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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 14.06.2000
Aktenzeichen: 13 U 19/00
Rechtsgebiete: BGB, PflVG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 847
BGB § 421
PflVG § 3 Nr. 1
PflVG § 3 Nr. 2
ZPO § 91
ZPO § 92
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 546 Abs. 2
Leitsatz:

20.000, 00 DM Schmerzensgeld bei folgenden Verletzungen nach Verkehrsunfall:

Dauerschäden im Ellbogengelenk, Handgelenk und Schultergelenk. Gefahr von Früharthrosen.

Erhebliche Alkoholisierung des Schädigers (2,26 Promille) wirkt schmerzensgelderhöhend.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 19/00 OLG Hamm 11 O 214/99 LG Münster

verkündet am 14. Juni 2000

Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juni 2000 durch die Richter am Oberlandesgericht Zumdick und Pauge und den Richter am Landgericht Lopez Ramos

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen - das am 9. November 1999 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster hinsichtlich des Schmerzensgeldbetrages abgeändert.

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 12.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 6. Dezember 1998 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wegen des Schmerzensgeldes wird abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden dem Kläger 60 % und den Beklagten 40 % auferlegt.

Die Kosten der Berufung trägt der Kläger zu 2/3 und die Beklagten zu 1/3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer des Klägers beträgt 10.000,-- DM, die der Beklagten 5.000,-- DM.

Tatbestand:

Der am 1968 geborene Kläger begehrt aufgrund eines Verkehrsunfalles Schmerzensgeld und Ersatz von materiellen Schäden, ferner die Feststellung, daß die Beklagten zum Ersatz aller zukünftigen Schäden verpflichtet sind. Die volle Haftung der Beklagten ist dem Grunde nach unstreitig. Die Beklagten haben vorprozessual die überwiegenden materiellen Schäden reguliert und ein Schmerzensgeld in Höhe von 8.000,00 DM gezahlt.

Am 04. Mai 1997 ereignete sich gegen 16.10 Uhr im Einmündungsbereich der Straße (B 4) und der Straße in der Gemeinde B ein Unfall, an dem der Kläger mit seinem Krad und der Beklagte zu 1) mit seinem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw beteiligt waren.

Der Beklagte zu 1) bog von der Straße nach links in die bevorrechtigte W Straße (B 4) ab. Beim Abbiegen missachtete der Beklagte zu 1) infolge alkoholischer Beeinflussung die Vorfahrt des Klägers. Es kam zu einem Zusammenstoß. Der Kläger wurde bei dem Unfall erheblich verletzt.

Dem Beklagten zu 1) wurde um 17.15 Uhr eine Blutprobe entnommen. Der Blutalkoholgehalt betrug 2,26 0/00. Der Beklagte hatte in der Nacht vom 03. Mai 1997 auf den 04. Mai 1997 bei einer Feier in G bis in die frühen Morgenstunden des 04. Mai 1997 erheblich dem Alkohol zugesprochen. Im Verlaufe des 04. Mai 1997 hatte er erneut Alkohol zu sich genommen.

Der Beklagte zu 1) ist durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Warendorf vom 14. November 1997 wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs durch Trunkenheit am Steuer in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten zur Bewährung verurteilt (Bl. 93 ff. BA).

Der Kläger ist von Beruf Landmaschinenmechaniker. Er ist bei der Fa. in der Vormontage beschäftigt. Außerdem bewirtschaftet er den elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb von einer Größe von ca. 9 ha im Nebenerwerb.

Der Kläger begehrt restliche Kosten für eine von ihm in der Zeit vom 01. Juli 1997 bis zum 08. August 1997 eingestellte Ersatzkraft zur Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Betriebes. Daneben begehrt er Zahlung eines (weiteren) angemessenen Schmerzensgeldes (Vorstellungen insgesamt: 50.000,- DM). Schließlich verlangt er umfassende Feststellung.

Die Beklagten haben den Feststellungsantrag anerkannt.

