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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 31.05.2006
Aktenzeichen: 11 UF 53/06
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 1611 |
Eine Auskunftsklage bzgl. der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Vaters kann daher nicht mit der Begründung abgewiesen werden, der Sohn habe seine Bedürftigkeit durch eigenes sittliches Verschulden herbeigeführt, so dass ein Unterhaltsanspruch ganz entfalle.
OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
11 UF 53/06 OLG Hamm
Verkündet am 31. Mai 2006
In der Familiensache
hat der 11. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 31. Mai 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Zumdick und die Richter am Oberlandesgericht Lüblinghoff und Michaelis de Vasconcellos
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 13. Januar 2006 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Unna abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft über seine gesamten Einkommens- und Vermögensverhältnisse für die Zeit ab dem 29.05.2004 zu erteilen.
Wegen des Zahlungsantrages wird der Rechtsstreit an das Amtsgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Der Beklagte ist der Vater des am 21.12.1973 nichtehelich geborenen Jan H, der zur Zeit wegen Drogenbesitzes in Ecuador inhaftiert ist und vom Kläger Sozialhilfe für Deutsche im Ausland erhält. Der Kläger will die auf ihn übergegangenen Unterhaltsansprüche des Herrn Jan H gegen dessen Mutter und den Beklagten geltend machen, muss dazu aber zur Bestimmung des Haftungsverhältnisses gemäß §1606 Abs. 3 BGB zunächst die Einkommensverhältnisse des Beklagten kennen. Da dieser vorprozessual die Erteilung von Auskünften verweigert hat, nimmt ihn der Kläger im Wege der Stufenklage auf Auskunft und Zahlung in Anspruch. Im Einzelnen liegt Folgendes zu Grunde:
Jan H ist bei seiner Mutter aufgewachsen, die später geheiratet hat. Ihr Ehemann hat Jan nicht adoptiert, ihm aber seinen Namen gegeben. Der Beklagte hat Unterhalt für Jan gezahlt, bis dieser volljährig wurde und keine weiteren Ansprüche geltend machte. Über dessen schulischen und beruflichen Werdegang weiß er nichts, weil der den Kontakt zu Jan schon vor mehr als 20 Jahren verloren hat. Jan H ist offenbar drogensüchtig und am 05.10.2003 in Ecuador wegen Drogenschmuggels verhaftet worden. Am 30.09.2005 ist er wegen Drogenbesitzes zu 8 Jahren Haft verurteilt worden. Da die Haftbedingungen in den Gefängnissen Ecuadors katastrophal sind - 40 Gefangene in einer Zelle, unzureichende Versorgung mit Nahrung, Kleidung und medizinischer Behandlung - und es erforderlich ist, sich zusätzliche Leistungen zu erkaufen, hat er sich an die Deutsche Botschaft und seine Eltern gewandt. Letztere lösten seine Wohnung und sein Konto auf und schickten ihm das Geld aus der Kontoauflösung in Höhe von 376,63 € sowie weitere von ihnen und seinen Freunden aufgebrachte Mittel, insgesamt 1.176,63 €. Als dieses Geld verbraucht war, unter anderem für die Beschaffung von Drogen und die Behandlungskosten im Krankenhaus nach der Einnahme von Methylalkohol im Januar 2004, hat ihm der Kläger auf Veranlassung des Auswärtigen Amtes mit Schreiben vom 15.04.2004 laufende Hafthilfe von monatlich 75,- US $ und Hilfe bei Krankheit zugesagt. Kurze Zeit später hat er dem Beklagten die Hilfegewährung angezeigt und wegen der künftig übergehenden Unterhaltsansprüche Auskunft verlangt.
Da der Beklagte alle Ansprüche schon dem Grunde nach zurückgewiesen hat, macht der Kläger die auf ihn übergegangenen Ansprüche Jan H gegen seinen Vater im vorliegenden Verfahren geltend.
