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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 23.06.2005
Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 60/05
Rechtsgebiete: StVollzG, SGB IV


Vorschriften:

StVollzG § 43
StVollzG § 43 Abs. 2
StVollzG § 43 Abs. 3
StVollzG § 43 Abs. 4
StVollzG § 43 Abs. 5
StVollzG § 43 Abs. 10 Nr. 1
StVollzG § 43 Abs. 11
StVollzG §§ 109 ff.
StVollzG § 200
SGB IV § 18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen (§ 116 Abs. 1 StVollzG).

Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet auf Kosten des Betroffenen verworfen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller verbüßt seit 1993 eine lebenslange Freiheitsstrafe, derzeit in der Justizvollzugsanstalt X. Unter dem 14. November 2004 beantragte er die Auszahlung einer Ausgleichsentschädigung gemäß § 43 Abs. 11 StVollzG mit der Begründung, dass hinsichtlich seiner individuellen Freiheitsstrafe Stichtag i.S.d. § 43 Abs. 11 StVollzG der 1. August 2003 gewesen sei. Mit Verfügung vom 15. November 2004 hat der Leiter der Justizvollzugsanstalt den Antrag zurückgewiesen. Da die gesetzliche Regelung des § 43 Abs. 11 StVollzG erst am 1. Januar 2001 in Kraft getreten sei, könne ein Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsentschädigung erst ab diesem Zeitpunkt entstehen. Stichtag für eine Ausgleichszahlung sei daher der 1. Januar 2011. Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller Widerspruch eingelegt, der durch Bescheid des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen vom 6. Dezember 2004 als unbegründet zurückgewiesen worden ist. Wie auch der Leiter der Justizvollzugsanstalt X hat der Präsident des Landesjustizvollzugsamtes sich darauf berufen, dass die gesetzliche Regelung erst am 1. Januar 2001 in Kraft getreten sei und somit erst seit diesem Zeitpunkt Gültigkeit habe.

Mit Schreiben vom 19. Dezember 2004 hat der Antragsteller Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 109 ff. StVollzG gestellt und beantragt, den Bescheid des Leiters der Justizvollzugsanstalt in der Form des Widerspruchsbescheides aufzuheben, festzustellen, dass der Auszahlungszeitpunkt nach § 43 Abs. 11 StVollzG auf die tatsächliche Verbüßung der lebenslangen Freiheitsstrafe festgelegt sei, festzustellen, dass bei der Berechnung des Jahreszeitraums die Untersuchungshaft mit anzurechnen sei sowie den Antragsgegner zu verpflichten, ihm eine Ausgleichsentschädigung in Höhe von 1.989,85 € auf seinem Eigengeldkonto gutzuschreiben und ihm seit dem Zeitpunkt der Fälligkeit die üblichen Schuldzinsen gutzuschreiben.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg hat den Antrag des Betroffenen mit Beschluss vom 16. März 2005 als unbegründet zurückgewiesen und dazu u.a. ausgeführt:

"Nach der Auffassung der Kammer ist der Wortlaut des § 43 Abs. 11 StVollzG eindeutig. Bei einem Gefangenen, bei dem eine Anrechnung der Freistellung nach § 43 Abs. 10 Nr. 1 StVollzG ausgeschlossen ist, wird die Ausgleichszahlung nach Verbüßung von jeweils 10 Jahren der lebenslangen Strafe zum Eigengeld gutgeschrieben. Grundsätzlich sind bei dem Antragsteller die Voraussetzungen erfüllt, da er eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt und ein Entlassungszeitpunkt noch nicht bestimmt ist.

