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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 10.04.2000
Aktenzeichen: 13 U 24/00
Rechtsgebiete: BGB, StrWG NW, ZPO


Vorschriften:

BGB § 839
BGB § 847
StrWG NW § 9 a
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Ziff. 10
Leitsatz:

Bei außergewöhnlichen Witterungsbedingungen - leichter Nieselregen, der auf gefrorenem Boden zu Glatteis führt - besteht im Rathausbereich mehr als 1 Stunde nach Dienstschluß keine Streupflicht mehr, auch wenn sich in diesem Bereich ein amtlicher Aushang befindet.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 24/00 OLG Hamm 11 O 316/99 LG Münster

Verkündet am 10. April 2000

Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 10. April 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brück und die Richter am Oberlandesgericht Zumdick und Pauge

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 9. November 1999 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert den Kläger in Höhe von 3.320,00 DM.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Schadensersatz und Zahlung eines Schmerzensgeldes aus einem Glätteunfall vom 9. Dezember 1998. Der damals 57-jährige Kläger ging abends mit seiner Ehefrau, der Zeugin A D, über den Marktplatz zum Rathaus, um die in einem beleuchteten Schaukasten ausgehängten amtlichen Mitteilungen zu lesen. Der Schaukasten befindet sich vor einem Nebeneingang, der um 18.00 Uhr geschlossen wird. Zu ihm führt eine Treppe hinunter, die aus zehn jeweils etwa 10 bis 12 m breiten Stufen besteht. Diese sind - ebenso wie der Rathausplatz und der Eingangsbereich - mit Blaubasalt gepflastert. Die Treppe ist mit drei Handläufen versehen. Zur Unfallzeit herrschte Glatteis. Es fiel leichter Nieselregen. Die Temperaturen bewegten sich zwischen minus 2° C morgens um 6.00 Uhr und plus 1° C ab Mittag. Der Boden war noch gefroren. Der Marktplatz und die obersten Treppenstufen waren gestreut.

Der Kläger behauptet, er sei gegen 19.20 Uhr die Treppe hinuntergegangen und habe sich links am Geländer festgehalten. Auf der zweiten oder dritten Stufe von oben sei er ausgerutscht. Diese Stufe sei nicht gestreut und deshalb spiegelglatt gewesen. Er sei die Treppe hinuntergestürzt und habe sich dabei verletzt. Eine am nächsten Tag durchgeführte ärztliche Untersuchung ergab multiple Prellungen des Schädels, des rechten Schultergelenks und des linken Unterschenkels sowie eine Distorsion des linken Handgelenks. Der Kläger, der selbständiger Gastwirt ist, behauptet, er sei bis zum 3l. Dezember 1998 arbeitsunfähig gewesen. Seinen Arbeitsausfall hätten seine Ehefrau bzw. sein Sohn ausgeglichen. Dazu hat er in erster Instanz vorgetragen, beide hätten an 22 Tagen jeweils drei bis vier Stunden zusätzlich gearbeitet. Nunmehr behauptet er, sein anderweitig berufstätiger Sohn habe täglich jeweils fünf Stunden in der Gaststätte ausgeholfen. Dafür sei ein Stundenlohn von 16,00 DM angemessen. Daneben verlangt er 60 DM für das ärztliche Attest sowie ein angemessenes Schmerzensgeld, wobei er sich einen Betrag von 1.500 DM vorstellt.

Die Beklagte stellt eine Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht in Abrede und behauptet, ihr Mitarbeiter, der Zeuge S, habe die Treppe am Unfalltag dreimal gestreut, zuletzt am Nachmittag.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen D und S und die Klage mit dem angefochtenen Urteil abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat den Kläger persönlich gehört. Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung wird auf den Inhalt des Berichterstattervermerks Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Die Klage ist nicht begründet.

I.

Der Kläger hat gegen die Beklagte aus keinem rechtlichen Grund einen Anspruch auf Schadensersatz und Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Amtshaftungsansprüche gem. Art 34 GG i.V.m. §§ 839, 847 BGB sind nicht gegeben. Die Beklagte hat ihre Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt.

1.

Die Verkehrssicherungspflicht ist grundsätzlich privatrechtlicher Natur, kann aber durch eindeutige anderweitige Regelung den hoheitlichen Aufgaben der juristischen Person zugewiesen werden (BGHZ 86, 152). Eine solche Zuweisung hat der Landesgesetzgeber in § 9 a StrWG NW für öffentliche Straßen und Wege getroffen. Wie der Vertreter der Beklagten im Senatstermin klargestellt hat, handelt es sich bei der zum Rathaus führenden Treppe um einen öffentlichen Weg.

