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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 01.08.2003
Aktenzeichen: 11 UF 243/02
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 1613 Abs. 2 | |
BGB § 1613 Abs. 3 |
OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
11 UF 243/02 OLG Hamm
Verkündet am 01. August 2003
In der Familiensache
hat der 11. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juli 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Zumdick und die Richter am Oberlandesgericht Michaelis de Vasconcellos und Jellentrup
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 03.06.2002 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Beckum wird zurückwiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Die am 31.03.1987 geborene Klägerin ist die Tochter des Beklagten aus dessen geschiedener Ehe mit ihrer Mutter, in deren Haushalt sie lebt. Sie verlangt von ihrem Vater die Erstattung der Kosten für die Anschaffung eines Computers. Dem liegt folgendes zugrunde:
Die Klägerin wird seit 1997 ärztlich behandelt. Es ist ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom mit Hyperaktivität festgestellt worden, das sich in schlechten Schulleistungen niedergeschlagen hat. 1998 ist sie im 4. Grundschuljahr wegen mangelhafter Leistungen in Rechtschreibung und Mathematik in die 3. Klasse zurückversetzt worden. Im Sommer 1999 ist sie gemäß der ausgesprochenen Empfehlung auf die Roncalli-Hauptschule gewechselt. Dort sackten ihre Leistungen erneut ab.
Im November 1999 kaufte die Mutter der Klägerin einen 3 Monate alten Personalcomputer von der Firma B GmbH, der dem neuesten technischen Stand entsprach und 2.099,60 DM gekostet hat. Anlaß der Anschaffung soll die Empfehlung gewesen sein, zur Förderung der Klägerin Lernprogramme einzusetzen. Gleichwohl forderte der von der Mutter eingeschaltete Anwalt den Beklagten mit Schreiben vom 15.02.2000 auf, zur Anschaffung eines Computers für die Klägerin einen Betrag von 2.300,00 DM zur Verfügung zu stellen.
In der Klage hat die Klägerin die Erstattung der Kosten des im November 1999 angeschafften Computers verlangt und zur Begründung ausgeführt, sie habe den Computer wegen ihrer Lernschwäche kurzfristig kaufen müssen. Deshalb handele es sich um einen überraschend aufgetretenen Sonderbedarf, der gem. § 1613 Abs. 3 BGB noch nachträglich geltend gemacht werden könne.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.035,33 € nebst 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.12.2001 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat zunächst bestritten, daß die Firma B einen Computer geliefert habe und darauf verwiesen, daß die Mutter der Klägerin mit der Juniorchefin befreundet sei; von seiner Tochter habe er nämlich gehört, daß der zu Hause benutzte Computer von der Fachhochschule stamme, an der die Mutter tätig sei.
Hilfsweise hat er sich darauf berufen, daß der Computer der Firma B mit Komponenten ausgestattet sei, die für die Zwecke der Klägerin nicht erforderlich gewesen seien.
Das Amtsgericht hat die Klage aus zwei Gründen abgewiesen. Zum einen bestünden Bedenken, ob es sich um einen Sonderbedarf im Sinne des Gesetzes gehandelt habe, da sich die Notwendigkeit des Einsatzes eines Computers mit Lernprogrammen nicht plötzlich ergeben habe. Darüber hinaus sei aber auch nicht ersichtlich, daß gemäß der Ankündigung im Schreiben vom 15.02.2000 ein weiterer Computer für die Klägerin angeschafft worden sei.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlich gestellten Antrag weiter verfolgt. Sie macht geltend, das Amtsgericht habe ihren erstinstanzlichen Vortrag mißverstanden. Es sei immer nur um die Erstattung der Kosten für den von der Firma B erworbenen Computer gegangen, der ausschließlich für sie angeschafft worden sei. Ihr Anwalt sei dann beauftragt worden, die tatsächlich entstandenen Kosten einzufordern. Die der Anforderung beigefügten Angebote aus Zeitungen hätten nur belegen sollen, daß der für den Computer aufgewandte Betrag angemessen gewesen sei. Der Anwalt habe dann aus für ihn selbst nicht mehr nachvollziehbaren Gründen versehentlich nicht den tatsächlich aufgewandten Betrag, sondern die Kosten für eine künftige Anschaffung geltend gemacht. An diesem Fehler könne der Anspruch nicht scheitern.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.073,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.12.2001 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt hat Urteil des Amtsgerichts. Er bestreitet, daß bei der Klägerin zum Ausgleich besonderer Schwächen der Einsatz eines Computers geboten gewesen sei. Darüber hinaus blieben trotz der persönlichen Erklärung des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Zweifel, daß der Computer für sie angeschafft worden sei. Vielmehr sei zu vermuten, daß die Mutter der Klägerin den über die Firma B bezogenen hochwertigen Computer zumindest auch für ihre eigenen Bedürfnisse als Fotografin habe einsetzen wollen und eingesetzt habe.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, bleibt aber ohne Erfolg, denn nach den ergänzenden Angaben der Parteien in der mündlichen Verhandlung ist der Sachverhalt anders zu beurteilen als im Zeitpunkt der Entscheidung über den PKH-Antrag für die Berufung.