Er hat in erster Instanz vorgetragen, Jan H, der bis zu einer eventuellen Verurteilung als unschuldig zu gelten habe, sei auf Grund der Verhältnisse in den Gefängnissen Ecuadors bedürftig geworden, da die Versorgung dort unzureichend sei und keine Möglichkeit bestehe, durch Arbeit im Gefängnis zusätzliche Mittel zu erwerben. Ein sittliches Verschulden von Jan H, das zur Verwirkung der Ansprüche gemäß § 1611 BGB führen könne, sei vom Beklagten darzulegen und bisher nicht ersichtlich.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihm Auskunft über seine gesamten Einkommens- und Vermögensverhältnisse für die Zeit ab dem 29.05.2004 zu erteilen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat geltend gemacht, er brauche keine Auskunft zu erteilen, weil eventuelle Unterhaltsansprüche seines Sohnes verwirkt seien. Er habe den Unterhalt für seinen Sohn stets pünktlich gezahlt, aber seit 20 Jahren kein Lebenszeichen mehr von diesem erhalten, auch nicht nach dessen Volljährigkeit. Darüber hinaus müsse sich sein Sohn unabhängig von der Unschuldsvermutung vorhalten lassen, sich vorsätzlich in die Drogenszene begeben und damit bewusst der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt zu haben. Auch wenn ihm dessen Schicksal nicht völlig gleichgültig sei, habe dieser seine Lage doch allein zu verantworten. Auch im Hinblick auf die Verschwendung von Geldmitteln für Drogenkonsum und ein Tatoo könne er keinen Unterhalt verlangen.
Das Amtsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, ein Unterhaltsanspruch von Jan H gegen seinen Vater bestehe schon dem Grunde nach nicht. Zum einen stehe nach der Verurteilung von Jan H fest, dass er durch eigenes sittliches Verschulden bedürftig geworden sei, was den Unterhaltsanspruch entfallen lasse, zum anderen sei auch nicht festzustellen, dass man zum Überleben in den Gefängnissen Ecuadors zusätzliches Geld brauche, denn sonst wäre nicht nachvollziehbar, dass Jan H die ihm zur Verfügung gestellten Geldmittel für nicht notwendige Ausgaben wie Drogen und ein Tatoo verwendet habe.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der Berufung und macht geltend, es bestehe zwar bestehe kein Zweifel daran, dass Jan H ein sittliches Verschulden zur Last falle, dieses sei aber nicht die Ursache für die aktuelle Bedürftigkeit. Vielmehr seien dafür allein die unzumutbaren Verhältnisse in den Gefängnissen Ecuadors verantwortlich.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts sei auch nicht festzustellen, dass Jan H die ursprünglich für seinen Unterhalt verfügbaren Mittel ausschließlich zur Bestreitung seines Drogenkonsums verwendet habe.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten abändernd zu verurteilen,
a) ihm Auskunft über seine gesamten Einkommens- und Vermögensverhältnisse für die Zeit ab dem 29.05.2004 zu erteilen,
b) die Sache wegen des Zahlungsantrags an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Im Termin hat er sich darauf berufen, seit einem Jahr krank zu sein und nur noch Krankengeld in Höhe von täglich 37,80 € zu beziehen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und hat in der Auskunftsstufe in vollem Umfang Erfolg mit der Konsequenz, dass das Verfahren im übrigen gemäß § 538 Nr. 4 ZPO an das Amtsgericht zurückzuverweisen ist.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger Sozialhilfe an den jetzt 32-jährigen Sohn des Beklagten Jan H leistet. Da sich erst nach Auskunftserteilung feststellen lässt, ob Jan H Unterhaltsansprüche gegen den Beklagten hat, die dann gemäß § 94 Abs. 1 SGB VII auf den Kläger übergangen wären, steht ihm aus übergegangenem Recht jedenfalls der Auskunftsanspruch aus § 1605 BGB zu.
1.
Unterhaltsansprüche Jan H gegen seinen Vater, den Beklagten, könnten sich aus den §§ 1601, 1602. 1603, 1610 BGB ergeben. Schon das Amtsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass Unterhaltsansprüche von Kindern gegen ihre Eltern, die wegen des Abschlusses oder des Nichtantritts einer Berufsausbildung im Hinblick auf die eigenen Erwerbsmöglichkeiten erloschen sind, wieder aufleben können, wenn sich das Kind nicht mehr selbst unterhalten kann.
Die Auffassung des Beklagten, sein Sohn sei nicht bedürftig, weil er durch den die Untersuchungs- und Strafhaft anordnenden Staat Ecuador versorgt werde, trifft nicht zu. Die deutsche Botschaft in Quito hat dem Kläger schriftlich bestätigt, dass wegen der unzureichenden Versorgung der Häftlinge mit Nahrungsmitteln, Kleidung und medizinischer Betreuung Zusatzverpflegung, Kleidung und Krankenhilfe gekauft werden muss, um die Haft unbeschadet zu überstehen. Diese amtlichen Auskünfte sind nicht substantiiert bestritten und bedürfen deshalb keiner weiteren Aufklärung. Ob und in welchem Umfang der Sohn ursprünglich zur Verfügung gestellte Geldmittel unnütz ausgegeben hat, um sich Drogen und ein Tatoo zu beschaffen, spielt vorerst keine Rolle. Zwar kommt in Betracht, ihm leichtfertig ausgegebene Mittel fiktiv bedarfsdeckend zuzurechnen, das lässt die Bedürftigkeit aber nicht generell entfallen.
