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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 14.02.2006
Aktenzeichen: 1 WF 2/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 127 II
BGB § 1603 Abs. 2
BGB § 1603 Abs. 2 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Dem Beklagten wird abändernd Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit er sich gegen die Zahlung von Trennungs- und Kindesunterhalt in Höhe von mehr als 260 DM monatlich für die Zeit von Oktober bis Dezember 2001, von mehr als 215 € monatlich für 2002, von mehr als 280 € monatlich für 2003, von mehr als 315 € monatlich für die Zeit von Januar 2004 bis Juni 2005 und von mehr als 265 € monatlich für die Zeit seit Juli 2005 wenden will.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die weiteren Entscheidungen im PKH-Verfahren werden auf das Amtsgericht übertragen.

Gründe:

Die gem. § 127 II ZPO zulässige Beschwerde hat zu einem geringen Teil Erfolg; im wesentlichen ist sie unbegründet.

Die Rechtsverteidigung des Beklagten hat im Rahmen der im PKH-Verfahren gebotenen großzügigen und summarischen Prüfung zum Teil hinreichende Aussicht auf Erfolg.

1.

Im Rahmen der gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern nach BGB § 1603 Abs 2 muß der Unterhaltspflichtige trotz vollschichtiger Erwerbstätigkeit weitergehende Anstrengungen erbringen, um zumindest den Mindestunterhalt der Kinder leisten zu können. Ein verschärft haftender Elternteil ist deshalb zu erheblichen Anstrengungen, etwa zur Aufnahme von Gelegenheits- und Aushilfsarbeiten und Hinzuverdienst in den Morgenstunden oder durch Heimarbeit an freien Tagen, verpflichtet, andernfalls sind ihm unterhaltsrechtlich entsprechende fiktive Einkünfte zuzurechnen (z.B. OLG Hamm, 5. FS, FuR 2001, 559-560).

Diese Zurechnung fiktiver Einkünfte neben einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit setzt, wovon das Amtsgericht auch ausgegangen ist, auch im Falle einer gesteigerten Unterhaltsverpflichtung gem. § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB eine Prüfung der Zumutbarkeit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles voraus. Sie kommt nach verbreiteter Auffassung nicht in der Regel, sondern nur ausnahmsweise in Betracht (aus jüngerer Zeit etwa OLG Hamm, 2. FS, FamRZ 2005, 649 f; OLG Nürnberg, FamRZ 2005, 1502-1504). In diesem Zusammenhang wird auch die Auffassung vertreten, es sei dem Unterhaltspflichtigen in der Regel nicht zumutbar, hiergegen arbeitsgerichtlich vorzugehen, soweit der Arbeitgeber eine für eine Nebenbeschäftigung erforderliche Genehmigung nicht erteilt (OLG Hamm, a.a.O.). Das Amtsgericht hat insoweit zugunsten der Klägerin bei der Bescheidung ihres PKH-Antrags mögliche Nebeneinkünfte des Beklagten in Höhe von 100 €/200 DM unterstellt, was nicht zu erinnern ist und auch nicht angegriffen wird. Diese zugunsten der Klägerin bei der großzügigen Prüfung ihres PKH-Antrags vorgenommene Unterstellung kann indessen nicht tragen, daß die Rechtsverteidigung des Beklagten keinen Erfolg haben werde. Die Klärung der hinsichtlich der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen streitigen Fragen sprengt den Rahmen des PKH-Verfahrens. Ob und in welchem Umfang dem Beklagten fiktive Nebeneinkünfte zuzurechnen sind, wird der Klärung im Hauptverfahren vorbehalten bleiben müssen.

In diesem Umfang hatte die Beschwerde Erfolg; die vom Amtsgericht angenommene, für Unterhaltszwecke zur Verfügung stehende Masse war um 200 DM/100 € zu verringern und dem Beklagten insoweit abändernd Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Die weitergehende Beschwerde war demgegenüber erfolglos.

2.

