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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 30.08.2007
Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 543/07
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 13
Das Gesetz räumt den Vollzugsbehörden bei der Gewährung von Urlaub ein Ermessen ein, macht seine Ausübung aber davon abhängig, dass der zwingende Versagungsgrund der Flucht- oder Missbrauchsgefahr fehlt.
Beschluss

Strafvollzugssache

betreffend den Strafgefangenen K.J.

wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Vollzugsbehörde, (hier: Gewährung von Urlaub).

Auf die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Essen vom 4. Juli 2007 gegen den Beschluss der 5. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Essen vom 13. Juni 2007 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 30. 08. 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamts Nordrhein-Westfalen und des Betroffenen beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Betroffenen auferlegt.

Gründe:

I.

Der Betroffene verbüßt seit dem 7. August 2006 eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wegen Hehlerei und Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Im Anschluß daran steht eine weitere Freiheitsstrafe von 6 Monaten zur Vollstreckung an, die wegen Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung gegen ihn verhängt wurde. Aus dem offenen Vollzug, zu dem er sich am 15. August 2006 freiwillig gestellt hatte, wurde der Betroffene am 7. September 2006 wegen fehlender Eignung in den geschlossenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Essen verlegt.

Am 22. Februar 2007 beantragte der Betroffene die Gewährung von Urlaub für den Zeitraum vom 8. bis 18. März 2007. Diesen Antrag wies der Leiter der Justizvollzugsanstalt Essen am 15. März 2007 mit der Begründung zurück, dass sich der Betroffene nicht für die Gewährung selbständiger vollzuglicher Lockerungen eigne. Sein Verhalten sei weiterhin von Auseinandersetzungen sowie einer ausgeprägten Oppositionshaltung gegenüber dem Vollzug und allgemein anerkannten sozialen Verhaltensregeln gekennzeichnet. Es sei deshalb die Gefahr begründet, dass sich der Betroffene auch im Rahmen von vollzuglichen Lockerungen nicht an "Absprachen und Spielregeln" halten würde, so dass eine Missbrauchs- oder Fluchtgefahr nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden könne.

Bereits mit Schreiben vom 16. März 2007 legte der Betroffene gegen diese Entscheidung Widerspruch ein und beantragte außerdem noch am gleichen Tag bei der Strafvollstreckungskammer die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Urlaubsablehnung. Der Präsident des Landesjustizvollzugsamts hat mit Bescheid vom 2. April 2007 den Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Am 13. Juni 2007 wurde der Betroffene von der Strafvollstreckungskammer persönlich angehört. Dabei hat er - ersichtlich auf Anraten des Vorsitzenden - klargestellt, es gehe "in der Sache darum festgestellt zu wissen, dass die generelle Ablehnung der Urlaubseignung nicht rechtens ist". Deshalb beantrage er die Feststellung, dass die Ablehnung des Urlaubs für den beantragten Zeitraum rechtswidrig gewesen sei.

Die Strafvollstreckungskammer hat diesem Antrag des Betroffenen stattgegeben und "festgestellt, dass die Nichtgewährung von Hafturlaub (Anmerkung des Senats: Gemeint ist wohl die Gewährung von Hafturlaub) für den Zeitraum 8. - 18.03.2007 ermessensfehlerhaft versagt wurde."

Sie ist der Auffassung, dass die Vollzugsbehörde das ihr zustehende Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt habe. Der Betroffene habe sich zur Strafvollstreckung selbst gestellt und "in der Vergangenheit ... Vollzugslockerungen nicht missbraucht". Das für die Verlegung in den geschlossenen Vollzug ursächliche Fehlverhalten vom 5. September 2006 lasse nicht "reflexartig auf einen Missbrauch schließen". Es bestehe kein "Aspekt, warum der Gefangene bei der Gewährung von Urlaub weitere Beleidigungen aussprechen werde." Außerdem sei nichts dafür ersichtlich, dass der Betroffene Anweisungen der Vollzugsanstalt im Rahmen der Urlaubsgestaltung nicht befolgen werde. Die Vollzugsbehörde habe bei jedem gestellten Urlaubsantrag erneut zu prüfen und nach ihrem Ermessen zu entscheiden, ob eine Eignung bestehe, den Urlaub zu gewähren. Eine generell fehlende Urlaubseignung gebe es nicht.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt. Er ist mit näheren Ausführungen der Auffassung, die Strafvollstreckungskammer habe ihre Aufklärungspflicht verletzt, indem sie es unterlassen habe, selbst ausreichende Feststellungen zur fehlenden Urlaubseignung des Betroffenen zu treffen. Darüber hinaus habe die Strafvollstreckungskammer ihre Kompetenz bei der Prüfung von Lockerungsentscheidungen verkannt und überschritten. Bei der Einschätzung der Flucht- und Missbrauchsgefahr handele es sich um eine Prognoseentscheidung, die gerichtlich nur daraufhin zu überprüfen sei, ob die Vollzugsbehörde die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums eingehalten habe. Das sei hier aber der Fall. Der Strafvollstreckungskammer sei es dagegen verwehrt, eigene Ermessenserwägungen anzustellen.

