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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 23.08.2000
Aktenzeichen: 13 U 186/99
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 287 Abs. 1
ZPO § 412 Abs. 1
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1
ZPO § 97 Abs. 2
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 546 Abs. 2
Leitsatz:

Ein traumatisches Ereignis kann nur dann die Ursache eines später eintretenden Bandscheibenvorfalls im Bereich der Halswirbelsäule darstellen, wenn das Trauma und der Bandscheibenvorfall durch typische Brückensymptome verbunden sind. Dies setzt eine radikuläre Symptomatik voraus, gelegentliche Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule und Kopfschmerzen während eines Zeitraums von 20 Monaten genügen nicht.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 186/99 OLG Hamm 9 O 182/99 LG Detmold

Verkündet am 23. August 2000

Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 23. August 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brück, den Richter am Oberlandesgericht Pauge und die Richterin am Landgericht Kirchhoff

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Anschlußberufung der Klägerin gegen das am 09. September 1999 verkündete Urteil der Zivilkammer IV des Landgerichts Detmold wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten wird das genannte Urteil abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert die Klägerin in Höhe von 35.893,50 DM.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt restlichen materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie Feststellung der Haftung der Beklagten für Zukunftsschäden aufgrund eines Verkehrsunfalls.

Am 1992 stieß die am 1952 geborene Klägerin mit ihrem Pkw VW Passat auf der bevorrechtigten B Straße in frontal gegen die linke vordere Seite eines von rechts kommenden, bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw Fiat Regatta, der nach links in die B einbiegen wollte. An dem Fahrzeug der Klägerin entstanden Reparaturkosten in Höhe von 11.742,21 DM. Die vollständige Haftung der Beklagten für die Unfallfolgen ist zwischen den Parteien unstreitig.

Die Klägerin, die bei dem Unfall angeschnallt war, begab sich sofort nach dem Unfall in ärztliche Behandlung. Dr. med. R stellte eine deutlich schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule und eine Verspannung der Nacken- und Schultermuskulatur fest, röntgenologisch zeigten sich aber keine knöchernen Verletzungen. Dr. R diagnostizierte eine Distorsion der Halswirbelsäule ersten Grades und verordnete der Klägerin eine Schanz'sche Krawatte sowie muskelentspannende Medikamente. Nachdem die Schmerzen am 13.11.1992 zunächst zunahmen, zeigte sich am 20.11.1992 eine deutliche Besserung der Beschwerden und eine zunehmende Beweglichkeit der Halswirbelsäule. Die Klägerin war bis zum 23.11.1992 krankgeschrieben, weitere ärztliche Behandlungen erfolgten nicht mehr. Entsprechend der Forderung der Klägerin zahlte die Beklagte zur abschließenden Schadensregulierung ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000,00 DM.

In der Folgezeit traten bei der Klägerin alle paar Monate Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule auf. Im August 1994 bekam die Klägerin starke Schmerzen im rechten Arm, woraufhin sie sich am 23.08.1994 in das B Krankenhaus in begab. Dort wurde ein Bandscheibenvorfall in Segment C 6/7 diagnostiziert, der aufgrund des mangelnden Erfolgs der zunächst durchgeführten konservativen Behandlung am 10.10.1994 operativ versorgt wurde.

Die Klägerin hat unter Berufung auf ein in dem selbständigen Beweisverfahren OH LG eingeholtes schriftliches Sachverständigengutachten des Dr. med. P behauptet, der Bandscheibenvorfall sei auf den Verkehrsunfall vom 1992 zurückzuführen. Sie sei bis zum 30.04.1995 arbeitsunfähig gewesen und habe dadurch einen Verdienstausfall in Höhe von 10.893,50 DM erlitten. Trotz der erfolgreichen Operation werde sie dauerhaft unter einer mäßigen Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule und unter gelegentlichen, belastungs- und zwangshaltungsabhängigen Schmerzen, die in den rechten Oberarm bis teilweise in die Hand ausstrahlten, sowie unter Kopfschmerzen leiden.

Die Klägerin hat beantragt,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an sie 10.893,50 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 25.11.1996 zu zahlen,

2.

die Beklagte zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, das zumindest 20.000,00 DM betragen sollte, zu zahlen,

3.

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche materiellen Schäden, die aus dem Vorfall vom 1992 auf der B Straße/ Straße in entstehen, zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.

Die Beklagte hat unter Berufung auf ein von ihr eingeholtes Gutachten des Prof. Dr. M behauptet, daß der Bandscheibenvorfall unfallunabhängig auf eine degenerative Veränderung der Halswirbelsäule zurückzuführen sei, und deshalb beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat der Klage nach urkundenbeweislicher Verwertung der Akte OH LG D und ergänzender Anhörung des Sachverständigen Dr. P stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. P, die durch das Privatgutachten des Prof. Dr. M nicht in Frage gestellt würden, von einer Kausalität zwischen Verkehrsunfall und Bandscheibenvorfall überzeugt.

