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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 03.07.2007
Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 387/07
Rechtsgebiete: StVollzG
Vorschriften:
StVollzG § 9 |
Beschluss
Strafvollzugssache
betreffend den Strafgefangenen J.Q.
wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Vollzugsbehörden, (hier: Ablehnung der Verlegung in eine sozialtherapeutische Abteilung).
Auf die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Aachen vom 31.05.2007 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen vom 3. Mai 2007 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 03. 07. 2007 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluß wird mit Ausnahme der Festsetzung des Geschäftswertes aufgehoben.
Der Bescheid des Leiters der Justizvollzugsanstalt Aachen vom 01.03.2006 und der Widerspruchsbescheid des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen vom 19.06.2006 werden aufgehoben.
Die Vollzugsbehörde wird angewiesen, den Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
Die Kosten des Verfahrens erster Instanz tragen der Antragsteller und die Landeskasse zur Hälfte. Im gleichen Umfange trägt die Landeskasse die notwendigen Auslagen des Antragstellers in der ersten Instanz.
Gründe:
I.
Der Antragsteller wurde mit Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 13.10.1994 wegen sexueller Nötigung, Vergewaltigung und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt, welche am 28.02.2009 verbüßt sein wird. Im Anschluss wird die gleichfalls angeordnete Sicherungsverwahrung vollstreckt werden.
Bereits im Jahre 2003 hatte der Antragsteller seine Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt beantragt. Dies wurde durch die Antragsgegnerin unter Hinweis auf seine fehlende Behandlungsfähigkeit abgelehnt. Das Landgericht Aachen hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung schließlich am 24.05.2005 verworfen, da der Antragsteller nicht bereit sei, mit dem Anstaltspsychologen der JVA zusammenzuarbeiten und deshalb therapieunfähig sei.
Am 16.01.2006 erfolgte die Fortschreibung des Vollzugsplans, in der erneut die Verlegung in eine sozialtherapeutische Abteilung nicht befürwortet wurde, da der Antragsteller nach wie vor unzureichend behandlungsfähig sei. Mit weiterem Schreiben vom 01.03.2006 lehnte die Antragsgegnerin die Verlegung des Antragstellers in eine sozialtherapeutische Anstalt nochmals schriftlich ab. Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Antragstellers wurde mit Bescheid des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes NW vom 19.06.2006 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach der letzten Entscheidung des Landgerichts Aachen vom 24.05.2005 seien Änderungen, die nunmehr eine Aufnahme in eine sozialtherapeutische Abteilung rechtfertigen würden, nicht eingetreten. Auch die zwischenzeitlich geführten Gespräche mit dem Anstaltsgeistlichen und einer ehrenamtlichen Betreuerin, einer ehemaligen Jahrespraktikantin, hätten keinen therapeutischen Hintergrund und seien somit nicht geeignet, die Behandlungsfähigkeit des Antragstellers nunmehr zu bejahen.
Mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 24.07.2006 hat der Antragsteller hiergegen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und im Wesentlichen ausgeführt, dass die letzte Beurteilung seiner Behandlungsfähigkeit aus dem Jahre 2004 resultiere und somit keine ausreichende Entscheidungsgrundlage darstelle. Mit Beschluss vom 13.11.2006 hat die Strafvollstreckungskammer eine externe Begutachtung des Antragstellers bei dem Sachverständigen Dr. Elmar Habermeier in Rostock in Auftrag gegeben und den Antragsgegner nach Eingang des Gutachtens mit Beschluss vom 03. 05.2007 verpflichtet, den Antragsteller in eine sozialtherapeutische Anstalt zu verlegen. Die Antragsgegnerin sei bei ihrer Entscheidung von einem unzureichend ermittelten Sachverhalt ausgegangen und hätte insofern die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums nicht eingehalten. Zur Frage, ob eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Abteilung angezeigt sei, hätte sich die Antragsgegnerin nicht nur auf die letztmalige Begutachtung aus dem Jahre 2004 stützen dürfen. Vielmehr habe sie unberücksichtigt gelassen, dass der Antragsteller in der Zwischenzeit Gespräche mit dem Anstaltsgeistlichen und einer ehrenamtlichen Betreuerin geführt und regelmäßig am Sozialen Training teilgenommen habe. Aufgrund dieser geänderten Umstände hätte sich die Antragsgegnerin verpflichtet sehen müssen, den Antragsteller erneut sachverständig begutachten zu lassen. Nach der nunmehr erfolgten Begutachtung des Antragstellers durch den Sachverständigen Dr. Habermeier reduziere sich der Beurteilungsspielraum der Antragsgegnerin auf Null. Dieser habe in seinem Gutachten festgestellt, dass von einer Behandlungsfähigkeit des