Da die Vorschrift des § 43 StVollzG erst zum 1. Januar 2001 in Kraft getreten ist, können Ansprüche aus dieser Vorschrift vorher nicht entstanden sein. Das gilt auch für eine Ausgleichsentschädigung gem. § 43 Abs. 11 StVollzG. Können Ansprüche nach diesem Gesetz aber erst seit dem genannten Zeitpunkt entstanden sein, verbietet sich eine Berechnung der 10-Jahres-Frist bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe, die auf eine Verbüßungszeit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes abstellt. Damit würden diese Strafgefangenen im Vergleich zu anderen besser gestellt werden, da bei der Bemessung ihres Anspruchs auch auf Zeiten abgestellt werden würde, die vor dem 1. Januar 2001 liegen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von dem Antragsteller angeführten Erläuterung zur Bundesratsdrucksache. Denn ursprünglich war nach dem Gesetzentwurf des Landes Sachsen-Anhalt vorgesehen, eine Anrechnung insgesamt auszuschließen, soweit eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt wird. Erst durch eine Empfehlung des Rechtsausschusses des Bundesrates, die auf einen Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen zurückgeht, wurde die jetzt gültige Fassung des Gesetzes verabschiedet. Sollte ursprünglich also eine Ausgleichsentschädigung grundsätzlich ausgeschlossen sein, ist im Wege des Kompromisses eine Ausgleichsentschädigung für den Zeitraum von jeweils 10 Jahren beschlossen worden. Eine Besserstellung gegenüber anderen Strafgefangenen sollte damit nicht erreicht werden. Vielmehr sollte die aus dem ursprünglichen Entwurf sich ergebende Ungleichbehandlung von lebenslänglichen gegenüber anderen Strafgefangenen beseitigt werden.

Das bedeutet nicht, dass Ausgleichsentschädigungsansprüche grundsätzlich und in jedem Fall erst mit dem 1. Januar 2011 entstehen. Für Sonderfälle einer möglichen vorzeitigen Entlassung sieht Absatz 11 Satz 3 StVollzG ausdrücklich die Ausnahme vor, "soweit er nicht vor diesem Zeitpunkt entlassen wird". In Verbindung mit Absatz 10 Ziff. 2 entsteht dann eine anteilige Ausgleichsentschädigung, wenn bei einer vorzeitigen Entlassung eine punktgenaue Entlassung unter Berücksichtigung von Freistellungsansprüchen nicht erreicht werden kann."

Da nach Auffassung der Strafvollstreckungskammer der Antragsteller zum jetzigen Zeitpunkt keinen Anspruch auf Ausgleichsentschädigung hat, brauchte die Kammer nicht zu entscheiden, ob die Untersuchungshaft auf die 10-Jahres-Frist anzurechnen ist. Gleichwohl hat die Kammer die Auffassung geäußert, aufgrund der unterschiedlichen Entlohnung in der Untersuchungshaft und in der Strafhaft könne nach ihrer Auffassung Untersuchungshaft nicht in den Ablauf von 10 Jahren eingerechnet werden.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen.

II.

Die Rechtsbeschwerde war zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, da Anlass besteht, Leitsätze für die Auslegung des § 43 Abs. 11 StVollzG aufzustellen.

In der Sache hat die Rechtsbeschwerde indes keinen Erfolg, weil die Strafvollstreckungskammer zu Recht zum jetzigen Zeitpunkt einen Anspruch des Antragstellers auf Zahlung einer Ausgleichsentschädigung gemäß § 43 Abs. 11 StVollzG abgelehnt hat.

