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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 30.11.2000
Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 203/00
Rechtsgebiete: StVollzG, GG


Vorschriften:

StVollzG § 108
StVollzG § 109
GG Art. 19 Abs. 4
Leitsatz:

In Strafvollzugssachen hat die Strafvollstreckungskammer den für erwiesen erachteten Sachverhalt, der ihrer rechtlichen Würdigung zugrunde liegt, in den Gründen des Beschlusses wenigstens in gedrängter Form unter Verzicht auf eine Bezugnahme darzulegen hat, damit eine rechtliche Überprüfung anhand der tatbestandlichen Feststellungen der Strafvollstreckungskammer ermöglicht wird.


1 Vollz (Ws) 203/00 OLG Hamm Senat 1

Beschluss

Strafvollzugssache betreffend den Strafgefangenen W.R.,

wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizvollzugsbehörden, (hier: Fortschreibung des Vollzugsplanes).

Auf das Prozesskostenhilfegesuch und die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 8. November 2000 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 28. September 2000 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 30.11.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Präsidenten des Justizvollzugsamtes Westfalen-Lippe beschlossen:

Tenor:

Das Prozesskostenhilfegesuch wird verworfen.

Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Festsetzung des Geschäftswertes aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg zurückverwiesen.

Gründe:

Der Antragsteller befindet sich derzeit zur Vollstreckung mehrerer Freiheitsstrafen in der Justizvollzugsanstalt Werl. Unter dem 25. April 2000 hat er einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 113 Abs. 1 StVollzG gestellt, mit welchem er beantragt hat, dem Leiter der Justizvollzugsanstalt Werl aufzugeben, eine von ihm am 29. November 1999 eingelegte Beschwerde zu bearbeiten bzw. weiterzuleiten und einen Vollzugsplan zu erstellen, der den gesetzlichen Anforderungen genüge. Er hat hierzu vorgetragen, der im Juli 1998 aufgestellte Vollzugsplan sei in einer Konferenz gemäß § 159 StVollzG vom 24. November 1999 fortgeschrieben worden. Da diese Fortschreibung des Vollzugsplanes keine Aussagen über eine Planung bis zum 2/3-Zeitpunkt enthalte, habe er am 29. November 1999 Beschwerde gegen diese Vollzugsplanfortschreibung eingelegt.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag des Beschwerdeführers als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung ihrer Entscheidung hat sie ausgeführt:

"Zwar kann der Antragsteller nach § 113 StVollzG gegen das Unterlassen einer Maßnahme einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen, wenn nach Ablauf von drei Monaten seit dem Antrag auf Vornahme der Maßnahme durch den Antragsgegner keine Entscheidungen getroffen worden sind.

Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor.

Die Vollzugsplanfortschreibung vom 24.11.1999 enthält einschließlich der Anlagen, auf die sie sich bezieht, die Regelungen, die von einem Vollzugsplan verlangt werden. Wenn der Antragsteller mit dem Vollzugsplan nicht einverstanden gewesen wäre, so hätte er gegen ihn oder einzelne Regelungen Widerspruch einlegen und nach einem abschlägigen Bescheid einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen müssen.

Der Antragsteller hat sich aber lediglich bei dem Antragsgegner "beschwert". Damit wollte er möglicherweise eine Neubescheidung erreichen. Unterlässt es dann die Vollzugsbehörde, einen weiteren Bescheid auf einen früher schon beschiedenen Antrag zu erteilen, so ist kein Raum für einen Vornahmeantrag. Vielmehr muß der Antragsteller - wie ausgeführt - die vorgesehenen Rechtsbehelfe ergreifen. Bleibt die Vollzugsbehörde, wie von dem Antragsteller vorgetragen, auf eine Beschwerde hin untätig, so kann er allenfalls im Wegen der Dienstaufsicht vorgehen. Anträge auf gerichtliche Entscheidung sind bei der vorliegenden Fallgestaltung unzulässig."

Die gegen diese Entscheidung gerichtete form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung vom Senat zugelassen worden.