Sie haben die Auffassung vertreten, das vorprozessual gezahlte Schmerzensgeld in Höhe von 8.000,00 DM sei angemessen. Sie haben geltend gemacht, nach den ärztlichen Berichten von Dr. D und Dr. G bestehe ab dem 01. Juli 1997 keine vollständige Erwerbsunfähigkeit mehr; vielmehr sei die Erwerbsfähigkeit nur zum Teil gemindert.

Das Landgericht hat mit Teilanerkenntnis- und Schlussurteil die begehrte Feststellung ausgesprochen und die Beklagten zu einer Schmerzensgeldzahlung von 22.000,- DM verurteilt. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Mit der Berufung wenden sich die Beklagten gegen die Verurteilung zur Schmerzensgeldzahlung, soweit diese 7.000,- DM übersteigt. Sie halten ein Gesamtschmerzensgeld in Höhe von insgesamt 15.000,- DM für ausreichend. Den Feststellungsausspruch greifen die Beklagten ausdrücklich nicht an.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Er hält das ihm vom Landgericht zugesprochene Schmerzensgeld für angemessen. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sei dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Unfall auf die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Beklagten zu 1) zurückzuführen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätzen nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat den Kläger persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung wird auf den Inhalt des Berichterstattervermerks Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist zum Teil begründet begründet. Zwar steht dem Kläger der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch dem Grunde nach zu (I.). Der Schmerzensgeldantrag ist jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange begründet (II.).

I.

Die Haftung der Beklagten ist nicht im Streit und folgt aus §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2, 847, 421 BGB, § 3 Nr. 1 und Nr. 2 PflVG, nach dem der Kläger durch (allein-)schuldhaftes Verhalten des Beklagten zu 1) bei einem Verkehrsunfall verletzt worden ist.

II.

Der Senat hält bei Berücksichtigung der Gesamtumstände ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 20.000,-- DM für angemessen. Unter Anrechnung des von dem Beklagten zu 2) vorprozessual gezahlten Betrages von 8.000,-- DM waren dem Kläger noch 12.000,-- DM zuzusprechen.

1.)

Das einem Geschädigten zuzusprechende Schmerzensgeld dient dem Ausgleich seiner unfallbedingten physischen und psychischen Beeinträchtigungen und soll ihm Gelegenheit verschaffen, sich Annehmlichkeiten und Erleichterungen anstelle des durch die Schädigung Entgangenen leisten zu können. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sind in erster Linie das Ausmaß seiner körperlichen und seelischen Beeinträchtigung sowie Art, Umfang und Dauer der Beschwerden einschließlich der Schmerzen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des konkreten Einzelfalles zu berücksichtigen.

Daneben sind der Grad des Verschuldens des Verpflichteten und eines etwaigen Mitverschuldens des Verletzten, die wirtschaftlichen Verhältnisse beider Teile sowie das Bestehen einer eintrittspflichtigen Haftpflichtversicherung von Belang (grundlegend BGH GrZS 18, 149 ff; BGH NJW 1993, 1531; OLG Oldenburg MDR 1996, 54; OLG Frankfurt VersR 1990, 1287).

Bei der Bewertung des Grad des Verschuldens ist eine erhebliche Alkoholisierung des Schädigers im Regelfall schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen (BGHZ 18, 149; OLG München VersR 1985, 601).

2.)

In Anbetracht der vom Kläger erlittenen körperlichen Verletzungen, der Art und Dauer der notwendigen Heilbehandlungen, des verbliebenen Dauerschadens und der dadurch bedingten Schmerzzustände, ist - bei Berücksichtigung von in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Beträgen - ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 20.000,00 DM erforderlich, aber auch ausreichend, um den Kläger für die erlittenen und soweit möglich abzusehenden körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen angemessen zu entschädigen.

