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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 16.08.2000
Aktenzeichen: 13 U 32/00
Rechtsgebiete: BGB, StrReinG NW, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 847
BGB § 823 Abs. 2
StrReinG NW § 1
StrReinG NW § 4
StrReinG NW § 4 Abs. 2
ZPO § 708 Ziff. 10
Leitsatz:

1. In Nordrhein-Westfalen können die Gemeinden den Anliegern öffentlicher Straßen innerhalb geschlossener Ortschaften im Rahmen der Zumutbarkeit die Winterwartung auch für die Fahrbahnen übertragen.

2. Die in einer Gemeindesatzung für Gehwege getroffene Regelung ist auf die Fahrbahn einer Straße, die keinen Gehweg hat, nicht anwendbar.

3. Ist den Anliegern die Reinigung der Fahrbahn übertragen und in der Satzung weiter bestimmt, daß bei Eis- und Schneeglätte die Fußgängerüberwege und die gefährlichen Stellen auf den von den Anliegern zu reinigenden Fahrbahnen zu bestreuen sind, sind die Anlieger nicht verpflichtet, bei Glätte die gesamte Fahrbahn oder einen für den sicheren Fußgängerverkehr erforderlichen Streifen der Fahrbahn von 1 bis 1,5 m abzustreuen.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 32/00 OLG Hamm 7 O 315/98 LG Dortmund

Verkündet am 16. August 2000

Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 16. August 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brück und die Richter am Oberlandesgericht Zumdick und Pauge

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 28. Oktober 1999 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Streithelfer trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert die Klägerin in Höhe von 38.516,00 DM.

Tatbestand:

Die (damals 33 Jahre alte) Klägerin kam am 1997 gegen 16.10 Uhr als Fußgängerin bei Schnee- und Eisglätte zu Fall. Sie begehrt Schadensersatz, ein Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige materielle und immaterielle Schäden.

Die Klägerin wohnt in in der Straße im Haus Nr.. Von der M Straße zweigt eine gemeindeeigene Stichstraße ab, die zu dem Haus Nr. führt. An dieser Stichstraße befindet sich auch das Haus Straße Die Beklagten sind Miteigentümer dieses Hauses. Eine Erdgeschoßwohnung des Hauses ist an die Streithelfer vermietet. Die Klägerin stürzte auf der Fahrbahn in der Nähe des Hauses Nr.. Einen Gehweg gibt es hier nicht.

Die Winterwartung der Straße ist in der Straßenreinigungs- und Gebührensatzung der Stadt K i.d.F. v. 14. Dezember 1990 geregelt.

In § 1 der Satzung heißt es u.a.:

"(1)... Die Reinigungspflicht umfaßt die Reinigung der Fahrbahnen und der Gehwege...

(2) Zur Reinigung gehört auch die Winterwartung. Diese umfaßt insbesondere das Schneeräumen auf den Fahrbahnen und Gehwegen sowie das Bestreuen der Gehwege, Fußgängerüberwege und gefährlichen Stellen auf den Fahrbahnen bei Schnee- und Eisglätte.

(3)..."

Die zu den Haus Straße führende Stichstraße ist in dem Teil A des Straßenverzeichnisses der Straßenreinigungs- und Gebührensatzung der Stadt K aufgeführt. Nach § 2 Abs. 1 dieser Satzung ist die Reinigung aller Gehwege und Fahrbahnen der dort genannten Straßen den Eigentümern der angrenzenden und durch sie erschlossenen Grundstücke auferlegt.

§ 3 der Satzung hat folgenden Wortlaut:

"§ 3

Art und Umfang der Reinigungspflicht nach § 2 Abs. 1

(1) Die Fahrbahnen und Gehwege sind einmal wöchentlich zu reinigen...

(2) Die Gehwege sind in einer für den Fußgängerverkehr erforderlichen Breite von Schnee freizuhalten. Bei Eis- und Schneeglätte sind die Fußgängerüberwege und die gefährlichen Stellen auf den von den Grundstückseigentümern zu reinigenden Fahrbahnen zu bestreuen...

