerichtliche Entscheidung, da die Strafvollstreckungskammer Bedeutung und Tragweite des § 50 Abs. 1 S. 5 StVollzG verkannt hat.

Nach § 50 Abs. 1 StVollzG erhebt die Vollzugsanstalt von dem Strafgefangenen einen Haftkostenbeitrag als Teil der Kosten der Vollstreckung der Rechtsfolgen einer Tat im Sinne des § 464 a Abs. 1 S. 2 StPO. § 50 StVollzG verwirklicht damit den strafprozessualen Grundgedanken, wonach ein Straftäter im Falle seiner Verurteilung die Kosten des gegen ihn geführten Strafverfahrens zu tragen hat (§ 465 Abs. 1 Satz 1 StPO), für den Bereich des Strafvollzugs. Zu den Kosten des Verfahrens rechnen nach § 464a Abs. 1 Satz 2 StPO auch die Kosten, die durch die Vollstreckung der Strafe entstehen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl. § 464 a Rdnr. 3).

Nach der gesetzlichen Grundkonzeption, die eine Angleichung der Haftsituation an die allgemeinen Lebensverhältnisse erreichen will (BTDrucks 7/918 S. 70), ist der Gefangene grundsätzlich an den Kosten seiner Haft zu beteiligen und zwar - den Aufwendungen für seinen Lebensunterhalt in Freiheit vergleichbar - nicht an sämtlichen, durch die Inhaftierung entstehenden Kosten, sondern allein an den Kosten für Unterkunft und Verpflegung ("Haftkostenbeitrag"; vgl. Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Aufl., § 50 Rdn. 2).

Bei der Auslegung und Anwendung des § 50 StVollzG ist allerdings das verfassungsrechtliche Gebot der Resozialisierung zu beachten. Dementsprechend ist von der Geltendmachung des Anspruchs abzusehen, wenn dies notwendig ist, um die Wiedereingliederung des Gefangenen in die Gemeinschaft nicht zu gefährden. Mit dieser so genannten "Resozialisierungsklausel" eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, bei Prüfung der Frage, ob gegen einen Strafgefangenen im Einzelfall Haftkosten festzusetzen sind, zu berücksichtigen, ob die Kostentragungspflicht im Sinne der Resozialisierung des Gefangenen kontraproduktiv ist. Von der Erhebung von Haftkosten soll insbesondere im Rahmen von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, zur Sicherung von Unterhaltsleistungen (vgl. BTDrucks 14/6855 S. 32), zur Ermöglichung einer Opferentschädigung oder zum Erhalt einer alsbald wieder zu beziehenden Wohnung abgesehen werden (Arloth/Lückemann, StVollzG, § 50 Rdnr. 9; Calliess/Müller-Dietz, a.a.O. § 50 Rdnr. 5; Matzke in Schwind/Böhm, StVollzG, 4. Aufl., § 50 Rdnr. 6; OLG Celle NdsRpfl 2008, 111; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 389).

Hinsichtlich dieser Frage steht der insoweit regelmäßig sachnäheren Justizvollzugsanstalt, wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend ausgeführt hat, ein prognostischer Beurteilungsspielraum zu mit der Folge einer lediglich eingeschränkten gerichtlichen Prüfungskompetenz. Die Gerichte haben hiernach die Entscheidung der Vollzugsanstalt nur im Umfang und nach Art einer Ermessensentscheidung zu prüfen, namentlich dahingehend, ob die Vollzugsanstalt die Grenzen des Beurteilungsspielraums durch eine nicht mehr vertretbare Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs überschritten hat, ob sie den zugrunde liegenden Sachverhalt unzutreffend oder unvollständig ermittelt hat, ob sie allgemeine Wertmaßstäbe missachtet hat oder sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen (vgl. Callies/Müller-Dietz, a.a.O., § 115 Rn. 22; OLG Celle a.a.O.; OLG Karlsruhe, a.a.O.).

Entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer ist unter Berücksichtigung dieser Grundsätze vorliegend die Entscheidung der Leiterin der Justizvollzugsanstalt insoweit, als eine Gefährdung der Wiedereingliederung des Gefangenen in die Gemeinschaft durch das Erheben von Haftkosten im Sinne von § 50 Abs. 1 Satz 5 StVollzG verneint wurde, nicht zu beanstanden, insbesondere sind die maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt worden.

