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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 23.01.2004
Aktenzeichen: 11 UF 185/03
Rechtsgebiete: SorgeRÜbkAG, FGG


Vorschriften:

SorgeRÜbkAG § 8 II
FGG § 12
FGG § 22
FGG § 22 I 1
Nimmt ein Vater, der zusammen mit der Mutter das gemeinsame Sorgerecht inne hat, sein ihm durch Urteil eingeräumtes Umgangsrecht mit seinem Sohn ca. 1 1/4 Jahr nur völlig unzureichend wahr, so kommt dies einer Aufgabe seines Sorgerechts gleich, so dass eine Rückführung nach Art. 12 und 3 HKiEntÜ ausgeschlossen ist, wenn die Mutter zusammen mit dem Sohn aus Polen nach Deutschland umsiedelt und sich weigert, den Sohn freiwillig nach Polen zurückzuführen.
Oberlandesgericht Hamm Beschluss

11 UF 185/03 OLG Hamm

In der Familiengerichtssache

hat der 11. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Zumdick, den Richter am Oberlandesgericht Michaelis de Vasconcellos und den Richter am Oberlandesgericht Jellentrup am 23.01.2004 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 17.11.2003 gegen den Beschluß des Amtsgerichts -Familiengericht- Hamm vom 30.10.2003 wie auch der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Beschwerdeverfahren werden zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben, Auslagen werden nicht erstattet.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien sind seit Herbst 1999 getrennt lebende und durch Urteil des Amtsgerichts Olsztyn vom 15.12.2000 -nach Zurückweisung der hiergegen eingelegten Berufung des Antragstellers inzwischen rechtskräftig- geschiedene Eheleute. Aus der Ehe ist der am 12.12.1998 geborene Sohn Patryk hervorgegangen, der bei der Antragsgegnerin lebt und ebenso wie die Parteien die polnische Staatsangehörigkeit besitzt. Die elterliche Sorge wurde durch das vorgenannte Scheidungsurteil beiden Eltern gemeinsam übertragen, dem Antragsteller wurde daneben ein näher ausgestaltetes Umgangsrecht eingeräumt.

Nachdem die Trennung der Parteien zunächst innerhalb der Ehewohnung in der Kantstraße in Olsztyn vollzogen worden war, zog die Antragsgegnerin später zu ihren Eltern in deren etwa 3 km entfernt gelegene Wohnung. Umgangskontakte des Antragstellers mit seinem Sohn fanden auch danach noch bis August 2001 in der früheren Ehewohnung statt, wobei die Antragsgegnerin den Sohn jeweils zu dem Antragsteller brachte, endeten dann aber aus streitigem Anlass.

Der Antragsteller will anschließend am 28.09.2001 beim Bezirksgericht Olsztyn einen Antrag gestellt haben, die Antragsgegnerin zur Einhaltung des ihm - dem Antragsteller - zustehenden Umgangsrechts mit dem gemeinsamen Sohn anzuhalten und sich, nachdem dieser bei Gericht nicht weiterbearbeitet worden sein soll, in verschiedenster Form, letztlich aber gleichwohl erfolglos um eine Realisierung seines Umgangsrechts bemüht haben. Obwohl der Antragsteller im Mai 2002 zu seinen Eltern gezogen war, deren Wohnung nur wenige hundert Meter von der seiner Schwiegereltern liegt, kam es in der Folge nur noch einmal anlässlich einer im Zuge des Scheidungsverfahrens angeordneten Begutachtung durch das Familienzentrum für Diagnostik und Konsultation in Olsztyn zum persönlichen Kontakt zwischen dem Antragsteller und seinem Sohn, bevor die Antragsgegnerin am 12.12.2002 zusammen mit dem Sohn in die Bundesrepublik umsiedelte, wo sie seither in Bochum, seit dem 23.12.2002 in zweiter Ehe verheiratet, lebt. Der Aufforderung des Antragstellers, den Sohn freiwillig nach Polen zurückzuführen, ist sie nicht nachgekommen.

Der Antragsteller nimmt die Antragsgegnerin daher im vorliegenden Verfahren auf Herausgabe des Kindes zum Zwecke seiner Rückführung nach Polen in Anspruch.

Das Amtsgericht hat den Herausgabeantrag nach Anhörung der Parteien und des Kindes sowie Einholung einer Stellungnahme des Jugendamtes der Stadt Bochum durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen und zur Begründung unter näherer Darlegung ausgeführt, die Antragsgegnerin habe durch die ohne Zustimmung des Antragstellers erfolgte Verbringung des gemeinsamen Sohnes in die Bundesrepublik zwar das Sorgerecht des Antragstellers verletzt, hierbei aber nicht widerrechtlich gehandelt, da der Antragsteller sein Sorgerecht nach den getroffenen Feststellungen vor der Übersiedlung in die Bundesrepublik über einen Zeitraum von 1 % Jahr tatsächlich nicht mehr ausgeübt habe.

