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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 02.10.2002
Aktenzeichen: 13 U 30/02
Rechtsgebiete: HaftpflG, BGB


Vorschriften:

HaftpflG § 1 Abs. 1
HaftpflG § 4
BGB § 254

Entscheidung wurde am 30.12.2002 korrigiert: Vorinstanz durch Verfahrensgang ersetzt
Die nicht durch ein Verschulden des Fahrers erhöhte Betriebsgefahr einer Straßenbahn beträgt in der Regel 30 %.
OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 30/02 OLG Hamm 9 O 59/01 LG Essen

Verkündet am 02. Oktober 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 02. Oktober 2002 durch die Richter am Oberlandesgericht Zumdick und Schwerdt und den Richter am Amtsgericht Mollenhauer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das am 23. Oktober 2001 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Essen abgeändert.

Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin 21.308,88 € (= 41.676,55 DM) nebst 4 % Zinsen seit dem 19. Juli 2000 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren materiellen Schäden, die ihr in Zukunft aus dem Verkehrsunfall vom 27. November 1998 auf der A Straße in E entstehen, zu 30 % zu ersetzen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt:

Die Gerichtskosten beider Instanzen tragen die Klägerin zu 70 % und die Beklagte zu 1) zu 30%.

Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt diese selbst in Höhe von 40 %, in Höhe von 60 % trägt sie die Beklagte zu 1).

Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) trägt diese selbst zu 60 %, zu 40 % trägt sie die Klägerin.

Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin, Ausführungsbehörde für die Unfallversicherung des Landes NRW, macht Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht gegen die Beklagten aus einem Verkehrsunfall vom 27.11.1998 gegen 8.00 Uhr auf der A Straße in E geltend, bei der die seinerzeit 57-jährige Versicherte Frau als Fußgängerin durch eine von der Beklagten zu 2) gefahrene Straßenbahn der Beklagten zu 1) schwer verletzt wurde.

Die 4-spurige A Straße wird im Unfallbereich durch die Straßenbahnhalteinsel "H straße" und durch 2 Gleisspuren getrennt. Die Geschädigte überquerte in Höhe des Hauses , in dem sie wohnhaft ist, zunächst die 2 Fahrspuren zur Straßenbahnhalteinsel und blieb auf dieser im vorderen Bereich deutlich vor dem eigentlichen mit Wartehäuschen versehenen Haltestellenbereich stehen, wobei sie sich von den Gleisen abwandte. Zur Unfallörtlichkeit wird auf die Fotos Bl. 11 ff. d.A. verwiesen. Es näherte sich die Beklagte zu 2) mit der von ihr gefahrenen Straßenbahn aus Sicht der Geschädigten von links. Die Geschädigte, die, da es regnete, eine Kapuze trug, drehte sich um, ging in Richtung der Gleise und wurde dort von der Straßenbahn im vorderen Bereich erfasst und abgeschleudert. Die Beklagte zu 2) machte danach eine Vollbremsung bis zum Stillstand. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Geschädigte von der Frontpartie oder in Höhe der rechten vorderen Tür der Straßenbahn erfasst wurde. Sie erlitt ein Schädelhirntrauma mit Schädelfraktur und eine Fraktur des Schambeins. Sie befand sich bis zum 21.12.1998 in klinisch-stationärer Behandlung, danach bis zum 8.03.1999 weiter in stationär-rehabilitativer Behandlung und ist weiterhin arbeitsunfähig. Die entstandenen Behandlungskosten wurden von der Klägerin getragen.

