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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 06.05.2002
Aktenzeichen: 13 U 224/01
Rechtsgebiete: SGB VII, DÜG, BGB, RVO, ZPO


Vorschriften:

SGB VII § 104
SGB VII § 106
SGB VII § 106 Abs. 3
SGB VII § 106 Abs. 3 3. Alt.
SGB VII § 110
SGB VII § 110 Abs. 1 S. 3
DÜG § 1
BGB § 823
BGB § 847
RVO § 640
ZPO § 97
ZPO § 543
ZPO § 708 Nr. 10
1.

Die Haftungsprivilegierung nach § 106 III 3. Alt SGB VII (gemeinsame Betriebsstätte) ist dann gegeben, wenn ein Handwerker ein Gerüst zur Durchführung eigener Arbeiten teilweise abbaut und es dann nur unvollständig wieder aufbaut und befestigt und ein anderer Handwerker am nächsten Tag von diesem unvollständig befestigten Teil des Gerüstes stürzt.

2.

Die Verschuldensregelung aus § 110 SGB VII gilt nicht für § 104 SGB VII.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 224/01 OLG Hamm

Verkündet am 6. Mai 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 6. Mai 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brück, den Richter am Oberlandesgericht Zumdick und den Richter am Amtsgericht Mollenhauer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 28. April 2001 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert den Kläger um mehr als 20.000,00 €.

Tatbestand:

Der Kläger verlangt Schmerzensgeld und Feststellung künftiger Ersatzpflicht aus einem Arbeitsunfall vom 21.09.1999, der sich beim Neubau der Residenz in B ereignet hat.

Der Kläger führt einen Zimmereibetrieb in Form einer GmbH. Er hatte u.a. den Auftrag als Subunternehmer einer Holzverkleidung auf dem bereits vorhandenen Dachaufbau des Neubaus anzubringen. Der Beklagte ist selbständiger Tischler und war als Subunternehmer beauftragt, Türen einzusetzen und Fenster zu verglasen.

Der dreistöckige Neubau war von einem Arbeits- und Schutzgerüst umstellt, das vier bis fünf Gerüstlagen aufwies und ca. 8 m hoch war. Der Beklagte und seine Hilfskräfte bauten am 20.09.1999 teilweise das Gerüst ab, um besser Türen einbauen zu können. Das Gerüst wurde an diesem Tag dann nur unvollständig wieder aufgebaut, insbesondere wurde eine Laufbohle nur lose aufgelegt. Am 21.09.1999 gegen 10.15 Uhr betrat der Kläger vom Dach aus eine Laufbohle, die auf der 4. Gerüstlage lag. Die Bohle rutschte einseitig von der Rüstungsstange, so daß der Kläger ca. 8 m nach unten fiel, wobei er sich äußerst schwer verletzte.

Die Parteien streiten darüber, ob die Haftung des Beklagten gemäß § 106 Abs. 3 3. Alt. SGB VII ausgeschlossen ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten und den in erster Instanz gestellten Anträgen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und einen Haftungsausschluß nach § 106 SGB VII angenommen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, der sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils

1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 50.000,00 DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 des DÜG seit dem 30. Januar 2000 zu zahlen,

2. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und sämtliche zukünftigen immateriellen Schäden, die dem Kläger aus dem Unfall vom 21.09.1999 auf der Baustelle des Residenz, B entstanden sind bzw. entstehen, zu ersetzen, erstere soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für richtig und meint, die Haftung sei wegen eines Unfalls auf einer gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne des § 106 Abs. 3 SGB VII ausgeschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz nach §§ 823, 847 BGB scheidet aus. Der Beklagte ist nämlich gemäß § 106 Abs. 3 3. Alt. SGB VII haftungsprivilegiert.

1.

Nach der Rechtsprechung des BGH (VersR 2001, 372) liegt eine gemeinsame Betriebsstätte dann vor, wenn betriebliche Aktivitäten von Unternehmen vorliegen, die bewußt und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, daß die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt.

