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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 15.11.2006
Aktenzeichen: 11 UF 142/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1587c Nr. 1
1.)

Bei langer Trennungsdauer mit einhergehender wirtschaftlicher Verselbständigung der Ehegatten ist es gerechtfertigt, den Versorgungsausgleich nach § 1587c Nr. 1 BGB auf die Anrechte zu beschränken, die bis zum Zeitpunkt der frühestmöglichen Einleitung des Scheidungsverfahrens erworben worden sind.

2.)

Ob eine langdauernde Trennung vorliegt, lässt sich nicht in absoluten Zahlen messen, vielmehr ist die Dauer der Trennung ins Verhältnis zur Dauer des tatsächlichen Zusammenlebens zu setzen.

Hier: 17 Jahre und 8 Monate Zusammenleben gegenüber 23 Jahre und 6 Monate Trennungszeit erfüllen das Merkmal der langen Trennungsdauer.


OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

11 UF 142/06 OLG Hamm

Verkündet am 15. November 2006

In der Familiensache

hat der 11. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Zumdick und die Richter am Oberlandesgericht Lüblinghoff und Michaelis de Vasconcellos

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird das am 12. April 2006 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Ahlen im Ausspruch zum Versorgungsausgleich teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Von dem Versicherungskonto des Antragsgegners bei der Deutschen Rentenversicherung Westfalen - Versicherungsnummer 51 311043 P 025 - werden, bezogen auf den 31.12.2005, Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 120,46 € auf das Versicherungskonto der Antragstellerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund - Versicherungsnummer 51 271240 B 582 - übertragen.

Die Umrechnung der übertragenen Rentenanwartschaften in Entgeltpunkte wird angeordnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Die Kostenentscheidung erster Instanz bleibt bestehen.

Gründe:

I.

Die Parteien, deren Ehe durch das Verbundurteil des Amtsgerichts vom 12.04.2006 geschieden worden ist, streiten in zweiter Instanz nur noch darum, ob es Gründe für den teilweisen Ausschluss des vom Amtsgericht rechnerisch zutreffend ermittelten Anspruchs auf Versorgungsausgleich gibt. Dem liegt Folgendes zu Grunde:

Die Antragstellerin ist am 27.12.1940 geboren, der Antragsgegner am 31.01.1943. Sie haben am 06.03.1964 geheiratet. Eine unmittelbar nach der Heirat aufgenommene Ausbildung hat die Antragstellerin im Zusammenhang mit der Geburt des Sohnes H J P am 18.07.1965 beendet. Ab 1970 hat sie zunächst versicherungspflichtig gearbeitet, sich später aber mit einem Taxiunternehmen selbständig gemacht, für das auch der Antragsgegner als Kfz-Meister tätig geworden ist.

Nach der Trennung im Juni 1982 haben die Parteien den notariellen Ehevertrag vom 12.01.1983 geschlossen, in dem sie für die Zukunft gegenseitig auf jeglichen Unterhalt verzichteten, die Aufteilung des Hausrats bestätigten und Gütertrennung vereinbarten. Zum Ausgleich des Zugewinns, der im Wesentlichen in dem der Antragstellerin gehörenden Taxiunternehmen steckte, sollte diese ihrem Ehemann 11 Jahre lang monatlich 900,- DM zahlen, sobald dieser als Arbeitnehmer aus dem Taxibetrieb ausgeschieden sein würde. Nachdem das erfolgt war, erhielt er bis zum Niedergang des Taxiunternehmens im Jahre 1985 die vereinbarten Ausgleichszahlungen auf den Zugewinn.

Am 24.10.1986 wurde das Taxiunternehmen der Antragstellerin durch den Kreis Warendorf geschlossen. Nachdem sie im Juni 1987 auch die zunächst weiterlaufenden Schulfahrten einstellen musste, hat sie in der Folgezeit nur noch von Sozialhilfe gelebt und keine weiteren Anwartschaften auf Altersversorgung erworben.

