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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 11.11.2003
Aktenzeichen: 1 Ws (L) 19/03
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 57 a
Zur Frage, wann in sogenannten "Altfällen" über die besondere Schwere der Schuld und die "Gebietensfrage" zu entscheiden ist.
Beschluss

Strafvollstreckungssache

gegen I. M.

versuchten Mordes u.a.,

(hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Zurückweisung seines Antrages auf Festsetzung der gebotenen Mindestverbüßungszeit).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 8. August 2003 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen vom 28. Juli 2003 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11. 11. 2003 durch den Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.

Gründe:

Das Landgericht München hat den Verurteilten am 22. Februar 1995 wegen versuchten Diebstahls, schwerer Brandstiftung und wegen versuchter schwerer Brandstiftung zusammen mit versuchtem Mord in zwei Fällen zu lebenslanger Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. 15 Jahre der verhängten Freiheitsstrafe wird er am 11. Oktober 2008 verbüßt haben.

Mit Beschluss vom 18. September 2000 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen den Antrag des Beschwerdeführers zu bestimmen, ob und ggf. für welche Dauer die besondere Schwere der Schuld die weitere Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe gebietet, als unzulässig zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 3. Juni 2003 hat der Verurteilte erneut beantragt, eine Entscheidung über die Frage, ob die besondere Schwere der Schuld vorliegt, zu treffen. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen hat daraufhin mit Beschluss vom 28. Juli 2003 wiederum den Antrag des Verurteilten als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich dessen form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde vom 8. August 2003, zu deren Begründung er geltend macht, er habe im Hinblick auf eine Entscheidung gemäß § 456 a StPO bereits zum heutigen Zeitpunkt ein berechtigtes Interesse daran, festgestellt zu wissen, bis wann eine Vollstreckung der gegen ihn verhängten Strafe unter dem Gesichtspunkt der Schuldschwere geboten erscheint.

Das Rechtsmittel ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag des Betroffenen zu Recht als unzulässig verworfen. Der Verurteilte hat nämlich jedenfalls zurzeit keinen Anspruch auf die von ihm gewünschte Festsetzung, bis wann die Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe unter dem Gesichtspunkt der besonderen Schwere der Schuld fortzusetzen ist, bzw. auf Feststellung, dass die Schuldschwere in seinem Fall keine über 15 Jahre hinausgehende Verbüßungszeit erfordere.

Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass im Regelfall über die Schwere der Schuld und über die Gebietensfrage nach Ablauf von etwa 13 Jahren (§ 454 Abs. 1 Nr. 2 b StPO) einheitlich zu befinden ist (vgl. Beschluss vom 31. August 1993 - 1 Ws (L) 13/93 -; Beschluss vom 15. Mai 1997 - 1 Ws (L) 4/97 -). Zwar mag gelegentlich bei besonderen Umständen hiervon abweichend auch eine frühere Überprüfung der hier in Rede stehenden Frage möglich und geboten sein, wenn aufgrund besonderer, den weiteren Vollzug der Strafhaft betreffender, Umstände eine vorgezogene Entscheidung über die Schwere der Schuld angezeigt ist. Solche Umstände sind hier aber nicht ersichtlich. Sie ergeben sich insbesondere nicht daraus, dass der Verurteilte als britischer Staatsangehöriger den Antrag gestellt hat, von der weiteren Strafvollstreckung gemäß § 456 a StPO abzusehen. Denn die Entscheidung über das Absehen von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe nach § 456 a StPO und die Feststellung der aus Schuldschweregesichtspunkten gebotenen Mindestverbüßungszeit sind zwei völlig verschiedene Verfahrensweisen, die nicht rechtlich miteinander verknüpft sind. § 456 a StPO enthält gerade eine Ausnahme von der aus dem Legalitätsprinzip abzuleitenden Pflicht, rechtskräftige Strafurteile in den durch § 57 a StGB gezogenen Grenzen zu vollstrecken. Demgemäß bewirkt ein "Mehr an Schuld" gegenüber dem für eine lebenslange Freiheitsstrafe erforderlichen "Regelmaß" keine "automatische" Verlängerung der zulässigen Vollstreckungsdauer (OLG Frankfurt, NStZ 1993, 303). Zwar hat die Staatsanwaltschaft München II als Vollstreckungsbehörde den Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 456 a StPO mit der Begründung abgelehnt, es müsse zunächst festgelegt werden, bis wann die Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe aus Gründen der besonderen Schwere der Schuld fortzusetzen sei. Die Frage, ob diese Entscheidung zu Unrecht getroffen worden ist, kann aber nur im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG geklärt werden. Im Übrigen ist die Beurteilungsgrundlage für die Gesamtabwägung im Rahmen des § 456 a StPO zumindest in gleichem Maße der Möglichkeit einer Veränderung unterworfen wie diejenige für das "Gebotensein" i.S.d. § 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB. So ist in die Abwägung der Vollstreckungsbehörde z.B. das Vollzugsverhalten des Verurteilten einzustellen, das allenfalls und auch nur bedingt prognostiziert werden kann. Überdies kann sich das Gewicht einzelner Gesichtspunkte zu anderen, insbesondere zur Tat- und Schuldschwere im weiteren Verlauf der Vollstreckung verändern (vgl. OLG Frankfurt a.a.O.). Angesichts dessen liegen hier keine besonderen Umstände vor, die es ausnahmsweise rechtfertigen könnten, schon nach zehnjähriger Verbüßungsdauer die unter Schuldschweregesichtspunkten erforderliche Mindestverbüßungszeit festzusetzen.



Ende der Entscheidung

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