Mit der Berufung begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Sie bestreitet nunmehr mit Nichtwissen, daß die Klägerin bei dem Verkehrsunfall überhaupt verletzt wurde, allenfalls habe es sich um eine Bagatellverletzung gehandelt. Der Bandscheibenvorfall könne jedenfalls aufgrund der Art und der geringen Intensität des Unfalls, des Fehlens knöcherner Verletzungen und des langen weitgehend beschwerdefreien Intervalls nicht auf der Kollision beruhen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und begehrt im Wege der Anschlußberufung nunmehr auch eine Verzinsung des Schmerzensgeldanspruchs.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat die Klägerin persönlich gehört und Beweis erhoben durch Einholung eines interdisziplinären Sachverständigengutachtens des Dipl.-Ing. B und des Prof. Dr. sowie durch Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. M und Dr. P. Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung und der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Berichterstattervermerks Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist begründet, die unselbständige Anschlußberufung der Klägerin ist dagegen unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keine weiteren Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aufgrund des Verkehrsunfalls vom 1992.

Es kann dahinstehen, ob die Klägerin bei dem Verkehrsunfall überhaupt eine Verletzung der Halswirbelsäule erlitten hat. Denn es ist jedenfalls nicht mit der nach § 287 Abs. 1 ZPO erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit feststellbar, daß auch der im August 1994 diagnostizierte Bandscheibenvorfall, auf den die vorliegende Klage gestützt wird, durch den Verkehrsunfall verursacht wurde.

Nach den insoweit übereinstimmenden Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. C Prof. Dr. M und Dr. P kann ein traumatisches Ereignis nur dann die Ursache eines später eintretenden Bandscheibenvorfalls darstellen, wenn das Trauma und der Bandscheibenvorfall durch typische Brückensymptome verbunden sind. Eine derartige Brückensymptomatik ist vorliegend jedoch nicht feststellbar.

Die Klägerin hat im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung vor dem Senat erklärt, nach dem Abklingen der unmittelbar nach dem Verkehrsunfall aufgetretenen Beschwerden habe sie bis August 1994 alle paar Monate einen steifen Hals bekommen und ihren Kopf nicht drehen können. Zudem seien vermehrt Kopfschmerzen aufgetreten. Schmerzen im Arm habe sie dagegen nicht wahrgenommen.

Dieses Beschwerdebild reicht nach den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. C und Prof. Dr. M nicht aus, um einen Zusammenhang zwischen dem Verkehrsunfall und dem Bandscheibenvorfall annehmen zu können.

Prof. Dr. C hat überzeugend ausgeführt, daß eintraumatisch bedingter Bandscheibenvorfall als Brückensymptome eine radikuläre Symptomatik voraussetzt. Schmerzen im rechten Arm hat die Klägerin aber erst im August 1994, ca. 20 Monate nach dem Verkehrsunfall, wahrgenommen. Die in der Zwischenzeit gelegentlich aufgetretenen Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule stellen nach Ansicht von Prof. Dr. C ein traumatisch völlig unübliches Beschwerdebild dar, aufgrund dessen nur eine ganz geringe Wahrscheinlichkeit für eine Unfallursächlichkeit des Bandscheibenvorfalls spricht. Gleiches gilt erst recht hinsichtlich der geklagten Kopfschmerzen, unter denen ein Großteil der Bevölkerung aus unterschiedlichen Gründen leidet.

Diese Ausführungen stimmen mit der Bewertung des Sachverständigen Prof. Dr. M überein, der einen Zusammenhang zwischen dem Verkehrsunfall und dem Bandscheibenvorfall aufgrund der erst nach 20 Monaten plötzlich aufgetretenen typischen Symptome in Form von Schmerzen im rechten Arm und aufgrund der als Brückensymptome nicht ausreichenden vorher gelegentlich aufgetretenen Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule sogar ausgeschlossen hat.

Die gegenteilige Bewertung des Sachverständigen Dr. P, der eine Unfallursächlichkeit des eingetretenen Bandscheibenvorfalls bejaht hat, vermag demgegenüber nicht zu überzeugen. Seine Begründung, es seien vorliegend typische Beschwerden in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Trauma aufgetreten, da die Klägerin durchgehend unter Nackenschmerzen gelitten habe und sich sekundär ein radikuläres Syndrom entwickelt habe, steht mit dem von der Klägerin vor dem Senat geschilderten Beschwerdebild nicht in Einklang.

Zur Einholung eines Obergutachtens nach § 412 Abs. 1 ZPO besteht keine Veranlassung. Prof. Dr. C ist dem Senat als ein kompetenter und erfahrener Sachverständiger bekannt, der gerade bezüglich der streitgegenständlichen Problematik unfallbedingter Halswirbelsäulenverletzungen umfangreiche Forschungen betrieben hat und weiterhin betreibt. Die Richtigkeit seines Gutachtens wird zudem durch die Übereinstimmung mit der Bewertung des anerkannten Chirurgen Prof. Dr. M gestützt. Die gegenteilige Einschätzung des Sachverständigen Dr. P beruht nicht auf überlegenen medizinischen Erkenntnissen, sondern auf der Zugrundelegung eines anderen Beschwerdebildes.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Beklagte hat die Unfallbedingtheit des Bandscheibenvorfalls bereits in erster Instanz bestritten, woraufhin das Landgericht Beweis erhoben hat durch mündliche Anhörung des Sachverständigen Dr. P.

Die weiteren prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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