Nach mehr als 23 Jahren Trennungszeit hat die Antragstellerin im Oktober_2005 die Scheidung beantragt. Der Scheidungsantrag ist dem Antragsgegner am 12. Januar 2006 zugestellt worden. Das Amtsgericht hat die Ehe alsdann durch das Verbundurteil vom 12.04.2006 geschieden und den Versorgungsausgleich wie folgt durchgeführt:

 Rentenanwartschaften des Antragsgegners bei der Deutschen Rentenversicherung Westfalen 1.010,28 €
./. von der Antragstellerin bei der Dt. Rentenversicherung Bund erworbene Anwartschaften145,07 €
Differenz 865,21 €
1/2 davon als Ausgleichsanspruch 432,61 €

In dieser Höhe hat das Amtsgericht Rentenanwartschaften des Antragsgegners auf die Antragstellerin übertragen, ohne eine Beschränkung des VA wegen der langen Trennungsdauer in Erwägung zu ziehen.

Mit der Beschwerde wendet sich der Antragsgegner gegen die Entscheidung zum Versorgungsausgleich und macht geltend, der Versorgungsausgleich sei gemäß § 1587 c BGB zu beschränken, weil die Trennungszeit die Zeit des Zusammenlebens überschreite. Es wäre daher grob unbillig, wenn er die nach der Trennung erworbenen Anwartschaften noch mit der Antragstellerin teilen müsste, denn das hätte zur Folge, dass ihm mit einer Rente von 595,- € zu wenig zum Leben bleibe. Unbilligkeit sei insbesondere deshalb anzunehmen, weil er und seine Ehefrau im Vertrag vom 12.01.1983 definitiv das Ende ihrer Ehe- und Solidargemeinschaft geregelt hätten. Dass seine Ehefrau das Taxiunternehmen, das im Zeitpunkt des Vertragsschlusses einen Wert von 250.000,- DM gehabt habe, später heruntergewirtschaftet und in der Folgezeit unterlassen habe, eine eigene Altersversorgung aufzubauen, könne nicht zu seinen Lasten gehen.

Die Antragstellerin verteidigt die Entscheidung des Amtsgerichts. Sie macht geltend, das Taxiunternehmen ohne eigenes Verschulden verloren zu haben. Auch nach dem Verlust ihrer Existenz habe sie sich bemüht, beruflich wieder Fuß zu fassen, doch sei ihr das trotz aller Bemühungen nicht gelungen.

Da es der Antragsgegner selbst in der Hand gehabt hätte, das Scheidungsverfahren einzuleiten, sei es unbillig, wenn er sich jetzt auf die Länge der Trennungszeit berufen dürfe.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und hat Erfolg. Der Antragsgegner macht zu Recht geltend, dass der Versorgungsausgleich zu beschränken ist, weil eine langdauernde Trennung der Ehegatten vorliegt, welche die Anwendung des § 1587 c Ziffer 1 BGB rechtfertigt.

1.

Der Versorgungsausgleich trägt dem Gedanken Rechnung, dass jede Ehe infolge der auf Lebenszeit angelegten Gemeinschaft schon während der Phase der Erwerbstätigkeit im Keim auch Versorgungsgemeinschaft ist. Deshalb werden die während der Ehezeit erworbenen Versorgungsanwartschaften gemäß ihrem Zweck der gemeinsamen Alterssicherung im Fall der Scheidung aufgeteilt. Die rechtfertigende Grundlage für den Versorgungsausgleich fehlt aber, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft durch Trennung der Eheleute aufgehoben ist und beide für sich selber sorgen (ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. FamRZ 2004, S. 1182 m.w.N.).

Zwar ist der Versorgungsausgleich nach der gesetzlichen Regelung nicht auf die Zeit der ehelichen Lebensgemeinschaft beschränkt, sondern grundsätzlich für die gesamte Ehezeit vorgeschrieben. Dies beruht jedoch in erster Linie auf Zweckmäßigkeitserwägungen. Insbesondere soll dem Ausgleichsverpflichteten die Möglichkeit genommen werden, den Ausgleichsanspruch durch Trennung vom Ehegatten zu manipulieren. Deshalb ist nach der Rechtsprechung des BGH in allen Fällen, in denen eine Versorgungsgemeinschaft wegen vollzogener Trennung und wirtschaftlicher Verselbständigung der Ehegatten über längere Zeit nicht mehr bestanden hat, zu prüfen, ob unter Billigkeitsgesichtspunkten eine Korrektur des Anspruchs erfolgen muss, der sich unter Einbeziehung der Trennungszeit ergibt (BGH FamRZ 2004, S. 1181, 1183; BGH FamRZ 93, S. 302, 303; Johannsen/Henrich, Eherecht, 3. Auflage, § 1587 c Rdnr. 23; Palandt, 65. Auflage, § 1587 c, Rdnr. 18)

a)

