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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.09.2005
Aktenzeichen: 11 WF 257/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, EStG
Vorschriften:
ZPO § 127 Abs. 2 S. 1 | |
BGB § 1601 | |
BGB § 1602 | |
BGB § 1603 | |
BGB § 1603 Abs. 2 S. 2 | |
BGB § 1612 b Abs. 1 | |
BGB § 1612 b Abs. 2 | |
BGB § 1612 b Abs. 3 | |
EStG § 62 | |
EStG § 64 Abs. 2 |
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS
11 WF 257/05 OLG Hamm
Hamm, den 09. September 2005
Familiensache
Tenor:
Auf die Beschwerde des Klägers zu 1) vom 27. Juli 2005 wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hamm vom 22. Juni 2005 teilweise abgeändert.
Auch dem Kläger zu 1) wird ratenfreie Prozesskostenhilfe im vollen Umfang seines Antrags vom 29.04.2005 unter Beiordnung von Rechtsanwältin B aus Hamm bewilligt.
Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Der am 06.08.1987 geborene Kläger zu 1) ist der Sohn des Beklagten. Er lebt mit der am 21.06.1989 geborenen Klägerin zu 2) im Haushalt seiner Mutter, die über ein Nettoeinkommen von 880,00 € verfügt. Der Kläger zu 1) besucht die Friedensschule in Hamm mit dem Ziel im Jahr 2007 das Abitur zu machen.
Mit der Abänderungsklage begehrt der Kläger zu 1) eine Erhöhung des Kindesunterhalts ab April 2005 von monatlich 150,00 € auf 284,00 €.
Das Amtsgericht hat dem Kläger zu 1) Prozesskostenhilfe nur mit der Maßgabe bewilligt, dass ihm ab der Volljährigkeit im August 2005 monatlich nur 205,00 € zustehen. Dabei hat es die Einkommensgruppe 2 und die Altersstufe ab 18 Jahre (Düsseldorfer Tabelle, Stand: 01. Juli 2005) zu Grunde gelegt und ist von einem Betrag von 359,00 € ausgegangen. Hiervon hat es das Kindergeld in voller Höhe von 154,00 € abgezogen und ist zu dem Betrag von 205,00 € gelangt.
II.
Die gem. § 127 Abs. 2 S. 1 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Die beabsichtigte Klage hat in vollem Umfang hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig.
Der geltend gemachte Anspruch auf Kindesunterhalt besteht dem Grunde nach gem. §§ 1601 - 1603 BGB.
Nach Auffassung des Senats ist das Kindergeld gem. § 1612 b Abs. 1 BGB nur zur Hälfte und nicht in voller Höhe auf den Unterhaltsanspruch anzurechnen. Allein die Volljährigkeit des Klägers zu 1) führt hier nicht dazu, von der Regelung des § 1612 b Abs. 1 BGB abzuweichen.
In der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur ist umstritten, ob das Kindergeld für das volljährige Kind nur zum Teil oder in voller Höhe abzuziehen ist, falls nur ein Elternteil leistungsfähig und damit barunterhaltspflichtig ist (für eine volle Anrechnung: OLG Düsseldorf FamRZ 1999,1452; OLG Schleswig FamRZ 2000, 1245; OLG Braunschweig FamRZ 2000,1246; OLG Brandenburg FamRZ 2003, 553; OLG Celle FamRZ 2004, 218; OLG Koblenz FamRZ 2044, 562; OLG München NJW-RR 2005, 231; Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 9. Aufl., Rdnr. 831; Münchener Kommentar/Born, BGB, 4. Aufl., § 1612 b Rdnr. 53; Palandt/Diederichsen, BGB, 64. Aufl., § 1612 b Rdrn. 6 in Abweichung von der Vorauflage; für eine hälftige Anrechnung: OLG Nürnberg, NJW RR 2000, 687; OLG Celle FamRZ 2001, 47; OLG Brandenburg FamRZ 2002, 1216; Wendl/Staudigl/Scholz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl., § 2 Rdnr. 515; Erman/Hammermann, § 1612 b Rdnr. 14).
Das Kindergeld erhält nach dem Obhutsprinzip des § 64 Abs. 2 EStG der Elternteil, in dessen Haushalt das Kind wohnt. Hat dieses Elternteil keine ausreichenden Einkünfte und ist leistungsunfähig, trägt auch hier der andere Elternteil den Barunterhalt grundsätzlich allein. Gem. § 1612 b Abs. 1 BGB ist die Hälfte des Kindergeldes anzurechnen, § 1612 b Abs. 3 BGB geht von einer vollen Anrechnung aus, greift dem Wortlaut nach hier allerdings nicht ein, da auch der Elternteil, bei dem das Kind wohnt, Anspruch auf Kindergeld gem. § 62 EStG hat. Im vorliegenden Fall hat es beim Wortlaut der gesetzlichen Regelung des § 1612 b Abs. 1 BGB (Anrechnung des Kindergeldes nur zur Hälfte) zu bleiben. Eine analoge Anwendung des § 1612 b Abs. 2 BGB oder eine eingeschränkte Auslegung des § 1612 b Abs. 1 BGB kommt nach Auffassung des Senats hier nicht in Betracht. Sowohl einer analogen Anwendung des § 1612 b Abs. 2 BGB als auch einer einschränkenden Auslegung des § 1612 b Abs. 1 BGB steht das in § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB geregelte Privileg entgegen. Gern: § 1603 BGB stehen den minderjährigen unverheirateten Kindern die volljährigen unverheirateten Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gleich, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. Dieses Privileg ist hier zu bejahen, da der Kläger zu 1) weiter bei der Kindesmutter wohnt und voraussichtlich bis zum Jahr 2007 die Gesamtschule besuchen wird. Im Falle der Privilegierung des § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB hält der Senat deshalb eine Halbteilung für gerechtfertigt und sieht keinen Anlass, vom Wortlaut der gesetzlichen Regelung des § 1612 b Abs. 1 BGB abzuweichen.
Diese Anrechnung belastet den leistungsfähigen Barunterhaltspflichtigen nicht unbillig. Die Situation hat sich nämlich durch die Volljährigkeit des Kindes nicht verändert. Das Kind wohnt weiterhin bei der Mutter, geht weiterhin zur Schule und wird von der Mutter weiterhin versorgt. Die Leistungen, die die Mutter erbringt, nämlich Versorgung und Deckung des Wohnbedarfs, sind genau die Leistungen, die der Zweckbestimmung des Kindergeldes entsprechen und dürfen - jedenfalls im Fall des privilegierten Volljährigen - nicht zum Entzug des hälftigen Kindergeldes führen (zutreffend Soyka, FuR 2005, 97 ff.).
Ende der Entscheidung
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