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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 17.10.2007
Aktenzeichen: 11 U 132/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, GG


Vorschriften:

ZPO § 286
ZPO § 540
BGB § 832
BGB § 839 Abs. 1
GG Art. 34 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des beklagten Landes wird das am 27. Juli 2006 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Essen abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von dem beklagten Land mit dem Vorwurf einer Aufsichtspflichtverletzung durch das Lehrpersonal Schadensersatz wegen der Beschädigung ihres PKW Fiat Punto am 26.06.2003 infolge eines Steinwurfs durch zwei siebenjährige Kinder vom Gelände der F in C.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und der gestellten Anträge wird gemäß § 540 ZPO auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat der Klage nach Vernehmung der Zeugin N stattgegeben. Es hat zwar nicht festzustellen vermocht, dass die Aufsicht führende Lehrerin N ihre Aufsichtspflicht verletzt habe, die Einstandspflicht des beklagten Landes aber mit der Gestaltung des Schulhofes begründet, welcher aufgrund seiner Begrünung ermögliche, dass sich Kinder verstecken und sodann "Dummheiten" begehen könnten, ohne dass dies vom Aufsichtspersonal bemerkt werde.

Mit der Berufung wendet sich das beklagte Land gegen den Vorwurf eines Organisationsverschuldens. Es vertieft seine Ansicht, dass eine durchgängige Beaufsichtigung der Kinder durch das Lehrpersonal, welche den Schadensfall verhindert hätte, nicht verlangt werden könne. Für die Ausgestaltung des Schulhofes sei ohnehin die Stadt C als Schulträger verantwortlich. Jedoch sei die vorgenommene Gestaltung aus pädagogischen Gründen sinnvoll und daher nicht vorwerfbar, ohne dass eine Verpflichtung zur Umgestaltung bestehe. Das Landgericht habe daher überzogene Anforderungen aufgestellt.

Das beklagte Land beantragt,

das am 27.07.2006 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Essen abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft ihre Behauptung, dass die Beaufsichtigung der entwicklungsgestörten Kinder, welche die Steine geworfen hatten, unzureichend gewesen sei.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht aufgrund des Vorfalls vom 26.06.2003 kein Schadensersatzanspruch gegen das beklagte Land gemäß § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG zu.

Es fehlt bereits an einer Amtspflichtverletzung durch die Bediensteten des beklagten Landes. So hat das Landgericht zutreffend erkannt, dass der die Aufsicht auf dem Schulhof führenden Lehrerin N kein Vorwurf einer unzureichenden Beaufsichtigung der Kinder gemacht werden kann. Zwar obliegt dem Lehrpersonal der Schule in Pausenzeiten die Aufsichtspflicht über die Schüler. Dies führt jedoch schon nicht dazu, dass von einem Aufsicht führenden Lehrer verlangt werden kann, dass er jeden Schüler ständig im Blick haben und sofort eingreifen muss, wenn etwa ein Schüler durch sein Verhalten fremde Personen oder Sachen gefährdet oder schädigt. Vielmehr bestimmt sich das Maß der gebotenen Aufsicht entsprechend der allgemeinen Aufsichtspflicht nach § 832 BGB nach Alter, Eigenart und Charakter der Kinder, nach der Voraussehbarkeit des schädigenden Verhaltens sowie danach, was den Aufsichtspflichtigen jeweils zugemutet werden kann. Entscheidend ist, was ein verständiger Aufsichtspflichtiger nach vernünftigen Anforderungen im konkreten Fall unternehmen muss, um Schädigungen durch das Kind zu verhindern (vgl. BGH, NJW-RR 1987, S. 1430; NJW 1990, S. 2553). Bei Kindern im grundschulfähigen Alter von 6 - 10 Jahren darf aber unterstellt werden, dass ihnen die Gefahr der Entstehung von Schäden an Personen oder Sachen bei Steinwürfen bereits bewusst ist. Diese Erkenntnis wird Kindern erfahrungsgemäß noch weit vor Erreichen des Schulalters von den Erziehungsberechtigten immer wieder eingeschärft und mit einem Verbot derartiger Verhaltensweisen verbunden. Darauf, dass eine derartige Erziehung im Elternhaus erfolgt ist, darf sich das Lehrpersonal grundsätzlich verlassen. Eine ständige Beobachtung kann indessen vom Aufsichtspflichtigen nicht verlangt werden. Eine dauernde Überwachung "auf Schritt und Tritt" ist schon bei Kindern im Kindergartenalter und erst recht im Schulalter nicht erforderlich. Dies folgt auch daraus, dass das Maß der Aufsicht mit dem Erziehungsziel, die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis der Kinder zum selbständigen verantwortungsbewussten Handeln einzuüben, in Einklang gebracht werden muss.

