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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 12.11.2003
Aktenzeichen: 11 UF 114/03
Rechtsgebiete: FGG, ZPO
Vorschriften:
FGG § 24 | |
FGG § 50a | |
FGG § 50b II | |
ZPO § 621 I Nr. 1 | |
ZPO § 620 a I | |
ZPO § 621 e | |
ZPO § 621 g |
In Sorgerechtsverfahren ist zudem zu berücksichtigen, dass nach § 24 FGG eine etwaige Beschwerde gegen die Hauptsacheentscheidung keine aufschiebende Wirkung hat, so dass auch von daher keine Notwendigkeit für den Erlass einer zusätzlichen Eilmaßnahme in Gestalt einer einstweiligen Anordnung besteht.
Oberlandesgericht Hamm Beschluss
11 UF 114/03 OLG Hamm
In der Familiensache
betreffend das minderjährige Kind Michaela
wegen Entziehung der elterlichen Sorge
hat der 11. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Zumdick, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Köhler und den Richter am Oberlandesgericht Jellentrup am 12.11.2003 beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Amtsgerichts -Familiengericht- Warendorf vom 27. Mai 2003 (Beschluss zum Sorgerecht) einschließlich des zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Der Beschluss des Amtsgerichts -Familiengericht- Warendorf vom 27. Mai 2003 zum Aufenthaltsbestimmungsrecht besteht weiterhin fort.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die am 17.10.1988 geborene Michaela P ist die Tochter der Beteiligten zu 1) aus deren geschiedener Ehe mit dem Kindesvater. Dieser verbüßt eine langjährige Haftstrafe in der JVA Bautzen, Kontakt zur Tochter besteht nicht. Aus der Ehe sind weiterhin die Kinder Andreas (geboren am 15.01.1986) und Steve (geboren am 20.06.1987) hervorgegangen. Andreas lebt seit Jahren in einer Pflegefamilie, Steve nach vorzeitigem und eigenmächtigem Abbruch seiner Schulausbildung im Haushalt der Beteiligten zu 1). Diese hat aus nichtehelichem inzwischen beendeten Verbindung mit einem Herrn Jürgen P noch einen weiteren, am 02.09.1991 geborenen Sohn Mathias; die vom Amtsgericht verfügte Entziehung der elterlichen Sorge auch hinsichtlich dieses Kindes war Gegenstand des vor dem Senat anhängigen Parallelverfahrens 11 UF 122/03.
Nachdem Michaela wiederholt durch ausgesprochen unregelmäßigen Schulbesuch und massive Gewaltbereitschaft auffällig geworden war, hat das Amtsgericht auf Antrag des Jugendamtes vom 1.1.12.2002 das vorliegende Sorgerechtsverfahren eingeleitet und nach mündlicher Verhandlung durch Beschluss vom 19.12.2002 im Wege vorläufiger Anordnung zunächst das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf das Jugendamt übertragen, verbunden mit einer Herausgabeanordnung.
Eine Durchsetzung dieses Beschlusses hat die Beteiligte zu 1) anfänglich dadurch vereitelt, dass sie in der Zeit von Mitte Dezember 2002 bis Ende Januar 2003 zusammen mit ihrer Tochter eine mehrwöchige Reise nach Portugal unternahm, wobei sie ihren Sohn Mathias in der Obhut seines Vaters zurückließ, während der Sohn Steve allein in der Wohnung der Beteiligten zu 1) verblieb.
Nach Maßgabe eines Beweisbeschlusses vom 21.01.2003 hat das Amtsgericht anschließend ein schriftliches Gutachten der Sachverständigen Dr. N vom 04.05.2003 eingeholt und auf der Grundlage dieses Gutachtens sodann nach erneuter Anhörung der Beteiligten zu 1) und des Jugendamtes sowie nochmaliger Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für Michaela auf das Jugendamt durch einstweilige Anordnung vom 27.05.2003 (Bl. 65 f) durch den angefochtenen (weiteren) Beschluss vom 27.05.2003 das Sorgerecht für Michaela der Beteiligten zu 1) entzogen und dem Jugendamt übertragen, das anschließend eine Unterbringung Michaela in einer therapeutischen Einrichtung in der Ukraine veranlasst hat.
Gegen diesen letztgenannten, ihr am 14.06.2003 zugestellten Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 1) mit ihrer am 14.07.2003 eingelegten Beschwerde. Sie trägt vor, entgegen der Darstellung des Amtsgerichts durchaus bereit gewesen zu sein, sich der Einsicht in die Notwendigkeit einer "durchgehenden stationären Betreuung" Michaelas zu beugen, bemängelt aber den inzwischen unzureichenden Kontakt zu ihrer Tochter und die dem Kindeswohl ihres Erachtens wenig zuträglichen Rahmenbedingungen der derzeitigen Unterbringung, daneben aber auch, dass ihr vor der Beschlussfassung des Amtsgerichts nicht ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und zudem auch Michaela nicht persönlich angehört worden sei.
Das Jugendamt verteidigt dagegen den angefochtenen Beschluss.
II.
Die gemäß §§ 621 e, 621 I Nr. 1 ZPO i.V.m. §§ 20 I, zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 1), mit der sie sich ausweislich der Beschwerdeschrift wie auch der Beschwerdebegründung allein gegen die durch Beschluss vom 27.05.2003 angeordnete Entziehung der elterlichen Sorge wendet, nicht dagegen gegen die parallel dazu erlassene einstweilige Anordnung vom 27.05.2003, hat auch in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg. Der angefochtene Beschluss war auf die Beschwerde unter Einschluss des zugrunde liegenden Verfahrens aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen, da das amtsgerichtliche Verfahren unter schwerwiegenden Mängeln leidet.