(3) Auf Gehwegen ist bei Eis- und Schneeglätte zu streuen...

(4) In der Zeit von 7.00 - 20.00 Uhr gefallener Schnee und entstandene Glätte sind unverzüglich nach Beendigung des Schneefalles bzw. nach dem Entstehen der Glätte zu beseitigen..."

Zum Zeitpunkt des Unfalls befanden sich auf der Fahrbahn festgefahrener Schnee und Eis. Die Klägerin machte mit ihrer damals zweijährigen Tochter einen Spaziergang. Wegen der Glätte hatte sie das Kind auf den Arm genommen.

Die Klägerin erlitt eine distale Unterschenkelmehrfragment-Fraktur links mit Abbruch eines kleinen hinteren Volkmannschen Dreiecks sowie eine distale Fibulatrümmerfraktur links mit Ausriß der vorderen Syndesmose. Sie wurde vom 8. bis 22. Januar 1997, vom 20. bis 22. Februar 1997 sowie vom 9. bis 19. März 1998 stationär behandelt. Nach dem Arztbericht des Chefarztes Dr. P der Chirurgischen Abteilung des Städtischen Frankenhauses in K vom 23. Oktober 1997 hat folgende Erwerbsminderung vorgelegen:

vom 8. 1. bis 21. 1.1997 100 %

vom 22. 1. bis 19. 2.1997 80 %

vom 20. 2. bis 3. 3.1997 100 %

vom 4. 3. bis 26. 5.1997 50 %

vom 27. 5. bis 29. 7.1997 30 %

ab 30. 7. "bis heute u. weiterhin" 20 %

Die Klägerin behauptet, sie sei unmittelbar an der Ecke des Hauses Nr. auf einer geschlossenen Schnee- oder Eisdecke gestürzt. Die Fahrbahn dort sei weder geräumt noch gestreut gewesen.

Die Klägerin verlangt mit näheren Darlegungen Ersatz eines Haushaltsführungsschadens. Sie beziffert die fiktiven Kosten einer Ersatzkraft auf insgesamt 11.016,49 DM. Daneben begehrt sie ein angemessenes Schmerzensgeld. Der Haftpflichtversicherer der Beklagten hat vorprozessual 5.000 DM gezahlt. Die Klägerin stellt sich einen Betrag in der Größenordnung von (weiteren) 20.000 DM vor.

Die Beklagten machen geltend, die Räum- und Streupflicht sei gem. § 19 Nr. 4 des Mietvertrages vom 25. Mai 1987 i.V.m. Ziff. 3 der diesem Vertrag angehefteten Hausordnung auf die Mieter der Erdgeschoßwohnung, die Zeugen W (Streithelfer), übertragen. In Ziff. 3 der Hausordnung heißt es:

"...Dem Erdgeschoßmieter obliegt die Reinhaltung der Hauszugänge und Zufahrten, der Haus- und Hoftür, der vor dem Hauseingang befindlichen Treppe und des Erdgeschoßflures, sowie die Reinigung des Bürgersteigs und der Straße einschließlich der Beseitigung von Schnee und Eis und falls erforderlich wiederholtes Streuen der Straße, der Bürgersteige und der Zuwegungen zum Haus mit Asche oder Sand. Der Erdgeschoßmieter hat sich hierfür der zuständigen Ordnungsbehörde gegenüber zu verpflichten.

Wohnen mehrere Parteien in einem Geschoß, so haben diese die Reinigung abwechselnd vorzunehmen..."

Die Streithelfer hätten sich stets nach dieser Hausordnung gerichtet, auch am Unfalltag. Die Einhaltung der Räum- und Streupflicht sei durch das Immobilienverwaltungsbüro J im Nachf. in unregelmäßigen Abständen von zwei bis vier Wochen (stichprobenartig) im Winter kontrolliert worden. Dabei sei nicht einmal aufgefallen, daß im Bereich der Häuser Märkische Straße M und die Räum- und Streupflicht nicht eingehalten worden sei.

