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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 27.06.2006
Aktenzeichen: 1 Ws 431/06
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 56f
StPO § 140
Zu den Anforderungen an die Bestimmtheit einer als Bewährungsauflage gemachten Arbeitsauflage und zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren.
Beschluss Strafsache

gegen U.J.

wegen Hehlerei und unerlaubten Waffenbesitzes, (hier: Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung und Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 9. Mai 2006 gegen den Beschluss der 6. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund vom 3. Mai 2006 und auf seinen Antrag auf Beiordnung seines bisherigen Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger vom selben Tag hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27. 06. 2006 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Der Antrag der Staatsanwaltschaft Arnsberg vom 10. März 2006 auf Widerruf der gewährten Strafaussetzung zur Bewährung wird zurückgewiesen.

Die Landeskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die dem Verurteilten entstandenen notwendigen Auslagen.

Rechtsanwalt H. wird dem Beschwerdeführer als Pflichtverteidiger für das Verfahren über die sofortige Beschwerde beigeordnet.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer ist durch Urteil des Amtsgerichts Brilon vom 14. Oktober 2004, rechtskräftig am selben Tag, wegen Hehlerei und unerlaubten Waffenbesitzes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt worden. Mit Beschluss vom selben Tag hat das Amtsgericht Brilon die Dauer der Bewährungszeit auf drei Jahre festgesetzt. Der Beschwerdeführer ist der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin unterstellt worden. Weiterhin ist ihm unter Ziffer 4 des Bewährungsbeschlusses die Auflage gemacht worden, "nach näherer Weisung der Bewährungshelferin 300 Stunden gemeinnütziger Arbeit binnen sechs Monaten abzuleisten".

Nachdem der Betroffene vom 20. bis 23. Dezember 2004 gemeinnützige Arbeit bei der GAB in Marsberg abgeleistet hat, hat er sich arbeitsunfähig bis zum 17. Januar 2005 gemeldet. Da der Beschwerdeführer sich nach Auffassung der GAB nicht rechtzeitig krankgemeldet hatte, konnte das Arbeitsverhältnis nicht fortgesetzt werden. In einer mündlichen Anhörung vom 17. Februar 2005 hat das Amtsgericht Brilon festgestellt, dass die Nichterfüllung der Arbeitsauflage derzeit nicht auf einem Verschulden des Beschwerdeführers beruhe. Unter dem 19. August 2005 teilte die Bewährungshelferin mit, dass der Betroffene bisher 109,75 Arbeitsstunden geleistet habe. Er habe mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. Seit dem 15. August 2005 fehle er unentschuldigt. Unter dem 31. August 2005 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund, die die Bewährungsaufsicht inzwischen aufgrund der Konzentrationsmaxime übernommen hatte, den Beschwerdeführer aufgefordert, darzulegen, aus welchen Gründen er der ihm gemachten Auflage nicht nachkomme. Der Betroffene hat daraufhin unter dem 8. September 2005 mitgeteilt, dass er krank sei, insbesondere unter Rückenbeschwerden leide. Die Strafvollstreckungskammer hat daraufhin die amtsärztliche Untersuchung des Betroffenen angeordnet. Der Amtsarzt teilte am 1. März 2006 mit, dass der Beschwerdeführer polytoxikoman sei. Zurzeit erfolge eine Substitutionsbehandlung in der Psychiatrischen Klinik in Marsberg. Es bestehe jedoch ein erheblicher Beikonsum und zusätzlich regelmäßiger Genuss von größeren Mengen Alkohol. Das Gesundheitsamt kam zu dem Ergebnis, dass bei dem Betroffenen ein schweres Abhängigkeitssyndrom bestehe. Trotz Methadon-Substitution erfolge immer wieder Beikonsum von Heroin bei gleichzeitiger Alkoholkrankheit. Aus amtsärztlicher Sicht sei der Klient so lange als arbeitsunfähig anzusehen, wie er Beikonsum betreibe und Alkoholabstinenz nicht gegeben sei.