Die Klägerin hat, wobei sie von einem Eigenverschulden der Geschädigten von 50 % ausgegangen ist, Schäden in Höhe von 70.041,60 DM geltend gemacht sowie insofern Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten wegen zukünftiger materieller Schäden begehrt. Die Klägerin hat behauptet, die Geschädigte habe sich, als sie die Gleise betreten habe, noch vor der Front der Straßenbahn befunden und sei deshalb von der rechten Frontpartie des Straßenbahnzugs erfasst worden. Sie hat die Ansicht vertreten, der Unfall sei für die Beklagte zu 2) kein unabwendbares Ereignis gewesen. Aufgrund des Verhaltens der Geschädigten habe die Beklagte zu 2) nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Geschädigte die herannahende Straßenbahn tatsächlich gesehen und deswegen auf der Haltestelleninsel stehen bleiben würde. Die Beklagte zu 2) hätte ihre Geschwindigkeit deshalb weiter derart reduzieren müssen, dass sie noch rechtzeitig hätte anhalten können. Sie hätte zumindest Warnzeichen durch Betätigen der Klingel geben müssen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 70.041,60 DM nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungsgesetzes vom 9.06.1998 ab dem 19.07.2000 zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche Schäden, die in Zukunft aus dem Verkehrsunfall vom 27.11.1998 auf der A Straße in E entstehen, zu 50 % zu ersetzen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben die Ansicht vertreten, der Unfall sei für die Beklagte zu 2) ein unabwendbares Ereignis gewesen und hierzu behauptet, die Geschädigte sei in Höhe des hinteren Holmes der rechten vorderen Tür von der Straßenbahn erfasst worden. Die Beklagte zu 2) habe, als sie die Geschädigte über die Fahrbahnen zur Haltestelleninsel laufen gesehen habe, auf Schrittgeschwindigkeit abgebremst und sei mit dieser Geschwindigkeit weiter in den Haltestellenbereich eingefahren.

Das Landgericht hat nach Vernehmung einer Zeugin und Anhörung der Beklagten zu 2) der Klage, wobei es von einer Verschuldensquote der Beklagten von 50 % ausgegangen ist, bis auf einen geringen Teil der geltend gemachten Schäden stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, es habe weder ein unabwendbares Ereignis i.S.v. § 1 Abs. 2 HaftpflG vorgelegen noch sei der Verkehrsunfall auf das alleinige oder überwiegende Verschulden der Geschädigten selbst zurückzuführen. Diese habe zwar grob fahrlässig gegen § 25 Abs. 3, 5 StVO verstoßen. Dennoch sei eine Haftung der Beklagten nicht zu verneinen. Zu berücksichtigen sei zum einen die von der Straßenbahn ausgegangene erhöhte Betriebsgefahr sowie ein Fehlverhalten der Beklagten zu 2). Diese habe Anhaltspunkte für das leichtfertige Überqueren der Gleisanlage durch die Geschädigte gehabt bzw. hätte haben müssen und habe hierauf nicht ausreichend reagiert. Sie hätte mittels Klingelzeichen warnen und bremsen müssen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihr Ziel der vollständigen Klageabweisung weiterverfolgen. Sie sind weiter der Ansicht, der Unfall sei durch ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 1 Abs. 2 HaftpflG verursacht worden. Sie behaupten hierzu, auch durch Einleitung einer präventiven Bremsung hätte die Beklagte zu 2) die Straßenbahn nicht mehr rechtzeitig vor der Geschädigten zum Stehen bringen können. Es könne auch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Unfall durch ein Klingelzeichen vermieden worden wäre. Es sei denkbar, dass sich die Geschädigte hierdurch erschreckt hätte und erst recht in den Gleisbereich geraten wäre. Eine Vollbremsung sei jedoch in keinem Fall zu fordern gewesen. Hierdurch wären die Fahrgäste in der Straßenbahn unangemessen gefährdet worden. Es hätten keinerlei objektive Anhaltspunkte dafür bestanden, dass sich die Geschädigte nicht verkehrsgerecht verhalten würde. Aus diesem Grund hätte die Beklagte zu 2) auch nicht klingeln müssen.

Die Beklagten beantragen,

das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständige Dipl. Ing. G . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird den Inhalt des Berichterstattervermerks vom 2.10.2002 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

I.

Der Klägerin steht aus nach § 116 Abs. 1 SGB X übergegangenem Recht der Geschädigten ein Anspruch auf Ersatz von nur 30 % der von ihr getragenen Behandlungskosten, dies sind 21.308,88 €, zu. Nur insoweit stehen der Geschädigten aus §§ 1 Abs. 1 HaftpflG, 831 BGB Ansprüche gegen die Beklagte zu 1) zu. Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu 2) als Fahrerin der Straßenbahn stehen der Geschädigten demgegenüber nicht zu.

1.

Die Geschädigte wurde bei dem Betrieb der Straßenbahn als Schienenbahn i.S.d. § 1 Abs. 1 HaftpflG verletzt. Da die Straßenbahn innerhalb des Verkehrsraums der A Straße betrieben wurde, ist die Ersatzpflicht der Beklagten zu 1) nach § 1 Abs. 2 S. 2, 3 HaftpflG nur ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde. Beweispflichtig hierfür sind die Beklagten. Diesen Beweis haben sie nicht zu erbringen vermocht.