Wann eine langdauernde Trennung in diesem Sinn anzunehmen ist, lässt sich nicht in absoluten Zahlen messen, vielmehr ist die Dauer der Trennung ins Verhältnis zur Dauer des tatsächlichen Zusammenlebens zu setzen (Johannsen/Henrich, a.a.O.; § 1587c BGB, Rdnr. 24).

Hier stehen 208 Monaten des Zusammenlebens (3/64 bis 6/82 = 17 Jahre und 4 Monate) 282 Monate der Trennung (7/82 bis 12/05 = 23 Jahre 6 Monate) gegenüber, in denen beide Parteien ihren Unterhalt selbst bestritten haben. Die Trennungszeit umfasst also mehr als die Hälfte der gesamten Ehezeit, was die Voraussetzungen einer langdauernden Trennung unzweifelhaft erfüllt.

b)

In diesen Fällen hält es der Senat grundsätzlich für sachgerecht, den Versorgungsausgleich auf die Anrechte zu beschränken, die bis zum Zeitpunkt der frühestmöglichen Einleitung des Scheidungsverfahrens erworben worden sind (Beschluss vom 02.09.2005, 11 UF 101/05, OLG-Report 2006, S. 193).

Da die Trennung hier Anfang Juni 1982 erfolgt ist, wie sich aus dem notariellen Vertrag der Parteien vom 12. Januar 1983 ergibt, hätte im Juni 1983 Scheidungsklage erhoben werden können, die auch unter Einrechnung der Unwägbarkeiten eines vorgeschalteten Prozesskostenhilfeverfahrens jedenfalls binnen 3 Monaten zugestellt worden wäre, so dass sich eine für den Versorgungsausgleich maßgebliche Ehezeit bis zum 31.08.1983 ergibt.

Bezieht man nur die bis zum 31.08.2003 erworbenen Rentenanwartschaften in die Berechnung des Versorgungsausgleichs ein, ergibt sich folgender verringerter Ausgleichsanspruch der Antragstellerin:

aa)

Der Antragsgegner hat in der Zeit vom 01.03.1964 bis zum 31.12.2005 insgesamt 38,6636 Entgeltpunkte erworben. Auf den Zeitraum vom 01.01.84 bis 31.12.2005 entfallen 23,7733 Entgeltpunkte, wie sich aus der Auskunft der Beteiligten zu 1) vom 13.03.2006 (Bl. 41 ff. GA) ergibt. Für die Zeit vom 01.09.83 bis 31.12.83 setzt der Senat 0,2 Entgeltpunkte an, weil der Antragsgegner vom 08.03.83 bis 31.12.83 insgesamt 0,5209 EP erworben hat; rund 2/5 davon fallen in die (herauszurechnende) Zeit von September bis Dezember 1993. Dann verkürzt sich der Ehezeitanteil der erworbenen Rente wie folgt:

 Gesamtzahl der in der Ehezeit erworbenen EP 38,6636
./. EP der Zeit vom 01.01.84 bis 31.12.05 23,7733
./. geschätzte EP der Zeit vom 01.09.83 bis 31.12.83 0,2000
verbleibende EP 14,6903
Ehezeitanteil der Rente (14,6903 E * 26,13 €) 383,86 €

bb)

Die Antragstellerin hat gemäß der Auskunft der Beteiligten zu 2) vom 21.02.2006 in der Ehezeit 5,5517 EP entworben. Davon entfallen auf die Zeit nach dem 31.08.1983 lediglich 0,0812 EP (Bl. 22 GA), so dass 5,4705 EP für den Versorgungsausgleich zu berücksichtigen sind. Das entspricht einer Rente von 142,94 € (5,4705 EP * 26,13 €).

cc)

