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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 26.05.2004
Aktenzeichen: 10 W 29/04
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 127 II 2
BGB § 2077
BGB § 2077 I
BGB § 2077 I 2
BGB § 2078 II
BGB § 2080 I
BGB § 2082 I
BGB § 2082 II 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

10 W 29/04 OLG Hamm

In dem Rechtsstreit

hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dingerdissen sowie die Richterinnen am Oberlandesgericht Gerlach-Worch und Selke auf die Beschwerde des Klägers vom 12.02.2004 gegen den Beschluss des Einzelrichters der 12. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 29.01.2004 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 16.02.2004

am 26.05.2004

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die gegen die Zurückweisung des klägerseitigen Prozesskostenhilfeantrages eingelegte Beschwerde vom 12.02.2004 ist als sofortige Beschwerde i.S.v. § 127 II 2 ZPO auszulegen und zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 127 II, 569 ZPO). In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.

II.

Allerdings wird man dem Klagebegehren nicht unter Hinweis auf das vor dem Amtsgericht Beckum laufende Erbscheinsverfahren 2 VI 265/03 das Rechtsschutzbedürfnis absprechen oder dem Kläger Mutwilligkeit hinsichtlich der beabsichtigten zivilprozessualen Klärung der strittigen Erbfolge unterstellen können. Hierauf weist die Beschwerdebegründung zu Recht hin.

Den Klageanträgen, für deren Verfolgung der Kläger Prozesskostenhilfe beansprucht, fehlt jedoch unter dem Gesichtspunkt der Aktivlegitimation die hinreichende Erfolgsaussicht, so dass Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden kann (§ 114 ZPO).

1.

Die allein mit der Erbenstellung des Klägers begründeten Klageanträge sind nur dann berechtigt, wenn der Kläger Alleinerbe seiner am 07.06.2003 verstorbenen Ehefrau ... geb. ..., geworden ist. Zur Begründung seiner Erbenstellung beruft sich der Kläger auf den mit der Erblasserin am 02.03.1977 abgeschlossenen Erbvertrag, in welchem sich die Eheleute gegenseitig zum Alleinerben des überlebenden von ihnen eingesetzt und die jeweilige Erbeinsetzung des anderen "zwecks Herbeiführung einer erbvertraglichen Bindung" unter Rücktrittsausschluss angenommen hatten.

Ob die Erbeinsetzung des Klägers durch seine verstorbene Ehefrau schon nach § 2077 I 2 BGB unwirksam geworden ist, weil zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht nur (unstreitig) die Scheidungsvoraussetzungen vorlagen, sondern die Scheidung auch "beantragt" war kann letztlich dahinstehen. Dies gilt insbesondere für die insoweit gebotene Klärung, ob der am 08.04.2003 beim Familiengericht Beckum eingegangene Scheidungsantrag der Erblasserin dem Kläger wirksam noch vor dem Erbfall zugestellt worden ist.

2.

Die Unwirksamkeit der erbvertraglichen Erbeinsetzung des Klägers folgt nämlich jedenfalls aus der Anfechtungserklärung der Beklagten zu 1. - 3. vom 14.01.2004 gegenüber dem Amtsgericht - Nachlassgericht - Beckum. Deren Abgabe ist unstrittig und ergibt sich (mit Eingangsdatum 15.01.2004) im übrigen aus der informationshalber beigezogenen o.g. Nachlassakte.

a)

Unstreitig ist auch der zur Begründung der Anfechtung vorgetragene Sachverhalt, die Erblasserin habe bei der Errichtung des Erbvertrages im Jahre 1977 den Kläger als ihren Ehemann in der Erwartung zum Alleinerben eingesetzt, dass es in ihrer Ehe nicht zum Scheidungsverfahren komme.

Für das Vorhandensein einer solchen Erwartung auf Seiten der vertragsschließenden Eheleute spricht auch, dass ihr Erbvertrag keinerlei Regelungen für ein Scheitern der Ehe vorsah und insbesondere keine Rücktrittsvorbehalte erfolgten. Die Ehe war zu jener Zeit noch keine 6 Jahre alt und offenkundig in Ordnung; eine Trennung der Eheleute erfolgte erst Anfang der 90er Jahre; selbst dann leitete über viele Jahre hinweg keiner der Ehegatten die Scheidung in die Wege.

Wurde mithin die Erblasserin bei der erbvertraglichen Einsetzung des Klägers zu ihrem Alleinerben von der Erwartung bestimmt, dass es in ihrer Ehe zu einem auf Ehescheidung abzielenden Verfahren nicht kommen werde, konnte die entsprechende letztwillige Verfügung wegen eines beachtlichen Motivirrtums nach § 2078 II BGB angefochten werden, als sich die ihr zugrunde liegende Vorstellung als irrig erwies. Es ist anerkannt, dass Motivirrtümer des Erblassers auch dann zur Anfechtung nach § 2078 II BGB berechtigen, wenn es sich bei den maßgeblichen Vorstellungen und Erwartungen um solche gehandelt hat, die der Erblasser als selbstverständliche Grundlage seiner Verfügung ansah, - selbst wenn er sie bei der Testierung nicht konkret in sein Bewusstsein genommen hat (BayOblG, FamRZ 1990, 322, 323; OLG Hamm, FamRZ 1994, 849, 851 m.w.N.; Palandt, BGB, 63. Aufl., § 2078, Rdnr. 6 m.w.N.).

