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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.09.2005
Aktenzeichen: 11 W 11/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
BGB § 839
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 10. Februar 2005 gegen den Beschluss des Landgerichts Bochum vom 21. Januar 2005 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Antragstellerin wurde in Vollzug eines Kaufvertrags vom 26. Januar 1978 Eigentümerin einer im nicht beplanten Außenbereich liegenden Grundbesitzung in X. Sie nahm nach dem Erwerb auf diesem Grundbesitz verschiedene Investitionen vor. Unstreitig war das Objekt zu Wohnzwecken bebaut, ohne dass für diese Bebauung eine Baugenehmigung erteilt war. Die Beklagte hat mehrere Baugesuche zur Legalisierung der aufstehenden Baulichkeiten abgelehnt. Eine verwaltungsgerichtliche Klage ist unter Bestätigung der Auffassung der Beklagten abgewiesen worden. Auch eine Bauvoranfrage der Klägerin für ein Einfamilienwohnhaus mit Einliegerwohnung auf dem Grundstück ist im Jahr 1985 abgelehnt worden. Ein Kaufvertrag, den die Klägerin am 27. September 2001 mit dem Käufer Dr. C abgeschlossen hatte, ist nach der Ablehnung einer vom Käufer Dr. C beantragten Baugenehmigung zur nachträglichen Legalisierung der Gebäude durch Vertrag vom 6. Februar 2002 aufgehoben worden.

Die Antragstellerin will im Klagewege die Feststellung erstreiten, dass die Beklagte ihr zum Schadensersatz verpflichtet sei. Dazu hat sie ausgeführt: Die Beamten der künftigen Beklagten hätten es pflichtwidrig unterlassen, entsprechend der Ankündigung in einem Schreiben vom 30. April 1964 die Beseitigung des rechtswidrig errichteten Gebäudes durchzusetzen, obwohl eine bereits in einem Schreiben vom 16. Januar 1962 erlassene Abrissverfügung bestandskräftig geworden sei. Die Beamten der künftigen Beklagten hätten sich in dieser Hinsicht offenbar gar keine Gedanken gemacht, nachdem die dem damaligen Adressaten eingeräumte Frist für die Beseitigung abgelaufen gewesen sei, sondern die Angelegenheit einfach vergessen. Die von den Beamten verletzte Amtspflicht habe auch gegenüber der Antragstellerin bestanden. Eine anderweitige Ersatzmöglichkeit bestehe nicht, weil die Verkäuferin T, von der die Antragstellerin das Objekt in gutem Glauben an das Vorliegen einer Baugenehmigung erworben habe, zu einer Ersatzleistung nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen außerstande sei. Eine - vorrangige - Leistungsklage sei nicht möglich, weil die Schadenshöhe davon abhängig sei, ob die Antragstellerin die Immobilie je verkaufen könne.

Die Antragstellerin hat die Absicht, die Klage gegen die künftige Beklagte mit dem Antrag zu führen festzustellen, dass die künftige Beklagte der Antragstellerin jeglichen Schaden zu ersetzen hat, den letztere dadurch erlitten hat, dass die künftige Beklagte ihre Ordnungsverfügung vom 16. Januar 1962 - Az. 63 Ne 2.004 - nicht vollzogen hat.

Für diese Klage beantragt sie die Gewährung der Prozeßkostenhilfe, die das Landgericht ihr mit dem angefochtenen Beschluss versagt hat. Tragender Grund für diese Entscheidung ist die Annahme des Landgerichts, eine möglicherweise verletzte Amtspflicht habe den Beamten nicht gegenüber der Antragstellerin oblegen. Es sei allein um die Verfolgung des öffentlichen Interesses gegangen.

Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, die sie im wesentlichen so begründet: Die für die Beurteilung maßgebliche Frage sei, ob das Verbot, ohne Baugenehmigung zu bauen, nur im öffentlichen Interesse liege oder ob es auch drittschützenden Charakter habe. Letzteres sei entgegen der Annahme des Landgerichts zutreffend. Wiederholt sei in der Rechtsprechung entschieden worden, dass im Fall der rechtswidrigen Erteilung einer Baugenehmigung auch der nachfolgende Eigentümer des zu bebauenden Grundstücks in den Kreis der geschützten Dritten einbezogen sei. In dem hier gegebenen Fall einer Rechtsnachfolge in ein rechtswidrig bebautes Grundstück könne nichts anderes gelten.

Die Antragstellerin beantragt,

ihr abändernd die nachgesuchte Prozeßkostenhilfe zu bewilligen.

II. Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte und auch ansonsten zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe scheitert daran, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

1. Nicht von entscheidender Bedeutung ist die Frage, ob eine Klage mit dem von der Antragstellerin bisher angekündigten Feststellungsantrag als unzulässig zu bescheiden wäre, weil ihr eine Leistungsklage möglich ist und deshalb ein - schutzwürdiges - Feststellungsinteresse fehlt. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Antragstellerin, sie könne den Schaden bisher nicht beziffern, weil die Bezifferung davon abhängig sei, ob sie die Immobilie jemals verkaufen könne. Die Antragstellerin geht nämlich davon aus, ihr Schaden bestehe darin, dass sie das fragliche Objekt am 26. Januar 1978 erworben hat, wozu es nicht gekommen wäre, wenn die Beamten pflichtgemäß - so ihre Darstellung - für eine vorherige Beseitigung des baurechtswidrigen Zustands gesorgt hätten. Mit dieser nach Darstellung der Antragstellerin nachteiligen Veränderung ihrer Vermögenslage ist der Schaden bereits eingetreten, er kann auch beziffert werden. Das gilt auch im Hinblick auf nachfolgende Investitionen, die die Antragstellerin, so ihre Behauptung, im Vertrauen auf ihre Eigentümerposition vorgenommen hat. Dass der Schaden möglicherweise bei einem günstigen Weiterverkauf des Objekts ganz oder teilweise entfallen könnte, ändert daran nichts.

Angesichts der eigenen Darstellung der Antragstellerin über die Schwierigkeit einer Bezifferung des Schadens ist auch nicht anzunehmen, dass die Beklagte ein stattgebendes Feststellungsurteil zum Anlass nehmen würde, einem dann von der Antragstellerin zu formulierenden Zahlungsverlangen freiwillig nachzukommen. Die Rechtskraft eines Feststellungstenor würde den Streit also nicht endgültig beilegen.

Da aber das Begehren der Antragstellerin auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg bietet, kommt es auf diese Zweifel hinsichtlich der Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht an. Deshalb ist es entbehrlich, der Antragstellerin vor einer Entscheidung Gelegenheit zu einer ergänzenden Stellungnahme und evtl. zu einer Neufassung des angekündigten Antrags zu geben.

2. Die Antragstellerin kann mit der bisher angekündigten Fassung des Antrags auch in sachlicher Hinsicht keinen Erfolg haben, weil die Beamten der künftigen Beklagten nicht am 16. Januar 1962 eine Ordnungsverfügung erlassen haben, die zu vollziehen gewesen wäre. Mit dem Bescheid vom 16. Januar 1962, den die Antragstellerin in ihrem bisher formulierten Klageantrag bezeichnet, wurde vielmehr die Erteilung einer Baugenehmigung abgelehnt. Eines Vollzugs dieses Bescheids bedurfte es nicht. Der Senat hat keinen Anlass, den bereits in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Hinweis auf die Möglichkeit einer Anpassung des Klagebegehrens zu wiederholen. Das verbietet sich auch aus den nachfolgend dargestellten Erwägungen im Hinblick auf denkbare andere Antragsfassungen, gleich ob als Feststellungs- oder Leistungsklage.

3. Als Anspruchsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch der Antragstellerin kann unter den hier gegebenen Umständen allenfalls § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG in Betracht gezogen werden. Das sieht auch die Antragstellerin nicht anders. Ein solcher Anspruch scheitert jedenfalls daran, dass es nach dem Vortrag der Antragstellerin an einer Verletzung einer Amtspflicht, die den für die künftige Beklagte handelnden Beamten gegenüber der Antragstellerin oblag, fehlt. Maßgeblich ist insoweit der Schutzzweck, dem die verletzte Amtspflicht dient. Eine für § 839 BGB relevante Amtspflichtverletzung liegt nur vor, wenn die verletzte Pflicht gerade auch den Inhaber der beeinträchtigten Vermögensposition schützen soll, was voraussetzt, dass der Schutz (zumindest auch) gerade der Interessen des Einzelnen bezweckt ist. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kann das hier nicht angenommen werden.

