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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.02.2005
Aktenzeichen: 11 WF 43/05
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1603 Abs. 2 S. 2
BGB § 1609
ZPO § 114
ZPO § 127 Abs. 2 S. 2
Die erweiterte Unterhaltspflicht des § 1603 II 2 BGB erstreckt sich grundsätzlich nicht auf solche Kinder, die im Haushalt der Großeltern leben.

Ob im Wege der Einzelanalogie (so OLG Dresden FamRZ 2002, 695) eine Ausnahme gemacht werden kann, bleibt offen.


OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

11 WF 43/05 OLG Hamm

Hamm, den 16. Februar 2005

Familiensache

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Beklagten vom 20. Januar 2005 gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hamm vom 29. Dezember 2004 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Kläger ist der Vater des am 22.05.1986 geborenen Beklagten, der bis zum 31.10.2004 bei seiner Mutter, der geschiedenen Ehefrau des Klägers gewohnt hat.

Seit dem 01.11.2004 wohnt der Beklagte in dem Haus der Großmutter und wird von dieser in gleicher Art und Weise wie im Haushalt der Mutter versorgt. Der Beklagte ist Schüler in der Klasse 12 einer Gesamtschule und wird diese Schule voraussichtlich bis zum 31.07.2005 besuchen.

Mit der Urkunde des Jugendamts Hamm vom 28.05.2001 hatte sich der Kläger verpflichtet, an den Beklagten Unterhalt in Höhe von 100 % des jeweiligen Regelbetrags nach der jeweiligen Altersstufe zu zahlen. Der Kläger ist wieder verheiratet. In der jetzigen Ehe ist der weitere Sohn Melvin am 02.01.1992 geboren worden.

Der Kläger begehrt die Abänderung der Urkunde vom 28.05.2001 dahin, daß er ab Klagezustellung (24.06.2004) keinen Unterhalt mehr an den Beklagten zu zahlen hat. Für diesen Antrag hat das Amtsgericht dem Kläger Prozeßkostenhilfe bewilligt. Dem Beklagten hat das Amtsgericht insoweit Prozeßkostenhilfe bewilligt, als der Beklagte sich gegen eine Abänderung des Unterhaltstitels für die Monate Juni bis Oktober 2004 wendet, durch die er monatlich weniger als 318,67 € von dem Kläger an Kindesunterhalt erhalten soll. Zur Begründung hat das Amtsgericht nach entsprechender Berechnung ausgeführt, daß der Beklagte bis Oktober 2004 als privilegierter Volljähriger im Sinne des § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB anzusehen sei, für den eine gesteigerte Unterhaltspflicht bestehe. Aus diesem Grund seien 400,00 € fiktive Nebeneinkünfte hinzuzurechnen. Ab November 2004 sei die Privilegierung im Sinne des § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB entfallen, weil der Beklagte nicht mehr bei seiner Mutter, sondern bei seiner Großmutter lebe. Da eine gesteigerte Unterhaltspflicht nicht mehr bestehe, seien keine fiktiven Einkünfte aus einer Nebentätigkeit hinzuzurechnen. Dadurch entfalle eine Unterhaltspflicht.

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Beschwerde und führt zur Begründung aus, daß er im Hause der Großmutter in gleicher Art und Weise versorgt werde wie im Haushalt der Mutter. Er sei deshalb gem. § 1603 Abs. 2 S. 2 analog BGB als privilegierter Unterhaltspflichtiger anzusehen.

II.

Die gem. § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO zulässige Beschwerde ist nicht begründet, da die beabsichtigte Rechtsverteidigung des Beklagten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg gem. § 114 ZPO bietet.

Die Parteien streiten allein um die Rechtsfrage, ob der Beklagte auch dann als privilegierter Volljähriger im Sinne des § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB anzusehen ist, wenn er im Haushalt der Großmutter lebt.

Dem Wortlaut des § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB ist zu entnehmen, daß nur diejenigen Kinder gleichrangig sind, die im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben. Diese Voraussetzung ist dann nicht erfüllt, falls das Kind im Haushalt der Großeltern oder eines Großelternteils lebt. Eine direkte Anwendung dieser Norm scheidet deshalb aus.

Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung liegen nach Auffassung des Senats hier nicht vor. Eine Analogie ist nur dann zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, daß angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlaß der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungergebnis gekommen (vgl. zuletzt BGH NJW 2003, 1932, 1933). Eine solch planwidrige Regelungslücke hat der Senat für den streitgegenständlichen Fall nicht feststellen können. Eine analoge Anwendung ist zwar vom OLG Dresden im Wege der Einzelanalogie wegen der Vergleichbarkeit der Lebenssituation für den Fall befürwortet worden, daß ein Kind seit der frühesten Kindheit im Haushalt der Großeltern gelebt hat. Die Situation dieses Kindes habe sich durch das Erreichen der Volljährigkeit ebenso wenig geändert als wenn es im Haushalt eines Elternteils gelebt hätte (OLG Dresden FamRZ 2002, 695). Diese Entscheidung hat in der Literatur zum Teil Zuspruch gefunden (Erman/Hammermann, BGB, 11. Aufl. 2004 § 1603 Rdnr. 119; Palandt/Diederichsen, BGB, 64. Aufl., § 1603 Rdnr. 56; Wendl/Staudigl/Scholz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl., 2004, § 2 Rdnr. 456). Zum Teil wird eine analoge Anwendung über den gesetzlichen Tatbestand hinaus verneint (Bamberger/Roth/Reinken, BGB, 2003, 1603 Rdnr. 33).

Nach Auffassung des Senats stellt die Privilegierung volljähriger Kinder gem. §§ 1603 Abs. 2 S. 2, 1609 BGB eine abschließende gesetzliche Regelung dar, die grundsätzlich nicht erweitert werden darf. Dies deshalb, weil mit der Privilegierung nur bestimmte volljährige Kinder - innerhalb einer bestimmten Lebenssituation - den minderjährigen Kindern - ausnahmsweise - gleichgestellt werden. Die Erweiterung einer solchen Ausnahmeregelung ist grundsätzlich Aufgabe des Gesetzgebers.

Dabei ist schon der Entstehungsgeschichte der Gesetzesänderung zu entnehmen, daß eine Erweiterung auf andere Fälle zwar erwogen, allerdings abgelehnt worden ist. So sollten selbst, behinderte volljährige Kinder den minderjährigen Kindern nicht gleichgestellt werden (BT-Drucks. 14/7338 S. 21).

Ob für den Fall, daß das Kind seit frühester Kindheit im Haushalt der Großeltern gelebt hat, mit dem OLG Dresden eine Ausnahme im Wege der Einzelanalogie zu machen ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Im hier zu entscheidenden Fall ist der Kläger erst nach Eintritt der Volljährigkeit in die Wohnung der Großmutter gezogen. Im übrigen folgt der Senat der umfassenden und überzeugenden Berechnung des Amtsgerichts.

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