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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 23.12.2003
Aktenzeichen: 11 WF 180/03
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 127 II
BGB § 1361 I
Die Bewilligung einer Umschulungsmaßnahme durch das Arbeitsamt entbindet den Unterhaltspflichtigen nicht ohne weiteres von seiner Verpflichtung, sich intensiv um eine neue Arbeitsstelle zu bemühen.
Oberlandesgericht Hamm Beschluss

11 WF 180/03 OLG Hamm

Hamm, den 23.12.2003

In der Familiensache

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 04.09.2003 wird der Beschluss des Amtsgerichts -Familiengericht- Hamm vom 12.08.2003 abgeändert.

Der Antragstellerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt W in Hamm ratenfreie Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage bewilligt, mit der sie den Antragsgegner für die Zeit ab Februar 2003 auf Trennungsunterhalt in Höhe von monatlich 210,00 Euro in Anspruch nehmen will.

Der weitergehende Prozesskostenhilfeantrag wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

Gründe:

I.

Die Parteien sind seit September 2001 getrennt lebende Eheleute. Die im Dezember 1999 geschlossene Ehe blieb kinderlos. Das Scheidungsverfahren ist anhängig (31 F 400/02 AG Hamm).

Der Antragsgegner ist gelernter Schlosser, nach arbeitgeberseitiger Kündigung seines Arbeitsverhältnisses aber seit dem 01.04.2002 arbeitslos. Seit dem 01.07.2003 nimmt er an einer Umschulung zum Industriekaufmann teil.

Die Antragstellerin war vor der Trennung im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung als Gaststättenbedienung erwerbstätig, geht seit August 2001 nach einer unter im einzelnen streitigen Umständen erlittenen Sprunggelenks-Verrenkungsfraktur des linken Fußes aber - von einer kurzzeitigen Unterbrechung in der Zeit von März - April 2002 abgesehen - keiner bezahlten Arbeit mehr nach. Sie befindet sich wegen der erlittenen Verletzung weiterhin in ärztlicher Behandlung und bezieht Sozialhilfe, auf die Stadt Hamm als Träger der Sozialhilfe übergegangene Ansprüche sind mit Vereinbarung vom 04.11.2003 an die Antragstellerin rückabgetreten worden.

In einem vorangegangenen Unterhaltsverfahren (31 F 119/02 AG Hamm) ist der Antragsgegner durch Urteil vom 08.07.2002 verurteilt worden, an die Antragstellerin bis einschließlich April 2002 Trennungsunterhalt in Höhe von zuletzt monatlich 350,00 Euro zu zahlen. Weitergehende Ansprüche für die Folgezeit hat das Amtsgericht unter Hinweis auf die Arbeitslosigkeit des Antragsgegners und eine ihm zuzubilligende Karenzzeit für die Suche nach einer neuen Arbeitstelle, daneben aber auch wegen einer möglicherweise auch auf Seiten der Antragstellerin bestehende Erwerbsobliegenheit verneint.

Mit ihrer beabsichtigten Klage, für deren Erhebung sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe begehrt, will die Antragstellerin den Antragsgegner nach vorangegangenem Auskunfts- und Zahlungsverlangen mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 18.02.2003 für die Zeit ab Februar 2003 auf Zahlung von Trennungsunterhalt in Höhe von monatlich 814,00 Euro in Anspruch nehmen. Sie behauptet hierzu ein erzielbares Erwerbseinkommen des Antragsgegners von monatlich 1.900,00 Euro netto und beruft sich auf eigene, andauernde Erwerbsunfähigkeit als Folge der im August 2001 erlittenen Sprunggelenksverletzung.

Das Amtsgericht hat das Prozesskostenhilfegesuch durch den angefochtenen Beschluss wegen fehlender Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat.

II.

Die nach § 127 II ZPO zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Antragstellerin hat entgegen der Auffassung des Amtsgerichts in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang durchaus hinreichende Aussicht auf Erfolg und erweist sich auch nicht als mutwillig, § 114 ZPO.

1.

Die Unterhaltsverpflichtung des Antragsgegners im Verhältnis zur Antragstellerin folgt aus § 1361 I BGB und steht dem Grunde nach außer Streit.

2.

