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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 13.05.2008
Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 257/08
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 2
StVollzG § 7
StVollzG § 74
StVollzG § 58
StVollzG § 115 Abs. 4 Satz 2
StVollzG § 116
StVollzG § 119 Abs. 4 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1.) Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.

2.) Der angefochtene Beschluß wird mit Ausnahme der Festsetzung des Geschäftswertes aufgehoben.

3.) Der Bescheid des Leiters der Justizvollzugsanstalt Bochum vom 10.11.2007 bzw. 15.11.2007 wird aufgehoben. Die Vollzugsbehörde wird angewiesen, den Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

4.) Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Landeskasse.

Gründe:

I.

Der vielfach vorbestrafte Betroffene, der bereits mehr als 20 Jahre in Strafhaft verbracht hat, ist durch Urteil des Landgerichts Koblenz vom 27.06.2000 wegen räuberischer Erpressung u.a. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Das Strafende ist - vorbehaltlich der Sicherungsverwahrung - auf den 08.07.2009 notiert.

Seit März 2006 nahm der Betroffene an einer externen Einzeltherapie mit dem Dipl.-Psychologen P teil, in der die strafrechtliche Vorgeschichte des Betroffenen sowie die tatbegleitenden Umstände und Risikofaktoren aufgearbeitet wurden. Nach Einschätzung des Therapeuten verlief die Therapie erfolgversprechend; es sei aber aufgrund der stereotypen situationsinadäquaten Reaktionsmuster des Betroffenen sowie der bei ihm bestehenden Verhaltensstereotypen eine Langzeittherapie indiziert.

Mit mündlicher Entscheidung vom 10.11.2007 - schriftlich dem Verteidiger des Betroffenen unter dem 15.11.2007 bestätigt - lehnte die Justizvollzugsanstalt die Fortführung der externen Therapie, in deren Rahmen bereits 40 Therapiestunden stattgefunden hatten, ab.

Zur Begründung beruft sie sich auf folgende Feststellung des Leiters der Haushaltsabteilung:

"Im Bereich der nicht hauptamtlich in der Gesundheitsfürsorge für Gefangene Tätige ist eine Kostenentwicklung im Laufe des Haushaltsjahres eingetreten, die dazu führte, dass ab 07.11.2007 sämtliche durch externe Therapeuten begonnenen Therapien bei Gewalt- und Sexualstraftätern eingestellt werden mussten. Die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel mussten zunächst für die fachärztliche Grundversorgung der Gefangenen verwendet werden. Eine Finanzierung weiterer dringlicher Vorhaben, wie die Beauftragung externer Therapeuten, ist derzeit nicht möglich."

Wann im Haushaltsjahr 2008 wieder entsprechende Mittel, kann die Justizvollzugsanstalt derzeit nicht vorhersagen.

Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 26.11.2007 erstrebt der Betroffene die Fortführung der begonnen Therapie.

Er ist der Ansicht, die Einstellung der Therapie aufgrund fiskalischer Zwänge sei rechtswidrig. Es sei nicht mit §§ 7 und 74 StVollzG vereinbar, wenn eine Maßnahme, die dem Ziel der Wiedereingliederung in die Gesellschaft diene und nach sorgsamer Abwägung für erforderlich gehalten worden sei, unvermittelt abgebrochen werde. Hinzukomme, dass die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum mit Beschluß vom 20.09.2007 seine bedingte Entlassung mit der Begründung abgelehnt habe, dass die angefangene Psychotherapie noch nicht beendet sei und seine weitere Entwicklung - bei Fortführung der Therapie - abzuwarten sei. Die, wenn auch ggbfs. nur vorübergehende, Einstellung der Therapie verstoße gegen die Grundsätze der Kontinuität und Regelmäßigkeit, ohne deren Beachtung keine entsprechenden Entwicklungsfortschritte zu erzielen seien.