Die Antragstellerin meint, es seien hier die Grundsätze entsprechend anzuwenden, die die Rechtsprechung an Hand der Fälle rechtswidrig erteilter Baugenehmigungen entwickelt hat und bei denen der Nachfolger des Adressaten der rechtswidrigen Genehmigung in den Kreis der von der verletzten Amtspflicht geschützten Dritten einzubeziehen ist. Die Antragstellerin berücksichtigt nicht, dass der Bundesgerichtshof (BGHZ 122, 317) in diesem Zusammenhang besonderen Wert darauf legt, dass der Kreis der geschützten Dritten im Fall rechtswidrig erteilter Baugenehmigung anders zu definieren als bei Versagung einer solchen Genehmigung. Die erteilte Baugenehmigung hat eine grundstücksbezogene Wirkung und ihr Wirkungskreis umfasst auch die begünstigten Nachfolger in die Position des Adressaten der Baugenehmigung. Nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs bestehen die Pflichten der Beamten auch ihnen gegenüber. Anders liegt es bei Versagung einer beantragten Baugenehmigung. Ihr kommt grundsätzlich eine nur personenbezogene Wirkung zu, Dritte sind in den Schutzbereich der insoweit verletzten Pflichten nicht einbezogen. Diese Unterscheidung, der der Senat in seiner Rechtsprechung folgt, verbietet es, die von der Antragstellerin angesprochene drittschützende Wirkung auch in dem vorliegenden Fall, in dem eine Baugenehmigung unstreitig nicht erteilt wurde, anzunehmen.

Die Beamten haben auch nicht eine Amtspflicht zu konsequentem Verhalten, die ihnen im Verhältnis zur Antragstellerin oblag, verletzt. Die Antragstellerin meint den Beamten in diesem Zusammenhang vorwerfen zu können, dass sie untätig geblieben sind, obwohl sie im Schreiben vom 30. April 1964 Zwangsmaßnahmen als unvermeidlich bezeichnet haben, wenn der Eigentümer nicht fristgerecht die Beseitigung des Schwarzbaus selbst vornehme. Damit kann die Antragstellerin nicht durchdringen. Die Amtspflicht zu konsequentem Verhalten bezweckt den Schutz derer, die auf solchermaßen konsequentes Verhalten vertrauen und im Hinblick darauf Vermögensdispositionen vornehmen (BGHZ 76, 343). Zu diesen Dritten zählt die Antragstellerin hier nicht. Sie kannte nach eigener Darstellung nicht die Rechtswidrigkeit der baulichen Situation und nicht den Inhalt von Gesprächen und Korrespondenz zwischen den Voreigentümern und der Behörde. Sie hat mithin auch nicht darauf vertraut, dass die Beamten nach ergebnislosem Ablauf der dem Voreigentümer eingeräumten Frist für die Beseitigung des Baus die angekündigten Zwangsmaßnahmen verhängen und durchführen würden. Sie hat auch nicht im Vertrauen hierauf eigene Dispositionen vorgenommen. Der Erwerb des Grundstücks erfolgte vielmehr im Vertrauen darauf, die Gebäude stünden im Einklang mit dem Baurecht. Der Schutz dieses Vertrauens ist, entgegen der Annahme der Antragstellerin, im Falle des Fehlens einer Baugenehmigung grundsätzlich nicht von den Amtspflichten, die den Beamten der Baubehörde obliegen, bezweckt. Ein Kaufinteressent kann sich eben nicht darauf verlassen, das ins Auge gefaßte und bereits errichtete Objekt stehe im Einklang mit dem Baurecht, weil die Beamten ansonsten seine Beseitigung hätten durchsetzen müssen. Er wird deshalb gut daran tun, sich insoweit vor dem Vertragsschluss in geeigneter Weise Gewissheit zu verschaffen. Soweit er, wie die Antragstellerin meint, mit einer Einsicht in die Bauakten "bei weitem überfordert" ist, kann er sich sachkundiger Hilfe bedienen. Nach geltendem Recht hat nicht die Baubehörde eine Pflicht gegenüber allen Käufern von bebauten Grundstücken, für die Rechtmäßigkeit der Bebauung einzustehen, wenn sie nicht für deren Beseitigung sorgt.

Denkbar ist allerdings, dass im Fall einer baurechtswidrigen Bauerrichtung den Beamten auch im Verhältnis zu einzelnen Bürgern eine Pflicht obliegt, zum Zweck der Beseitigung des baurechtswidrigen Zustands tätig zu werden. Das kann im Hinblick auf Nachbarn der Fall sein, wenn der rechtswidrige Bau gegen nachbarschützende Bauvorschriften verstößt (vgl. z.B. BVerwG BauR 1994, 740 =NVwZ 1995, 272). Ein solcher Fall liegt aber hier offensichtlich nicht vor.

Ende der Entscheidung

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