Gegen diese ihm am 03.11.2003 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 17.11.2003 eingelegte sofortige Beschwerde des Antragstellers, der sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft und unter näherer Darlegung ergänzend dazu vorträgt, dass er sich entgegen der Annahme des Amtsgerichts sehr wohl durchgängig und intensiv, gleichwohl aber erfolglos um eine Wahrnehmung seines Umgangsrechts mit seinem Sohn bemüht habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Feststellungen des Amtsgerichts in seinem angefochtenen Beschluss verwiesen.

II.

1.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Gemäß § 8 II SorgeRÜbkAG findet gegen eine im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach § 22 FGG statt (Bach/Gildenast, Internationale Kindesentführung 1999, Rz. 172). Diese wurde hier nach am 03.11.2003 erfolgter Zustellung des angefochtenen Beschlusses fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 22 I 1 FGG am 17.11.2003 eingelegt.

2.

In der Sache erweist sich die Beschwerde dagegen als unbegründet. Das Amtsgericht hat die Voraussetzungen einer Rückführungsanordnung nach Art. 12 i.V.m. Art. 3 HKiEntÜ im Streitfall zu Recht und aus zutreffenden Erwägungen verneint. Die hierzu getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts entsprechen der ständigen Rechtssprechung des Senats in gleichgelagerten Fällen und lassen keine Fehler erkennen, so dass auf die Ausführungen des Amtsgerichts zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen vollinhaltlich Bezug genommen werden kann. Auch die Angriffe der Beschwerde geben dem Senat keine Veranlassung zu einer Abänderung des angefochtenen Beschlusses. Sie rechtfertigen insbesondere nicht die Annahme, dass der Antragsteller sein Sorgerecht im Zeitpunkt der Verbringung des Kindes in die Bundesrepublik tatsächlich noch i.S.d. Art. 3 Abs. 1 lit. b) HKiEntÜ ausgeübt hat bzw. ausgeübt hätte, falls ihm dies nicht von der Antragsgegnerin verwehrt worden wäre.

Dabei folgt der Senat mit dem Amtsgericht der in Rechtsprechung und Literatur verbreitet vertretene Auffassung, wonach an die Voraussetzungen der tatsächlichen Ausübung des Sorgerechts entsprechend dem Sinn und Zweck des HKiEntÜ keine hohen Anforderungen zu stellen sind. Durch dieses Erfordernis sollen nur Sorgeverhältnisse ausgeschlossen werden, bei denen die gesetzlichen oder vereinbarten Rechte und Pflichten überhaupt nicht, auch nicht hin und wieder oder in Ansätzen auch im Umfang eines Umgangsrechts, wahrgenommen werden. Daher übt auch ein getrennt lebender Elternteil mit Sorgerecht aber ohne tatsächliche Personensorge noch sein Sorgerecht aus, wenn er das Kind besucht, es anruft, aber dessen Aufenthalt im Ausland ablehnt (vgl. Palandt/Heldrich, BGB, 62. Aufl., Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 65 m.w.Rspr.N; Staudinger/Pirrung, BGB, Vorbemerkung zu Art. 19 EGBGB Rz. 644; Siehr in MünchKomm/BGB, 3. Aufl., Art. 19 EGBGB Anh. II Rz. 29; Bach, FamRZ 1997, 1051 ff, 1055; OLG Zweibrücken, OLGR 2001, 273; OLG Stuttgart FamRZ 1996, 688 f, 689; KG FamRZ 1996, 691; stdg. Rechtsprechung des Senats, so u.a. Beschluss vom 23.02.2001 -11 UF 345/00-).

b)

Nach den getroffenen Feststellungen muss hier indes davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller sich nach im August 2001 erfolgter Einstellung zuvor durchgeführter Umgangskontakte durch die Antragsgegnerin nur noch völlig unzureichend und in einer Form um deren Wiederaufnahme gekümmert hat, die faktisch einer Aufgabe seines Sorgerechts gleichkam.