Das Rechtsmittel hat auch einen zumindest vorläufigen Erfolg, weil der Beschluss der Strafvollstreckungskammer an einem durchgreifenden Mangel leidet. Die Entscheidungsgründe lassen nicht in der gebotenen Weise erkennen, welchen Sachverhalt das Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung unter Hinweis auf die Besonderheiten des revisionsrechtlich ausgestalteten Rechtsbeschwerdeverfahrens in Strafvollzugssachen ausgeführt, dass die Strafvollstreckungskammer den für erwiesen erachteten Sachverhalt, der ihrer rechtlichen Würdigung zugrunde liegt, in den Gründen des Beschlusses wenigstens in gedrängter Form unter Verzicht auf eine Bezugnahme darzulegen hat, damit eine rechtliche Überprüfung anhand der tatbestandlichen Feststellungen der Strafvollstreckungskammer ermöglicht wird (vgl. Senatsbeschlüsse vom 4. Juni 1998 - 1 Vollz (Ws) 25 u. 116/98 -, vom 8. Juli 1998 - 1 Vollz (Ws) 173/98 -, vom 22. April 1999 - 1 Vollz (Ws) 30, 43 - 46/99 -). Die Strafvollstreckungskammer hat deshalb das Begehren des Gefangenen, den Sachverhalt und die entscheidungserheblichen Tatsachen so vollständig wiederzugeben, dass anhand dieser Feststellungen eine rechtliche Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht möglich ist.

Diesen Anforderungen entspricht der angefochtene Beschluss nicht. Die Strafvollstreckungskammer geht in ihrer Entscheidung davon aus, dass es sich bei dem "Beschwerdeschreiben" des Betroffenen vom 29. November 1999 lediglich um eine Beschwerde i.S.d. § 108 StVollzG handelt, bei deren Nichtbescheidung nicht der Rechtsweg nach §§ 109 ff. StVollzG eröffnet ist. Eine Wiedergabe des Inhalts des Schreibens des Verurteilten vom 29. November 1999 erfolgt in dem angefochtenen Beschluss nicht. Dem Senat ist damit die Überprüfung verwehrt, ob es sich bei diesem Schreiben tatsächlich lediglich um eine Beschwerde i.S.d. § 108 StVollzG handelt oder ob dieses nicht vielmehr als Widerspruch nach dem Vorschaltverfahrensgesetz NW gegen die Fortschreibung des Vollzugsplanes auszulegen ist. Nach Art. 19 Abs. 4 GG hat jeder einen substantiellen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle in allen ihm von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Rechtszügen (BVerfG NJW 1973, 1491). Daraus folgt der allgemeine Rechtsgedanke, dass ein Irrtum in der Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels unschädlich ist. Eine "Rechtsmittelerklärung" ist demnach dahin auszulegen, dass der erstrebte Erfolg möglichst erreichbar ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 300 Rdnr. 3). Maßgebend sind der Gesamtinhalt der Verfahrenserklärungen und die Erklärungsumstände. Die danach vorzunehmende Auslegung ist dem Senat indes nicht möglich, da der Inhalt des Schreibens des Verurteilten nicht wiedergegeben ist. Wäre das Schreiben als Widerspruch zu deuten, so wäre bei Nichtweiterleitung bzw. Nichtbescheidung des Widerspruchs der Rechtsweg nach §§ 109 ff. StVollzG sehr wohl gegeben.

Im Übrigen gilt im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG der Grundsatz der Amtsermittlung (Untersuchungsgrundsatz). Das Gericht hat den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 8. Aufl., § 115 Rdnr. 2). Sollte der Strafvollstreckungskammer daher, worauf vieles hindeutet, das Schreiben des Verurteilten vom 29. November 1999 nicht vorgelegen haben, so wäre sie verpflichtet gewesen, dieses Schreiben von dem Leiter der Justizvollzugsanstalt Werl anzufordern. Wie bereits oben ausgeführt, ist eine Entscheidung über das Begehren des Antragstellers ohne Kenntnis vom Inhalt dieses Schreibens nicht sachgerecht möglich.

Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg zurückzuverweisen.

Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren konnte nicht bewilligt werden. Der Betroffene hat vorschussfreien Zugang zum Gericht. Er kann, wie er es tatsächlich auch getan hat, die Rechtsbeschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle erklären. Im vorliegenden Fall ist die Beiordnung eines Rechtsanwaltes auch nicht erforderlich, da der Betroffene seine Rechte ersichtlich selbst wahrnehmen kann.

Ende der Entscheidung

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