Dass hingegen die Lehrerin N irgendwelche Anhaltspunkte dafür haben musste, dass den beiden Kindern Y und Y1 das Verbot des Steinewerfens nicht bekannt war oder sie nicht bereit sein würden, dieses Verbot zu beachten, ist nicht ersichtlich. Vielmehr hat die Zeugin N - angesichts des Vorfallsdatums im Juni plausibel - ausgeführt, dass beide Kinder seit etwa einem Jahr die Schule besuchten und bisher nicht durch derartige Verbotsübertretungen aufgefallen waren. Allein der Umstand, dass es sich beiden Kindern nach den Ausführungen des Dipl.-Psychologen PD Dr. T2 in seinem Gutachten vom 27.04.2005 um Kinder mit gewissen Entwicklungs- und Reifedefiziten handelte, weshalb diese noch zur Erlangung der Schulreife gefördert werden mussten, musste der Zeugin N keinen Anlass zu einer intensiveren Beaufsichtigung beider Kinder bieten. Dies folgt schon aus der weiteren Feststellung des Sachverständigen, dass sich beide Kinder grundsätzlich durchaus bewusst waren, dass die Beschädigung einer Sache durch Steinwürfe verboten ist. Im Übrigen fehlt aber auch hier der Anhaltspunkt dafür, dass gerade aufgrund der vorhandenen Entwicklungsrückstände beider Kinder mit einem derartigen Verhalten hätte gerechnet werden müssen. Schließlich begründet es keine Pflichtverletzung der Zeugin N, dass sie ihren von ihr zunächst geschilderten Versuch, die beiden von ihr bemerkten Kinder aus dem auf dem Schulgelände befindlichen Gebüsch herauszuholen, abbrach, weil sie sich einem Streit anderer Kinder im Bereich der Schaukel zuwandte. Aus dem Aufenthalt der beiden Kinder im Gebüsch und dem nicht sofortigen Befolgen ihrer Aufforderung musste sie nicht schließen, dass die Kinder in der nächsten Zeit zu Steinwürfen über die Begrenzung des Schulgeländes hinaus übergehen würden.

Das beklagte Land hat aber auch kein Organisationsverschulden zu verantworten. So ist zunächst nicht zu beanstanden, dass zur Beaufsichtigung der sechs auf dem Schulgelände befindlichen Kinder nur eine Aufsichtsperson eingesetzt wurde. Die Aufsichtsführung auf dem Schulhof muss aus den bereits oben geschilderten Grundsätzen heraus nicht derart organisiert werden, dass eine ständige Beaufsichtigung aller Kinder möglich sein muss, und war daher ausreichend.

Des Weiteren ist aber auch der Vorwurf einer pflichtwidrigen Gestaltung des Schulhofes, wodurch eine Beaufsichtigung der Kinder erschwert werde, nicht gerechtfertigt. Insofern fehlt es bereits an einer Verantwortung des beklagten Landes, weil diese lediglich Anstellungskörperschaft der Lehrerin ist, die Gestaltung des Schulhofes hingegen mangels Trägerschaft nicht zu verantworten hat. Im Übrigen ist aber auch auszuschließen, dass die aus pädagogischen Gründen erfolgte aufgelockerte Gestaltung des Schulhofes mit Begrünung, Laubengängen und Hügeln eine Pflichtverletzung darstellt. Denn genau wie das Lehrpersonal darf auch der Schulträger davon ausgehen, dass Kinder im Grundschulalter keiner ständigen Beaufsichtigung bedürfen. Deshalb ist es auch unbedenklich, wenn die Gestaltung des Schulgeländes so erfolgt, dass sich Kinder zeitweilig dem Blick des Aufsichtspersonals entziehen können. Eine Gestaltung des Schulgeländes, die ein solches Verbergen zuverlässig ausschließt, was die Beseitigung sämtlicher potenzieller Blickhindernisse erfordern würde, ist weder für den Schulträger noch für die Schüler und Lehrkräfte zumutbar und zum Schutz der Rechtsgüter Dritter nicht geboten.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass zudem auch jeder Anhaltspunkt für die Annahme fehlt, dass durch eine intensivere Beaufsichtigung der beiden Kinder der eingetretene Schadensfall vermieden worden wäre. Bei dem Aufnehmen und Werfen von T handelt es sich um ein Augenblicksgeschehen. Selbst wenn schon das Aufnehmen des Steines vom Aufsichtspersonal bemerkt worden wäre, ist nicht mit einer gemäß § 286 ZPO ausreichenden Gewissheit davon auszugehen, dass diese rechtzeitig darauf hätte reagieren und die Kinder vom Wurf abhalten können bzw. die Kinder einer etwaigen gegebenen Anweisung, den Wurf zu unterlassen, gefolgt wären.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO ist nicht geboten. Die Entscheidung des Senats betrifft einen Einzelfall, der keine grundsätzliche Bedeutung hat. Von Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte oder des Bundesgerichtshofs ist der Senat nicht abgewichen.

Die Beschwer der Klägerin liegt unterhalb von 20.000,00 €.

Ende der Entscheidung

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