Die Streithelfer der Beklagten sind der Auffassung, die Räum- und Streupflicht sei von der Stadt K nicht wirksam auf die Beklagten übertragen worden. Für den Bereich der Fahrbahn fehle eine klare Regelung. Sie behaupten, die Klägerin sei nicht vor dem Haus Nr. in der Nähe der Gebäudeecke, sondern mitten auf der Straße einige Meter hinter dem Haus Nr. in Richtung M zu Fall gekommen. Sie habe die geräumten Wege ignoriert und sei querfeldein über die Straße gelaufen. Die Streithelfer bestreiten, daß eine Eis- oder Schneeglätte unfallursächlich gewesen sei. Sie wenden - ebenso wie die Beklagten - überwiegendes Mitverschulden ein und bestreiten die Schadenshöhe.

Das Landgericht hat die Klägerin persönlich gehört und Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen L, K S, D und O. Mit dem angefochtenen Urteil hat es die Klage mit der Begründung abgewiesen, es sei ausreichend gestreut gewesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat die Klägerin persönlich gehört. Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung wird auf den Inhalt des Berichterstattervermerks Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Die Klage ist nicht begründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz und Zahlung eines (weiteren) Schmerzensgeldes.

1.

Die Beklagten haften nicht gem. §§ 823 Abs. 1, 847 BGB wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Die Klägerin ist auf der M Straße in der Nähe des Hauses Nr. gestürzt. Für die Straßenfläche sind die Beklagten nicht schon deshalb verkehrssicherungspflichtig, weil sie Miteigentümer eines angrenzenden Hausgrundstücks sind. Die Straße ist eine öffentliche Straße. Gem. § 1 StrReinG NW obliegt die Pflicht zur Reinigung öffentlicher Straßen innerhalb geschlossener Ortschaften primär den Gemeinden. Die Reinigung umfaßt als Winterwartung die Räum- und Streupflicht der Fahrbahnen und Gehwege (§ 1 Abs. 2 StrReinG NW).

2.

Die Beklagten haften auch nicht gem. §§ 823 Abs. 2, 847 BGB i.V.m. § 3 der Straßenreinigungs- und Gebührensatzung der Stadt K Sie waren nicht verpflichtet, im Bereich des Hauses Märkische Straße Nr. die Fahrbahn ganz oder teilweise von Schnee und Eis zu räumen und zu streuen.

a)

Unter den Voraussetzungen von § 4 StrReinG NW können die Gemeinden die Reinigung durch Satzung den Eigentümern der an die Straße angrenzenden und durch sie erschlossenen Grundstücke auferlegen (BGH NJW 1985, 484). Öffentlich-rechtliche Gemeindesatzungen zur Streupflicht sind Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB (BGHZ 27, 278, 283; BGH VersR 1998, 604).

b)

Die Klägerin ist auf der Fahrbahn der zu dem Hausgrundstück Nr. führenden Stichstraße der M Straße zu Fall gekommen. Die Pflicht zur Reinigung dieses Straßenteils ist in der Straßenreinigungs- und Gebührensatzung der Stadt K geregelt und den Eigentümern der angrenzenden und durch die Stichstraße erschlossenen Grundstücke übertragen. Die Beklagten sind Miteigentümer des an die Stichstraße der Märkischen Straße angrenzenden und von ihr erschlossenen Hausgrundstücks Nr.. Mithin oblag ihnen nach dem Inhalt der Satzung die Pflicht zur Reinigung der Fahrbahn.