Das führt zu folgendem (verringerten) Ausgleichsanspruch:

 vom Antragsgegner bis zum 31.08.83 bei der Deutschen Rentenversicherung Westfalen erworbene Anwartschaften 383,86 €
./. von der Antragstellerin bis zum 31.08.03 bei der Rentenversicherung Bund erworbene Anrechte 142,94 €
Differenz 240,92 €
1/2 davon als Ausgleichsanspruch 120,46 €

2. Billigkeitsabwägung:

Die Beschränkung des Versorgungsausgleichs auf die Zeit bis zur frühestmöglichen Erhebung der Scheidungsklage führt also zur Verringerung des vom Amtsgericht errechneten Anspruchs auf Versorgungsausgleich um 312,15 € (462,61 € ./. 120,46 € = 312,15 €). Die Antragstellerin hält dem entgegen, dass die ungekürzte Durchführung des Versorgungsausgleichs trotz der wirtschaftlichen Verselbständigung nach der Trennung deshalb geboten sei, weil sie ihre Existenz als Betreiberin eines Taxiunternehmens im Oktober 1986 verloren und danach trotz regelmäßiger Bewerbungen keine Anstellung mehr gefunden habe.

Zwar erfordert die Beschränkung des Versorgungsausgleichs gemäß § 1587 c Ziffer 1 BGB stets eine Abwägung aller Umstände im Einzelfall, dennoch steht die Tatsache, dass die Antragstellerin nach der Trennung wirtschaftlich gescheitert ist und keine weitere Altersversorgung für sich aufgebaut hat, der Beschränkung des Versorgungsausgleichs nicht entgegen.

a)

Die Parteien haben nach der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft durch den notariellen Ehevertrag vom 12.01.1983 eine Vermögensauseinandersetzung vorgenommen und vereinbart, dass künftig jeder für sich selbst aufkommen solle. Damit haben sie die rechtfertigende Grundlage für eine künftige Partizipation an Versorgungsanwartschaften des jeweils anderen bewusst aufgehoben.

b)

Die Gründe für das Scheitern des Taxiunternehmens - Konkurrenten sollen der Antragstellerin geschadet haben, wo es nur ging - sind zwar nicht überprüfbar, es kommt darauf aber auch nicht an. Die Parteien haben sich nach der Trennung darauf verständigt, dass die Antragstellerin das bis dahin gemeinsame Taxiunternehmen fortführen und dem Antragsgegner dafür einen Ausgleich zahlen solle. Das Scheitern des Unternehmens lag daher allein in ihrem Risikobereich.

c)

Die Antragstellerin behauptet, alle nach dem Ende der Selbständigkeit unternommenen Bewerbungen, die auch vom Sozialamt gefordert worden seien, seien erfolglos geblieben, obwohl sie monatlich 4 bis 6 Bewerbungen geschrieben habe und jede Arbeit angenommen hätte. Auch das fällt allein in ihren Risikobereich. Sie war bei Beginn ihrer Arbeitslosigkeit 47 Jahre alt. Sie macht zwar geltend, sie sei nach dem Ruin des Taxiunternehmens nervlich angeschlagen gewesen, dauerhafte gesundheitliche Beschwerden trägt sie aber nicht substantiiert vor. Weshalb sie dann trotz angeblicher Bereitschaft, jede Arbeit anzunehmen, auf dem Arbeitsmarkt chancenlos gewesen sein soll, ist nicht nachvollziehbar.

d)

Dass sie von Sozialhilfe leben musste, hat sie auch zu keinem Zeitpunkt veranlasst, einen Anspruch auf Trennungsunterhalt zu erheben, obwohl dieser nicht wirksam ausgeschlossen war. Das macht deutlich, dass sie es selbst für billig hielt, auf eigene Kosten leben zu müssen. Dann besteht trotz des eigenen Scheiterns auch kein Anlass, sie an den nach der Trennung von ihrem Ehemann erworbenen Versorgungsanwartschaften partizipieren zu lassen.

3.

Der oben errechnete Anspruch auf Versorgungsausgleich ist gemäß § 1587 b Abs. 1 BGB insgesamt durch Rentensplitting zu erfüllen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 93 a ZPO.

Ende der Entscheidung

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