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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 14.02.2001
Aktenzeichen: 13 U 194/00
Rechtsgebiete: StVG, PflVG, BGB, ZPO


Vorschriften:

StVG § 7 Abs. 1
StVG § 17 Abs. 1 Satz. 2
StVG § 18 Abs. 1 Satz 1
PflVG § 3 Nr. 1
BGB § 921
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 546 Abs. 2
Leitsatz:

Zu den Anforderungen an den Nachweis eines "gestellten Unfalls".


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 194/00 OLG Hamm 4 O 101/2000 LG Bochum

Verkündet am 14. Februar 2001

Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 19. Februar 2001 durch den Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Brück, den Richter am Oberlandesgericht Zumdick und die Richterin am Landgericht Kirchhoff

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 19. Juli 2000 Verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert den Kläger in Höhe von 20.068,68 DM.

Tatbestand:

Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus Anlaß eines behaupteten Verkehrsunfalls geltend.

Der Kläger behauptet, er sei Eigentümer eines Pkw BMW 325 i Coupe, amtliches Kennzeichen gewesen. Der Zeuge M habe mit dem Fahrzeug am August 1999 gegen 21.25 Uhr die H Straße in B befahren. Vor einer von Grün auf Gelb umspringenden Lichtzeichenanlage habe der Zeuge das Fahrzeug normal abgebremst. Der Beklagte zu 1) sei mit einem von der Beklagten zu 2) gehaltenen, bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Pkw Ford Sierra, amtliches Kennzeichen, infolge zu hoher Geschwindigkeit und eines zu geringen Sicherheitsabstands auf das Heck des noch nicht stehenden BMW aufgefahren. Hierdurch seien Reparaturkosten in Höhe von 18.637,26 DM entstanden, die der Kläger von den Beklagten ersetzt verlangt. Daneben macht der Kläger Gutachterkosten in Flöhe voll 1.391,42 DM und eine Kostenpauschale von 90,00 DM geltend.

Die Beklagte zu 3) - zugleich Streithelferin der anwaltlich nicht vertretenen Beklagten zu 1) und 2) - bestreitet die Aktivlegitimation des Klägers, die Passivlegitimation der Beklagten zu 2) sowie das geltend gemachte Schadensereignis. Sie behauptet mit näherer Begründung, es habe sich jedenfalls um einen "gestellten Unfall" gehandelt.

Das Landgericht hat den Kläger und die Beklagten zu 1) und 2) persönlich gehört und Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen M, S und L sowie durch Beiziehung der Akten 30 der Stadt B und des Amtsgerichts Essen. Mit dem angefochtenen Urteil hat es die Klage abgewiesen. Das Schadensereignis stelle sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme als ein vom Beklagten zu 1) im Einverständnis mit dem Kläger, zumindest aber im Einverständnis mit dem Zeugen M herbeigeführter Verkehrsunfall dar.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein Klagebegehren in vollem Umfang weiterverfolgt. Er vertritt die Auffassung, die Gesamtbetrachtung aller Umstände rechtfertige nicht den Schluß auf einen gestellten Unfall.

Die Beklagte zu 3) verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Akten C des Amtsgerichts Essen, des Oberbürgermeisters der Stadt E, des Oberbürgermeisters der Stadt B sowie Ablichtungen betreffend den Haftpflichtschaden von 23.09.1998 lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Der Senat hat den Kläger und die Beklagte zu 2) persönlich gehört und Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen M, S, L und P sowie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Diplom-Ingenieur G. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Schadensersatzanspruch aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 Satz. 2, 18 Abs. 1 Satz 1 StVG, 3 Nr. 1 PflVG, 921 BGB.

I.

Der Senat ist allerdings davon überzeugt, daß der Kläger Eigentümer des Pkw BMW 325 i Coupé war. Nach den vorgelegten Unterlagen trat der Kläger das Fahrzeug am 2. September 1998 verbindlich bestellt und am 30. September 1999 verkauft. Der Pkw war in der Zwischenzeit auf den Kläger zugelassen. Der Kläger hat die Kraftfahrzeugsteuer sowie die Haftpflicht- und Vollkaskoversicherungsprämien gezahlt.

II.

Der Kläger hat ferner bewiesen, daß der von ihm behauptete Unfall (der äußere Tatbestand der Rechtsgutsverletzung) stattgefunden hat und hierdurch der geltend gemachte Schaden entstanden ist. Der Unfall ist von der Polizei aufgenommen worden. Die Polizeibeamten L und P haben frische Schäden an den Fahrzeugen festgestellt, die mit dem geschilderten Auffahrunfall in Einklang standen. Der Sachverständige G hat bestätigt, daß das behauptete Schadensereignis aus technischer Sicht nachvollziehbar ist.

III.