Mit dem angefochtenen Beschluß vom 28.02.2008 hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen; zur Begründung hat sie ausgeführt, dass zwar die Beauftragung externer Therapeuten zur Behandlung von Gewalt- und Sexualstraftätern ein dringendes Vorhaben sei; vorliegend seien dem Vollzug aufgrund fehlender finanzieller Mittel jedoch schlicht die Hände gebunden.

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner rechtzeitig eingelegten Rechtsbeschwerde vom 18.04.2008, mit der er sein bisheriges Vorbringen im Wesentlichen wiederholt und vertieft.

Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen, da ein Zulassungsgrund im Sinne des § 116 StVollzG nicht vorliege.

II.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die der Senat zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen hat, führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer sowie des Bescheids der Vollzugsbehörde und zu deren Verpflichtung zur Neubescheidung des Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats.

1.)

Rechtsgrundlage für die Hinzuziehung eines externen Therapeuten ist § 58 StVollzG. Diese Vorschrift umfasst neben der eigentlichen Krankenbehandlung auch die Durchführung einer Verhaltens- oder Psychotherapie (KG NStZ 2006, 699; AK-StVollzG, 5. Aufl., § 58 Rdz.).

Danach steht dem Gefangenen ein subjektiv-öffentliches Recht auf gesundheitliche Betreuung im Rahmen sachgerechter Erwägungen zu. Dementsprechend ist die Entscheidung darüber, ob ein Facharzt oder Fachtherapeut einzuschalten ist, von den Anstaltsärzten nach ärztlichem Ermessen bzw. von sachkundigen Therapeuten im Rahmen eigenverantwortlicher Tätigkeit zu treffen.

Vorliegend haben die entsprechenden Fachmitarbeiter der Justizvollzugsanstalt die Voraussetzungen des § 58 StVollzG bejaht und bei dem Betroffenen die Notwendigkeit einer durch einen externen Therapeuten durchzuführenden Therapie für indiziert erachtet. Die Richtigkeit dieser Beurteilung hat der Senat nicht zu überprüfen; sie steht unter den Verfahrensbeteiligten nicht im Streit.

Werden die Voraussetzungen für die Hinzuziehung eines externen Facharztes oder - wie hier - Fachtherapeuten bejaht, hat der Gefangene grundsätzlich einen Anspruch auf Übernahme der Kosten durch den Staat, soweit er diese nicht selbst übernehmen kann und auch kein sonstiger freier Kostenträger hierfür einsteht.

Eine Aussetzung der Therapie kann dabei nicht allein allgemein auf fehlende finanzielle Haushaltsmittel gestützt werden und weil eine Therapie - was der Entscheidung der Justizvollzugsanstalt implizit zugrunde liegt - anders als etwa eine Behandlung im Fall einer lebensbedrohlichen Erkrankung "gefahrlos" zurückgestellt werden kann.

