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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 07.04.2004
Aktenzeichen: 11 WF 60/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 620
Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde gegen eine einstweilige Anordnung nach § 620 ZPO wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit.

Hier: Ausschluss des Umgangs im Rahmen einer einstweiligen Anordnung für die Dauer von 12 Monaten.


Oberlandesgericht Hamm Beschluss

11 WF 60/04 OLG Hamm

in der Familiensache

betreffend das minderjährige Kind

hat der 11. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm durch die Richter am Oberlandesgericht Dr. Köhler, Jellentrup und Fliegenschmidt am 07. April 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1. wird der Beschluss des Amtsgerichts -Familiengericht - Beckum vom 29.01.2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, eine Erstattung außergerichtlicher Kosten und Auslagen findet nicht statt.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 500,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten zu 1. und 2. sind seit 1987 verheiratete und seit März 1999 getrennt lebende Eheleute. Aus ihrer Ehe ist die am 20.04.1988 geborene Tochter K. hervorgegangen, die im Haushalt der Beteiligten zu 2. lebt. Dieser ist durch Beschluss des Amtsgerichts -Familiengericht- Lippstadt vom 22.03.2000 (13 F 342/99 AG Lippstadt) die alleinige elterliche Sorge übertragen worden. Das Verhältnis der Kindeseltern ist seit der Trennung von tiefgreifenden Spannungen und Streitigkeiten geprägt, die bereits Gegenstand diverser Verfahren und wechselseitiger Strafanzeigen waren.

Nachdem der Senat das Umgangsrecht des Beteiligte zu 1. in einem vorangegangenen Verfahren (11 UF 143/01 OLG Hamm = 6 F 227/00 AG Beckum) mit Beschluss vom 21.12.2001 für die Dauer eines Jahres ausgeschlossen hatte, hat der Beteiligte zu 1. im Rahmen des vor dem Amtsgericht anhängigen Scheidungsverbundverfahrens (6 F 61/00 AG Beckum) beantragt, ihm das Sorgerecht für die Tochter zu übertragen und ihm zudem im Wege einer einstweiligen Anordnung ein Umgangsrecht mit ihr einzuräumen.

Das Amtsgericht hat das Verfahren bezüglich des Sorgerechts von dem Verbundverfahren abgetrennt und durch den angefochtenen Beschluss sodann nach mündlicher Verhandlung und Einholung einer Stellungnahme des Jugendamtes sowie Anhörung des Kindes und der Beteiligten das Umgangsrecht des Beteiligten zu 1. mit seiner Tochter für die Dauer von 12 Monaten ab Beschlussfassung ausgeschlossen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, der auf die Dauer eines Jahres begrenzte Ausschluss des Umgangsrechts sei nach § 1684 IV BGB geboten, weil andernfalls das Wohl Katharinas gefährdet wäre, die nach wie vor einen persönlichen Kontakt zum Vater ablehne.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1., mit der er seinen Antrag weiterverfolgt.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Allerdings unterliegen einstweilige Anordnungen nach §§ 620 ff ZPO gemäß § 620 c S. 1 ZPO allein in den dort aufgezählten Fällen der Beschwerde, während sie im übrigen unanfechtbar sind. Angesichts der in § 620 Ziffern 1 und 2. vorgenommenen Differenzierung zwischen Sorge- und Umgangsrecht sind danach Entscheidungen zu letzterem - soweit durch einstweilige Anordnung ergangen - grundsätzlich nicht nach § 620 c S. 1 ZPO beschwerdefähig (Zöller-Philippi, ZPO, 23. Auf. § 620 c Rz. 4 unter Hinweis auf OLG Saarbrücken, FamRZ 1986, 182; OLG Hamburg, FamRZ 1987, 497; OLG Dresden, MDR 2003, 633).