Zur Reinigung gehört grundsätzlich auch die Winterwartung. Diese umfaßt gem. § 1 Abs. 2 der Satzung insbesondere das Schneeräumen auf den Fahrbahnen und Gehwegen sowie das Bestreuen der Gehwege, Fußgängerüberwege und gefährlichen Stellen auf den Fahrbahnen bei Schnee- und Eisglätte. § 1 der Satzung richtet sich jedoch in erster Linie an die Gemeinde selbst. Die Vorschrift enthält nämlich eine allgemeine Regelung der - in erster Linie der Stadt K obliegenden - Reinigungspflicht. Demgegenüber ist der Umfang der den Anliegern gem. § 2 Abs. 1 der Satzung übertragenen Reinigungspflicht in § 3 der Satzung speziell geregelt. Dort heißt es zunächst, daß die Fahrbahnen und Gehwege einmal wöchentlich zu reinigen sind § 3 Abs. 1). Hinsichtlich der Winterwartung finden sich in § 3 Abs. 2 und 3 spezielle Regelungen. Diese sehen eine Räum- und Streupflicht für Gehwege vor und bestimmen darüber hinaus, daß Fußgängerüberwege und gefährliche Stellen auf den von den Grundstückseigentümern zu reinigenden Fahrbahnen bei Eis- und Schneeglätte bestreut werden müssen. Hinsichtlich der Fahrbahnen sind die Anlieger also nur in beschränktem Umfang zur Winterwartung verpflichtet. Zum einen besteht hier keine Räumpflicht, sondern lediglich eine Streupflicht. Zum anderen betrifft diese nur Fußgängerüberwege und gefährliche Stellen.

d)

Die Klägerin ist nicht auf einem Fußgängerüberweg zu Fall gekommen. Ihrem Vortrag ist auch nicht zu entnehmen, daß sie auf einer "gefährlichen Stelle" der Fahrbahn gestürzt ist. Entgegen der von ihr im Senatstermin vertretenen Auffassung kann auch nicht die gesamte Stichstraße der M Straße als "gefährliche Stelle" eingestuft werden. Dabei kann dahinstehen, ob diese Straße, wie die Klägerin behauptet, ein Gefälle aufweist und deswegen bei Glätte gefährlicher ist als andere (ebene) Straßen. Zum Bestreuen der Fahrbahn wären die Anlieger nur verpflichtet, wenn dies in der Satzung mit hinreichender Deutlichkeit bestimmt wäre. Nach § 4 Abs. 2 StrReinG NW sind Art und Umfang der übertragenen Reinigungspflicht in der Satzung zu bestimmen. Wird die Winterwartung auf die Anlieger abgewälzt, so muß der Pflichtenumfang so klar umschrieben werden, daß die betroffenen Anwohner darüber nicht im Zweifel sein können (OLG Köln, VersR 1988, 827; OLG Düsseldorf VersR 1993, 577). Der Anlieger muß wissen, wo er bei Glätte streuen muß. Das kann er hier der Satzung nicht entnehmen. Aus der Regelung, daß "gefährliche Stellen" zu bestreuen sind, kann er nicht den Schluß ziehen, daß die Fahrbahn der Stichstraße entweder insgesamt oder aber wenigstens auf einem für den sicheren Fußgängerverkehr notwendigen Streifen von 1 bis 1,2 m (vgl. dazu Senatsurt. v. 1. Februar 1989, 13 U 252/88) oder 1,5 m (wie § 1 Abs. 1 S. 5 der Satzung für Fußgängerzonen bestimmt) bestreut werden muß. Eine solche Regelung findet sich auch nicht in § 3 Abs. 4 der Satzung. Diese Vorschrift befaßt sich nicht mit dem räumlichen Umfang der Winterwartung, sondern definiert ausschließlich den zeitlichen Pflichtenkreis. Hinsichtlich der Räum- und Streupflicht der Fahrbahn der zu dem Haus M Nr. führenden Stichstraße enthält die Satzung der Stadt K mithin keine wirksame Delegation der Winterwartung, denn es ist nicht klar geregelt, inwieweit eine Räum- und Streupflicht (außerhalb von Fußgängerüberwegen und gefährlichen Stellen) besteht, wenn eine Straße - wie hier die Stichstraße der M Straße - keinen Gehweg hat.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Ziff. 10 ZPO.

Ende der Entscheidung

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