Der angefochtene Beschluss verletze außerdem das materielle Recht. Der Betroffene sei in der Vergangenheit wiederholt wegen Körperverletzung, Bedrohung, Widerstandes gegen die Staatsgewalt und Nötigung strafrechtlich in Erscheinung getreten und begehe auch während des Strafvollzuges durch die Beleidigung und Bedrohung von Bediensteten permanent Straftaten. Ein Gefangener, der einschlägige strafrechtliche Vorbelastungen aufweise und während des Vollzuges in entsprechender Weise erneut massiv und unbelehrbar strafrechtlich in Erscheinung trete, sei aber wegen bestehender konkreter Missbrauchsgefahr urlaubsungeeignet. Vollzugslockerungen habe der Betroffene in der Vergangenheit gar nicht missbrauchen können, weil ihm solche bislang nicht gewährt worden seien. Da der Gefangene zudem auch noch jedes Gespräch mit Vollzugsbediensteten und letztlich auch jede Mitarbeit an der Erreichung des Vollzugszieles verweigere, könne unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt seine Lockerungseignung bejaht werden.

Der Präsident des Landesjustizvollzugsamtes hat sich der Rechtsbeschwerde ohne eigene rechtliche Ausführungen angeschlossen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Vollzugsbehörde ist gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG zulässig, weil dies zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist. Es bedarf der obergerichtlichen Nachprüfung, ob die Strafvollstreckungskammer den der Vollzugsbehörde bei der Ausgestaltung des Strafvollzuges gemäß § 13 StVollzG eingeräumten Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinreichend beachtet hat.

Die Rechtsbeschwerde hat mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts auch in der Sache Erfolg. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Beschlusses und zur Verwerfung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung.

1. Als Feststellungsantrag wäre das Begehren des Betroffenen allerdings bereits als unzulässig zu verwerfen, denn die Gewährung von Urlaub kann hier nicht im Wege einer Feststellungsklage erreicht werden.

Der ursprüngliche Antrag des Betroffenen, ihm für die Zeit vom 8. bis zum 18. März 2007 Urlaub zu gewähren, hat sich nicht durch bloßen Zeitablauf erledigt. Vielmehr kommt es dem Betroffenen ersichtlich (nur) darauf an, überhaupt Urlaub zu erhalten (vgl. OLG Hamm,Senatsbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 Vollz (Ws) 58/05 -; OLG Frankfurt, ZfStrVo SH 1979, S. 107; OLG Celle, ZfStrVo 1981, S. 57). In diesem Fall kann der Betroffene sein Begehren aber nur mit einer Verpflichtungsklage gerichtlich geltend machen (§ 109 Abs.1 S. 2 StVollzG). Den hier unzulässigen - offensichtlich aber auf Anraten des Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer ausdrücklich gestellten - Feststellungsantrag hat der Senat deshalb aus Fürsorgeerwägungen gemäß §§ 120 Abs. 1 StVollzG, 300 StPO als Verpflichtungsantrag ausgelegt und umgedeutet.

2. Als - danach zulässiger - Verpflichtungsantrag erweist sich das Begehren des Betroffenen in der Sache allerdings als unbegründet. Die von der Vollzugsbehörde vorgetragenen Gründe tragen die Ablehnung des Urlaubsantrages.