Als unabwendbar gilt ein Ereignis nach § 1 Abs. 2 S. 3 HaftpflG u.a. insbesondere dann, wenn es auf das Verhalten des Geschädigten zurückzuführen ist und sowohl der Betriebsunternehmer als auch die beim Betrieb tätigen Personen jede nach dem Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet haben. Zwar ist der Unfall auf das Verhalten der Geschädigten zurückzuführen. Es kann aber nicht festgestellt werden, dass die Beklagte zu 2) als Fahrerin der Straßenbahn auch bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt den Unfall nicht hätte vermeiden können. Es gelten insofern die Maßstäbe zur Frage der Unabwendbarkeit nach § 7 Abs. 2 StVG entsprechend (Geigel, 23. Aufl. Kap. 22 Rn. 32). Unabwendbar ist ein Ereignis danach dann, wenn es auch durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Dazu gehört sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus. Abzustellen ist auf das Verhalten eines "Idealfahrers", gemessen an durchschnittlichen Verkehrsanforderungen, wobei die Sachlage vor dem Unfall maßgebend ist (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 7 StVG Rn 30 n.M.). Ein "Idealfahrer" hätte in der konkreten Situation die Geschwindigkeit so weit reduziert, dass er noch unfallvermeidend hätte reagieren können oder hätte jedenfalls ein Klingelzeichen gegeben, um die Geschädigte auf das Herannahen der Straßenbahn aufmerksam zu machten. Denn aufgrund des Standpunkts der Geschädigten auf der Straßenbahnhalteinsel etwa 30 m vor dem eigentlichen Haltestellenbereich wäre ein "Idealfahrer" nicht sicher davon ausgegangen, dass die Geschädigte dort wartete, um mit der Straßenbahn mitzufahren. Da die Geschädigte auch nicht in Richtung Straßenbahn blickte, war nicht sicher festzustellen, was die Geschädigte vorhatte. Darauf hätte ein "Idealfahrer" reagiert.

Dass auch durch eine vorsorgliche Reduzierung der Fahrgeschwindigkeit der Straßenbahn der Unfall nicht mehr hätte vermieden werden können, kann nicht festgestellt werden. Für die Vermeidbarkeitsbetrachtung kommt es zum einen darauf, wo die Geschädigte auf der Halteinsel genau gestanden hatte. Befand sie sich am Rand zu den Schienen, benötigte sie nach Darlegung des Sachverständigen nur 0,6 Sekunden bis zur Kollisionsposition. Stand sie am Rand der Insel zur Straße brauchte sie jedoch 1,4 Sekunden, um von dort in die Kollisionsposition zu gelangen. Weiter kommt es darauf an, ob die Geschädigte von der vorderen rechten Ecke der Straßenbahn erfasst wurde oder mehr im Türbereich. Denn hiervon ist abhängig, in welcher Entfernung sich die Straßenbahn von der Geschädigten befand, als diese sich erkennbar in Richtung der Schienen bewegte. Schließlich ist die Ausgangsgeschwindigkeit der Straßenbahn von Bedeutung. Es kann aber weder diese noch die genaue Position der Geschädigten auf der Insel und der genaue Anstoßpunkt der Straßenbahn bestimmt werden. Kollisionsspuren waren an der Straßenbahn nach der Verkehrsunfallanzeige nicht vorhanden. Die Aussage der Zeugin ist zu diesen Punken unergiebig. Nach ihrer Aussage hatte sie beabsichtigt, aus der Straßenbahn an der Haltestelle "H " auszusteigen und sich deshalb der Tür zugewandt. Sie hat weiter bekundet, die Geschädigte erst gesehen zu haben, als sie von der Straßenbahn erfasst worden sei. Sie hat dabei Unsicherheiten gezeigt, ob sie die Geschädigte in diesem Moment durch die Frontscheibe der Straßenbahn oder durch die Tür bemerkt hatte. Während nach einem Vermerk des unfallaufnehmenden Polizeibeamten in der Verkehrsunfallanzeige (Bl. 7 d. BA.) die Zeugin angegeben hatte, die Geschädigte sei im Bereich der vorderen rechten Seite bis zur vorderen Tür in die Straßenbahn gelaufen, hat die Zeugin vor dem Landgericht zunächst ausgesagt, sie habe die Geschädigte zum ersten Mal durch die Frontscheibe hindurch gesehen, dann aber bekundet, sie könne nicht mehr genau sagen, ob es das Fenster der Tür oder die Frontscheibe gewesen sei. Sie hat dies dann dahingehend korrigiert, es könne eigentlich nicht die Tür gewesen sein, denn sie sei ja gerade auf die Tür zugegangen und meine daher, dass es eher die Frontscheibe als das Türfenster gewesen sein könnte. Sichere Angaben vermochte die Zeugin, für die der Aufprall überraschend kam, da sie die Geschädigte erst in diesem Moment bemerkte und sie nicht zuvor in Bewegung auf die Straßenbahn zu gesehen hatte, also nicht zu machen. Angaben zur Geschwindigkeit der Straßenbahn hat sie ebenfalls nicht machen können. Diese konnte schließlich auch der Sachverständige mangels feststehender Anknüpfungstatsachen nicht bestimmen.