1.
Obwohl angesichts der Beschränkung des Rechtsmittels auf die Sorgerechtsentscheidung des Amtsgericht ein näheres Eingehen auf die einstweilige Anordnung vom 27.05.2000 an sich entbehrlich ist, weist der Senat aus gegebenem Anlass darauf hin, dass für den Erlass einer vorläufigen Maßnahme zum damaligen Zeitpunkt an sich kein Raum mehr war, nachdem das Amtsgericht selbst ausweislich des weiteren Verfahrensgangs von einer Entscheidungsreife der Hauptsache ausging, die es in dem gleichfalls noch am 27.05.2003 "verkündeten" Sorgerechtsbeschluss (Bl. 29 f GA) dann auch umgehend dokumentiert und zum Ausdruck gebracht hat (vgl. hierzu auch OLG Frankfurt/M. FamRZ 2000, 1038 sowie Zöller-Philippi, ZPO, 23. Auf. § 621 g Rz. 2 a.E.; vgl. auch Keidel/Kuntze-Kahl, FGG, 15. Auf. § 19 Rz. 30 zur artverwandten vorläufigen Anordnung). Zu berücksichtigen ist dabei, dass nach § 24 FGG eine etwaige Beschwerde gegen die Hauptsacheentscheidung zum Sorgerecht keine aufschiebende Wirkung hat(te), so dass auch von daher keine Notwendigkeit für den Erlass einer zusätzlichen Eilmaßnahme in Gestalt einer einstweiligen Anordnung bestand.
2.
Hinsichtlich der den Entzug der elterlichen Sorge betreffenden Entscheidung ist dagegen in verfahrensrechtlicher Hinsicht zunächst zu beanstanden, dass sich eine ordnungsgemäße Verkündung (§§ 170, 173 GVG; vgl. hierzu auch Zöller-Gummer, aaO. § 173 GVG Rz. 1 a.E.) nach Aktenlage nicht feststellen lässt. Dem Protokoll des Amtsgerichts Bl. 73/73 R GA ist nicht zu entnehmen, dass vor der Verkündung des angefochtenen Beschlusses die Öffentlichkeit wiederhergestellt wurde.
Daneben beanstandet die Beteiligte zu 1) zu Recht die entgegen § 50b II FGG unterbliebene -indes mit Rücksicht auf ihr Alter an sich zwingend gebotene- Anhörung Michaelas, die auch nicht dadurch entschuldigt wurde, dass Michaela trotz entsprechender, an die Beteiligte zu 1. gerichteter Auflage in der Terminsverfügung (Bl. 58 GA) zum Termin vom 27.05.2003 unentschuldigt nicht erschienen war (Bl. 73 GA). Dass Michaela später im Rahmen ihrer vorübergehenden Unterbringung im Westfälischen Institut für Kinder- und Jugendpsychiatrie am 18.06.2003 im Wege der Rechtshilfe persönlich angehört worden ist, konnte diesen Verfahrensmangel nicht heilen, da Gegenstand dieser Anhörung allein die Frage einer weiteren stationären bzw. geschlossenen Unterbringung Michaelas, nicht aber die des Entzugs der elterlichen Sorge war.
Berechtigt ist weiterhin auch die seitens der Beteiligten zu 1) erhobene Rüge einer Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG), die darin liegt, dass ihr -anders als dem antragstellenden Jugendamt (Bl. 58 GA)- das bereits am 05.05.2003 bei Gericht eingegangene Gutachten der Sachverständigen Dr. N ausweislich der Terminsverfügungen (Bl. 58 GA) offenbar bewusst erst im Termin vom 27.05.2003 übergeben worden ist, obwohl das Amtsgericht -wie auch und gerade die ergangene einstweilige Anordnung belegt- der festen Absicht war, das Gutachten zur tragenden Grundlage seiner Entscheidung zu machen. Die verfahrensfehlerhafte Vorgehensweise des Amtsgerichts erscheint dabei umso unverständlicher, wenn man bedenkt, dass in Gestalt der -nach §§ 621 g, 620 a I ZPO ohne vorherige mündliche Verhandlung zulässigen- einstweiligen Anordnung ein geeignetes Instrumentarium zur Verfügung stand, als notwendig erachtete Maßnahmen unverzüglich zu treffen, um dann in der gebotenen Ruhe unter Wahrung der verfahrensmäßigen Rechte sämtlicher Beteiligter die Hauptsacheentscheidung vorzubereiten.
Dass zudem weder dem amtsgerichtlichen Protokoll noch (zumindest) dem nachfolgend ergangenen Sorgerechtsbeschluss zu entnehmen ist, dass und in welcher Form die Beteiligte zu 1. in der nach § 50a FGG gebotenen Form angehört worden ist, was im übrigen sinnvoller Weise vorausgesetzt hätte, ihr zuvor ausreichend Gelegenheit zu geben, sich mit dem Inhalt des Gutachtens Dr. N vertraut zu machen und auseinander zu setzen, da andernfalls eine Anhörung kaum mehr als eine Förmelei war, verstärkt die gebotenen Vorbehalte gegen die Verfahrensweise des Amtsgerichts und bestärkt den Senat in der Überzeugung, dass eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht angezeigt ist, um diesem Gelegenheit zu geben, die anstehende Sorgerechtsentscheidung im Rahmen eines ordnungsgemäßen Verfahrens vorzubereiten und auf dieser Grundlage dann (neu) zu treffen.
Ende der Entscheidung
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