Ob eine sofortige Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung zuzulassen ist, wird zwar bezweifelt (vgl. Zöller-Philippi, aaO. Rz. 12 m.w.N.), ist hier aber ausnahmsweise zu bejahen. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass das Amtsgericht durch den im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens - nach mündlicher Verhandlung - angeordneten Ausschluss des Umgangs für die Dauer von 12 Monaten de facto in der Hauptsache entschieden und so eine ansonsten dort noch zu treffende - und dann beschwerdefähige - Entscheidung vorweggenommen hat, wobei es zugleich massiv in die Rechte des Vaters eingegriffen hat. Es hat in einer auf der Grundlage eines Eilverfahrens getroffenen nur vorläufigen Regelung den Umgang für einen Zeitraum ausgeschlossen, der weit über den Zeitraum hinausgeht, der erforderlich ist, um eine endgültige Regelung über den Umgang in einem Hauptsacheverfahren zu treffen. Um den Beteiligten zu 1. nicht völlig rechtlos zu stellen, ist unter diesen Umständen ausnahmsweise die Möglichkeit einer sofortigen Beschwerde zuzulassen. Nach allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum ist in Ausnahmefällen ein Rechtsmittel auch gegen eine an sich unanfechtbare Entscheidung gegeben, wenn diese wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit grob fehlerhaft ist, der angefochtene Beschluß "auf einer Gesetzesauslegung beruht, die offensichtlich dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes widerspricht und die eine Gesetzesanwendung zur Folge hat, die durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte" (BGH v. 8.10.1992 - VII ZB 3/92, MDR 1993, 80 = NJW 1993, 135, vgl. auch Zöller/Gummer, ZPO, 21. Aufl., § 567 Rz. 18, je m.w.N.). Vorliegend hat das Amtsgericht die Vorschrift des § 620 ZPO greifbar gesetzeswidrig ausgelegt. Nach dieser Bestimmung kann das Gericht einstweilige Maßnahmen zum Gegenstand der Hauptsache treffen, das Verfahren ist dagegen weder geschaffen noch geeignet, eine endgültige und zudem als solche unanfechtbare Entscheidungen über den Verfahrensgegenstand zu schaffen, wie sie in dem vom Amtsgericht angeordneten befristeten Ausschluss des Umgangsrechts des Beteiligten zu 1. liegt.

2. Die Beschwerde ist weiterhin auch in der Sache begründet. Das Amtsgericht ist durch den angeordneten befristeten Ausschluss des Umgangsrechts - wie dargelegt - über den Regelungszweck eines einstweiligen Anordnungsverfahrens deutlich hinausgegangen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnungen setzt ein bestehendes Regelungsbedürfnis voraus, das nur dann und nur insoweit bejaht werden kann, wenn ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Einschreiten besteht, das ein Abwarten bis zur endgültigen Entscheidung nicht gestattet, weil diese zu spät kommen und die Kindesinteressen nicht mehr genügend wahren würde {Kahl in Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 19 Rz. 30; Zöller-Philippi, aaO. § 620 Rz. 5; OLG Zweibrücken, OLGR 2002, 180; OLG Stuttgart, OLGR 2000, 72 ff, 73). Die einstweilige Anordnung soll den länger andauernden Eintritt eines regelungslosen Zustandes verhindern, allerdings nur in denjenigen Fällen, in denen es dringend einer Regelung bedarf. Ist dagegen eine sofortige Regelung unnötig, hat das Gericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen. Im Streitfall hätte sich das Amtsgericht danach darauf beschränken müssen, den Antrag des Beteiligten zu 1., ihm im Wege einstweiligen Anordnung ein Umgangsrecht mit seiner Tochter einzuräumen, zurückzuweisen. Für eine weitergehende Entscheidung bestand dagegen im Hinblick darauf, dass eine Umgangsregelung bislang nicht erfolgt ist, der Beteiligte zu 1. den von ihm gewünschten Umgang also auch nicht erzwingen kann, im Rahmen des Verfahrens nach §§ 620 ff ZPO weder eine Notwendigkeit noch eine gesetzliche Handhabe. Das Kindeswohl wird nämlich durch einen vorläufig regellosen Zustand nicht gefährdet.

3. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 8 I GKG; 13 a I FGG,§ 12 II GKG, 8 III BRAGO.



Ende der Entscheidung

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