Benötigte die Geschädigte von ihrer Position auf der Haltestelleninsel aber 1,4 Sekunden bis zur Kollisionsposition und wurde sie im Türbereich der Straßenbahn erfasst, wäre der Unfall nach den Ausführungen der Sachverständigen bei einer Ausgangsgeschwindigkeit der Straßenbahn von 10 km/h bei einer Geschwindigkeit bis zu 6 km/h und bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 20 km/h bis zu einer Geschwindigkeit von 11 km/h vermeidbar gewesen.

Ein "Idealfahrer" hätte auch vorsorglich durch Klingelzeichen auf die heranfahrende Straßenbahn aufmerksam gemacht. Dass die Geschädigte dann aus Schreck sogar auf die Schienen gelaufen wäre, erscheint lebensfremd, ist jedenfalls nicht beweisen. Es ist naheliegender, dass die Geschädigte von ihrer Absicht, die Schienen zu überqueren, Abstand genommen hätte, wenn die Beklagte zu 2) sie durch Klingelzeichen gewarnt hätte.

2.

Das Verschulden der Geschädigten ist nicht zweifelhaft. Sie hat grob gegen § 25 Abs. 5 StVO verstoßen. Danach dürfen Gleisanlagen, die nicht zugleich dem sonstigen Straßenverkehr dienen, nur an den dafür vorgesehenen Stellen betreten werden. Sie hätte bei gehöriger Aufmerksamkeit die Straßenbahn, wenn sie aus ihrer Sicht nach links geschaut hätte, ohne weiteres erkennen können.

3.

Bei der nach §§ 4 HaftpflG, 254 BGB vorzunehmenden Abwägung ist auf Seiten der Beklagten zu 1) nur die von der Straßenbahn ausgehende Betriebsgefahr zu berücksichtigen.

a)

Die Betriebsgefahr war nicht durch ein Verschulden der Beklagten zu 2) erhöht. Die Beklagte zu 2) durfte mangels gegenteiliger konkreter Anhaltspunkte darauf vertrauen, dass sich die Geschädigte sachgerecht verhalten, also nicht plötzlich auf die Gleisanlage treten würde. Dass die Beklagte zu 2) selbst angenommen hatte, die Geschädigte könnte die Schienen betreten, um die Straße zu überqueren, kann nicht festgestellt werden. Zwar hat die Beklagte zu 2) nach der Verkehrsunfallanzeige angegeben, sie habe gesehen, dass die Geschädigte von der rechten Straßenseite die A Straße überquert hätte und zunächst gedacht, dass diese auch den Gleisbereich überqueren wolle und habe daraufhin stärker abgebremst. Vor dem Landgericht und vor dem Senat hat sie hierzu jedoch erklärt, sie habe wegen der Position der Geschädigten auf der Halteinsel nur angenommen, dass die Geschädigte von der anderen Straßenseite gekommen sei und mit der Straßenbahn habe fahren wollen. Eine stärkere Abbremsung bereits vor der Haltestelleninsel, die nach der Verkehrsunfallanzeige vorgelegen haben müsste, hat auch die Zeugin nicht bestätigt. Sie hat vielmehr ausgesagt, die Verzögerung der Geschwindigkeit der Straßenbahn in Annäherung an die Haltestelle sei ganz normal gewesen. Ein konkreter Anhaltspunkt dafür, dass die Geschädigte beabsichtigte, die Gleise zu überqueren, lag nicht bereits deshalb vor, da sich die Geschädigte auf der Haltestelleninsel außerhalb des eigentlichen Haltestellenbereichs aufhielt. Die Geschädigte hatte sich im Zeitpunkt der Annäherung der Straßenbahn noch nicht den Gleisen zugewandt, sondern sich im Gegenteil sogar von diesen abgewandt.

b)

Zu ihrem Nachteil ist lediglich ihr vermutetes Verschulden bei Auswahl und Überwachung der Beklagten zu 2) gemäß § 831 BGB und die im übrigen durch ein Verschulden der Beklagten zu 2) nicht erhöhte Betriebsgefahr der Straßenbahn zu berücksichtigen. Trotz des groben Verschuldens der Geschädigten kann das vermutete Verschulden der Beklagten zu 1) und die Betriebsgefahr der Straßenbahn nicht dahinter zurücktreten.