Antragstellers auszugehen sei. Zwar fehle dem Antragsteller eine basale Konfliktlösungsstrategie sowie auch die Möglichkeit, eigene Anteile an Konflikten oder aber auch Gefühle von Ärger und Wut wahrzunehmen. Dementsprechend sei auch nicht innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren eine wesentliche Besserung zu erwarten. Jedoch könne gerade die sozialtherapeutische Behandlung dazu dienen, dem Antragsteller in einem klaren, verbindlichen und gerade deswegen auch tragfähigen Setting zumindest basale soziale Fertigkeiten zu vermitteln. Zwar ergäben sich bezüglich einer psychotherapeutischen Arbeit, insbesondere in Gruppensettings, einige Schwierigkeiten und begrenzte Erfolgsaussichten. Jedoch sei der Antragsteller prinzipiell durch psychotherapeutische bzw. sozialtherapeutische Maßnahmen erreichbar.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Rechtsbeschwerde, die entgegen der Vorschrift des § 118 Abs. 2 StVollzG zwar weder Verfahrens- noch Sachrügen enthält, sich nach ihrem Inhalt erkennbar aber auf eine Verletzung materiellen Rechts stützt. Die Strafvollstreckungskammer habe den Umfang der richterlichen Kontrolle durch die Beauftragung eines Sachverständigen überschritten. Dem Antragsgegner stehe bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angezeigt" eine Einschätzungsprärogative zu. Bereits aus diesem Grund sei die Kammer nicht befugt gewesen, eigenständig neue Tatsachen durch die Beauftragung eines Sachverständigen zu ermitteln, um eine eigene Entscheidung vorzubereiten. Darüber hinaus ergebe sich aus dem eingeholten Sachverständigengutachten auch keine Reduzierung des Beurteilungsspielraums auf Null. Das Sachverständigengutachten könne die Entscheidung der Vollzugsbehörde nicht ersetzen, sondern sei lediglich ein Hilfsmittel der Entscheidungsfindung.
II.
Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin ist sowohl zur Fortbildung des Rechts als auch zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nach § 116 Abs. 1 StVollzG zulässig.
Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache - zumindest einstweilen - Erfolg. Die angefochtene Entscheidung ist nicht frei von Rechtsfehlern.
Zwar hat die Strafvollstreckungskammer zutreffend darauf abgestellt, dass nach Maßgabe von § 9 Abs. 1 StVollzG ein Rechtsanspruch auf eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt besteht, wenn diese angezeigt ist. Die Strafvollstreckungskammer geht ferner zutreffend davon aus, dass dies dann der Fall ist, wenn keine allein in der Person des Antragstellers liegenden Versagungsgründe der Annahme einer Eignung entgegenstehen (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 27. August 2004, 3 Ws 845/04), namentlich fehlende Behandlungsbereitschaft, fehlende Behandlungsbedürftigkeit, Behandlungsunwilligkeit oder Behandlungsunfähigkeit (vgl. auch Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Aufl., § 9 Rdnr. 12). Rechtsfehlerhaft ist die angefochtene Entscheidung jedoch insofern, als die Strafvollstreckungskammer aufgrund letztlich eigener Prüfung und vorangegangener eigener Tatsachenermittlungen zu dem Ergebnis gelangt, eine Verlegung des Antragstellers in eine sozialtherapeutische Einrichtung sei angezeigt. Sowohl hinsichtlich des "Angezeigtseins" i.S.d. § 9 Abs. 1 StVollzG, als auch bei der dieser zugrunde liegenden Frage der Behandlungsfähigkeit, handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die durch eine prognostische Einschätzung ausgefüllt werden, wobei für die sachgerechte Ermittlung der Grundlage der Prognoseentscheidung die Sachnähe und das Erfahrungswissen der Vollzugsbehörden unentbehrlich sind (OLG Celle, Beschluss vom 20.04.2007, 1 Ws 91/07). Dieser der Vollzugsbehörde zustehende Beurteilungsspielraum hat zur Folge, dass das Vorliegen der maßgeblichen Voraussetzungen durch das Gericht nur eingeschränkt überprüfbar ist. Die Prüfungskompetenz des Gerichts ist hiernach darauf beschränkt, ob die Vollzugsbehörde von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten oder allgemeine Wertmaßstäbe missachtet hat oder ob sie sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen (Calliess/Müller-Dietz, § 115 Rdnr. 22). Ist die Sache nicht spruchreif, weil die Vollzugsbehörde den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt hat, ist der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Vollzugsbehörde zu verpflichten, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung der Strafvollstreckungskammer neu zu bescheiden, § 115 Abs. 4 StVollzG. Das Gericht darf die Prognose der Vollzugsbehörde nicht durch seine eigene ersetzen. Infolgedessen ist es auch nicht seine Aufgabe, Tatsachen selbst zu ermitteln, welche die angefochtene Entscheidung rechtfertigen könnten, von der Vollzugsbehörde aber bisher nicht berücksichtigt worden sind (BGHSt 30, 320; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur NStZ-RR 1997, 63).