Dass es dem Antragsteller im Zeitraum von August 2001 bis zur Aussiedlung der Antragsgegnerin und des Sohnes am 12.12.2002 trotz nach seiner Darstellung eifrigem Bemühen allein aufgrund der Weigerungshaltung der Antragsgegnerin nicht mehr gelungen sein soll, Kontakt zu seinem Sohn zu bekommen, erscheint weder nachvollziehbar noch lebensnah, zumal vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller ab Mai 2002 nur noch wenige hundert Meter von der Antragsgegnerin entfernt wohnte und im übrigen - wie er bei seiner Anhörung vor dem Amtsgericht eingeräumt hat- aus eigener Kenntnis wusste, in welcher Kinderkrippe sein Sohn betreut wurde, so dass sich jedenfalls dort für ihn die naheliegende Möglichkeit einer Kontaktaufnahme angeboten hätte. Daneben stellt der Antragsteller nicht in Abrede, seinen Sohn bei verschiedenen Gelegenheiten beim Spielen auf der Straße gesehen zu haben, ohne jedoch auch nur den Versuch unternommen zu haben, zumindest dort mit ihm in Kontakt zu treten.

Soweit der Antragsteller mit der Beschwerde unter Vorlage schriftlicher Erklärungen seiner Mutter und einer Cousine vortragen lässt, er habe sich nach der Einstellung von Umgangskontakten wiederholt in Begleitung von Mutter oder Cousine sowohl zur ehemaligen Ehewohnung als auch zur Wohnung seiner Schwiegereltern begeben, um dort den Kontakt zur Antragsgegnerin zu suchen, die im übrigen auch telefonisch für ihn nie erreichbar gewesen sei, begegnet dieses Vorbringen in verschiedener Hinsicht durchgreifenden Bedenken, die nachhaltige Zweifel an der Wahrheitsliebe des Antragstellers begründen, weshalb die von der Antragsgegnerin in Frage gestellte Authentizität der vorgelegten Zeugenerklärungen letztlich dahin stehen kann. So verweist die Antragsgegnerin zu Recht darauf, dass angebliche Versuche des Antragstellers, sie nach August 2001 noch in der vormaligen Ehewohnung anzutreffen, schon deshalb wenig Sinn machten, weil sie -die Antragsgegnerin- bereits vor dem Antragsteller aus der Wohnung aus- und zu ihren Eltern gezogen war, was dem Antragsteller auch bekannt war, wie sich aus seinem weiteren Vortrag ergibt, wonach er versucht haben will, die Antragsgegnerin (auch) bei ihren Eltern anzutreffen oder telefonisch zu erreichen. Auch die weitere -durch die schriftlichen Erklärungen von Mutter und Cousine unterlegte- Behauptung des Antragstellers, wiederholte Versuche einer telefonischen Kontaktaufnahme seien stets fehlgeschlagen, lässt sich nur schwer mit der -allerdings auch insoweit widersprüchlichen- Erklärung des Antragstellers bei seiner Anhörung vor dem Amtsgericht vereinbaren, wonach Kontakte daran gescheitert seien, dass die Antragsgegnerin ihre Telefonnummer gewechselt habe, zum anderen aber auch daran, dass die Antragsgegnerin entweder nicht da gewesen sei oder sofort wieder aufgelegt habe. Angesichts der dargelegten Ungereimtheiten bestand für den Senat auch in Ansehung der nach § 12 FGG gebotenen Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen keine Veranlassung, Beweis über Art und Umfang der vom Antragsteller tatsächlich unternommenen Bemühungen um eine Wiederherstellung seines Kontaktes zur Antragsgegnerin und insbesondere zu seinem Sohn zu erheben.

Das feststellbare Bemühen des Antragstellers um eine Wiederherstellung des Umgangskontaktes zu seinem Sohn reduziert sich danach auf die -allerdings auch insoweit bestrittene- Einreichung eines Antrags bei dem Bezirksgericht in Olsztyn am 28.09.2001, durch den die Antragsgegnerin zur Beachtung des ihm -dem Antragsteller- im Rahmen des Scheidungsurteils eingeräumten Umgangsrechts angehalten werden sollte, dem dann ein zweiter, gleichgerichteter Antrag am 05.11.2002 gefolgt sein soll, nachdem auf den ersten Antrag trotz wiederholter Nachfrage bei Gericht und Polizeibehörden keine Reaktion erfolgt sein soll. Mit Recht ist das Amtsgericht bei dieser Sachlage zu der Einschätzung gelangt, dass der Antragsteller allein durch diese formale Verfolgung seines Umgangsrechts, das -wie dargelegt- von keinem feststellbaren (weiteren) Bemühen um dessen tatsächliche Realisierung in angemessener Form und Zeit begleitet wurde, sein ernsthaftes Interesse an einer Ausübung seines Sorgerechts i.S.d. Art. 3 Abs. 1 lit. b) HKiEntÜ nicht ausreichend zum Ausdruck gebracht hat.

3.

Da die Beschwerde aus den dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§114 ZPO), war neben der Beschwerde auch das Prozesskostenhilfegesuch des Antragstellers zurückzuweisen.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 13 a I FGG i.V.m. Art. 26 II HKiEntÜ.

Ende der Entscheidung

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