Dabei hat der Senat inbs. folgende Umstände berücksichtigt:

a) Der Kläger musste mit dem Notarztwagen in das Krankenhaus eingeliefert werden. Er erlitt einen handgelenknahen Speichenmehrfachbruch (zwölffach) rechts, eine Sprengung des linken Schultereckgelenkes Typ 4 Tossy II, einen Schulterblatthalsbruch links und ein Schädelhirntrauma ersten bis zweiten Grades.

b) Er musste in der Zeit vom 04. Mai 1997 bis zum 16. Mai 1997 stationär behandelt werden. Es erfolgte u.a. eine osteosynthetische Versorgung der Frakturen. Die Metallentfernung erfolgte während eines weiteren stationären Aufenthaltes in der Zeit vom 30. Juni 1997 bis zum 04. Juli 1997.

c) Ausweislich der Bescheinigung von Dr. G vom 10.12.1997 (Bl. 42 d. A.) war der Kläger vom 04.05.1997 - 04.07.97 zu 100 % arbeitsunfähig; danach bis zum 08.08.97 stufenweise 50 %, 30 % und 20 %. Ab dem 09.08.1997 bestand volle Arbeitsfähigkeit. Dr. D bescheinigt dem Kläger im wesentlichen gleiche Einschränkungen (Vgl. Bl. 19 d. A.). Dr. F geht in der Bescheinigung vom 22.06.1998 (Bl. 27 d. A.) von einer MdE vom 26.03.1998 bis auf "weiteres" von 20 % aus.

d) Unstreitig ist ferner aufgrund der ärztlichen Gutachtens von Dr. med. M vom 16.06.1998 (Bl. 22 ff. d. A.) und von Dr. D vom 11.03.1998 (Bl. 118 d. A.), dass heute noch Bewegungseinschränkungen im rechten Ellenbogengelenk für die Außenrotation, Bewegungseinschränkungen des rechten Handgelenkes für die Überstreckung und Beugung und eine Kraftminderung im linken Schultergelenk bestehen. Es handelt sich dabei um einen Dauerzustand (Bl. 24 d. A). Schließlich besteht die Gefahr von Früharthrosen (Bl. 23 d. A).

e) Die bleibende Minderung der Erwerbsfähigkeit für die Tätigkeit als Nebenserwerbslandwirt wird von Dr. D mit 1/4 Unterarm und 1/7 Schultergelenk beurteilt (Bl. 123 d. A).

Dr. M geht demgegenüber von folgenden Folgen aus: Rechter Arm 1/7 Armwert; Linker Arm 1/20 Armwert.

Der Senat hält die Differenzen dieser Bewertungen nicht für maßgeblich. Dabei geht der Senat davon aus, dass die vom Kläger erlittenen Verletzungen im wesentlichen ausgeheilt sind.

Gleichwohl verkennt der Senat nicht, dass der Kläger unfallbedingt in der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeiten sowie im Freizeitverhalten eingeschränkt ist. Insoweit hat der Kläger im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat glaubhaft angegeben, Beeinträchtigungen in seinem Hauptberuf (Landmaschinenmechaniker Fa. C), seinem Nebenberuf als Nebenerwerbslandwirt (Schwierigkeiten insb. beim Ausmisten) und in seinem Freizeitverhalten (Motorradfahren) zu erleiden.

f) Schließlich war zu berücksichtigen, dass der unfallverursachende Beklagte zu 1) zum Unfallzeitpunkt um 16.00 Uhr erheblich alkoholisiert war (2,26 0/00) und die Alkoholisierung auch unfallursächlich gewesen ist. Nach Auffassung des Senats muss sich dieser Umstand schmerzensgelderhöhend auswirken. Denn vorliegend geht es nicht um die Folgen eines Verkehrsunfalles, der - aufgrund der menschlichen Unzulänglichkeiten - jedem Verkehrsteilnehmer, z. B. weil er einen kurzen Augenblick unaufmerksam war, unterlaufen kann. Vorliegend hat sich der Beklagte zu 1) im volltrunkenen Zustand an das Steuer seines Pkw begeben und hat allein dadurch eine zusätzliche Gefahrenquelle geschaffen, die sich dann zum Nachteil des Klägers auch realisiert hat.

3.)

Der Zinsanspruch in gesetzlicher Höhe ist nicht im Streit.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 92, 708 Nr. 10, 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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