Die Schadenszufügung war aber nicht rechtswidrig. Sie geschah mit Einwilligung des Klägers. Der Beweis der Unfallmanipulation kann durch den Nachweis einer ungewöhnlichen Häufung von typischen Umständen erbracht werden, die für sich betrachtet auch eine andere Erklärung finden mögen, in ihrem Zusammenwirken vernünftigerweise jedoch nur den Schluß zulassen, daß der Anspruchsteller in die Beschädigung seines Fahrzeugs eingewilligt hat. So liegt der Fall hier. Bei der gebotenen Gesamtschau hat sich der Senat insbesondere von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen:

1.

Die Kollision ist bei einem Auffahrvorgang erfolgt. Anders als bei einem Frontalzusammenstoß oder bei einer seitlichen Kollision läßt sich beim Auffahren von hinten der Schadenshergang nahezu optimal steuern. Gleichzeitig ist es möglich, das unvermeidbare Körperverletzungsrisiko in Grenzen zu halten und den Schadensumfang zu kalkulieren. So haben die Zeugen M und S auch allenfalls leichte HWS/BWS-Zerrungen erlitten, wenn sie denn überhaupt verletzt worden sind (den vorgelegten ärztlichen Attesten lassen sich keine eindeutigen objektivierbaren Verletzungsfolgen entnehmen). Außerdem braucht wegen der regelmäßig eindeutigen Schuldzuweisung an den Auffahrenden nicht mit einer Anspruchskürzung auf Grund von Mitverschulden oder mitwirkender Betriebsgefahr gerechnet werden.

2.

Die beteiligten Fahrzeuge sind charakteristisch für einen "gestellten Unfall".

Bei dem BMW des Klägers handelt es sich um einen zum Unfallzeitpunkt 5 1/2 Jahre alten, vorgeschädigten Pkw der gehobenen Klasse mit recht hoher Laufleistung (135.585 km). Die Beteiligung eines solchen Fahrzeugs bringt dem "Geschädigten", der, wie hier der Kläger, auf der Grundlage fiktiver Reparaturkosten abrechnet, in aller Regel erhebliche finanzielle Vorteile. Der Vorschaden ist von dem Zeugen M in Eigenregie repariert worden. Nach dem streitgegenständlichen Unfall will der Kläger das Fahrzeug zwar für lediglich 11.500,00 DM unrepariert veräußert haben. Nachgeprüft werden kann dies aber nicht, der Käufer des Fahrzeugs wohnt in Schweden. Das Bestehen einer Vollkaskoversicherung spricht eher, aber nicht zwingend gegen einen "gestellten Unfall". Durch Inanspruchnahme der Versicherung hätte der Kläger wirtschaftlich schlechter dargestanden. Er hätte den Selbstbehalt tragen und in Zukunft höhere Versicherungsprämien zahlen müssen.

Bei dem Beklagtenfahrzeug handelt es sich um einen 15 Jahre alten Ford Sierra von nur noch sehr geringem Wert, durch dessen Beschädigung kein großer Sachschaden entstand. Das Fahrzeug ist erst im Juli 1999 auf die Beklagte zu 2) zugelassen und nach dem Unfall am Straßenrand stehengelassen und stillgelegt worden.

3.

Die Darstellungen der Beteiligten zu den jeweiligen Umständen ihrer Fahrten überzeugen nicht.

Der Zeuge M will sich den BMW am Vortag beim Kläger ausgeliehen haben und am Unfalltag seit dem Nachmittag in H und H ohne konkretes Ziel herumgefahren sein, um zu sehen, ob irgendwo abgemeldete Fahrzeuge stehen, die für seinen Gebrauchtwagenhandel interessant sein könnten. In B habe er einen Volvo-Händler aufsuchen wollen. Dies macht am Abend wenig Sinn, da der Zeuge für den eventuellen Ankauf eines Fahrzeugs erneut nach Bochum fahren mußte.

Der Zeuge S will den Zeugen M am Unfalltag besucht und ihn auf seiner Rundfahrt durch H und B begleitet haben. Nähere Einzelheiten zu der Fahrt vermochte der Zeuge nicht anzugeben, er habe im Grunde nur danebengesessen. Der Zeuge konnte nicht einmal ungefähr die Zeitdauer der Fahrt bis zum Unfall angeben.

Der Beklagte zu 1) will sich zur Unfallzeit auf dem Heimweg von einer Baustelle an der D Straße nach M befunden haben. Üblicherweise wird auf Baustellen nicht bis in die Abendstunden gearbeitet. Es ist unklar, wie der Beklagte zu 1) in den Besitz des Ford Sierra gelangt ist. Bei dem Fahrzeug handelte es sich nach der glaubhaften Schilderung der Beklagten zu 2) um ein Fahrzeug der Firma T Industriefußböden, bei der der Beklagten zu 1) damals beschäftigt war. In der Regel sind Arbeitnehmer nicht dazu berechtigt, Firmenfahrzeuge zur Heimfahrt von der Arbeitsstätte zu benutzen.

4.

Der Unfall hat sich abends um 21.25 Uhr ereignet. Mit neutralen Zeugen mußte um diese Uhrzeit an der außerhalb des Zentrums von B gelegenen Unfallstelle nicht gerechnet werden.

5.

