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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 24.02.2006
Aktenzeichen: 11 UF 134/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233
Versäumt ein mit juristischer Hilfsarbeit beauftragter Anwalt die Stellung eines (nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Berufung erforderlichen) Wiedereinsetzungsantrags, so trifft den sachbearbeitenden Anwalt dennoch ein der Partei zurechenbares Verschulden an der Fristversäumnis im Sinne von § 233 ZPO, wenn er dem beauftragten Mitarbeiter auch die Notierung der Frist für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrags übertragen hat, statt selber für deren Eintragung zu sorgen.
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

11 UF 134/05 OLG Hamm

In der Familiensache

hat der 11. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Zumdick und die Richter am Oberlandesgericht Lüblinghoff und Michaelis de Vasconcellos am 24. Februar 2006

beschlossen:

Tenor:

1.

Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist wird zurückgewiesen.

2.

Die Berufung der Beklagten gegen das am 28. April 2005 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Beckum wird als unzulässig verworfen.

3.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens nach einem Streitwert von 3.564,- €.

Gründe:

I.

Die Parteien sind geschiedene Eheleute und streiten um die Abänderung des am 30.04.2003 vor dem Oberlandesgericht abgeschlossenen Vergleichs (Az. 11 UF 248/02 OLG Hamm), durch den sich der Kläger verpflichtet hat, an die Beklagte ab Mai 2003 monatlich 550,- € Elementarunterhalt sowie 120,- € Vorsorgeunterhalt zu zahlen.

Mit der Begründung, die Beklagte hätte ihre der Anspruchsberechnung im Vergleich zu Grunde gelegte halbschichtige Tätigkeit inzwischen auf eine vollschichtige Tätigkeit ausweiten müssen, hat das Amtsgericht die Zahlungspflicht des Klägers für die Zeit ab dem 11.04.2005 auf monatlich 299,- € Elementarunterhalt und 74,- € Vorsorgeunterhalt herabgesetzt.

Gegen dieses am 20.05.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 03.06.2005 "bedingte Berufung" eingelegt und Prozesskostenhilfe für den Antrag begehrt, die Abänderungsklage abzuweisen. Mit Schriftsatz vom 21.09.2005 ist auf Anfrage des Senats klargesteift worden, dass es sich nur um einen PKH-Antrag für eine beabsichtigte Berufung handele.

Der Senat hat der Beklagten Prozesskostenhilfe für die Berufung bewilligt. Dieser Beschluss ist ihren Prozessbevollmächtigten am 27.09.2005 zugestellt worden. Nachdem der Senat am 19.10.2005 telefonisch darauf hingewiesen hatte, dass die Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist abgelaufen sei, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 21.10.2005 (eingegangen beim OLG am 24.10.2005) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Berufung nebst Begründung nachgeholt.

Sie macht geltend, der ursprüngliche Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe genüge den Formerfordernissen einer Berufung. Jedenfalls sei die Versäumung der Wiedereinsetzungs- und Berufungsfrist unverschuldet, weil der als Hilfskraft in untergeordneter Funktion mit der Bearbeitung des Wiedereinsetzungsantrags beauftragte Rechtsanwalt G entgegen den vom Sachbearbeiter Rechtsanwalt R erteilten Anweisungen sowohl die Notierung der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag als auch die weitere Bearbeitung der auf seinem Schreibtisch abgelegten Akte versäumt habe. Deshalb sei die rechtzeitige Anfertigung des Wiedereinsetzungsantrags und dessen Vorlage an einen der anderen vor dem OLG vertretungsberechtigten Mitglieder der Sozietät unterblieben.

II.

Die Beklagte stellt zur Überprüfung, ob nicht ihr mit "bedingte Berufung" überschriebener und innerhalb der Berufungsfrist eingegangener Schriftsatz vom 31.05.2005 als allen Vorschriften genügende Berufungseinlegung und -begründung anzusehen sei, weil nach dem Beschluss des BGH vom 21.12.2005 (Az. XII ZB 33/05) die Verbindung eines Rechtmittels mit einem Prozesskostenhilfeantrag im Zweifel nicht als Bedingung für die Einlegung zu verstehen sei.

Dem folgt der Senat nicht.

Der Auslegung des Schriftsatzes als (unbedingte) Berufung steht zum einen die ausdrückliche Bezeichnung als "bedingte Berufung", zum anderen die dazu auf Nachfrage abgegebene Erklärung entgegen, der Schriftsatz sei als PKH-Antrag für eine beabsichtigte Berufung zu verstehen.

III. Zum Wiedereinsetzungsantrag:

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Beantragung der Wiedereinsetzung gemäß § 234 ZPO und zur Einlegung der Berufung gemäß § 517 ZPO kommt nur in Betracht, wenn der Rechtsmittelkläger ohne sein Verschulden gehindert war, diese Fristen einzuhalten, § 233 ZPO. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, weil den Prozessbevollmächtigten der Beklagten ein Verschulden zur Last fällt, das sie sich gemäß § 85 II ZPO zurechnen lassen muss.

1.