In der Folgezeit sind mehrere neue Anklageschriften gegen den Beschwerdeführer bei der Strafvollstreckungskammer eingegangen.

Mit Verfügung vom 10. März 2006 hat die Staatsanwaltschaft beantragt, die bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen.

Nach mündlicher Anhörung des Beschwerdeführers am 3. Mai 2006, bei der dieser alkoholisiert erschien und einen konfusen Eindruck machte, hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 3. Mai 2006 die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Brilon vom 14. Oktober 2004 widerrufen und die geleisteten Arbeitsstunden mit 11 Tagen angerechnet. Zur Begründung ist ausgeführt, der Verurteilte habe gröblich und beharrlich gegen die Arbeitsauflage verstoßen. Soweit eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund des Konsums von Drogen und Alkohol bestehen sollte, habe der Verurteilte diese selbst schuldhaft herbeigeführt.

Unter dem 10. Mai 2006 teilte der Bewährungshelfer mit, dass der Beschwerdeführer am 9. Mai 2006 durch das Amtsgericht Marsberg wegen Diebstahls und Bedrohung zu einer fünfmonatigen Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt worden ist. Ihm sei aufgegeben worden, sich einer stationären Therapie und anschließend einer Verhaltenstherapie zu unterziehen sowie sich begutachten zu lassen, zwecks Einrichtung einer Betreuung.

Mit Schreiben seines Verteidigers vom 9. Mai 2006 hat der Betroffene sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund eingelegt. Zur Begründung ist auf das Urteil des Amtsgerichts Marsberg Bezug genommen worden. Darüber hinaus vertritt der Betroffene die Auffassung, er habe seine bereits seit der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland vorliegende Erkrankung nicht selbst schuldhaft herbeigeführt. Gleichzeitig hat der Verteidiger seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die gemäß § 453 Abs. 2 S. 3 StPO, § 56 f StGB statthafte und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Die Strafvollstreckungskammer hat die Strafaussetzung zur Bewährung zu Unrecht widerrufen. Sie konnte ihre Entscheidung nicht darauf stützen, dass der Verurteilte gegen eine Bewährungsauflage i.S.d. § 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB gröblich und beharrlich verstoßen hat, indem er die Arbeitsauflage nicht vollständig erfüllt hat.

Die Auflage, Arbeitsleistungen zu erbringen, ist dem Beschwerdeführer nicht in zulässiger Weise erteilt worden. Sie entspricht inhaltlich nicht dem Bestimmtheitsgebot. Daher ist ein Bewährungsverstoß, der zum Widerruf der Bewährung zu führen hätte, nicht gegeben.

Bewährungsauflagen müssen klar, bestimmt und in ihrer Einhaltung überprüfbar sein (vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 1997, 2). Nur so können Verstöße einwandfrei festgestellt werden und weiß der Verurteilte unmissverständlich, wann ihm der Widerruf der Bewährung droht (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20. November 2003 - 2 Ws 293/03 -). Die Bedeutung des in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG geschützten Freiheitsgrundrechts, in welches durch den Bewährungswiderruf und die damit verbundene Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe eingegriffen wird, und die Tatsache, dass die Verfassung die Entziehung der Freiheit dem Richter vorbehält (Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG), haben den Gesetzgeber veranlasst, die inhaltliche, dem Bestimmtheitsgebot entsprechende Ausgestaltung von Auflagen und Weisungen ausschließlich dem Gericht zu übertragen (§§ 56 b - 56 e StGB) (vgl. OLG Hamm, StV 2004, 657; OLG Frankfurt, NStZ-RR 1997, 2; KG, Beschluss vom 13. April 2005 - 5 Ws 157/05 -; SchlHOLG OLGSt StGB § 56 b Nr. 2). Deshalb darf sich das Gericht nicht darauf beschränken, nur den Umfang der gemeinnützigen Leistungen festzulegen. Vielmehr muss in der Auflage auch die Zeit, innerhalb derer die Arbeitsleistung zu erfüllen ist, die Art und nach Möglichkeit auch der Ort dieser Arbeitsleistung und die Institution, bei der sie abzuleisten ist, niedergelegt werden (vgl. OLG Hamm, StV 2004, 657; OLG Hamm, Beschluss 28. März 2006 - 4 Ws 145/06 -). Diese ihm allein obliegende Befugnis zur inhaltlichen Ausgestaltung der Arbeitsauflage darf das Gericht nicht an Dritte, auch nicht den Bewährungshelfer oder die Gerichtshilfe, delegieren (OLG Hamm, Beschluss vom 20. November 2003 - 2 Ws 293/03 -; OLG Hamm, Beschluss vom 28. März 2006 - 4 Ws 145/06 -; OLG Frankfurt, NStZ-RR 1997, 2; Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 56 d Rdnr. 5).

