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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 27.01.2006
Aktenzeichen: 12 U 108/05
Rechtsgebiete: ZPO, EGZPO, BGB, GmbHG, HGB, StGB


Vorschriften:

ZPO § 313 a Abs. 1
ZPO § 540 Abs. 2
EGZPO § 26 Nr. 8
BGB §§ 164 ff.
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 826
GmbHG § 11 Abs. 2
HGB § 13 d
HGB § 14
StGB § 263
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 11.08.2005 abgeändert.

Unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Landgerichts vom 14.04.2005 wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte trägt die durch seine Säumnis verursachten Kosten.

Die übrigen Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Auf die Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO verzichtet.

II.

Die Berufung des Beklagten hat Erfolg.

Die Klage ist unbegründet.

Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Zahlungsanspruch in Höhe von 7.392,47 € zu.

1. Ein vertraglicher Vergütungsanspruch für die Zurverfügungstellung der Website der Klägerin als "Marktplatz" für Waren- und Dienstleistungsangebote scheidet aus.

Der Beklagte ist aus dem im Juli 2000 geschlossenen Nutzungsvertrag, auf den die Klägerin in erster Linie ihren Zahlungsanspruch stützt, nicht persönlich berechtigt und verpflichtet, wie sich aus §§ 164 ff. BGB ergibt.

Der Vertrag, der nach § 15 Nr. 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin deutschem Recht unterliegt, kam nicht mit dem Beklagten persönlich, sondern mit der "S" zustande.

Der Beklagte nahm die dem Vertragsschluss zugrunde liegende Online-Anmeldung vom 18.07.2000 nicht im eigenen Namen, sondern im Namen der S vor. Hierbei handelt es sich um eine nach englischem Recht wirksam gegründete, rechtsfähige Gesellschaft, eine Private Limited Company. Die in einem EU-Vertragsstaat nach dessen Vorschriften wirksam gegründete Gesellschaft ist in einem anderen Vertragsstaat in dieser Rechtsform anzuerkennen (vgl. EuGH NJW 02, 3614 "Überseering"; BGH II ZR 5/03, Urt. v. 14.03.05).

Unstreitig war der Beklagte berechtigt, im Namen dieser Gesellschaft zu handeln.

2. Die Klägerin kann den Beklagten auch nicht analog § 11 Abs. 2 GmbHG auf Zahlung in Anspruch nehmen.

Nach § 11 Abs. 2 GmbHG haftet derjenige persönlich, der vor Eintragung einer GmbH in das Handelsregister im Namen der Gesellschaft gehandelt hat.

Es ist unerheblich, dass die S nicht im deutschen Handelsregister eingetragen ist.

Wie der BGH in seinem Urteil vom 14.03.05 - II ZR 5/03 - ausgeführt hat, folgt aus der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der englischen Private Limited Company zugleich, dass deren Personalstatut auch in Bezug auf die Haftung für in ihrem Namen begründete rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten einschließlich der Frage nach einer etwaigen diesbezüglichen persönlichen Haftung ihrer Gesellschafter oder Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftsgläubigern maßgeblich ist. Nach dem für das Personalstatut der Private Limited Company, einer Kapitalgesellschaft, maßgeblichen englischen Recht haftet für deren Verbindlichkeiten grundsätzlich nur das Gesellschaftsvermögen.

Die Bejahung einer Handelndenhaftung nach deutschem Recht analog § 11 Abs. 2 GmbHG wegen unterbliebener Handelsregisteranmeldung verstieße gegen die in Art 43, 48 EGV garantierte Niederlassungsfreiheit.

Dass es der Beklagte - unter Verstoß gegen § 13 d HGB - unterlassen hat, die an seinem Wohnsitz begründete Zweigniederlassung der englischen Gesellschaft zum Handelsregister anzumelden, begründet auch keinen Haftungstatbestand analog § 11 Abs. 2 GmbHG. Das HGB sieht bei einem Verstoß gegen diese Anmeldepflicht allein die Festsetzung eine Zwangsgelds nach § 14 HGB vor, aber keine haftungsrechtlichen Konsequenzen. Eine Rechtsfortbildung im Sinne einer erweiternden Handelndenhaftung kommt nicht in Betracht (BGH a.a.O. S. 8).