Zutreffend ist allerdings, dass es auf die Versäumnisse von Rechtsanwalt G nicht ankommt, weil dieser entsprechend dem anwaltlich versicherten Vortrag der Prozessbevollmächtigten den Rechtsstreit im Berufungsrechtszug nicht selbständig bearbeitete, sondern Rechtsanwalt R bei der Abfassung der Berufungsbegründung nur zugearbeitet und auch den Wiedereinsetzungsantrag nur vorzubereiten hatte. Er war daher bloßer juristischer Hilfsarbeiter, dessen Verschulden dem Prozessbevollmächtigten beziehungsweise der Partei ebenso wenig zugerechnet werden kann wie das von Büropersonal (BGH, VersR 1992, S. 1421).

2.

Dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt R ist aber ein eigenes Verschulden vorzuwerfen, weil er das Empfangsbekenntnis hinsichtlich des PKH-Beschlusses unterzeichnet hat, bevor die durch die Zustellung ausgelöste Frist des § 234 ZPO mit Vorfrist notiert war. Auf Grund dieses schuldhaften Versäumnisses ist die fristgerechte Vorlage der Akte zur Fertigung des Wiedereinsetzungsgesuchs unterblieben, was für die Nichteinhaltung der Frist ursächlich war.

a)

Bei Zustellung eines Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren bewilligenden Beschlusses hat der beigeordnete Rechtsanwalt selbst die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist zu überprüfen und - wenn diese Fristen bereits abgelaufen sind - dafür zu sorgen, dass die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag mit Vorfrist notiert wird. Bevor die Notierung sichergestellt ist, darf er das Empfangsbekenntnis nicht unterschreiben (BGH FamRZ 1999, S. 1498,1499).

b)

Zwar ist glaubhaft gemacht, dass Rechtsanwalt R dieser Prüfungspflicht nachgekommen ist, die Frist für die Fertigung des Wiedereinsetzungsantrags zutreffend berechnet und Rechtsanwalt G mit ihrer Notierung im Fristenkalender und der Vorbereitung des Wiedereinsetzungsgesuchs beauftragt hat, das genügte aber den Sorgfaltsanforderungen zur Wahrung von Rechtsmittelfristen nicht und war entgegen der Auffassung der Beklagten trotz der juristischen Ausbildung von Rechtsanwalt G nicht etwa ein besonders sicherer Weg:

Zwar ist nicht grundsätzlich sorgfaltswidrig, die Anweisung zur Notierung einer Frist nur mündlich zu geben, dann müssen aber ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die Anweisung in Vergessenheit gerät und die konkrete Fristeintragung unterbleibt (BGH NJW 2003, S. 435, 436). Das ist nur der Fall, wenn die mit der Notierung beauftragten Angestellten generell angewiesen sind, die Fristeintragung sofort vorzunehmen und nicht wegen anderer Aufgaben zurückzustellen (BAGE 78; S. 184, 186).

Dass Rechtsanwalt G mehrfach auf die Gefahren versäumter Fristen hingewiesen worden ist und bisher keine Fristversäumung zu verantworten hatte, ersetzte die angesprochenen Vorkehrungen gegen das Vergessen mündlicher Anweisung zur Fristennotierung nicht, denn Rechtsanwalt G fehlte trotz generellen Gefahrenbewusstseins die bei der Befolgung von Anweisungen zur Fristennotierung erforderliche Routine, durch sofortige Ausführung das Risiko des Vergessens zu minimieren. Also hätte Rechtsanwalt R die Verantwortung für die Notierung der Fristen im Fristenkalender nicht auf Rechtsanwalt G delegieren dürfen, sondern die zuständige Bürokraft direkt anweisen müssen, was ohne Zeitverlust möglich und zumutbar gewesen wäre. Nur so wäre die Befolgung der mündlichen Anweisung mit Vorrang vor allen anderen Arbeiten gewährleistet gewesen, wie es den Sorgfaltsanforderungen der Rechtsprechung beim Arbeiten mit mündlichen Anweisungen entspricht.

Die von der Beklagten zitierte Entscheidung des OLG Hamburg (MDR 1976, S. 230) enthält keine Gesichtspunkte, die eine andere Entscheidung rechtfertigen würden. In jenem Fall hatte der zuarbeitende Rechtsanwalt den Rechtsmittelschriftsatz vielmehr ordnungsgemäß gefertigt und zur Unterschrift vorgelegt. Nur den (nicht weiter kontrollierbaren) Einwurf in den Nachtbriefkasten hatte er vergessen. Im vorliegenden Fall geht es hingegen um die Frage, ob ein Verschulden darin liegt, dass die Erfüllung des Rechtsanwalt G erteilten Auftrags nicht durch Eintragung im Fristenkalender büromäßig kontrollierbar gemacht worden ist. Anders als in dem vom OLG Hamburg entschiedenen Fall gab es also eine Möglichkeit, das Fristversäumnis durch zumutbare Vorkehrungen zu verhindern. Rechtsanwalt R trifft deshalb ein eigenes Verschulden, dass sich die Beklagte zurechnen lassen muss.

IV. Zulässigkeit der Berufung:

Gemäß § 517 ZPO muss die Berufung binnen eines Monats seit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils eingelegt werden, die hier am 20.05.2005 erfolgt ist. Die Berufungsfrist lief daher am 20.06.2005 ab, während die Berufung erst zusammen mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung am 24.10.2005 und demnach verspätet eingegangen ist. Da der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keinen Erfolg hat, ist die Versäumung der Frist auch nicht geheilt.

Ist die Berufung nicht fristgerecht eingelegt, ist sie gemäß § 522 Abs. 1 ZPO durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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