Nach § 2 StVollzG ist das vorrangige Ziel des Strafvollzugs die Resozialisierung des Gefangenen. Das BVerfG (E 98, 169, 200) hat dieses Ziel ausdrücklich anerkannt und bestätigt: Für die Freiheitsstrafe, bei der die staatliche Gewalt die Bedingungen der individuellen Lebensführung weitgehend bestimmt, erlangt das Gebot der Resozialisierung besonderes Gewicht. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Gebot aus dem Selbstverständnis einer Rechtsgemeinschaft entwickelt, die die Menschenwürde in den Mittelpunkt ihrer Wertordnung stellt und dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet ist. Dem Gefangenen sollen die Fähigkeit und der Wille zu verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden. Er soll sich in Zukunft unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch behaupten, ihre Chancen wahrnehmen und ihre Risiken bestehen können. Die Resozialisierung dient auch dem Schutz der Gemeinschaft selbst: Diese hat ein unmittelbares eigenes Interesse daran, dass der Täter nicht wieder rückfällig wird und erneut seine Mitbürger und die Gemeinschaft schädigt (vgl. BVerfGE 35, 202, 235 f). Dieses verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot bestimmt den gesamten Strafvollzug; es gilt auch bei der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Auch diesen Gefangenen sind Bedingungen zu bieten, unter denen sie ihre Lebenstüchtigkeit entfalten und festigen können. Persönlichkeitsschädigenden Auswirkungen des Freiheitsentzugs, vor allem deformierenden Persönlichkeitsveränderungen, ist entgegenzuwirken (vgl. BVerfGE 45, 187, 238). Entsprechendes muß für die Sicherungsverwahrung gelten. Auch der dort Untergebrachte kann der Freiheit wieder teilhaftig werden, wenn er nicht mehr gefährlich ist (§ 67d Abs. 2 und Abs. 3 StGB). Das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot ist für alle staatliche Gewalt verbindlich. Es richtet sich zunächst an die Gesetzgebung, der es aufgegeben ist, den Strafvollzug normativ zu gestalten (vgl. BVerfGE 33, 1, 10). Es verpflichtet den Gesetzgeber, ein wirksames Resozialisierungskonzept zu entwickeln und den Strafvollzug darauf aufzubauen. Das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot entfaltet seine Bedeutung freilich auch für Verwaltung und Rechtsprechung, wenn es gilt, unbestimmte Rechtsbegriffe oder Generalklauseln auszulegen, oder wenn der Gesetzgeber den Vollzugsbehörden ein Rechtsfolgeermessen eingeräumt hat.

Bei dieser überragenden Bedeutung des Resozialisierungsgebots dürfen jedenfalls bei Gewaltdelikten Kostenfragen für die (weitere) Durchführung einer bewilligten externen Therapie keine Rolle spielen (vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004, 61 und NStZ-RR 2004, 287). Insoweit ist die Justizvollzugsanstalt grundsätzlich nicht berechtigt, die weitere Durchführung der Therapie des Betroffenen allein aus allgemeinen fiskalischen Erwägungen abzulehnen. Die Justizvollzugsanstalt hat dabei entweder durch Umschichtungen in ihrem Haushalt oder durch die Beantragung weiterer Mittel bei der Landeskasse für die Finanzierung bewilligter externer Maßnahmen einzustehen. Ob eine Berufung auf mangelnde finanzielle Leistungsmöglichkeit im Einzelfall zulässig ist, wenn konkret eine Abwägung zwischen gleich bedeutenden Rechtsgütern erfolgt, hatte der Senat im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden, da die Vollzugsbehörde lediglich eine allgemeine, nicht näher spezifizierte Güterabwägung vorgenommen hatte.

Die Entscheidung der Vollzugsbehörde ist daher insoweit ermessensfehlerhaft. Deshalb waren sowohl die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer als auch die Bescheide der Vollzugsbehörden aufzuheben. Auf eine Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer war nicht zu erkennen, da die Sache in Ansehung der von ihr zu treffenden Entscheidung gemäß § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG spruchreif ist. Insoweit kommt nämlich wegen der Fehlerhaftigkeit des Bescheids der Vollzugsbehörde allein deren Aufhebung in Betracht.

Spruchreife bezüglich der Entscheidung der Vollzugsbehörde liegt allerdings nicht vor. Denn der Senat kann nicht beurteilen, ob aufgrund des inzwischen vergangenen Zeitraums und der weiteren Entwicklung in der Person des Betroffenen weiterhin die Voraussetzungen für die Bewilligung einer externen Therapie im Sinne des § 58 StVollzG vorliegen. Gleiches gilt für die Frage, ob aufgrund zwischenzeitlicher Veränderungen der anstaltsinternen Gegebenheiten die Möglichkeit eingetreten ist, eine Weiterführung der Therapie durch interne Kräfte zu gewährleisten. Die Justizvollzugsanstalt war daher anzuweisen, den Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden, § 115 Abs. 4 Satz 2 StVollzG.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 4 StVollzG i.V.m. §§ 467, 473 StPO.

Ende der Entscheidung

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