Als Anspruchsgrundlage kommt nur § 1613 Abs. 2 BGB in Betracht. Danach kann wegen eines unregelmäßigen außergewöhnlich hohen Bedarfs (= Sonderbedarf) auch nachträglich Unterhalt verlangt werden, wenn der Verpflichtete binnen 1 Jahres nach Entstehung des Bedarfs zur Erfüllung aufgefordert worden ist. Zwar ist im Senatstermin unstreitig geworden, das der von der Firma B gekaufte Computer allein von der Klägerin genutzt wird. Der Senat geht auch davon aus, daß die Anschaffung erforderlich war, um die Lerndefizite der Klägerin so gut wie möglich auszugleichen. Dennoch waren die für den Computer aufgewendeten Kosten kein unregelmäßiger Bedarf im Sinne von § 1613 Abs. 2 BGB, der nachträglich eingefordert werden kann.
1.
Unregelmäßig ist nach der Definition des Bundesgerichtshofs ein Bedarf, der nicht mit Wahrscheinlichkeit vorauszusehen war und deshalb auch bei vorausschauender Bedarfsplanung nicht durch Bildung von Rücklagen aus dem laufenden Unterhalt gedeckt werden konnte (BGH FamRZ 1984, S. 470).
Nach dieser Definition ist ein Sonderbedarf zu verneinen. Die Klägerin behauptet, die Notwendigkeit des Einsatzes von computergestützten Lernprogrammen habe sich aus ihrem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ergeben. Da diese Erkrankung seit 1997 bekannt war und sich von Anfang an in der Schule durch schlechte Leistungen bemerkbar gemacht hat, konnte die Anschaffung eines Computers auch längerfristig geplant werden.
2.
Die Richtigkeit der Auffassung des Bundesgerichtshofs ist allerdings umstritten. Auch der Senat neigt zu der Auffassung, daß Sonderbedarf nicht allein nach den Kriterien der Voraussehbarkeit und Planbarkeit abgegrenzt werden kann. Vielmehr ist zusätzlich zu prüfen, ob aus dem verfügbaren Einkommen überhaupt Rücklagen für den fraglichen Sonderbedarf zu bilden gewesen wären. Wenn das nicht der Fall ist, kann der aufgetretene Sonderbedarf trotz seiner Vorhersehbarkeit zusätzlich geltend gemacht werden (OLG Hamm, FamRZ 1993, S. 996; OLG Bremen Familienrechtsberater 2003, S. 74).
Ob aus den gezahlten Unterhaltsbeträgen Rücklagen gebildet werden konnten, war im Zeitpunkt der Entscheidung über den PKH-Antrag offen. Nach den in der mündlichen Verhandlung dazu getroffenen Feststellungen wäre das aber ohne weiteres möglich gewesen, so daß auch nach der hier vertretenen Auffassung die Annahme eines Sonderbedarfs im Sinne von § 1613 Abs. 2 BGB ausscheidet.
Nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien hat der Beklagte schon ab Mai 1999 Unterhalt nach Einkommensgruppe 8, Altersstufe 3 der seinerzeit gültigen Tabelle in Höhe von monatlich 628,00 DM (753,00 DM abzüglich 125,00 DM Kindergeldanteil) gezahlt. Auch wenn man davon ausgeht, daß erst der Unterhalt nach Einkommensgruppe 6 (135 % des Regelbedarfs) das Existenzminimum eines Kindes, also den Bedarf für Nahrung, Wohnung, Essen, Kleidung, Freizeit und Bildung abdeckt, konnte die Klägerin die Kosten für einen ihren Bedürfnissen entsprechenden Computer bei wirtschaftlichem Mitteleinsatz ansparen. Sie konnte dafür nicht nur die 76,00 DM bei Seite legen, um die der Zahlbetrag das Existenzminimum nach Einkommensgruppe 6 überstieg, sondern auch den für Bildung gezahlten Unterhaltsanteil. Den so monatlich anzusparenden Betrag schätzt der Senat auf 1.00,00 - 150,00 DM. Da nicht erforderlich war, einen dem neuesten Stand der Technik entsprechenden Computer für 2.099,00 DM anzuschaffen, sondern auch ein gebrauchtes Gerät ausgereicht hätte, das auch im guten Zustand für weniger als 1.000,00 DM zu haben gewesen wäre, hätten ab Mai 1999 rund 5 Monate ausgereicht, um den erforderlichen Betrag in einer Größenordnung von bis zu 1.000,00 DM bei Seite zu legen. Das schließt aus, den Beklagten nunmehr nachträglich auf Erstattung der Kosten für den Computer in Anspruch zu nehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Ziff. 10 ZPO.
Ende der Entscheidung
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