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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 14.12.2000
Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 162/00
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 70
Leitsatz:

Zur Gestattung des Besitzes eines Handmikrofons zum Erlernen einer Fremdsprache und zur Berücksichtigung des Gesichtspunktes des Vertrauensschutzes im Strafvollzug.


1 Vollz (Ws) 162/00 OLG Hamm Senat 1

Beschluss

Strafvollzugssache betreffend den Strafgefangenen V.S.,

wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizvollzugsbehörden, (hier: Verweigerung der Aushändigung eines Handmikrofons).

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 19. September 2000 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Krefeld vom 14. August 2000 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14.12.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Präsidenten des Justizvollzugsamtes Rheinland einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Krefeld zurückverwiesen.

Gründe:

Die Strafvollstreckungskammer hat mit dem angefochtenen Beschluss einen Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung gegen Maßnahmen der Vollzugsbehörden wie folgt beschieden:

"Mit seinem Antrag vom 22.03.2000 begehrt der Antragsteller, den Beteiligten zu verpflichten, dem Antragsteller die Benutzung eines Handmikrofons zu gestatten.

Zur Begründung seines Antrags trägt der Antragsteller vor: Er benötige das Handmikrofon, um die erlernten Fremdsprachen zu erhalten und zu erweitern. Es sei ihm auch zuvor ein Handmikrofon ausgehändigt worden. Ohne Handmikrofon könne er möglicherweise an den schulischen Maßnahmen nicht teilnehmen.

Gegen die Ablehnung der Aushändigung des Handmikrofons durch die Justizvollzugsanstalt hat der Antragsteller Widerspruch eingelegt.

Der Widerspruch wurde durch Bescheid des Präsidenten des Justizvollzugsamtes Rheinland vom 25.05.2000 abschlägig beschieden. Die Widerspruchsbehörde führt hierzu folgendes aus:

Die Entscheidung des Leiters der Justizvollzugsanstalt Willich I vom 07.03.2000, Ihren Antrag auf Aushändigung eines Handmikrofons abzulehnen, ist sachgerecht und nicht zu beanstanden.

Soweit Sie die Aushändigung eines Handmikrofons damit begründen, dass Sie dieses zum Erlernen von Fremdsprachen benötigen, ist diese Begründung für eine Zulassung eines solchen Gegenstandes im Strafvollzug nicht zutreffend. Selbst zum Erlernen von Fremdsprachen ist die Aushändigung und Benutzung eines Mikrofons nur zulässig, soweit im Rahmen der Teilnahme an fremdsprachlichen Lehrgängen, bei denen anerkannte Lehrprogramme auf Kassetten angeboten werden, die Benutzung eines Mikrofons unerlässlich ist.

Im übrigen dürfen auch Kassettenrecorder nur zugelassen werden, deren Mikrofone außer Betrieb gesetzt worden sind. Die Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung eines Mikrofons ist nicht auszuschließen.

Ihr Vorbringen, Sie seien bereits 1993 im Besitz eines Handmikrofons gewesen, entspricht - nach Überprüfung durch die Anstalt - nicht den Tatsachen, so dass auch der Grundsatz des Bestandsschutzes bei der Entscheidungsfindung nicht zu berücksichtigen war.

Der Beteiligte beantragt,

den Antrag des Antragstellers als unbegründet zurückzuweisen.

Der Beteiligte führt hierzu aus:

Zur Begründung nehme ich Bezug auf die Gründe des mit Bezugsschreiben vom 30.05.2000 übersandten Widerspruchsbescheides des Präsidenten des Justizvollzugsamts Rheinland vom 25.05.2000.

Der Antrag des Antragstellers ist zwar zulässig, musste aber als unbegründet zurückgewiesen werden. Die angefochtene Entscheidung des Beteiligten gibt ebenso wenig Anlass zur sachlichen Beanstandungen wie die Widerspruchsentscheidung des Präsidenten des Justizvollzugsamtes Rheinland. Der Beteiligte hat bei seiner Entscheidung über den Antrag des Antragstellers weder den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten noch von seinem pflichtgemäß auszuübenden Ermessen einen fehlerhaften Gebrauch gemacht. Der Beteiligte hat aufgrund zutreffender Erwägungen den Antrag des Antragstellers auf Aushändigung eines Handmikrofons zurückgewiesen. Er hat seine Entscheidung in nicht zu beanstandender Weise darauf gestützt, dass dieses lediglich zum Erlernen von Fremdsprachen nicht erforderlich ist und hervorgehoben, dass die Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung eines Mikrofons nicht auszuschließen sei. Sollte der Antragsteller im Besitz eines Handmikrofons gewesen sein, so war dies allein zum Erlernen von Fremdsprachen nicht zulässig. Ein erneuter Anspruch ergibt sich auf eine rechtswidrige Rechtsposition nicht.