2.

Die Beklagte trägt die Verkehrssicherungspflicht für die Treppe. Die allgemeine Rechtspflicht, im Verkehr Rücksicht auf die Gefährdung anderer zu nehmen, beruht auf dem Gedanken, daß jeder, der Gefahrenquellen schafft, die notwendigen Vorkehrungen zum Schutz Dritter zu treffen hat. Da eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, nicht erreichbar ist, muß nicht für alle denkbaren, entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Vielmehr sind nur diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren geeignet sind, solche Gefahren von Dritten tunlichst abzuwenden, die bei bestimmungsmäßer oder bei nicht ganz fernliegender Benutzung drohen (BGH NJW 1978, 1629).

3.

Zur Verkehrssicherungspflicht gehört die Räum- und Streupflicht. Soweit sie den Gemeinden obliegt, haben diese die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen zu treffen und den Winterdienst zu überwachen. Inhalt und Umfang der Räum- und Streupflicht bestimmen sich nach den Umständen des Einzelfalles. Abzustellen ist u.a. auf Art und Bedeutung der Zuwegung, das Maß der Gefährlichkeit und insbesondere auf die konkrete Verkehrsbedeutung. Diese kann wesentlich von der jeweiligen Tageszeit abhängen. Sie beginnt mit Einsetzen des Publikumsverkehrs und endet im allgemeinen etwa eine Stunde nach dessen Ende (BGH NJW 1985, 270). Außergewöhnliche Glätteverhältnisse erfordern außergewöhnliche Sorgfalt. Unter Umständen ist häufigeres Streuen geboten (BGH NJW 1985, 482 f.)

4.

Die zum Rathaus führende Treppe stellte am Unfalltag eine große Gefahrenquelle dar. Es herrschte Nieselregen, der auf dem gefrorenen Boden zu Glättebildung führte. Diese ist auf Blaubasaltpflaster erfahrungsgemäß besonders gefährlich. Deshalb war ein wiederholtes Streuen geboten. Wie der Zeuge S gegenüber dem Landgericht glaubhaft bekundet hat, hat er den Bereich um das Rathaus und auch die Treppe dreimal - zuletzt nachmittags zwischen 14 und 15 Uhr - mit Salz gestreut. Das war ausreichend. Die Treppe mußte in den Abendstunden nicht noch ein viertes Mal gestreut werden. Die Treppe führt zu einem Nebeneingang des Rathauses. Dieser wird um 18 Uhr geschlossen. Mit Rathausbesuchern ist hier deshalb spätestens ab 19 Uhr nicht mehr zu rechnen. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß sich neben diesem Seiteneingang der Schaukasten mit den amtlichen Mitteilungen befindet. Diese sind außen ausgehängt, damit sie unabhängig von den Öffnungszeiten gelesen werden können. Damit sie auch im Dunkeln noch gelesen werden können, ist der Schaukasten beleuchtet. Grundsätzlich ist deshalb unabhängig von den Öffnungszeiten des Rathauses - insbesondere auch an Samstagen, Sonn- und Feiertagen und gerade auch in den Abendstunden - mit Publikumsverkehr auf dieser Treppe zu rechnen. Das gilt aber nicht bei außergewöhnlichen Witterungsbedingungen, wie sie hier am Unfalltag vorgelegen waren. Es fiel leichter Nieselregen, der auf dem gefrorenen Boden zu Glättebildung führte. Es herrschte Glatteis. Auf eine solche Wetterlage muß sich jedermann einstellen. Der Verkehr erwartet nicht, daß alle Wege und Treppen rund um die Uhr geräumt und gestreut sind. Liegen außergewöhnliche Witterungsbedingungen vor, sind auch bei öffentlichen Gebäuden die Sicherheitserwartungen bezüglich der Zuwegungen, die (nur) zu Nebeneingängen führen, gering. Bei gefährlichem Glatteis rechnet der Verkehr nicht damit, daß der Zugang zu einem Nebeneingang des Rathauses abends mehr als eine Stunde nach Dienstschluß noch durchgehend gestreut ist und gefahrlos begangen werden kann. Das gilt selbst dann, wenn sich in diesem Bereich der amtliche Aushang befindet.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Ziff. 10 ZPO.

Ende der Entscheidung

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