Diese Grundsätze hat das Amtsgericht Brilon nicht beachtet, als es dem Beschwerdeführer mit Beschluss vom 14. Oktober 2004 die Auflage erteilte, nach näherer Weisung des Bewährungshelfers 300 Stunden gemeinnützige Arbeit binnen sechs Monaten abzuleisten. Das Gericht hat damit lediglich den Umfang der gemeinnützigen Arbeit und die Frist für die Ableistung, nicht aber die Art und den Ort ihrer Erbringung sowie die Institution, der sie zugute kommen soll, festgelegt.

Angesichts der Tatsache, dass dem Beschwerdeführer die Auflage, Ableistung gemeinnütziger Arbeit, nicht in zulässiger Weise erteilt worden ist, kann aufgrund eines Verstoßes gegen diese Auflage ein Bewährungswiderruf nicht erfolgen.

Nur ergänzend bemerkt der Senat, dass auch ein gröblicher und beharrlicher Verstoß gegen die Auflage Ziffer 4 des Bewährungsbeschlusses nicht vorgelegen hat. Ein den Widerruf rechtfertigender Verstoß gegen eine Arbeitsauflage setzt zumindest eine teilweise Arbeitsfähigkeit oder selbstverschuldete Arbeitsunfähigkeit des Verurteilten voraus (Thür. OLG, Beschluss vom 13. März 2006 - 1 Ws 100/06 -). Vorliegend ist die Strafvollstreckungskammer zu Unrecht von einer selbstverschuldeten Arbeitsunfähigkeit ausgegangen. Nach dem Gutachten des Gesundheitsamts beruht die Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers auf seiner Polytoxikomanie. Sowohl die Drogen- als auch die Alkoholsucht des Beschwerdeführers können aber nicht als selbstverschuldet angesehen werden. Es handelt sich vielmehr um eine Krankheit, die dem Betroffenen nicht vorgeworfen werden kann. Auch aus diesem Gesichtspunkt wäre ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nicht zu rechtfertigen gewesen.

Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben und der Antrag der Staatsanwaltschaft Arnsberg auf Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung abzulehnen.

Dem Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt H. als Pflichtverteidiger für das Beschwerdeverfahren in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO beigeordnet worden. Zwar handelt es sich bei der Frage, ob eine Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen wird, grundsätzlich um eine durchschnittliche Angelegenheit der Strafvollstreckung, die weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten aufweist. Allerdings besteht vorliegend die Besonderheit, dass der Widerruf auf eine dem Beschwerdeführer in unzulässiger Weise gemachte Auflage gestützt worden ist. Darüber hinaus bestehen Zweifel, ob der Betroffene aufgrund seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen. Aufgrund der Auflage des Amtsgerichts Marsberg, ein Gutachten zu der Frage einzuholen, ob der Betroffene unter Betreuung zu stellen ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass seine Fähigkeit zur Selbstverteidigung eingeschränkt ist. Insoweit handelt es sich um die alleinige Entscheidung der mitunterzeichnenden Stellvertretenden Vorsitzenden.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 StPO.

Ende der Entscheidung

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