Nach alledem halten sowohl der angefochtene Bescheid des Beteiligten als auch die Entscheidung der Widerspruchsbehörde der beantragten gerichtlichen Überprüfung stand mit der Folge, dass der Antrag des Antragstellers als unbegründet zurückzuweisen war."

Gegen diese Entscheidung richtet sich die in zulässiger Weise erhobene Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die einen zumindest vorläufigen Erfolg hat. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Krefeld.

Gemäß § 70 Abs. 1 StVollzG darf ein Strafgefangener Gegenstände zur Freizeitgestaltung in angemessenem Umfang besitzen. Um einen solchen Gegenstand handelt es sich auch bei dem von dem Betroffenen beantragten Handmikrofon. Die Strafvollstreckungskammer hat, den Erwägungen der Vollzugsbehörde folgend, den Antrag des Betroffenen u.a. mit der Begründung abgelehnt, dass die Benutzung des Handmikrofons die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährden könnte. Die Frage, ob der Betroffene schon früher im Besitz eines Handmikrofons gewesen ist, hat die Strafvollstreckungskammer dahingestellt sein lassen und ausgeführt, dass jedenfalls ein erneuter Anspruch auf eine rechtswidrige Rechtsposition sich nicht ergebe.

Diese Ausführungen sind rechtsfehlerhaft. Die Strafvollstreckungskammer hat das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gebot des Vertrauensschutzes nicht hinreichend beachtet. Zwar führt das Rechtsstaatsgebot und das aus ihm folgende Prinzip der Beachtung des Vertrauensschutzes nicht in jedem Fall zu dem Ergebnis, dass jegliche einmal erworbene Rechtsposition ungeachtet der wirklichen Rechtslage Bestand haben muss; es nötigt aber zu der an den Kriterien der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit ausgerichteten, im Einzelfall vorzunehmenden Prüfung, ob jeweils die Belange des Allgemeinwohls oder das Interesse des Einzelnen am Fortbestand einer Rechtslage, auf die er sich eingerichtet hat und auf die er vertraute, den Vorrang verdienen (vgl. BVerfG StV 96, 48). Diese von Verfassungs wegen gebotene Abwägung hat auch im StVollzG Geltung. Bei der auf den konkreten Einzelfall bezogenen Abwägung des Interesses der Allgemeinheit gegenüber dem Interesse des Strafgefangenen am Fortbestand der ihn begünstigenden Rechtslage ist zu berücksichtigen, dass nach dem Willen des Gesetzes (§ 2 Abs. 1 StVollzG) und von Verfassungs wegen das herausragende Ziel des Strafvollzugs die Resozialisierung oder Sozialisierung des Gefangenen ist und Gefangene gerade angesichts der Vielzahl vollzugsbedingter Beschränkungen auf den Fortbestand einer ihnen von der Anstalt einmal eingeräumten Rechtsposition in besonderem Maße vertrauen, solange sie mit dem ihnen durch die Einräumung der Rechtsposition entgegen gebrachten Vertrauen verantwortungsvoll umgegangen sind (vgl. BVerfG a.a.O.). Diese Grundsätze hat die Strafvollstreckungskammer bei ihrer Entscheidung außer Acht gelassen. Die Sache ist noch nicht spruchreif, da eine Sachentscheidung ohne weitere tatsächliche Aufklärung noch nicht möglich ist. Es ist bislang ungeklärt, ob und ggf. in welchem Zeitraum der Antragsteller im Besitz eines Handmikrofons gewesen ist und ob er damit verantwortungsvoll umgegangen ist oder ob es Anlass zu Beanstandungen gegeben hat.

Die angefochtene Entscheidung war daher schon aus diesem Grund aufzuheben und die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückzugeben.

Im übrigen weist der Senat darauf hin, dass - unabhängig von einem möglichen Bestandschutz - Versagungsgrund allein eine von dem Mikrofon ausgehende Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt wäre (§ 70 Abs. 1, Abs. 2 Ziffer 2 StVollzG). Soweit die Strafvollstreckungskammer in diesem Zusammenhang - dem Widerspruchsbescheid folgend - auf eine Missbrauchsmöglichkeit hinweist, fehlen auch hierzu nähere Feststellungen.

Die Erwägung, der Betroffene sei zum Erlernen einer Fremdsprache nicht auf ein Mikrofon angewiesen, rechtfertigt demgegenüber für sich allein die Versagung nicht.

Diesem Gesichtspunkt kann allenfalls bei der Abwägung Bedeutung zukommen, ob die Vollzugsanstalt bei Annahme einer Gefahr gehalten ist, dieser durch verstärkte Kontrollmaßnahmen zu begegnen.

Ende der Entscheidung

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