Für die Unterhaltsbemessung ist jedenfalls im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens auf Seiten des Antragsgegners nicht auf sein tatsächliches Einkommen in Gestalt von Arbeitslosen- und Übergangsgeld (Arbeitslosengeld ab 01.01.2003 täglich 29,98 Euro = monatsdurchschnittlich 911,89 Euro und ab 05.04.2003 täglich 30,18 Euro = monatsdurchschnittlich 917,98 Euro; Übergangsgeld: vom 17.03. - 31.03,2003 und ab dem 30.06.2003 täglich 34,35 Euro = monatsdurchschnittlich 1.030,50 Euro) abzustellen, vielmehr ist dem Antragsgegner fiktiv ein -höheres- Einkommen aus einer ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit zuzurechnen.

a)

Nach dem im vorangegangenen Unterhaltsverfahren 31 F 119/02 AG Hamm vorgelegten Sozialmedizinischen Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe vom 02.04.2002 war und ist der Antragsteller nach Ausheilen seiner zuvor bestehenden asthmatischen Erkrankung vollschichtig erwerbsfähig, soweit Einwirkungen von Stäuben, Gasen oder Dämpfen ausgeschlossen sind. Dass und in welcher Form er sich nach Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit um eine neue Stelle bemüht hat, trägt der Antragsgegner indes nicht vor. Allein die Bewilligung einer Umschulungsmaßnahme entband den Antragsgegner nicht ohne weiteres von seiner bestehenden Verpflichtung, sich (weiterhin) intensiv um eine neue Anstellung zu bemühen. Zu Recht hat das Amtsgericht bereits in seinem Urteil vom 08.07.2002 (31 F 119/02) darauf hingewiesen, dass ein Unterhaltspflichtiger von einer Erwerbstätigkeit zugunsten einer beruflichen Umschulung im Regelfall nur dann absehen darf, wenn dies unter Abwägung aller Umstände und Einbeziehung auch der schutzwürdigen Interessen des Unterhaltsberechtigten gerechtfertigt ist. Dies mag etwa dann der Fall sein, wenn beispielsweise ein ungelernter Arbeiter, der als solcher keine reale Erwerbschance auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hat, eine Ausbildung absolviert, um wieder Arbeit zu finden (BGH FamRZ 1994, 372 ff, 374), oder wenn -je nach Lage des Einzelfalls- durch die Umschulung eine deutlich erhöhte Arbeitsplatzsicherheit und/oder eine erhebliche Verbesserung der Einkommenssituation erreicht werden kann, die in überschaubarer Zeit auch dem Unterhaltsberechtigten zugute kommt. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall jedoch jedenfalls nach bisherigem Sachstand nicht gegeben.

b)

Aus der Bewilligung einer Umschulung lässt sich weiterhin auch nicht der zwingende Schluss herleiten, dass der Beklagte auch bei gebotenem intensivem Bemühen keine geeignete Anstellung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hätte finden können. Die Bewilligung einer Umschulung belegt allenfalls, dass das Arbeitsamt keine Möglichkeit (mehr) gesehen hat, den Antragsgegner ohne Umschulung (noch) weiter zu vermitteln (vgl. nur Kalthoener/Büttner-Niepmann, 8. Aufl. Rz. 626; 654; OLG Bremen, FamRZ 1996, 957 unter Hinweis auf BGH FamRZ 1994, 372 ff, 374). Auf das Vertrauen einer erfolgreichen Vermittlung durch das Arbeitsamt dürfte der Antragsgegner seine ihm obliegenden Erwerbsbemühungen indes ohnehin nicht beschränken.

c)

Die Höhe des dem Antragsgegners fiktiv zuzurechnenden Erwerbseinkommens richtet sich dagegen danach, was er bei erfolgreicher Bewerbung hätte verdienen können bzw. verdienen könnte. Zur Orientierung kann dabei auf den früher erzielten Verdienst zurückgegriffen werden (Wendl/Staudigl-Haußleiter, aaO. § 1 Rz. 407 a a.E.; Rz. 436), wobei hier allerdings zu berücksichtigen ist, dass das bis März 2002 erzielte Einkommen des Antragsgegners in nicht unerheblichem Umfang von zusätzlichen Einkünften aufgrund seiner Montagetätigkeit bestimmt war. Ausgehend von dem in den vorgelegten Verdienstabrechnungen des Antragsgegners ausgewiesenen Stundenlohn von rund 11,00 Euro hält der Senat aber auch danach bei Ansatz einer monatlichen Arbeitszeit von 167 Stunden und Einbeziehung üblicher Sonderzuwendungen in Form von Urlaubs- und Weihnachtsgeld, die im Hinblick auf hierauf entfallende erhöhte Steuer- und Sozialabgaben auf 80 % eines Bruttomonatsverdienstes geschätzt werden können (§ 287 ZPO), ein monatliches Bruttoeinkommen von rund 2.000,00 Euro für jedenfalls erzielbar. Bei einer Besteuerung nach Steuerklasse 1/0,0 führt dies zu einem der Unterhaltsbemessung vorläufig zugrunde zu legenden monatsdurchschnittlichen Nettoeinkommen von rund 1.250,00 Euro.