§ 43 StVollzG regelt in Verbindung mit § 200 StVollzG die Anerkennung geleisteter Pflichtarbeit der Gefangenen. §§ 43, 200 StVollzG wurden mit Wirkung vom 1. Januar 2001 grundlegend neu gefasst durch Art. 1 Nr. 2 und 9 des 5. Strafvollzugsänderungsgesetzes vom 27. Dezember 2000 (BGBl. I 2043). Die Neuregelung ist die Reaktion des Gesetzgebers auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli 1998 (BVerfG NJW 1998, 3337). Das Bundesverfassungsgericht hatte entschieden, dass das seit 1977 geltende Gefangenenarbeitsentgelt in Höhe von 5 % des Durchschnittseinkommens der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer nicht ausreiche, um die Pflichtarbeit der Strafgefangenen als wirksames Resozialisierungsziel auszugestalten. Entsprechend dem Gebot des Bundesverfassungsgerichts, eine Neuregelung zu schaffen, hat der Gesetzgeber mit der Änderung des Strafvollzugsgesetzes zum 1. Januar 2001 das Arbeitsentgelt der Gefangenen von 5 % auf 9 % der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV erhöht (§ 200 StVollzG). Ergänzend ist als besonderer Anreiz für eine kontinuierliche Arbeitsleistung eine nicht-monetäre Komponente der Anerkennung geleisteter Arbeit in Form von einem Tag zusätzlicher Freistellung von der Arbeit für zwei Monate zusammenhängender Tätigkeit gewährt worden; die Freistellung kann auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet oder - bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen - als Urlaub aus der Haft (Arbeitsurlaub) genutzt werden; für Ausnahmefälle, in denen die Anrechnung nicht möglich ist, ist eine Ausgleichsentschädigung in Form eines 15-%-igen Zuschlags zum Entgelt vorgesehen. Diese Neuregelung genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen gemäß der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli 1998 (BVerfG NJW 2002, 2023).

Danach bleibt festzuhalten, dass mit Wirkung zum 01.01.2001 die Gefangenenentlohnung durch eine monetäre und nicht-monetäre Leistung erhöht worden ist. Damit steht aber auch ebenfalls fest, dass der Gesamtkomplex der Erhöhung erst ab dem 1. Januar 2001 gilt. Ebenso wie ein Gefangener erst ab diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf ein Arbeitsentgelt in Höhe von 9 % der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV hat, besteht erst ab dem 1. Januar 2001 ein Anspruch auf die beschriebenen "Gut-Zeiten", und damit auch auf die Ausgleichsentschädigung gemäß § 43 Abs. 11 StVollzG. Würde man der Rechtsauffassung des Antragstellers folgen, so würde dies bedeuten, dass Gefangene auch für die Zeit vor dem 1. Januar 2001 ein höheres Arbeitsentgelt und zusätzliche freie Tage beanspruchen könnten. Dies wäre indes nur anzunehmen, wenn eine Rückwirkung des Gesetzes angeordnet worden wäre, was aber nicht der Fall ist. Zwar wird nach dem Wortlaut des § 43 Abs. 11 StVollzG die Ausgleichszahlung bereits nach Verbüßung von jeweils 10 Jahren der lebenslangen Freiheitsstrafe zum Eigengeld gutgeschrieben, wobei nichts über den Zeitpunkt des Beginns dieser Frist gesagt ist; dies war indes auch nicht erforderlich, da sich dieses von selbst versteht. Denn Ansprüche können erst ab dem Inkrafttreten eines Gesetzes bestehen. Nach alledem hat der Antragsteller keine Ansprüche für die Zeit vor dem 1. Januar 2001 (so auch im Ergebnis Arloth/Lückemann, StVollzG, § 43 Rdnr. 30; a.A., allerdings ohne jegliche Begründung, LG Frankfurt, NStZ 2005, 55).

Zu Recht hat die Strafvollstreckungskammer auch ausgeführt, dass die Untersuchungshaft auf die 10-Jahres-Frist ebenfalls nicht anzurechnen ist. Die Erhöhung der Gefangenenentlohnung durch das 5. Strafvollzugsänderungsgesetz gilt nämlich nicht für Untersuchungsgefangene. Für diese findet § 43 Abs. 2 - 5 StVollzG nur mit der Maßgabe Anwendung, dass die Eckvergütung weiterhin 5 % der Bezugsgröße beträgt. Die nicht-monetäre Komponente der zusätzlichen Freistellung (§ 43 VI - XI) gilt ebenfalls nicht für Untersuchungsgefangene (§ 177 S. 3 StVollzG). Diese unterschiedliche Entlohnung der Arbeit von Untersuchungsgefangenen und Strafgefangenen ist auch verfassungsgemäß (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. März 2004).

Nach alledem war die Rechtsbeschwerde mit der sich aus § 121 Abs. 2 StVollzG ergebenden Kostenfolge als unbegründet zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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