2.
Die entscheidende Frage ist, ob schon im jetzigen Verfahrensstadium ein Ausschluss möglicher Unterhaltsansprüche gemäß § 1611 BGB bejaht werden kann, wie das Amtsgericht das angenommen hat. Diese Auffassung teilt der Senat nicht.
a)
Auch nach Auffassung des Klägers besteht kein Zweifel, dass der durch Urteil eines Gerichts in Ecuador festgestellte Verstoß Jan H gegen Drogengesetze ein sittliches Verschulden im Sinne von § 1611 BGB darstellt (vgl. für den Fall des Drogenkonsums OLG Celle, FamRZ 90, S. 1142, 1144, KG FamRZ02, 1357). Das sittliche Verschulden hat die Bedürftigkeit auch verursacht, denn der Verstoß Jan H gegen das Strafrecht Ecuadors ist nicht nur im Sinne der Äquivalenztheorie, sondern auch im Sinne der Adäquanztheorie kausal für die jetzt bestehende Bedürftigkeit. Die (sicher menschenrechtswidrigen) Verhältnisse in den Gefängnissen Ecuadors führen entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht zur Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs, denn das kommt nur bei einem ungewöhnlich groben Fehlverhalten eines Dritten in Betracht (BGH NJW 89, 768), was bei der Gewährleistung unzureichender Haftbedingungen durch einen armen Staat wie Ecuador nicht bejaht werden kann.
b)
Gleichwohl führt die Feststellung, dass Jan H Bedürftigkeit auf dessen sittlichem Verschulden beruht, entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht automatisch zum Entfallen jedes Anspruchs auf Unterhalt, sondern gemäß § 1611 BGB nur zu einer zweifachen Billigkeitsprüfung: zum einen richtet sich die Höhe des Anspruchs nach Billigkeitsgesichtspunkten, zum anderen kann er ganz entfallen, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre. Für die erforderliche Billigkeitsabwägung wird es im Wesentlichen auf zwei Kriterien ankommen: zum einen auf den Grad des Jan H anzulastenden sittlichen Verschuldens, was die Aufklärung der Gründe für die Drogenabhängigkeit und der bei der Reise und der Tat in Ecuador bewusst in Kauf genommen Risiken erfordert, zum anderen die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten. Je leichter er die Belastung durch die nach dem bisherigen Sachstand geringe Hafthilfe von 75,- $ = 62,50 € (bei einem Wechselkurs von 1,-- € = 1,20 $) verkraften kann, desto eher ist ihm das auch zuzumuten.
Eine gänzliche Versagung des Anspruchs ohne Rücksicht auf die eigenen Einkünfte käme nur bei einem schwerwiegenden Fehlverhalten des Sohnes gegenüber seinem Vater in Betracht, das bisher nicht ersichtlich und auch im Senatstermin nicht vorgetragen worden ist.
Da also eine Billigkeitsabwägung erforderlich ist, aber nicht stattfinden kann, so lange der Beklagte seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht in nachprüfbarer Weise offen gelegt hat, ist der Beklagte zur Auskunft zu verurteilen (mit den knappen ersten Angaben im Senatstermin ist der Anspruch noch nicht erfüllt).
3.
Wegen des Zahlungsanspruchs, der sich nach Auskunftserteilung ergeben kann, ist der Rechtsstreit ans Amtsgericht zurückzuverweisen. Ist nämlich eine Stufenklage in erster Instanz wie hier zu Unrecht gänzlich abgewiesen worden, so ist in entsprechender Anwendung von § 538 Nr. 4 ZPO geboten, dem Auskunftsanspruch stattzugeben und den Rechtsstreit zur Entscheidung in der Leistungsstufe an das Amtsgericht zurückzuverweisen, damit insoweit keine Instanz verloren geht (Thomas/Putzo, ZPO, 25. Auflage, § 538 ZPO, Rdnr. 12 a; Zöller, ZPO, 25. Auflage, § 538 ZPO, Rdnr. 48; BGH NJW 82, S. 235).
4.
Das die Sache zurückverweisende Urteil enthält keine Kostenentscheidung, weil das Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens erst zu beurteilen ist, wenn feststeht, ob und in welcher Höhe ein Unterhaltsanspruch besteht.
Ende der Entscheidung
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