d)

Die Zurechnung eines fiktiven Erwerbseinkommens rechtfertigt es andererseits, dem Antragsgegner dann auch eine Wiederaufnahme seiner zur Zeit ausgesetzten Zahlungen auf die in erheblicher Höhe bestehenden ehebedingten Verbindlichkeiten in Gestalt eines Darlehns bei der Volksbank Hamm sowie eines Arbeitgeberdarlehns bei der Fa. H GmbH + Co. KG. zu unterstellen, die im Rahmen des vorliegenden Prozesskostenhilfeverfahrens -ohne abschließende Festlegung- mit monatlich insgesamt 200,00 Euro veranschlagt werden mögen.

3.

Entgegen der Auffassung des Amtsgericht kann nach derzeitigem Sach- und Streitstand ohne weitere Sachaufklärung nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin in der Lage wäre, ihren Bedarf durch eigene Erwerbstätigkeit zu decken.

Abgesehen davon, dass ein etwaiges Erwerbseinkommen der Antragstellerin in eine Differenzberechnung einzustellen sein dürfte, so dass sich die nicht näher begründete Feststellung des Amtsgerichts, die Antragstellerin könne jedenfalls ein eigenes Erwerbseinkommen in Höhe des verlangten Unterhalts von monatlich 814,00 Euro erzielen, schon von daher als in Teilen verfehlt erweist, hat die Antragstellerin unter Vorlage durchaus aussagekräftiger ärztlichen Bescheinigungen und Befundberichte hinreichend schlüssig vorgetragen, aufgrund fortbestehender Folgen ihrer erlittenen Sprunggelenksfraktur nach wie vor auf absehbare Zeit nicht erwerbsfähig zu sein. So bescheinigt der behandelnde Chefarzt der St. B-Klinik Hamm, Dr. med. B, der Antragstellerin unter dem 18.06.2003 eine Wundheilungsstörung bei Dehiszenz im Narbenbereich und fehlgeschlagener Spalthauttransplantation, die weiterhin eine offene Wundbehandlung erforderlich mache (Bl. 44 f GA) und -so eine vorlegte Anschlussbescheinigung vom 02.09.2003 (Bl. 54 GA)- zur Folge habe, dass aufgrund der Erkrankung nicht davon auszugehen sei, dass die Antragstellerin auf absehbare Zeit einer beruflichen Tätigkeit nachgehen könne. Die Feststellung des Amtsgerichts, selbst eine offene Wunde am Fußgelenk "sollte einer, wenn auch evtl. teilweise sitzenden, leichteren, vollschichtigen Erwerbstätigkeit nicht im Wege stehen", entbehrt bei dieser Sachlage jeglicher Grundlage und erweist sich ohne weitere Abklärung im Hauptsacheverfahren, dort ggfs. auch durch Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens, als unhaltbar.

4.

Bei einem -fiktiven- Erwerbseinkommen des Antragsgegners von monatsdurchschnittlich 1.250,00 Euro und abzusetzenden Zahlungen auf bestehende Verbindlichkeiten von monatlich 200,00 Euro errechnet sich ein Bedarf der Antragstellerin von 450,00 Euro (1.050,00 Euro x 3/7), dem allerdings eine Leistungsfähigkeit des Antragsgegners von nur 210,00 Euro (1.250,00 Euro ./. 200,00 Euro Schulden ./. 840,00 Euro Selbstbehalt) gegenübersteht. Nur in Höhe des letztgenannten Betrages hat die beabsichtige Rechtsverfolgung der Antragstellerin danach hinreichende Aussicht auf Erfolg.

5.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 127 IV ZPO, § 131 b S. 2 KostO i.V.m. KV Nr. 1956.

Ende der Entscheidung

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