Zwar ist der Strafvollstreckungskammer zuzugeben, dass durch die Regelung in § 50 Abs. 1 S. 5 StVollzG unterhaltsberechtigte Angehörige vorrangig Berücksichtigung finden sollen. Dass der Antragsteller aber tatsächlich und gegebenenfalls in welcher Höhe Unterhaltsverpflichtungen hat, ist von diesem nicht dargelegt worden. Er hat insoweit lediglich vorgetragen, er werde noch Unterhalt zahlen müssen und wollen. Daraus ergibt sich indes nicht, dass er derzeit Unterhalt leistet und diese Unterhaltszahlungen durch die Erhebung eines Haftkostenbeitrages gefährdet würden. Der pauschale Verweis auf bestehende Unterhaltspflichten genügt nicht, um zu einer Anwendung der Resozialisierungsklausel zu gelangen, so dass die Justizvollzugsanstalt auch nicht verpflichtet war, diesen Gesichtspunkt in ihre Ermessensentscheidung einfließen zu lassen. Im übrigen geht aus der Verfügung an die Zahlstelle der Justizvollzugsanstalt hervor, dass diese unter Berücksichtigung der Ansprüche unterhaltsberechtigter Angehöriger das Notwendige veranlassen soll, mit anderen Worten erfolgt die Einziehung des Haftkostenbeitrages nur dann, wenn solche Ansprüche nicht bestehen.

Es ist ebenfalls nicht zu beanstanden, dass die Leiterin der Justizvollzugsanstalt darauf abgestellt hat, dass allein das Vorhandensein von Verbindlichkeiten noch nicht dazu führt, dass nach der sog. Resozialisierungsklausel ein Haftkostenbeitrag nicht zu erheben ist. Andernfalls würden Inhaftierte gegenüber nicht in Haft befindlichen Schuldnern bevorzugt, die ebenfalls für ihren Lebensunterhalt aufkommen müssen (vgl. OLG Celle, a.a.O.). Nach § 3 Abs. 1 StVollzG soll das Leben im Vollzug aber den allgemeinen Lebensverhältnissen angeglichen werden. Demnach reicht der allgemeine Sachverhalt, dass jede finanzielle Besserstellung eines Gefangenen für seine Resozialisierung förderlich sein kann, für einen Verzicht auf die Haftkostenbeiträge nicht aus (Arloth/Lückemann, a.a.O., § 50 Rdnr. 9). Von daher war die Leiterin der Justizvollzugsanstalt vorliegend nicht gehalten, die bestehenden Verbindlichkeiten in Höhe von 16.899,49 Euro, bei denen es sich um Verfahrenskosten handelt, bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen, zumal es um Haftkosten in Höhe von lediglich 242,60 Euro geht und die Justizvollzugsanstalt Haftkosten auch maximal für einen Zeitraum von drei Monaten erhebt, so dass sich die Schulden nur in einem vertretbaren Rahmen erhöhen.

Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht die Entscheidung des OLG Karlsruhe (a.a.O.), da der dortige Sachverhalt sich in wesentlichen Punkten von dem hier zur Entscheidung stehenden Fall unterscheidet. Antragsteller im dortigen Verfahren war ein Gefangener, der sich bereits im 18. Jahr in der Sicherungsverwahrung befand und ohne konkrete Entlassungsperspektive war. Überdies waren inzwischen Haftkosten von mehr als 7.000 Euro angefallen und erhöhten sich mit jedem Monat weiter. Bei dieser Sachlage ist es sicherlich gerechtfertigt, wenn das OLG Karlsruhe davon ausgeht, bei einem Betroffenen, der weder über Einkünfte noch über Vermögen verfüge und bei dem völlig offen sei, wann er jemals die Justizverwaltungsabgabe werde erfüllen können, werde durch die - zumal wiederholte - Festsetzung von Haftkosten die Resozialisierung erschwert. Dieser Sonderfall ist jedoch nicht verallgemeinerungsfähig (vgl. auch die anders lautende Entscheidung des OLG Celle, a.a.O.).

Die Leiterin der Justizvollzugsanstalt ist daher frei von Rechtsfehlern zu dem Ergebnis gelangt, dass durch die Erhebung von Haftkosten die Wiedereingliederung des Betroffenen in die Gemeinschaft nicht gefährdet wird, so dass der angefochtene Beschluss aufzuheben war.

Angesichts der Tatsache, dass auch die übrigen Voraussetzungen für die Erhebung eines Haftkostenbeitrages vorliegen, insbesondere war der Betroffene schuldhaft ohne Arbeit, wovon auch die Strafvollstreckungskammer ausgegangen ist, war die Sache spruchreif, so dass der Senat den Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 120 Abs. 2 StVollzG.

Ende der Entscheidung

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