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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 15.05.2000
Aktenzeichen: 13 U 131/99
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 540
Leitsatz:

Nimmt ein Geschädigter nach einem Verkehrsunfall mehrere Unfallbeteiligte gesamtschuldnerisch als Nebentäter in Anspruch, dann kann nicht durch Teilurteil in Bezug auf einen Unfallbeteiligten entschieden werden. Es hat vielmehr eine Gesamtschau stattzufinden, bei der nach einer Einzelabwägung eine Gesamtabwägung aller Tatbeteiligungen stattzufinden hat.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 131/99 OLG Hamm 6 O 303/97 LG Hagen

Verkündet am 15. Mai 2000

Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 15. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brück, den Richter am Oberlandesgericht Zumdick und den Richter am Landgericht Lopez Ramos

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 23. Februar 1999 verkündete Teilurteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hagen mit dem zugrundeliegenden Verfahren aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben wird.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert die Beklagten zu 1) und 2) in Höhe von 675.606,03 DM.

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von den Beklagten als Gesamtschuldner Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls.

Am 16. Mai 1994 gegen 04:30 Uhr befand sich der stark alkoholisierte Kläger zu Fuß auf der Straße in. Dabei benutzte er den in Gehrichtung gesehenen linken Mehrzweckstreifen der Straße. In Höhe von Kilometer 0,75 entschloß er sich, die nicht beleuchtete Straße - aus seiner Gehrichtung gesehen - von links nach rechts zu überqueren.

Der Beklagte zu 1), der mit seinem Fahrzeug aus Sicht des Klägers von rechts kam, erkannte den Kläger, der sich zu diesem Zeitpunkt etwa in der Straßenmitte aufhielt, wich nach links aus und fuhr auf der Gegenfahrbahn hinter dem Kläger vorbei, ohne diesen zu berühren. Der Beklagte zu 3), der hinter dem Fahrzeug des Beklagten zu 1) fuhr, konnte trotz Notbremsung den Zusammenprall mit dem Kläger nicht verhindern. Zum Unfallzeit betrug der Blutalkoholgehalt des Klägers 1,55 Promille.

Der Kläger, der bei dem Unfall schwerste Verletzungen erlitt, hat behauptet, der Beklagte zu 1) habe ihn auf Grund überhöhter Geschwindigkeit nicht rechtzeitig gesehen und deshalb nicht mehr bremsen können. Hätte der Beklagte zu 1) aber - wie es richtig gewesen wäre - gebremst, so hätte er auch den hinter ihm fahrenden Beklagten zu 3) dazu gezwungen, ebenfalls zu bremsen. So hätte der Unfall verhindert werden können.

Die Beklagten zu 1) und 2) haben die Ansicht vertreten, der Beklagte zu 1) habe keine Ursache für den Unfall gesetzt. Es sei nicht seine Aufgabe gewesen, durch sein eigenes Verhalten auf ein nachfolgendes Kraftfahrzeug einzuwirken.

Wegen des Sachverhalts im einzelnen und der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat durch Teilurteil die Klage gegen die Beklagten zu 1) und 2) abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, der Beklagte zu 1) habe die Körperverletzung des Klägers nicht in zurechenbarer Weise verursacht. Sein Verhalten sei nicht ursächlich gewesen.

Gegen dieses Teilurteil richtet sich die Berufung des Klägers. Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Er behauptet, auf Grund der falschen Reaktion des Beklagten zu 1), der statt zu bremsen ausgewichen und links an ihm vorbeigefahren sei, sei es zu einer Fluchtbewegung von ihm selbst nach vorne gekommen, so daß es letztlich zu der Kollision mit dem Beklagten zu 3) gekommen sei. Der Beklagte zu 1) sei auch schneller als die dort zulässigen 100 km/h gefahren. Wäre der Beklagte zu 1) mit angepaßter Geschwindigkeit gefahren, hätte er den Kläger rechtzeitig sehen müssen und hätte dann bremsen können.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung das Teilurteil des Landgerichts Hagen aufzuheben und die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu verurteilen,

1.

a) an ihn 225.606,03 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

b) an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld für die Zeit vom 16.05.1994 bis Rechtshängigkeit nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

c) an ihn beginnend mit der Rechtshängigkeit, vierteljährlich im Voraus, eine angemessene Schmerzensgeldrente jeweils zum 02.08., 02.11., 02.02. und 02.05. eines jeden Jahres zu zahlen,

2.

festzustellen, daß die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden, die ihm aus dem Verkehrsunfall vom 16.05.1994 auf der Straße in künftig noch entstehen, zu ersetzen, soweit diese Schäden nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.