Die Unfallschilderungen der Beteiligten sind auffällig detailarm, variieren nicht unerheblich und sind teilweise nicht nachvollziehbar. Gegenüber der Polizei wurde angegeben, die Lichtzeichenanlage sei von Gelb auf Rot umgesprungen, als der Zeuge M gebremst habe. Beim Landgericht war man sich dann einig, daß die Lichtzeichenanlage erst von Grün auf Gelb wechselte. Gegenüber der Beklagten zu 3) hat der Beklagte zu 1) angegeben, der Zeuge M habe bei Grün gebremst. Der Zeuge M hat gegenüber dem Landgericht ausgesagt, er habe den Ford Sierra vorher im Rückspiegel gesehen. Vor dem Senat hat er dagegen bekundet, er habe den nachfolgenden Pkw vor der Kollision nicht wahrgenommen. Seine weitere Aussage, er sei mit ca. 30 bis 40 km/h gefahren, ist nicht nachvollziehbar. Bei der H Straße handelt es sich, wie der Sachverständige G anhand von Lichtbildern überzeugend erläutert hat, um eine auf ausgebaute und übersichtliche Straße. Es gab keinen Grund, auf dieser zur Unfallzeit zudem nur gering befahrenen Straße derart langsam zu fahren. Einen solchen Grund vermochte auch der Zeuge M nicht anzugeben.

6.

Daß der Beklagte zu 1) sowohl gegenüber der Polizei als auch gegenüber der Beklagten zu 3) Einwände gegen seine (alleinige) Verantwortung erhoben und ein Verwarnungsgeld zunächst abgelehnt hat, spricht nicht gegen die Annahme eines "gestellten Unfalls". Denn der Beklagte zu 1) hat seine Darstellung gegenüber dem Landgericht bereits deutlich abgeschwächt. Vor dem Senat ist er erst gar nicht erschienen.

7.

Dem Zeugen M und dem Beklagten zu 1) ist ein "gestellter Unfall" zuzutrauen.

Der Zeuge M war bereits am 19. Mai 1997 und am 23. September l998 en zwei "Verkehrsunfällen" beteiligt, die angeblich jeweils ausschließlich von dem Unfallgegnern verschuldet wurden. Im Jahr 1997 ist der Zeuge selbst als Anspruchsteller aufgetreten. Im Jahr 1992 fuhr der Zeuge den streitgegenständliche BMW, der erst drei Wochen vorher vom Kläger erworben worden war.

Der Beklagte zu 1) war ebenfalls in zumindest einen weiteren "Verkehrsunfall" verwickelt. Am 20. September 1999, also nur 1 Monat nach dem streitgegenständlichen Unfallgeschehen, will er in E gegen 20.07 Uhr mit einem 16 Jahre alten BMW 528 i, der erst am 1. September 1999 - pro forma - auf die Beklagte zu 2) zugelassen worden war, auf den verkehrsbedingt abbbremsenden BMW 325 Ci des Gebrauchtwagenhändlers der von einem E geführt wurde, aufgefahren sein. Das "Strickmuster" diese Unfalls ist mit demjenigen des streitgegenständlichen Unfalls nahezu identisch. Der BMW 323 Ci wurde in Eigenregie repariert, das Schädigerfahrzeug wurde am 11. Oktober 1999 wieder abgemeldet und verschrottet, die Haftpflichtversicherung wegen Nichtzahlung der Erstprämie gekündigt.

8.

Es ist nicht feststellbar, daß sich der Kläger bzw. der Zeuge M und der Beklagte zu 1) persönlich kannten. Zwischen den drei Personen besteht aber eine Verbindung, die bei lebensnaher Betrachtung nicht mit Zufall erklärt werden kann. Der Kläger hat den BMW von M, einem Bruder des Zeugen M erworben. M hat den Gebrauchtwagenhandel des in B, Straße übernommen. S ist "Geschädigter" des angeblichen Auffahrunfalls vom 20. September 1999, den der Beklagte zu 1) verursacht haben soll. Ob es darüber hinaus am 6. August 1995 zu einem "Unfall" zwischen dem Sohn des Beklagten zu 1) und dem Bruder/Cousin des Zeugen S, der bei dem vorliegenden Schadensereignis Beifahrer war, gekommen ist, kann dahinstehen.

9.

Der Senat ist davon überzeugt, daß der Kläger persönlich in die Beschädigung seines Fahrzeugs eingewilligt hat. Allerdings sind in Bezug auf den Kläger keine konkreten belastenden Indizien dargelegt. Der Kläger hat als Versicherungsvertreter ein geregeltes Einkommen. Vorunfälle sind nicht bekannt. Der Zeuge M hatte aber für eine eigenständige Unfallmanipulation kein Motiv. Wirtschaftliche Vorteile erlangte ausschließlich der Kläger als Eigentümer des Fahrzeugs. Dies läßt nur den Schluß zu, daß die Unfallmanipulation zwischen dem Kläger und dem mit ihm befreundeten Zeugen M abgesprochen war.

IV.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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