Die vom Landgericht - in Anwendung deutschen Rechts - befürwortete Durchgriffshaftung wegen offensichtlicher Unterkapitalisierung der S ist gleichfalls abzulehnen. Auf die Höhe des Gründungskapitals der Gesellschaft kommt es nicht an.

Auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH (NJW 02, 3614 "Überseering"; ZIP 03, 1885 "Inspire Art") ist es mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht unvereinbar, eine nach nationalem Recht anzunehmende Unterschreitung des Mindest-Gesellschaftskapitals mit einer persönlichen Handelndenhaftung zu sanktionieren. Eine Behinderung der gemeinschaftsvertraglich garantierten Niederlassungsfreiheit durch nationale Maßnahmen kann allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn die Maßnahmen in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, sie zwingenden Gründen des Gemeinwohls entsprechen und zur Erreichung des verfolgten Zieles geeignet und erforderlich sind (vgl. EuGH ZIP 03, 1885 "Inspire Art" Tz 133).

Die bewusste Ausnutzung unterschiedlicher Rechtssysteme stellt dabei für sich allein noch keinen Missbrauch dar, der verhindert werden muss.

Der vom Landgericht ins Feld geführte Gläubigerschutz gebietet weder zwingend die Einhaltung von Mindestkapitalvorschriften noch die Begründung einer persönlichen Handelndenhaftung im Falle einer nach nationalem Recht bestehenden Unterkapitalisierung der Kapitalgesellschaft. Der Senat schließt sich auch insoweit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH, auf dessen Entscheidung vom 14.03.05 bereits verwiesen worden ist, an.

3. Eine Durchgriffshaftung des Beklagten nach englischem Recht kommt gleichfalls nicht in Betracht.

Das englische Recht sieht unter bestimmten Voraussetzungen eine persönliche Haftung des Geschäftsführers (Directors) und auch der Gesellschafter einer Private Limited Company vor.

Es lässt sich nicht feststellen, dass der Beklagte je Geschäftsführer oder Gesellschafter der S war.

Zwar hat sich der Beklagte im ersten Verhandlungstermin vor dem Landgericht am 23.09.04 als Geschäftsführer der Gesellschaft bezeichnet, dies aber im zweiten Termin am 14.04.05 dahin korrigiert, dass er immer nur angestellter Niederlassungsleiter war. Hierzu hat er auch seinen Anstellungsvertrag vorgelegt. Die irrtümliche Falschbezeichnung seiner Stellung in der Gesellschaft hat der Beklagte in dem Termin vor dem Senat nachvollziehbar damit erklärt, dass ihm im Zeitpunkt des ersten Termins vor dem Landgericht wohl die unterschiedliche Bedeutung der Begriffe noch nicht vollständig klar war und dass er zunächst auch von dem städtischen Gewerbeaufsichtsamt als Geschäftsführer angesehen worden war.

Angesichts dessen lässt sich auch daraus, dass sich der Beklagte in der Gewerbeanmeldung vom 10.07.00 als gesetzlicher Vertreter der S eingetragen hat, nicht auf die Geschäftsführerstellung des Beklagten schließen.

Sonstige Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte Geschäftsführer der Gesellschaft war, hat die Klägerin nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.

Die Klägerin hat auch ihre Behauptung, der Beklagte sei Gesellschafter der S, nicht durch Tatsachen belegt und auch nicht unter Beweis gestellt.

4. Die Voraussetzungen für eine Haftung des Beklagten nach Deliktsrecht - insbesondere nach § 823 Abs. 2 BGB i.Vm. § 263 StGB oder § 826 BGB - sind gleichfalls nicht dargetan. Dass der Beklagte bei Eingehen des Vertragsverhältnisses oder bei Abwicklung der Geschäfte mit der Klägerin die Personen- und Vermögensverhältnisse bewusst und zielgerichtet verschleierte, um der Klägerin einen Vermögensschaden zuzufügen, ist nicht ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 344 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, § 543 Nr. 1 ZPO. Ebenso wenig erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts, § 543 Nr. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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