Nach § 13 Abs. 1 StVollzG kann ein Gefangener beurlaubt werden, wenn nicht zu befürchten ist, dass er sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder den Urlaub zu Straftaten missbrauchen werde (§ 13 Abs. 1 S. 2, § 11 Abs. 2 StVollzG). Das Gesetz räumt den Vollzugsbehörden damit bei der Gewährung von Urlaub ein Ermessen ein, macht seine Ausübung aber davon abhängig, dass der zwingende Versagungsgrund der Flucht- oder Missbrauchsgefahr fehlt (BGHSt 30, 320, 324 m.w.N.). Bei dieser gesetzlichen Einschränkung des den Vollzugsbehörden hier zugestandenen Ermessensspielraums handelt es sich nach einhelliger Auffassung um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der einer gerichtlichen Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich ist. Nach ständiger Rechtsprechung darf das Gericht die Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe der Eignung und der daran anknüpfenden Flucht- und Missbrauchsbefürchtung durch die Vollzugsbehörde nur darauf überprüfen, ob die Vollzugsbehörde von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt hat und ob sie die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums eingehalten hat (BGH a.a.O.; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschluss vom 7. Juni 2005 - 1 Vollz (Ws) 82/05 -). Eine gerichtliche Überprüfung findet insoweit nur unter Vertretbarkeitsgesichtspunkten statt. Dabei darf das Gericht die Prognose der Vollzugsbehörde nicht durch seine eigene prognostische oder wertende Gesamtabwägung ersetzen.

Vorliegend hat die Vollzugsbehörde aber überzeugend dargelegt, dass der Betroffene sich bisher in mehreren Strafvollzugsanstalten der Mitarbeit im Vollzug nicht nur verweigert hat, sondern in destruktiver, aggressiver und strafrechtlich relevanter Weise jede Zusammenarbeit mit der Vollzugsbehörde ablehnt und zu einer Auseinandersetzung mit den von ihm begangenen Straftaten und deren Aufarbeitung nicht bereit ist. Wer Resozialisierungsbemühungen der Anstalt aber durch ein solches Verhalten im Vollzug vereitelt, hat die daraus sich ergebenden berechtigten Zweifel an seiner Urlaubseignung selbst zu verantworten (OLG Hamm BIStV 1981, H.4/5, S. 14). Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, wenn die Vollzugsbehörde daraus den Schluß zieht, dass der vielfach - auch einschlägig - vorbestrafte Betroffene, der schon unter den Einschränkungen des geschlossenen Vollzuges jedes kooperative Verhalten vermissen läßt, sich auch im Falle einer Urlaubsgewährung nicht an diejenigen Auflagen und Weisungen halten wird, die von der Vollzugsbehörde mit der Gewährung von Urlaub aber zwangsläufig verbunden werden müssen.

Die ablehnende Entscheidung der Vollzugsbehörde steht auch in Einklang mit den zu § 13 StVollzG erlassenen Verwaltungsvorschriften. Diese stellen Entscheidungshilfen für den Anstaltsleiter dar, die als Richtlinien für eine gleichmäßige Handhabung sorgen sollen und von denen in gleichgelagerten Fällen ohne sachliche Gründe nicht abgewichen werden darf. Gemäß Ziffer 4 der VV zu § 13 StVollzG soll die Vollzugsbehörde bei ihrer Entscheidung über die Gewährung von Urlaub aber auch berücksichtigen, ob der Gefangene durch sein Verhalten im Vollzug die Bereitschaft gezeigt hat, an der Erreichung des Vollzugszieles mitzuwirken. Diesem Erfordernis trägt die ablehnende Entscheidung der Vollzugsbehörde angemessen Rechnung.

Die Vollzugsbehörde ist danach in vertretbarer und rechtlich nicht zu beanstandender Weise unter Beachtung der Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Betroffenen - jedenfalls zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung - die Voraussetzungen für die Gewährung von Urlaub nicht gegeben waren.

Einer Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer bedurfte es nicht, da die Sache entscheidungsreif ist und nur die Verwerfung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung in Betracht kommen kann.

Die von Rechtsanwältin B. überreichte Stellungnahme des Betroffenen vom 30. August 2007 hat vorgelegen. Sie gibt dem Senat zu anderer Beurteilung keinen Anlass.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 StVollzG.

Ende der Entscheidung

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