Die Beklagten zu 1) und 2) beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten zu 1) und 2) verteidigen das angefochtene Urteil. Sie bestreiten, daß das Verhalten des Beklagten zu 1) ursächlich für den Zusammenstoß gewesen sei. Sie bestreiten ferner, daß die "Ausfallbewegung" des Klägers durch den Beklagten zu 1) verursacht worden sei. Der Kläger sei vielmehr erst in die Fahrbahn des Beklagten zu 3) getreten, nachdem der Beklagte zu 1) bereits vorbeigefahren sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 539 ZPO). Das vom Landgericht erlassene Teilurteil ist unzulässig.

Ein Teilurteil darf nur dann erlassen werden, wenn die Gefahr eines Widerspruchs zum Schlußurteil ausgeschlossen ist, wenn also die Entscheidung über den Teil des Rechtsstreits unabhängig davon ist, wie der Rechtsstreit über den Rest ausgeht (BGH NJW 97, 2184; NJW 89, 2821; NJW 87, 441; Hamm NJW-RR 89, 827). Dabei ist auch die Möglichkeit einer abweichenden Beurteilung der Sach- und/oder Rechtslage im Instanzenzug einzubeziehen (OLG München NJW-RR 94, 1278).

Bei einem Verkehrsunfall, bei dem möglicherweise mehrere Verantwortliche durch verschiedene selbständige Tatbeiträge einen Schaden herbeigeführt haben (Nebentäterschaft), kann - wenn der Geschädigte sämtliche Tatbeteiligte in Anspruch nimmt - die Verteilung des Schadens nur bei einer Gesamtabwägung, gewonnen aus einer Gesamtschau erfolgen (grundlegend: BGH VersR 59, 623). Vor der Gesamtabwägung hat zunächst jeweils eine Einzelabwägung stattzufinden, bei der die Haftungsanteile des anderen Mitschädigers außer Betracht bleiben. Sodann ist in einer Gesamtschau zu beurteilen, in welchem Umfang der Geschädigte insgesamt Schadensersatz verlangen kann, in welchem Umfang die Schädiger gesamtschuldnerisch und inwieweit sie allein haften (zur Berechnungsmethode vergleiche im einzelnen: Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 22. Aufl., Kapitel 3 Rdn. 64 ff.; Steffen DAR 90, 41 ff.; Hartung VersR 80, 797 ff.; OLG Hamm 13 U 254/98; vgl. auch BGH VersR 91, 196, 197). Eine solche vorzunehmende Gesamtabwägung verbietet aber den Erlaß eines Teilurteils. Es kann nicht vorab ohne Berücksichtigung der anderen Tatbeteiligung die Haftungsquote des Schädigers im Rahmen seiner gesamtschuldnerischen Haftung und seiner Alleinhaftung festgestellt werden. Die Gefahr widersprechender Entscheidungen liegt auf der Hand.

Diese Notwendigkeit der Gesamtabwägung läßt sich auch nicht mit der Überlegung verneinen, daß jedenfalls bei der vom Landgericht ausgesprochenen Abweisung der Klage keine spätere Gesamtabwägung unter den möglichen Tatbeteiligten stattfinden müßte. Bei dieser Überlegung bliebe außer Betracht, daß das Berufungs- oder Revisionsgericht anders als das Landgericht entscheiden könnte. Eine andere Entscheidung im Instanzenzug könnte hier aber nicht erfolgen, da dies nur bei einer Gesamtabwägung unter Einbeziehung des weiteren Tatbeteiligten, also nur bei gleichzeitiger Entscheidung auch gegenüber den Beklagten zu 3) bis 5) stattfinden.

Unter diesen Umständen war das Verfahren gegen die Beklagten zu 1) und 2) nicht unabhängig von der weiteren Klage gegen die Beklagten zu 3) bis 5). Das Teilurteil durfte daher nicht erlassen werden. Das Landgericht wird nunmehr nach Beweisaufnahme, insbesondere nach Einholung des beantragten verkehrsanalytischen Gutachtens einheitlich im Rahmen einer Gesamtabwägung zu entscheiden haben.

Eine eigene Entscheidung des Senates gemäß § 540 ZPO ist jedenfalls nicht sachdienlich, da sich das Landgericht bislang sachlich mit einer Haftung der Beklagten zu 3) bis 5) überhaupt nicht befaßt hat.

Ende der Entscheidung

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