Bei der Abwägung hat der Senat die Betriebsgefahr der Straßenbahn mit 30 % (so auch OLG Düsseldorf VersR 1983, 861, 832). Sie ist damit höher als die von einem Pkw oder auch Lkw ausgehende Betriebsgefahr. Die besondere Betriebsgefahr einer Straßenbahn ergibt sich daraus, dass mit dieser nicht ausgewichen werden kann und der Bremsweg der Straßenbahn aufgrund ihrer erheblichen Maße auf den glatten Schienen zu längeren Bremswegen als von Kraftfahrzeugen führt. Nach Darlegung des Sachverständigen betragen die normalen Verzögerungswerte einer Straßenbahn lediglich 2,5 m/sek.2. Zudem ist nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen von einer längeren Reaktionsdauer aufgrund einer längeren Schwellphase der Straßenbahn auszugehen. Diese beträgt danach für eine Straßenbahn 1,6 Sekunden im Vergleich zu einer Sekunde bei Kraftfahrzeugen. Unter der Schwellphase ist die Zeitspanne zwischen dem Reaktionsbeginn des Fahrers bis zur ersten Bremswirkung zu verstehen. Schließlich muss die für Fußgänger aufgrund der harten Bauweise der Straßenbahn erhöhte Verletzungsgefahr berücksichtigt werden.

4.

Der Anspruch der Klägerin ist auch aus § 831 BGB begründet. Die Beklagte zu 2) war als bei der Beklagten zu 1) angestellte Straßenbahnfahrerin ihre Verrichtungsgehilfin. Den Entlastungsbeweis nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB hat die Beklagte zu 1) nicht substantiiert angetreten. Die Vorlage der Bescheinigung vom 7.06.2001 (Bl. 115 d.A.), aus der sich u.a. die Ausbildung der Beklagten zu 2), deren Teilnahme an Instruktionsstunden und ihre Überwachung durch Testpersonen in Zivil ergibt, ist hierfür nicht ausreichend. Aus dieser ergibt sich weder, in welchen zeitlichen Abständen die Beklagte zu 2) überwacht wurde, noch wann dies zuletzt vor dem Unfall erfolgt war. An der letzten Instruktionsstunde hatte die Beklagten zu 2) nach der Bescheinigung am 15.02.1998, also mehr als 9 Monate vor dem Unfall, teilgenommen.

Das bloß vermutete Verschulden der Beklagten zu 1) nach § 831 BGB führt aber zu keiner weitergehenden Haftung als 30 %. Dieses ist im Verhältnis zum feststehenden groben Verschulden der Geschädigten nur gering und damit keinesfalls höher als 30 % zu bewerten.

5.

Der Klägerin sind unstreitig Schäden in Höhe von 138.921,81 DM entstanden. Da sie hiervon 30 % ersetzt verlangen kann, steht ihr ein Anspruch auf Zahlung von 41.676,55 DM (= 21.308,88 €) zu.

6.

Da die Geschädigte weiterhin an den Unfallfolgen leidet und arbeitsunfähig ist, ist auch der Feststellungsantrag unter Berücksichtigung der Quote zu Lasten der Beklagten zu 1) von 30 % begründet.

II.

Gegen die Beklagte zu 2) stehen der Klägerin keine Ansprüche zu. Insoweit ist das Urteil des Landgericht abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte zu 2) haftet für die Unfallfolgen aus § 823 Abs. 1 BGB nur bei nachgewiesenem Verschulden. Eine dem § 18 Abs. 1 StVG entsprechende Regelung, nach der das Verschulden des Fahrers vermutet wird, ist im maßgeblichen HaftpflG nicht enthalten. Das StVG ist nach § 1 Abs. 2 StVG auf schienengebundene Fahrzeug nicht anwendbar. Ein Verschulden der Beklagten zu 2) kann aber -wie ausgeführt- nicht festgestellt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 100 Abs. 2 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.



Ende der Entscheidung

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