Dass sich die Erblasserin in der genannten Erwartung irrte, hat sich mit der Einleitung - dem Anhängigmachen - der Ehescheidung auf ihren Antrag vom 07.04.2003 hin bei gleichzeitigem (unstreitigen) Vorliegen der gesetzlichen Scheidungsvoraussetzungen erwiesen. Es steht der diesbezüglichen Anfechtungsmöglichkeit nicht entgegen, dass das Fehlschlagen ihrer (die Erbeinsetzung mitbestimmenden) Erwartung auch von ihrem eigenen Verhalten abhing. Zur Begründung der Anfechtbarkeit nach § 2078 II BGB kommen nämlich auch solche Umstände in Betracht, die im Belieben des Erblassers stehen, - soweit er sie nicht treuwidrig selbst herbeiführt. Letzteres ist vorliegend schon deshalb nicht anzunehmen, weil die Eheleute sich im Vorfeld über die Einleitung des Scheidungsverfahrens durch die Ehefrau verständigt und bereits unter dem 02.04.2003 eine notarielle Scheidungsfolgen-Vereinbarung getroffen hatten.

Für das Fehlschlagen der - der Erbeinsetzung des Klägers zugrundeliegenden - Erwartung war schließlich nicht erforderlich, dass es auch zu einer wirksamen Zustellung des Scheidungsantrags an den Kläger kam. Denn eine Anfechtung letztwilliger Verfügungen wegen Motivirrtums kommt auch und gerade dann in Betracht, wenn sich die Unwirksamkeit unter Anwendung der Auslegungsregel in § 2077 I BGB noch nicht feststellen lässt (Palandt, aaO, § 2077, Rdnr. 2). Selbst wenn also vorliegend die Unwirksamkeit der Erbeinsetzung nach § 2077 BGB eine Zustellung des Scheidungsantrags erforderte, bedurfte es dieser Zustellung nicht auch zur Anfechtung wegen eines Irrtums über den Umstand, dass es schon gar keine Einleitung einer gerichtlichen Ehescheidung geben werde.

b)

Die Beklagten zu 1. - 3. waren ferner zur Anfechtung der den Kläger begünstigenden Erbeinsetzung vom 02.03.1977 berechtigt; denn ihnen kommt die Aufhebung der entsprechenden erbvertraglichen Erbeinsetzung unmittelbar zugute (§ 2080 I BGB):

Die Erblasserin hatte die Beklagten zu 1. - 3. durch notarielles Testament vom 13.05.2003 ausdrücklich in Abweichung von dem genannten Erbvertrag zu ihren Erben eingesetzt. Ihnen fällt daher die Erbschaft als testamentarischen Miterben infolge der Anfechtung vom 14.01.2004 unmittelbar an. Hieraus folgt ihre Anfechtungsberechtigung i.S.v. § 2080 I BGB.

c)

Schließlich ist die Anfechtung seitens der Beklagten zu 1. - 3. auch in der nötigen Form innerhalb der gesetzlichen Anfechtungsfrist erklärt worden, nachdem die entsprechende Erklärung beim zuständigen Nachlassgericht Beckum am 15.01.2004 eingegangen ist (§ 2081 I BGB).

Die Jahresfrist zur Abgabe der Anfechtungserklärung nach § 2082 I, II 1 BGB begann zu dem Zeitpunkt zu laufen, in dem die anfechtungsberechtigten Beklagten von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangten; dabei entsprach der früheste Zeitpunkt des Fristbeginns demjenigen des Erbfalls (vgl. Palandt, aaO, § 2081, Rdnr. 2 und § 2285, Rdnr. 1), der vorliegend am 07.06.2003 eintrat. Der Eingang der Anfechtungserklärung beim Nachlassgericht am 15.01.2004 erfolgte mithin rechtzeitig binnen Jahresfrist.

Eine Fristversäumung ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass das Anfechtungsrecht Dritter nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn das eigene Anfechtungsrecht des Erblassers wegen Irrtums (§§ 2281 I BGB) zur Zeit des Erbfalls erloschen war (§§ 2283, 2285 BGB). Denn das Anfechtungsrecht der Erblasserin selbst konnte binnen Jahresfrist ab dem Zeitpunkt ausgeübt werden, in dem sie selbst von dem Motivirrtum als Anfechtungsgrund Kenntnis erlangte (§ 2283 II, 2278 II BGB). Dies entsprach vorliegend dem Zeitpunkt, in dem ihr Scheidungsantrag bei Gericht einging und das Ehescheidungsverfahren in die Wege leitete. Dieser Zeitpunkt am 08.04.2003 lag bei Eintritt des Erbfalls erst zwei Monate zurück.

d)

Nach alledem scheidet eine Erbenstellung des Klägers aufgrund der wirksamen Anfechtung der zu seinen Gunsten im Jahre 1977 errichteten letztwilligen Verfügung aus (§ 142 I BGB). Eine Prozesskostenhilfebewilligung für die auf seine Erbenstellung gestützten Klageanträge kam infolgedessen nicht in Betracht.

III.

Eine Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren ist im Hinblick auf § 127 Abs. 4 ZPO und Ziffer 1956 Kostenverzeichnis zum GKG nicht veranlasst.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einheitlicher Rechtssprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 II, III 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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