Die Strafvollstreckungskammer war daher nicht befugt, sich durch Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens eine neue Erkenntnisquelle zu verschaffen und auf dieser - veränderten - Grundlage die Entscheidung der Vollzugsbehörde zu überprüfen. In diesem Fall füllt sie den der Vollzugsbehörde zustehenden Beurteilungsspielraum in unzulässiger Weise mit eigenen Erwägungen aus. Insoweit geht die Strafvollstreckungskammer im übrigen fehl, wenn sie die Auffassung vertritt, durch eine sachverständige Begutachtung werde die Einschätzung der Verwaltungsbehörde ersetzt, so dass der Beurteilungsspielraum auf Null reduziert sei und von einem unbestimmten Rechtsbegriff nicht mehr ausgegangen werden könne. Auch nach Einholung eines Gutachtens hat der Leiter der Justizvollzugsanstalt die Eignungsprüfung mit einer eigenen Wertung abzuschließen, wobei insbesondere das Verhalten des Antragstellers im Vollzug und die langjährig mit ihm gemachten Erfahrungen Berücksichtigung finden.
Die Strafvollstreckungskammer hat damit durch ihre Vorgehensweise den ihr zugewiesenen Prüfungsrahmen bezüglich der Entscheidung der Vollzugsbehörde überschritten, so dass allein aus diesem Grund die Entscheidung aufzuheben war.
Obgleich Fehler der Antragsgegnerin bei der Ausübung ihres Beurteilungsspielraums nicht erkennbar sind, war auch deren Entscheidung aufzuheben. Da durch die Einholung des Sachverständigengutachtens des Dr. Habermeier neue Erkenntnisquellen für die Beurteilung der Behandlungsfähigkeit des Antragstellers vorliegen, war die Antragsgegnerin zu verpflichten, unter Beachtung der geänderten Sachlage sowie der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden. Für die nunmehrige Beurteilung der Behandlungsfähigkeit weist der Senat darauf hin, dass sich wohl auch aus dem Gutachten des Dr. Habermeier keine Reduzierung des Beurteilungsspielraums auf Null ergeben dürfte, zumal auch dieser erhebliche Schwierigkeiten bei der psychotherapeutischen Behandlung des Antragstellers erwartet. Nicht zu beanstanden dürfte ferner die von der Antragsgegnerin erstmals in der Rechtsbeschwerde vertretene Auffassung sein, dass bei der Beurteilung der Behandlungsfähigkeit auch das Alter des Antragstellers zu berücksichtigen ist (Calliess/Müller-Dietz, § 9 Rdnr. 14).
III.
Einer Entscheidung über den Aussetzungsantrag des Leiters der Justizvollzugsanstalt bedurfte es nicht mehr, nachdem der Senat eine Entscheidung in der Sache getroffen hat.
IV.
Bezüglich der Kosten für das Verfahren erster Instanz hat der Senat dem zumindest einstweiligen Teilerfolg des Antrages auf gerichtliche Entscheidung entsprechend eine Quotelung vorgenommen (§ 121 Abs. 1, 4 StVollzG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung). Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens waren dem Antragsteller aufzuerlegen, § 121 Abs. 2 StVollzG.
Ende der Entscheidung
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