Die Parteien haben hier auf der gemeinsamen Betriebsstätte der Residenz gearbeitet. Ihre Arbeiten waren dadurch bewußt miteinander verknüpft im Sinne der Rechtsprechung des BGH, daß der Kläger notwendigerweise das Gerüst benutzte und der Beklagte an diesem Gerüst Maßnahmen durchgeführt, insbesondere dieses teilweise abgebaut hatte. Damit scheidet eine rein parallele Tätigkeit aus. Es liegt kein zufälliges Nebeneinander von Arbeiten vor, bei denen der eine Versicherte zufällig durch eine Handlung des anderen zu Schaden kommt. Dem Beklagten war bewußt, daß auch andere Handwerker das Gerüst benutzen würden und daß damit seine eigenen Maßnahmen auf andere dort Tätige einwirken konnten. Das reicht aus, um das Haftungsprivileg eingreifen zu lassen (ebenso OLG Hamm r + s 2001, 327; OLG Karlsruhe, VersR 2000, 99; Imbusch, VersR 2001, 547; Jahnke, VersR 2000, 155). Nicht erforderlich ist, daß die tatsächlich ausgeführten Arbeiten des Klägers und des Beklagten aufeinander bezogen waren. Ebenfalls nicht erforderlich ist, daß die schädigende Handlung und der Eintritt des Schadens zeitgleich erfolgen müßten. Beides verlangt das Gesetz nicht.

2.

Die Privilegierung ist auch nicht wegen vorsätzlichen Handelns des Beklagten ausgeschlossen. Ein Ausschluß gemäß § 106 in Verbindung mit § 104 SGB VII läge nur dann vor, wenn der Beklagte den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hätte. Dabei muß sich der Vorsatz nicht nur auf die Handlung selbst erstrecken, sondern auch auf die Verletzungsfolgen. Das ist hier offensichtlich nicht gegeben und wird auch vom Kläger nicht behauptet.

Die Berufung stützt sich allerdings auf § 110 Abs. 1 S. 3 SGB VII und meint, der Vorsatz brauche sich nur auf das konkrete Handeln oder Unterlassen zu beziehen. Diese Auffassung geht fehl. § 110 SGB VII betrifft nur den Fall des Regresses des Sozialversicherungsträgers. Während nach der früheren Regelung des § 640 RVO der Regreß nur möglich war, wenn der "Arbeitsunfall" vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt wurde, reicht es jetzt aus, daß nur die schädigende Handlung (bzw. Unterlassung) vorsätzlich oder grob fahrlässig vorgenommen wurde. Der Begriff "Arbeitsunfall" macht deutlich, daß früher der Vorsatz auch die Schadensfolgen umfassen mußte. Das ist nach der Neuregelung nicht mehr so. Insoweit hat § 110 SGB VII kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung die Regreßpflicht verschärft. Es reicht also z.B. aus, daß ein vorsätzlicher Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften vorliegt, wobei die Schadensfolgen nicht mehr in Kauf genommen werden mußten. Diese Verschuldensregelung in § 110 SGB VII kann aber nicht in gleicher Weise auf § 104 SGB VII übertragen werden. Die Tatsache, daß in § 104 SGB VII eine solche Regelung nicht enthalten ist, macht deutlich, daß die Verschärfung nur für die Regreßpflicht des § 110 SGB VII gelten sollte.

3.

Schließlich scheitert die Haftungsprivilegierung des Beklagten auch nicht an der neuen Rechtsprechung des BGH, wonach der nicht selbst mitarbeitende Unternehmer im Rahmen des § 106 Abs. 3 nicht privilegiert ist (VersR 2001, 1028). Der Beklagte war hier selbst mitarbeitender Unternehmer. Die Argumentation der Berufung, dem Beklagten werde ein Unterlassen vorgeworfen, so daß schon begriffsnotwendig kein tatsächliches Zusammenwirken des Handelns mit dem Kläger gegeben sein kann, ist nicht zu folgen. Es kommt allein darauf an, ob der Unternehmer auf der Baustelle selbst mitgearbeitet hat, so daß ihm nach Sinn und Zweck der gesamten Regelung die Privilegierung wie einem Arbeitnehmer zugute kommt.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10 ZPO. Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung, da die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht gegeben sind.

Ende der Entscheidung

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