Soweit der Beklagte der Ansicht ist, bei der Ermittlung seiner Leistungsfähigkeit seien die unterhaltsrechtlichen Leitlinien des OLG Celle, in dessen Bezirk er wohne, zugrundezulegen, stimmt der Senat ihm bedingt zu. Denn bei den unterhaltsrechtlichen Leitlinien handelt es sich um Empfehlungen, um in einer Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle zur Erzielung eines hohen Maßes an Einheitlichkeit bei gleichzeitiger Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit billige Ergebnisse zu erreichen, keineswegs aber um bindende Richtlinien. Andererseits entspricht es auch der Praxis des Senats, sich hinsichtlich des Bedarfs an den für den Wohnort des Unterhaltsberechtigten geltenden unterhaltsrechtlichen Empfehlungen zu orientieren und hinsichtlich der Leistungsfähigkeit an denjenigen, die für den Wohnort des Unterhaltspflichtigen gelten. Denn jedenfalls, soweit die Leilinien tatsächliche Umstände wiedergeben, wie Bedarfssätze und Selbstbehaltsbeträge und dafür maßgebliche Einzelparameter, tragen die örtlichen Leitlinien die Vermutung in sich, daß sie die lokalen Verhältnisse am zutreffendsten wiedergeben. Soweit indessen Rechts- und Beweisfragen im Vordergrund stehen, können die örtlichen Leitlinien dem erkennenden Gericht die Entscheidung ebensowenig abnehmen, wie die Leitlinien des OLG Hamm. Dazu zählt die Frage, ob das Gericht sich hinsichtlich der notwendigen berufsbedingten Aufwendungen überhaupt an Leitlinien orientieren will oder ob es im Einzelfall nicht die allgemeinen Grundsätze der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast anzuwenden hat. Dies hängt von der jeweiligen tatrichterlichen Würdigung ab. Deshalb ist es nicht unter Hinweis auf die insoweit großzügigeren Leitlinien des OLG Celle zu erinnern, wenn das Amtsgericht dem Beklagten einen konkreten Nachweis seiner notwendigen berufsbedingten Aufwendungen abverlangt. Diesen konkreten Nachweis hat er bislang nicht erbracht. Auch sein Vortrag im Beschwerdeverfahren genügt den an ein substantiiertes Vorbringen zu stellenden Anforderungen nicht. Ein Beweisantrag "Sachverständigengutachten" kann konkreten Sachvortrag nicht ersetzen.

3.

Nach wie vor diffus ist sein Sachvortrag zur Tilgung eheprägender Verbindlichkeiten in Höhe von monatlich 80 DM/40,90 €. Bislang ist lediglich ein beide Parteien betreffender Darlehnsvertrag mit der Kreissparkasse I aus dem Jahr 1993 vorgelegt worden, der indessen seit Januar 1998 getilgt sein müßte. Ferner liegt die Kopie eines Schreibens vor, wonach auf ein auf den Namen des Beklagten lautendes Konto seit 1999 in unregelmäßigen Abständen 40,90 € gezahlt würden. Dieses weist indessen eine andere Kontonummer auf als das Darlehnskonto des erstgenannten Vertrages. Wenn der Beklagte entsprechend seinem Beschwerdevorbringen selbst nicht weiß, welche Verbindlichkeit damit getilgt wird, kann ihm im Rahmen der Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit diese Unklarheit nicht zum Vorteil gereichen. Daß Tilgungsleistungen, die nur seinen Interessen zugutekommen, nicht den ohnehin nur teilweise erfüllten Unterhaltsanspruch der Klägerin und der Kinder in Frage stellen können, liegt auf der Hand. Bei alledem enthalten derartige Zahlungen nicht nur einen Zins-, sondern auch einen Tilgungsanteil. Letzterer wäre ohnehin in Abzug zu bringen, soweit der Mindestunterhalt nicht sichergestellt ist.

4.

Soweit der Beklagte sich gegen die Versagung der Erfolgsaussichten hinsichtlich seines Verwirkungseinwands wenden will, wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen, die durch das Beschwerdevorbringen nicht ausgeräumt werden. Um dem Umstandsmoment genüge zu tun, ist ein zurechenbares Verhalten auf seiten der Anspruchsteller erforderlich, aufgrund dessen sich der in Anspruch genommene billigerweise darauf einstellen kann, daß seine Inanspruchnahme nicht mehr erfolge. Es ist ihm in diesem Zusammenhang indessen nicht gegeben, seinerseits durch Zuwarten und weigerliches Verhalten auf die Inanspruchnahme hin in sich die Überzeugung aufzubauen, nun werde er nicht mehr in Anspruch genommen. Das wäre der typische Fall der gesetzlich geregelten Verjährung, nicht das aus Billigkeitserwägungen heraus geschaffene Rechtsinstitut der Verwirkung.

5.

Die Prozesskostenhilfebewilligung für die Klägerin ist für den Beklagten nicht anfechtbar.

Ende der Entscheidung

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